Kap. 2: Karoline ...

[SIZE=“3”]Auch die folgenden Tage blieben wettermäßig wie der, an dem Luca und Eluned Fuchsdorf verlassen hatten. Morgens wallte der Nebel über die Hügel und später folgte dann eitel Sonnenschein. Eluned hatte die Strasse eingeschlagen, die nicht zu nah an der Küste lag. Das würde zwar einen halben Tag länger dauern, als der Klippenweg, aber dafür war die Luft nicht zu salzig und etwas trockener, was Lucas Wunde sicherlich entgegen kam. Außerdem war er weniger gefährlich. An der Küste trieben oft Schmugglerbanden ihr Unwesen, die über ungebetene Zaungäste immer mehr als erbost waren. Abends verband Eluned Luca die Wange, um sie vor der feuchten Morgenluft zu schützen. Am Mittag tupfte sie ihr dann das Sekret ab, dass die Wunde ausschied, und Luca konnte die Wange dann bis zum Abend in die Sonne halten.

Die Strasse war angenehm trocken aber trotzdem zu dieser Jahreszeit wenig befahren. Das hielt die üblichen Wegelagerer davon ab, jetzt schon ihrem Geschäft nachzugehen. Diese traten meist erst im Sommer und Herbst verstärkt auf, wenn es bei den Bauern und Händlern mehr zu holen gab. Da Luca kein Pferd besaß und Eluned auch nicht wußte, ob sie überhaupt reiten konnte, gingen sie meist beide zu Fuß und Flann trug das Gepäck. Die Leute, denen sie begegneten, waren zumeist Bauern, die wohl auf dem Rückweg von Hagenport waren, wo es auch einen Monatsmarkt geben sollte. Hagenport war um einiges größer als Fuchsdorf, das wußte Eluned. Es hatte einen richtigen Hafen, in dem Handelsschiffe festmachen konnten. Sicherlich gab es dort einige interessante Waren zu finden. Und vielleicht auch wieder mal eine weitere Spur von Sholto.

Eluned nutzte die Zeit bis Hagenport, um Luca das Come’Tang beizubringen. Da dies ein sehr einfach Sprache war mit einer noch einfacheren Grammatik dauert es ob der guten Lernfähigkeiten Lucas tatsächlich nur wenige Tage, bis sie besser Come’Tang sprach als Eluned Französisch. Und so übten die beiden Frauen ihre Sprachkenntnissse, indem sie sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten und weiteren Absichten erzählten.[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Eigentlich wollte ich mich noch ein wenig ausruhen, bevor wir uns auf den Weg nach Hagenport machten, doch vermutlich wollte Eluned einfach nur so schnell wie möglich ihre eigenen Wege gehen. Ich konnte das sehr gut verstehen. Wer hatte denn noch die Zeit jemanden durch ein kleines Kapitel seines Lebens zu schleppen? Niemand, wenn man ehrlich war. Keiner interessierte sich noch wirklich für die anderen. Eine Sache, die ich nicht verstehen wollte. Es gab doch noch soviele interessante Geschichten zu hören, soviel Neues kennenzulernen, soviele aussergewöhnliche Persönlichkeiten zu studieren. Das Leben besteht nicht nur aus dem Wesen, welches es führt, sondern viel mehr aus den Erfahrungen, den guten und schlechten, den Gefahren, den Gefühlen, den Handlungen, dem Miteinander, die dieses Wesen während seiner Zeit macht. Und grade deswegen muss man sich doch insbesondere für seine Mitmenschen interessieren, oder nicht? Mir kann keiner erzählen er wäre glücklich, wenn er jeden Kontakt meidet, wenn er alles genau plant, wenn er sich alles zurechtlegt und nur nach Vorschriften , Regeln, und Anweisungen handelt. Nein, solche Menschen lügen, da bin ich sicher. Tief in ihrem Herzen sehnen sie nach Anerkennung, nach Liebe, nach Schmerz um dann wieder das Glück erfühlen zu können.

Ich wurde je aus meinen Gedanken gerissen, als Eluned stehen blieb. Wir hatten schon seit einiger Zeit nichtmehr miteinander gesprochen, wir waren wohl beide unseren Gedanken gefolgt. Sie deutete durch ein kleines Waldgebiet und sprach langsam, und sehr deutlich in Französisch, was sich dort einmal zugetragen hatte, und welche Geschichte dieses kleine Fleckchen Erde erzählte. Ich hörte ihr aufmerksam zu und blickte ab und an hinüber zu dem kleinem Waldstück, und einer leise plätschernden Quelle. Offenbar was das für die vereinzelten Bürger dieser Region soetwas wie der >Jungbrunnen< und ich nickte ihr lächelnd zu. Genau um soetwas ging es doch im Leben oder? Mythen, Erzählugen, Sagen, das Unfassbare, etwas was einem Halt gibt in schwerer Not.
Als wir unseren Weg fortsetzten, erzählte ich Eluned von Sagen aus meiner Welt. “In meinem Heimatland, Kroatien, da gibt es eine Insel die nennt sich “Lošinj”. Die Geschichte besagt, dass der Sohn von König Aietes von Kolchis und der Nymphe Asterodeia, seine Halbschwester Medea verfolgte, die mit Iason, einem Argonauten, auf der Flucht war. Er holte die beiden ein, und durch eine List von Medea, konnte Iason Absyrtos, den Halbbruder Medea’s, töten. Der Legende nach, zerschnitt Medea ihren Bruder in zwei Hälften, wobei eine Hälfte die Insel Lošinj bildet.” ich lächelte leicht und hob die Schultern an. “Das ist eine griechische Sage, die sich jedoch mit Kroatien deckt.”

Ich war mir nicht sicher, dass Eluned alles verstanden hatte, doch das machte nichts. Jedenfalls ein wenig, und vielleicht würde sie verstehen, das es auch Sagen und Legenden in meiner Welt gab. Allerdings musste ich mir selber eingestehen, dass Eluned’s Welt, für mich eine einzige Sage bildete. Ich erkannte hier ja garnichts als “meine” Welt wieder, und so fiel es mir sehr schwer, nicht zu sagen “Hey, Eluned, deine Welt existiert bei mir garnicht”. Grade mir fiel es schwer, ich glaubte an solcherlei Dinge, mir gefiel die Vorstellung das nicht alles erforscht wurde. Oder besser, erforscht werde konnte. Einige Dinge sind auf dieser Welt tabu, und so sollte es meiner Meinung nach bleiben.
Als die Frau neben mir, begann ein wenig von sich aus zu erzählen, wunderte ich mich ein wenig. Ich hatte sie garnicht so eingeschätzt, als Frau, die gerne über sich redete. Doch vielleicht waren das gefahrlose, belanglose Details die sie mir da preisgab, und doch empfand ich es mehr als interessant.
Das mir Eluned beibrachte wie man ihre Sprache benutzte, gefiel mir. Wenn sie irgendwann die Nase voll von mir hatte, würden mir solch kleine Wörter sicher nicht schaden, und so machte ich mit großem Interesse und nötigem Lerneifer mit. Im Gegenzug brachte ich ihr einige Dinge ím Frnazösischem bei, und auch hier hatte es den Anschein, als würde sie sich ein wenig darüber freuen, Gesellschaft zu haben… [/SIZE]

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[SIZE=“3”]Spätwinternebel. Dickes, weißes Nichts, durch das man watet, wenn die Sonne aufgeht. Der sich nur langsam hebt und mit etwas Glück den blauen Himmel durchscheinen lässt, wenn die Sonne im Zenit steht. Dafür senkt er sich wieder, bevor sie untergeht und man beendet den Tag wieder in diesem traurigen, nassen Zeug.

Wir waren nur ein paar Tage unterwegs und ich hatte meine Bemühungen fortgesetzt, Luca in der Come’Tang zu unterrichten. Zu meiner Freude lernte sie erstaunlich schnell, und bald schon konnten wir tatsächlich Unterhaltungen in dieser, zugegeben wenig komplexen Sprache führen.
Luca schien sehr interessiert, zu erfahren, in was für einem Land sie hier gestrandet war, was für Leute hier lebten. Ich berichtete ihr nach bestem Wissen, da doch auch ich mich noch nicht lange in diesem Landstrich aufhielt. Eine Geschichte, die ich in Tamrys’ Wirtshaus gehört hatte und einige Zeit später erzählte, schien Luca zu faszinieren. Es war ein einfaches Märchen, das zu dem einfachen Gemüt der Menschen hier passte. Luca bedankte sich, indem sie mir von den Helden ihrer Heimat erzählte. Sie machte das gut und ich musste an die vielen Abende denken, die ich damit verbracht hatte, der alten Mhór Rioghain, meiner Amme, zu lauschen, wenn sie am Feuer die Geschichten von den Kindern Brans erzählte.

Als Luca aufgehört hatte zu erzählen, war ich noch lange schweigsam und in Gedanken. Als wir am Abend rasteten und auch wir am Feuer saßen und in die Flammen blickten, begann ich die Táin Bó Cúailnge – den Rinderraub von Cooley - zu rezitieren. Die Geschichte von König Ailill und der kriegerischen Königin Méabh. Ich wußte nicht so genau warum, aber die Worte hatten wohl ihren eigenen Willen und wollten ausgesprochen und gehört werden. Ohne es zu wollen verfiel ich dabei in den Singsang der Geschichtenerzähler.

Krieg, Liebe und Verrat – als ich fertig war, war das kleine Feuer nur noch leise glimmende Glut. Luca war eingeschlafen, aber ich war nicht müde, nur erschöpft. Irgendetwas – ein Gedanke oder eine Erinnerung – hatte mich aufgewühlt, als hätte ich etwas Wichtiges vergessen. [/SIZE]

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[SIZE=“3”]Als wir uns zur Rast an einen kleinen Bach setzten, beobachtete ich Eluned dabei, wie sie Holz für ein Feuer suchte, und es gekonnt stapelte. Ich musste innerlich lächeln, es schien, als würde die junge Frau ganz genau wissen was sie tat, und wie sie es tat. Man konnte , wenn man lange genug zusah, erkennen das sie vermutlich des Öfteren in der Freiheit übernachtete, und sich somit auch gut auskannte in solchen Dingen. Ich prägte mir ein, wie sie die Hölzer zu einem Stapel zusammensteckte, und sich dann umsah. “Kann ich dir helfen?” fragte ich langsam und deutlich. Es galt hier einander zu verstehen, das war im Moment das Wichtigste. Denn ohne die Kommunikation, würden wir vermutlich sehr bald versagen. Ich erhob mich von meinem kleinem Stein, der sich ausgezeichnet dafür eignete darauf Platz zu nehmen.

Sie schien etwas zu suchen, und ich legte den Kopf schief. Fragend blickte ich in ihre Richtung, doch sie schien mich garnicht wahrgenommen zu haben. So überlegte ich eine Zeitlang, und wollte mich grade in der neuen Sprache “Come’Tang” versuchen, als sie triumphierend lächelte. Sie hatte einen Stein in der Hand, und griff dann in ihre linke Tasche. Lächelnd beobachtete ich sie weiter und Eluned machte sich daran die Hölzer zu entzünden. Als die Stöcker langsam von den Flammen verzehrt wurden, setzte ich mich auf den Boden, und lehnte mich so bequem wie es eben ging, an den Stein, der mir vorher als “Stuhl” gedient hatte. Eine ganze Zeit lang, saßen wir schweigend da, gingen wohl beide unseren Gedanken nach. Ich für meinen Teil starrte in die Flammen und sah darin schreckliche Bilder. Ja, sie erschreckten mich und ich erinnerte mich an meine Kindheit. Die Augen davor verschließend, wollte ich Trauer und Pein verscheuchen, doch sie waren hartnäckige Gegner.

Als ich meine Augen öffnete, waren die Erinnerungen, die sich vor meinem geistigem Auge zu Bildern fügten, noch immer da. Ich starrte wie hypnotisiert in die Flammen des kleinen Feuers, das eigentlich Wärme und Licht spenden sollte, und mir dennoch nur Dunkelheit und Kälte gab. Fröstelnd zog ich meine Knie an meinen Körper, umschlung die Beine mit meinen Armen und legte meinen schwer erscheinenden Kopf auf den Knien ab. Die Bilder verschwanden erst, als Eluned begann mir eine Geschichte zu erzählen. Sie fing einfach an, und ich hörte ihr sehr gerne zu. Sie erzählte von üblichen Dingen. Von der Gefahr, der Liebe, dem Verlusst und all das, was ein paar Wörter, erst zu einer wahren Geschichte machten. Sicherlich hat sich diese Geschichte nicht ganz so heldenhaft zugetragen, wie sie lange Zeit später erzählt wurde, doch das machte garnichts. Spannung und Schmerz waren Bestandteil einer jeden Geschichte, die sich dann meistens immer wieder zum Guten wendet.

Ich hörte Eluned wirklich gerne zu. Sie erzählte ihre Geschichte so, wie sie sein musste, doch die Müdigkeit überrannte meinen Körper. Ich wusste nicht, wie lange ich schon nicht mehr geschlafen hatte, und dass machte sich nun bemerkbar. Immer wieder fielen mir die Lider zu, und irgendwann spürte ich nurnoch den knorrigen Waldboden, der sich in mein Gesicht drückte. Es war nicht schmerzhaft, und zu diesem Zeitpunkt, war es mir vermutlich egal. Ich wollte schlafen, solange schlafen wie es nur ging. Ohne aufzuwachen, ohne gestört zu werden.

Hitze flammte auf, Hitze und Angst suchten meinen Körper heim. Ich blickte hinüber zu den Häusern, sah die vielen Menschen, die alle im Kreis um mich herum standen. Ich wollte mich bewegen, und wurde von schneidenden Fesseln an einem dürrem Pflock gehalten. Ich verstand nicht. Ängstlich blickte ich zu all jenen, die mich anstarrten. In ihren Augen herrschte Kälte, Hass und Verachtung. Mein Blick glitt an meinem Körper hinunter. Ich war viel kleiner. Ich hatte ein zerissenes Kleidchen an, welches ganz verschmutzt war. Ich sah wieder auf, suchte mit panisch flackernden Augen jene, die mir teuer waren. Sie standen dort, garnicht weit von mir und blickte mich genauso an wie all die anderen hier. Viele der Menschen riefen mir Dinge zu, doch sie vermochten nicht an mein Ohr zu dringen. Ich schrie etwas, aber niemand hörte mich. Ich rief nach meiner Mutter, nach meinem Vater, doch sie wandten sich ab. Dann erst entdeckte ich, worauf ich stand. Ein gellender Schrei , in pure Verzweiflung gehüllt, riss mich aus meinen Träumen.

Ich saß senkrecht auf dem Boden, mein Atmen ging schnell und mein Herz hämmerte. Ich starrte mit aufgerissenen Augen auf die Glutstelle des Feuers. Mein Puls raste und ich war schweißgebadet. Doch es war kein normaler Schweiß, an einem Sommertag, es war kalter, purer Angstschweiß der sich seinen Weg über meine Stirn suchte. Ich wollte schlucken und musste feststellen, dass meine Kehle so trocken war, das es wehtat. Und ich erkannte, dass ich wirklich geschrien hatte…[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Der Mond war schon untergegangen, aber ich fand keinen Schlaf. Es waren wirre, ungeordnete Gedanken und Ängste, die mich wachhielten. Ich versuchte, des Chaos’ Herr zu werden, und es war, als versuche man, ein verknotetes Wollknäuel zu entwirren.
Die ersten Knoten hatte ich schnell gelöst: Es waren Luca und meine Sorgen, um unsere unmittelbare Zukunft. Sie erinnerte mich an mich selbst. Zu dem Zeitpunkt, als Sholto mich fand, war ich so alt wie sie, aber meine Situation war, so weit ich das beurteilen konnte, nicht halb so erfreulich. Bislang hatte sie mir wenig von sich preisgegeben. Von ihrer vagen Herkunft aus einem fernen Land mal abgesehen.
Luca machte einen offenen und weitgehend ehrlichen Eindruck, aber da war noch etwas Dunkles in ihr. Wenn sie nachdenklich zum Horizont sah oder schweigend in die Flammen starrte, konnte ich es hinter ihr fast wie einen zweiten Schatten sehen.
Die Welt war nicht nett und ich hatte bald gelernt, hinsichtlich der Reinheit menschlicher Motive einige Zweifel zu hegen.

Die nächsten Knoten waren schwieriger: Die Fäden glitten mir aus der Hand – und eigentlich wollte ich auch gar nicht daran rühren. Ich rieb mir die Augen, stand auf und ging hinüber zu Flann, der dösend etwas abseits stand. Als ich mich näherte, zuckten seine Ohren und er hob den Kopf. Ich strich ihm durch das dicke Fell, woraufhin er den Hals streckte und mit einem wohligen Schnauben die Augen wieder schloß. Ob Flann Sholto auch vermisste?

Ein spitzer Schrei riss mich aus meinen Gedanken. Ich verlor keine Zeit und sprang in den Schatten eines Baumes in der Nähe unserer Lagerstatt. Schon im Sprung hatte ich eines meiner Messer gezogen, ein weiteres glitt in meine andere Hand als ich mich an den Baum schmiegte, um vorsichtig nachzuschauen, was unsere Rast gestört hatte.
Es war jedoch nur Luca, die in ihre Decke gewickelt da saß und einen ziemlich verstörten Eindruck machte. Ich entspannte mich und steckte die Messer weg, bevor ich aus dem Schatten trat.

Dann nahm ich wieder auf meiner, noch immer ordentlich gefalteten Decke platz. “Was hat Dich erschreckt, Luca?”[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Ich saß da, die Augen auf das erloschene Feuer gerichtet, bleich und ausser Atem. Mir wurde mit den Bildern, die ich sah, wiedermal auf schreckliche Weise bewusst, weshalb ich meine Heimat verlassen hatte. Kopfschüttelnt wollte ich meine Gedanken vertreiben, ich blinzelte einige Male und blickte dann noch etliche Sekunden starr vor mich her. Erst als sich Eluned zu Wort meldete, blickte ich auf und sah sie fragend an. “hm?” machte ich nur und schüttelte dann den Kopf. “Oh ehm, garnichts… Ich habe nur schlecht geträumt…” antwortete ich in Französisch, wiederholte dann jedoch die letzten beiden Wörter in der Come’Tang.

Ich entwühlte die Decke, welche geknautscht und zerknittert war von dem hin und her welzen, während des Alptraumes - der doch keiner war. Dann legte ich sie mir um die Schultern, prüfte mit dürren Fingern, zittrig die Wunde, ob sie auch trocken genug war. Ich hatte geschwitzt, und jetzt lief ich Gefahr, die Wunde nass werden zu lassen. Ich zog, wie sooft, meine Beine an den Körper, legte die Arme auf die Knie und meinen Kopf auf die Arme. Ich blickte zur Seite, ich wollte Eluned nicht anschauen, womöglich hatte sie dennoch bereits meine Ausflüchte bemerkt. Doch vielleicht würde sie nicht weiter fragen.

Mit verschleierten Augen, welchen die Erinnerung an Vergangenes anzusehen war, starrte ich in das starre Dunkel der Nacht. Ab und zu flammten vor meinen Augen die Flammes auf, die Flammen die meinen Tod hätten bedeuten sollen, wäre da nicht…Ich stuzte. Mir wurde bewusst, dass ich mich an die Art meiner Rettung nicht erinnern konnte. Ich wusste, sie entzündeten die Holzscheite, ich konnte sie schon beinahe erfühlen, die Flammen des Todes, doch nun sitze ich hier, ein weiteres Mal dem Tod von der Schippe gesprungen. Ob das wie eine Art Schicksal, oder Fluch an mir haftet? Bin ich dazu bestimmt ein frühes, qualvolles Ende zu finden? Wie alt war ich wohl damals? Ich habe es ganz vergessen… Ich war jung, verdammt jung, soviel wusste ich noch.

Andererseits war alles was einem wiederfährt, prägend für Ansicht, Moral und Charakter. Ich musste unwillkürlich lächeln, dafür , was mir Eltern und Freunde angetan haben, habe ich mich doch ganz gut entwickelt. Entschied ich für mich und nickte nochmal bestimmend. Dann fiel mir ein, dass Eluned vermutlich mit komischen Gefühlen zu mir blicken musste. Erst schrei ich, wie eine Verrückte, dann lächel ich und nicke mir auch noch selber zu. So blickte ich zu Eluned, sah sie an und biss mir auf die Unterlippe. Sollte ich ihr erzählen? Sollte ich das wirklich? War es an der Zeit dafür, andererseits, wann ist es für sowas schon an der Zeit?
Doch bevor ich den Mund aufmachen konnte, um zu erzählen was ich geträumt hatte, schnaubte unser tierischer Wegbegleiter und meine Aufmerksamkeit galt ihm. Ich blickte zurück zu Eluned, das war meine Rettung. So lächelte ich und nickte in Richtung des Pferdes.
“Woher hast du… Flann?” ich war mir nicht sicher, ob der Name korrekt war, aber ich nehme an, sie wird wissen, wen ich meine…[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Schlecht geträumt also… Das war eine der größten Untertreibungen, die ich seit langem gehört hatte. Luca sah aus, als wäre sie gerade aus Ifrinn zurückgekehrt. Ich sah sie stirnrunzelnd an, aber bevor ich noch weiter fragen konnte, wandte sie sich ab. Nun denn. Ich zuckte mit den Schultern und faltete meine Decke auseinander. Vielleicht würde ich ja doch noch etwas Schlaf bekommen.

“Woher hast Du Flann?”, hörte ich, als ich mich gerade hinlegen wollte. Ich hielt inne und setzte mich schliesslich wieder auf.

“Er gehört…”, ich brach ab. ‘Einem Freund’ hatte ich sagen wollen. Aber war das noch so? Ich war mir nicht sicher.

“Er gehört mir nicht. Ich bringe ihn seinem Besitzer zurück. Wir reisten einige Zeit gemeinsam und er hat ihn mir für eine Weile überlassen.”, das war immerhin nahe genug an der Wahrheit, um keine Lüge zu sein.

Die Geräusche der Nacht waren verstummt. Bald würden die ersten Vögel den Tag ankündigen. Ich sah Luca an und lächelte. “Wenn es dir gut geht, können wir aufbrechen. Es wird nicht mehr lange dauern bis die Sonne aufgeht und ich glaube nicht, dass einer von uns beiden jetzt noch schlafen wird.”[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Mir war klar, dass auch Eluned nicht die volle Wahrheit sagte, nachdem sie auf meine Frage geantwortet hatte. Aber dafür war später noch immer Zeit. Im Moment waren wir beide Vorsichtig, wagten einander nicht gänzliches Vertrauen zu schenken. Wer würde uns dafür an den Pranger stellen? Niemand. Wir kannten uns noch nicht sehr lange, und wissen taten wir noch weniger voneinander. Unsere Absichten, Ängste, Träume, Hoffnungen, Geschichten waren noch lange nicht erzählt, und ich bezweifelte, dass es dazu jemals kommen würde. Eluned machte auf mich den Eindruck, wie eine ewig Reisende. Sie war auf der Suche nach etwas, was ich nicht kannte, und ich hegte das Gefühl, sie suchte schon sehr lange. Aber waren wir nicht beide auf der Suche? Habe nicht auch ich das Bedürfnis endlich Friede zu finden? Meine Gedanken glitten wieder einmal zu einem vergangenem Freund.

Ich befand mich gedanklich in Frankreich. Vor gut einem Jahr. Dort herrschte ein herliches Wetter, kalte, klare Luft, ein blauer Himmel, die strahlende Sonne und der Boden bedeckt mit hellem Schnee. Es war einer der schönsten Winter, die ich erlebt hatte, obgleich in Kroatien niemals solche Winter existiert hatten, war der Winter in Frankreich bereits mein zweiter erlebter. Ich befand mich auf der kleinen “Insel” wie ich sie immer nannte, und saß auf dem Sockel des gefrorenem Brunnen. Die Figur, welche obenauf des Brunnens stand, war über und über mit kleinen Eisflocken von der Nacht bedeckt, die in der leicht wärmenden Sonne glitzerten. In meinen Gedanken erkannte ich dann noch ein Gesicht. Es war Pain. Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf mein Gesicht, ein Lächeln das Eluned vermutlich gut sehen konnte, doch daran dachte ich nicht.

Ich saß mit dem Rücken zu Pain, und dieser blieb hinter mir stehen. Er legte mir eine Hand auf die Schulter, und ich zuckte erschrocken zusammen. Wie töricht, ich doch war. Dann erhob ich mich, blickte in das blasse, ebenmäßige Gesicht des Portugiesen und habe zum ersten Mal diese Spahirblauen Augen bemerkt. Wir unterhielten uns, ich wusste nichtmehr genau worum es ging, nur das es eine ernste Angelegenheit war. Dann ließen wir von unseren Sorgen ab, und er packte mich, hob mich hoch und grinste schelmisch. Das Lächeln ist mir noch Heute tief eingebrannt. Dann ließ er mich hinunter, und schubste mich, ich verlor das Gleichgewicht, fiel und kullerte einen schneebedeckten Abhang hinunter. Lachend kam ich unten an, blickte zu ihm hoch und wir lieferten uns eine Scheeballschlacht. Es war herrlich und wenn ich heute daran zurück denke, dann verspüre ich jedesmal ein Glücksgefühl, und Schmerzen… Kurz darauf verloren wir uns aus den Augen, und dann lange, lange Zeit nichtsmehr. Bis ich seinen Brief erhielt… Seinen Brief der mir Angst einjagte.

Als meine Erinnerungen bei dem Brief angelangt waren, blinzelte ich, verdrängte mein Lächeln und erhob mich. “Du hast recht, Schlaf finden wir wohl beide nichtmehr, wir sollten weiter.” bemerkte ich kurz angebunden, drehte Eluned den Rücken zu und machte mich daran, meine Decke zusammenzulegen. Nachdem dies getan war, verstaute ich sie an Flann’s Satteltasche und strich dem hübschem Tier sanft über das Fell. Er schnaubte, ich deutete das für mich als gutes Zeichen. Dann wandte ich mich an Eluned. “Von mir aus können wir!” und warf ihr ein Lächeln zu, als wäre nie etwas gewesen, ws mir Kummer und Schmerz beschert hätte…[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Gerade als die beiden Frauen bereit waren, ihren Weg fortzusetzen, hörten sie ein lautes Knacken und das Brechen von Ästen aus dem Wald. Mit einem gewaltigen Satz sprang ein kapitaler Hirsch aus dem dichten Geäst auf die Lichtung und blieb wie ersteinert stehen. Ein Beobachter hätte kaum zu sagen gewusst, wer von den Anwesenden überraschter war: Der Hirsch oder die beiden Frauen. Doch es blieb nicht lange so. Der Hirsch drehte sich um 90° und sprang wieder zurück in den Wald und setzte seine … Flucht??? … fort. Nach wenigen Sekunden wurde das Geräusch des springenden Hirsches leiser und zuerst kehrte die Stille zurück. Dann begannen auch die Vögel wieder zu zwitschern. Die beiden Frauen sahen sich an. Hatte sich etwas an der Umgebung und den Geräuschen im Vergleich zu vor dem Vorfall verändert? [/SIZE]

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[SIZE=“3”]Ich griff nach meiner Decke und den wenigen Sachen, die wir ausgepackt hatten, als wir hier unser Lager aufgeschlagen hatten. Sie zu reinigen und zu verstauen kostete mich nur wenige Minuten.

Als ich die Glut mit den Füssen auseinanderschob und austrat, hörte ich, wie Flann hinter mir unruhig wurde. Ich maß dem jedoch keine besondere Bedeutung bei. Es war nicht unsere gewohnte Zeit aufzubrechen. Nachdem ich ihm über die Nase gerieben und ihn mit leisen Worten besänftigt hatte, stand er schliesslich still und liess sich beladen. Meine Finger strichen über die feinen Silberarbeiten an den Pauschen. Sie waren in den letzten Tagen etwas angelaufen. Ich hatte keine Zeit gehabt, sie zu polieren. Vielleicht konnte ich das nachholen, wenn wir in Hagenport ankamen. Rasch verschnallte ich noch die Satteltaschen und band Flann los.
“Komm, dickes Tier, Zeit zu gehen.” Das brachte mir ein leises Schnauben ein, aber er trotte brav hinter mir her.

Luca war schon ein Stück vorraus gegangen in die Richtung, die wir schon gestern eingeschlagen hatten. Ich folgte ihr gemächlich, denn die Schatten unter den Bäumen waren noch tief und ich hatte keine Lust aus Unachtsamkeit zu stürzen. Der Boden war dick mit altem Laub bedeckt, das häufig morsche Äste verdeckte, die darunter verrotteten. Vorsichtig wählte ich meinen Weg, setzte die Füße sachte und machte kaum ein Geräusch dabei. Die Art sich im Wald zu bewegen war mir in Fleisch und Blut übergegangen. Es war nichts, worüber ich nachdachte. Flann konnte das auch, er hatte es nicht mal lernen müssen – Tiere sind da irgendwie anders als Menschen.

Die Luft hatte noch die Schärfe des Winters, aber es waren schon feine Gerüche darin, die den nahen Frühling ankündigten. Ein paar vereinzelte Vogelstimmen waren schon zu hören. Sie klangen verloren durch den frühen Morgen. Luca war nur noch wenige Schritte vor mir, als sich die Häarchen in meinem Nacken aufstellten, beinahe gleichzeitig machte Flann einen Satz rückwärts, der mich, da ich ihn festhielt, fast von den Füßen riss. Gerade als ich wieder sicher stand, brach mit lautem Getöse etwas großes vor uns aus dem Wald. Meine Hand fuhr an den Gürtel und hatte das Kurzschwert schon halb aus seiner Scheide gezogen, bis ich erkannte, dass keine Gefahr bestand.

Ein gewaltiger, prachtvoller Hirsch stand mit bebenden Flanken vor mir. Von seinem Rücken stiegen Dampfwolken in die kalte Luft und seine Nüstern zitterten als er in unsere Richtung witterte. Für einen Moment trafen sich unsere Blicke und die Angst in den Augen des Tieres, liess mich geringer von ihm denken. Das war kein stolzer König des Waldes. Nur Beute.

Er zuckte zusammen und war mit einem weiteren raschen Sprung wieder in der schattigen Düsternis verschwunden. Ich atmete tief ein und wieder aus. Bis auf das Brechen von Ästen und Zweigen aus der Richtung, in die der Hirsch geflohen war, war der Wald still geworden. Ich wagte noch nicht, weiter zugehen, liess die Zügel aus der Hand gleiten, um auch meine zweite Hand noch frei zu haben und Flann die Möglichkeit zu geben, sich in Sicherheit zu bringen. Dafür packte ich das Schwert fester. Was immer dem Hirsch folgte, mochte möglicherweise auch für uns nicht ganz ungefährlich sein.[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Luca staunte nicht schlecht, als Eluned ihre “Komm und hol’ dir, was Du verdienst”-Haltung einnahm und konzentriert in die Richtung blickte, aus der der Hirsch aus dem Wald hervorgebrochen war. Doch so unbekannt ihr das Land auch war, wusste Luca instinktiv, was es bedeutete, eine Gefahr nahen zu spüren. Auch ihr Überraschungsmoment war nur kurz und das freudige Erstaunen ob der wunderschönen Erscheinung des Hirsches wich bei ihr schnell einem konzentrierten Lauschen.

Plötzlich stellte Flann die Ohren auf und lies ein leises Schnauben hören. Fast zeitgleich trat ein grün gekleidetes Wesen aus dem Wald. Die Stiefel die es trug, schienen aus Leder zu sein und hatten schon fast einen bräunlichen Farbton. Darüber sah man etwas grasgrünes, dass an eine Strumpfhose erinnerte. Viel war davon aber nicht zu sehen, weil der blattgrüne Umhang, den das Wesen trug, weit über die Knie reichte. Der Umhang schien aus Wolle zu sein und besaß auch eine Kapuze, die zwei Drittel seines Kopfes verdeckte. Das Gesicht hatte einen samtfarbenen Teint. Die Augen waren leicht schräg gestellt und die Nase kaum ausgeprägt. Das Wesen hatte einen großen Bogen in der Hand, auf dem schußbereit ein Pfeil lag. Das Wesen, ob Mann oder Frau ließ sich nicht genau sagen, lächelte kurz in Richtung der beiden Frauen und zeigte dabei blendend weiße Zähne. Es hob kurz die freie Hand wie zu einem Gruß. Dann bückte es sich, betrachtete die Spur, die der Hirsch hinterlassen hatte und folgte diesem dann in exakt der gleichen Richtung. So lautlos, wie es gekommen war, verschwand das Wesen nach wenigen Sekunden im dichten Blätterwald.[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Erschrocken starrte ich den stattlichen Hirsch an, der mindestens genauso erschrocken über diese Begegnung war. Doch so schnell er gekommen war, verschwand er auch. Ich musste grinsen. “Der hat’s aber eilig”, wurde jedoch still als ich merkte, dass um mich herum die gewöhnliche Geräuschkulisse nachgelassen hatte.
Ich blieb mucksmäusschenstill stehen und lauschte in den erschreckend ruhigen Wald hinein. Beunruhigend, dass die Vögel aufhörten zu zwitschern, und die Tiere flüchteten. Fragend starrte ich in die Richtung, aus welcher der Hirsch kam, blickte dann zu Eluned, die aussah als ob sie jeden vermeindlichen Feind zum Frühstück essen würde. Als es aus der Richtung, aus der der Hirsch gerannt kam, knackte, zuckte ich und trat einen unsicheren Schritt nach hinten.

Ich staunte, als ein - ja was war es denn eigentlich - in völliges Grün gekleidetes Wesen aus den Büschen trat, uns keck anlächelte sich dann jedoch der Spur widmete. Als es zuvor die Hand zum Gruße hob, meinte ich leise “Hallo”, in diesem Moment allerdings auf kroatisch da ich nicht über meine Sprache nachdachte. Doch kurz darauf war das Wesen wieder zwischen Geäst und Geröll verschwunden. Ich blickte zu Eluned, fragend, doch dann grinsend. Sie hatte eine Kampfposition eingenommen und funkelte dem “Etwas” hinterher. Ich verschrenkte die Arme vor der Brust, legte den Kopf schief und betrachtete mir dieses Bild, wie sie da stand mit Waffen in der Hand und dem Tot in den Augen.

Ich ging einige Schritte vor, nahm die Zügel von Flann, warum sollte ich nicht auch mal das Pferd führen, sie musste ja nicht alles alleine machen, und ging den Weg weiter. Während ich den Waldweg entlang schlenderte, blickte ich fast beiläufig über meine Schulter zu Eluned und meinte “Ach ehm, “Eluned”- der Name bedeutet in deiner Sprache nicht zufällig “Hau Drauf” oder?” grinste und ging ein wenig schneller, nicht das sie noch auf dumme Gedanken kam.

Einige Zeit später, verließen wir den Wald, und ich konnte eine von menschenhand erschaffene Straße erkennen. Sie war nicht gepflastert, aber dennoch ganz klar erkennbar, eine Straße. Ich blieb stehen, drehte mich zu Eluned, die immer noch hinten geblieben ist, und nickte dann in die nördlichste Richtung. “Ist das Hagenport?” fragte ich sie, deutete mit dem Nicken auf die am Horizont erscheinenden Zinnen.
Seit wir unseren Weg fortgesetzt haben, grübelte ich über das grüne Wesen nach, was es war, wer es war, ob Mann oder Frau, ob das normal für solche Wälder war, oder ob es etwas unnatürliches war, solche Dinge eben, genau diese Dinge, von denen ich keinerlei Ahnung besaß…[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Am frühen Nachmittag erreichten die beiden Frauen schließlich die Stadt, von der Eluned Luca schließlich bestätigt hatte, dass es sich um Hagenport handeln müsste. Mit dem ihr eigenen Instinkt, den sich Eluned in langen Jahren harten Trainings angeeignet hatte, sich in dem Gassengewirr größerer Ansiedlungen zurecht zu finden, machten sie sich auf die Suche nach dem Heiler Echnad. Dieser schien nicht unbedingt sehr bekannt zu sein, aber als der Schmutz in den Gassen vermehrt auftrat, die Gesichter der Passanten finsterer wurden und die Hauswände näher aneinander rückten, wurden die Hinweise schließlich deutlicher und 1 Stunde nach ihrer Ankunft am Stadttor klopfte Eluned an die Tür eines Hauses, über der ein schiefes Schild Auskunft darüber gab, dass hier der Heiler Echnad seiner Tätigkeit nachging.

Der Heiler war sichtlich gut besucht und Luca und Eluned musste eine Weile warten, bevor sie eine resolute ältere Dame in ein Nebenzimmer führte, wo sie erneut aufgefordert wurden, auf den harten Holzstühlen Platz zu nehmen und sich noch ein paar Augenblicke zu gedulden. Als sich nach einigen Minuten die Verbindungstür zum Nebenraum öffnete, hinter der die beiden bereits mehrere laute Stimmen vernommen hatten, die sich unter anderem auch dem Gebrauch vulgärer Schimpfworte bemüßigten, betrat ein langhaariger, bartloser Mann mittleren Alters den Raum, dessen Kleidung mit Ausnahme der pelzigen Hausschuhe von einer weißen Schürze bedeckt wurde, welche über und über mit älteren und auch neueren Blutspritzern besudelt war. Doch nicht der Anblick dieser Schürze war es, der Luca erbleichen ließ, sondern die rothaarige Frau, die sie kurz durch die geöffnete Tür im Nebenraum erblicken konnte und deren Arm gerade von der älteren Dame, welche Eluned und sie in diesen Raum geführt hatte, mit einem Verband versehen wurde.

Bilder kamen plötzlich in Lucas Sinn. Bilder von schreienden und fliehenden Menschen, Bilder eines Segelschiffs, das in Flammen stand. Und mittendrin in diesen Bildern die rothaarige Frau, welche die Piraten zu kommandieren schien, die Lucas Schiff angegriffen und geentert hatten, bevor es sank. Luca wurde schlagartig speiübel. Diese Frau, kein Zweifel war möglich, saß im Nebenzimmer und erhielt einen Verband um den Arm.

“Was kann ich für euch tun?” - Diese Worte holten Luca in die Realität zurück. Die Tür war geschlossen und der Heiler hatte sie angesprochen. Eluned wies wortlos grinsend (Sie nahm an, Lucas Erbleichen hinge mit der Schürze zusammen.) auf Luca und der Echnad sprach: “Aaah, ich sehe schon - Algenspinnen!”. Mit diesen Worten nahm er Lucas Kopf mit festen Griff in seine Hände und begann, sich die Wunde näher anzusehen.[/SIZE]

AW: Kap. 2: Karoline …

[SIZE=“3”]Meine Augen weiteten sich, als ich die junge Frau im Nebenzimmer erkannte. Bilder der Erinnerung strömten auf mich ein, was solch ein kleiner Denkanstoß doch alles bewirken konnte. Ich erinnerte mich wieder an das Geschehene, erkannte die schrecklichen Bilder vor mir und das alles wegen dieser Frau. Sie war es gewesen, die das Schiff, welches mich fort bringen sollte, angegriffen und geentert hat. Wegen dieser Frau sitze ich in einer Welt fest, die mir völlig unbekannt ist und muss mich zu einem Heiler begeben, den es anscheinend nur sehr selten gibt. Alles fing mit ihr an. Und durch sie, vergaß ich auch für längere Zeit meinen Schmerz. Wie heißt es doch so schön? Jede Münze, hat zwei Seiten. Doch im Moment beschäftigte mich dieser philosophische Quatsch überhaupt nicht.

Als der Arzt herein kam und kurz darauf meinen Kopf in seine Hände nahm, blinzelte ich ein paar mal um wieder Herr der Lage zu werden. “Genau… Algenspinne” murmelte ich geistesabwesend, und wiedermal auf kroatisch. Dann drückte ich seine Hände weg, stand auf und ging um den Arzt herum. Ich musste mit dieser Frau reden! So öffnete ich die Tür zum Nebenzimmer, ließ die beiden anderen wortlos zurück und blickte dann auf den feuerroten Schopf der jungen Frau. Ohne besondere Emotion in meinem Gesicht lesen zu können starrte ich die Unbekannte an. “Ihr!” rief ich aus und trat einen Schritt auf die Frau zu, die anscheinbend grade im Stande war zu gehen. “Wegen Euch sitze ich hier nun, nur wegen Euch!” fauchte ich, konnte mich allerdings gut beherrschen nicht zu schreien. Ich war sauer, ja, aber nicht auf sie, nicht wirklich jedenfalls, eher auf meine wirklich blöde Lage. In ihr hatte ich nun eher das Mittel zum Zweck gefunden, um meine Angst, Frustration und den Schmerz abzuladen.

“Ich hoffe das da” und deutete auf ihren verbundenen Arm “… tut weh!” knurrte ich und starrte sie eisern an. “Ihr habt es nicht anders verdient!” mit diesen Worten ging ich aus dem Zimmer, knallte die Tür hinter mir und setzte mich wieder zurück auf meinen Ausgangsplatz. Ob die Rothaarige das nun verstand oder nicht, war mir grade egal. Mir ging es jetzt wenigstens besser. Ich erinnerte mich wieder, hatte für kurze Zeit meinen Zorn abgelassen und nun wollte ich mich behandeln lassen. Ohne Blicke auf Eluned oder den Arzt, hielt ich letzterem meine Wange hin.[/SIZE]

AW: Kap. 2: Karoline …

[SIZE=“3”]Während Echnad nur verduzt schien, weil er die ihm unbekannten Worte nicht verstand, war das Fragezeichen in Eluneds Gesicht ob Lucas Reaktion geradezu witzig zu nennen. Eluned hatte die Personen hinter der Tür nicht gesehen und obwohl ihr Luca ja noch nicht allzu gut bekannt war, hatte sie doch mit einer solchen Reaktion nicht gerechnet.

Kaum schien sich die Lage im Zimmer, nachdem Luca sich wieder dem Heiler zugewandt hatte, wieder beruhigt zu haben, als die Verbindungstür erneut, diesmal von der anderen Seite, aufgestoßen wurde. Wieder kam Eluned ihr Instinkt zugute, der ihr half die eintretende Frau just in der Zeit zu begutachten, in dier diese Luft holte, um etwas zu sagen.

Im Raum stand eine ungefähr 168 cm große Frau mit dunkelroten, ins brünnette spielenden, schulterlangen Locken. Sie trug kniehohe Lederstiefel und darüber eine blaue Hose aus Wollstoff, die gut auf ein Schiff gepasst hätte. Am Gürtel hing eine rapierähnliche Waffe. Das beige Wams war gefüttert und diente wohl mehr dem Schutz als der Wärmesicherung. Auf dem Kopf hatte sie einen Hut mit Federn, den Eluned im ersten Augenblick als geradezu lächerlich empfand. Die Gesichtshaut der Frau war wohl mal weißlich gewesen, doch hatte sie der Aufenthalt in an der frischen Luft und der Sonne nachhaltig gebräunt.

Dies alles erfasste Eluned in wenigen Augenblicken, bevor die Frau die Luft aus ihren Lungen entließ in dem sie sehr laut und in befehlsgewohntem Ton in Come’Tang sagte: “Du da,” und damit zeigte sie auf Luca, “diese Sprache …” und schließlich lies sie den Satz unvollendet, als sie gewahr wurde, dass Luca nicht alleine im Raum war.

Der verdutze Heiler war nun endgültig sprachlos und während Luca und Eluned die Rothaarige ansahen lies diese ihren Blick lauernd zwischen den beiden hin und her wandern.[/SIZE]

AW: Kap. 2: Karoline …

[SIZE=“3”]Ich schloss meine Augen und lies die Alte meinen Arm verbinden. Wenigstens hatte ich hier drinnen etwas Ruhe. Die konnte ich auch gebrauchen, nach den letzten Tagen:
Zuerst war gar nichts mehr los gewesen und meine Mannschaft hatte angefangen unruhig und maulig zu werden. Dann war da dieser seltsame Sturm. Sicherlich nicht sehr gefährlich, nichts was meine Mannschaft, die SeaSprite und ich nicht schon durchgemacht hätten. Aber da war etwas IN dem Sturm gewesen, das uns allen hatte die Harre zu Berge stehen lassen.
Eigentlich kannten wir das Gefühl, es war das Gleiche, das uns jedes Mal überkam, wenn wird durch den Rift segelten. Nur diesmal taten wir es nicht. Als der Sturm vorbei war, waren wir immer noch in dieser anderen Welt, an dieser langweiligen Küste, an der die lokalen Schiffe nur darauf zu warten schienen ausgenommen zu werden und nie wirklich wertvolle Ware an Bord hatten.

Und dann war da der letzte Angriff gewesen, kurz nach dem Sturm. Auf ein Schiff, das dem der heimischen Küste gar nicht glich. Beschädigt war es gewesen und größer. Ja es erinnerte fast an die Segelschiffe in Europa… an zu Hause.
Bei dem Gedanken öffnete ich meine Augen wieder und sah der alten Frau zu, wie sie die letzte Schicht Salbe zwischen die Verbandlagen schmierte.
Ich war schon öfters hier gewesen und wenn es nur darum ging einen meiner Männer zu begleiten und den Heiler zu bezahlen.

Bis jetzt hatten wir Hagenport in Ruhe gelassen und keine Angriffe hier durchgeführt. Man brauchte immer einen Hafen, in den man sich zurückziehen konnte. Die SeaSprite lag wohl verankert draußen in der Bucht. Mit etwas Phantasie konnte ich schon fast das Knarren ihrer Bohlen, das Quietschen der nassen Taue und das Keckern des Elstern Pärchens, was sich auf der SeaSprite niedergelassen hatte, hören. Ein Lächeln huschte über meine Lippen, als ich an mein Schiff dachte…

… als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und eine junge Frau hereinplatzte und wild entschlossen auf die Alte und mich zu kam.
Eigentlich hätte man sie als ganz hübsch bezeichnen können, wäre da nicht diese ekelige Wunde in ihrem Gesicht, die irgendein Zeugs absonderte, von dem ich lieber gar nicht wissen wollte, was es war.

Zuerst dachte ich, sie wolle was von der Helferin des Heilers doch sie fauchte mich an und redete dabei wirr.
„Armes Ding“ dachte ich. „Die Wunde muss wohl auch ihr Gehirn beeinflusst haben. Nur warum versaut sie mir den Tag damit?“
Die Frau deutete auf meinen Arm und fügte noch ein paar wütende Worte hinzu. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging wieder.

Ich zuckte amüsiert mit den Achseln und war schon froh, dass es nur eine kleine Wunde an meinem Arm war und dass ich keinen Hirnschaden davon getragen hatte, als ihre Worte in meinen Gedanken wieder hallten.

„Moment Mal!“ sagte ich laut und auf Deutsch. Ich stand auf und lies die Alte, die sowieso schon verdutzt genug schien, stehen. Diese „wirren Worte“ der Frau waren eine fremde Sprache. Und ich hatte sie schon mal gehört. Irgendwo zu Hause, irgendwo in Europa… an der Adriaküste musste es gewesen sein… Kein Zweifel, die Frau stammte aus der gleichen Welt, wie ich!

Ich schnappte mir meinen Hut und stieß die Tür wieder auf.
Auf der anderen Seite befand sich der Heiler, die Frau von eben und noch eine andere Frau, die ich nur kurz wahrnahm, ohne dabei jedoch zu übersehen, dass sie als etwas gefährlicher einzustufen war.

Doch dafür hatte ich jetzt keinen Kopf. In der Sprache, die hier üblich war sprach ich die andere Frau an: “Du da,” und damit zeigte ich auf sie, “diese Sprache …”
Ich wartete auf eine Reaktion, doch beide Frauen schauten mich nur feindselig an.
„…Wo hast Du die gelernt? Woher kommst Du? Und wie bist Du hierher gelangt? Sag schon! Hat Dich etwa der Baron von Greifenfels geschickt?!“ Ich mochte es nicht, wenn man meine Fragen ignorierte.[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Als die Rothaarige in das Zimmer gestürmt kam, mich anschaute und mit dem Finger auf mich deutete, hob ich eine Augenbraue und schaute sie stumm an. Auch sie hatte einen gewissen Akzent, dieser ließ mich nicht daran zweifeln, dass auch sie nicht von hier stammte. Da ich das ComeTang noch nicht richtig verstand zuckte ich nur die Schultern. Ich überlegte kurz und meinte mit wackeligen Worten “Du sprichst auch nicht ComeTang.” Meine Feindseligkeit war zurückgewichen. Ich war von Natur aus nicht böswillig oder aggressiv veranlagt, im Gegenteil, ich war doch eher zurückhaltend und hörte mir immer erst beide Versionen eines Streites an.

Ich bickte kurz den verduzten Arzt an, hob die Hände als Zeichen, dass er warten solle, und erhob mich. Ich ging auf die Frau zu, blickte sie an und verengte die Augen kurz zu Schlitzen. Das einmalig wirkende Grün meiner Augen blitzte in dem Licht der Sonne grell auf. Dann wurden meine Gesichtszüge feiner, ich ließ die Anspannung fallen, trat einen Schritt zurück und musterte die Frau. Eluned schien immernoch verduzt zu sein, und sie blickte immer nur zwischen der Rothaarigen und mir hin und her.
Mich traf die Ahnung, woher ich diesen Akzent kannte, wie ein Schlag in den Magen. Hoffnung und gleichzeitig Angst machten sich allmählich breit und ich beobachtete die junge Frau vor mir noch eine ganze Weile.

Dann holte ich tief Luft, hoffte auf eine positive Antwort und sprach nur ein Wort : “Europa?” wenn sie ebenfalls aus meiner Welt kam, dann würde sie wissen, was ich meinte. Eluned und der Arzt konnte mit diesem , für sie seltsamen Wort nichts anfangen, und ich beobachtete die Reaktion von der Fremden.[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Ahhh. Hagenport - hier traf man immer auf so interessante Leute. Ich besah mir die Frau, die Luca angesprochen hatte. Die energischen Linien des wettergegerbten Gesichts und der befehlsgewohnte Ton liessen keinen Zweifel an der Art ihrer Persönlichkeit. Das gefütterte Wams, die kräftigen Handgelenke und die Waffe in ihrem Gürtel ebensowenig.

Ich lächelte nur ein wenig als ich wieder platz nahm, die Beine vor mich streckte und das Schauspiel genoss, das sich anbahnte. Meine Muskeln waren von der Reise ein wenig steif, aber es gelang mir irgendwie auf der unbequemen Sitzgelegenheit eine annähernd angenehme Position zu finden. Dann lehnte ich den Kopf zurück und sah mit halb geschlossenen Augen zu.
Mal sehen. Vielleicht brachte die ganze Sache ja ein wenig Licht in die schattige Geschichte, in die ich hier wohl geraten war. Es war nicht so, dass mir viel daran lag. Unsere gemeinsame Reise war hier vermutlich zuende, aber bis ich den nächsten Hinweis auf Sholtos - mögen ihn Ifrinns Flammen verzehren - Verbleib fand, war das Drama, das hier vor meinen Augen spielte eine willkommene Abwechslung.[/SIZE]

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[SIZE=“3”]Einigermaßen verdutzt, hatte sich Echnad doch aber schnell wieder im Griff. Er griff Luca am Arm und sprach in Come’Tang: “[COLOR=“lemonchiffon”]Was immer euch beide verbindet oder trennt, verstanden habe ich es ohnehin nicht. Aber ihr seid sicherlich nicht wegen eurem Zank hier, sondern wie die gute Karoline hier, um eure scheußliche Wunde behandeln zu lassen. Also lasst mich meine Arbeit tun und anschließend könnt ihr euch ja nebenan im “Beissenden Pferd” gegenseitig die Haare ausreissen.” Er schaute die Rothaarige an, die anscheinend Karoline hieß, und fuhr sie an: “[COLOR=“LemonChiffon”]Raus hier, sonst können Du und deine Leute sich demnächst jemand anderes suchen, der euch wieder zusammenflickt!”.[/SIZE]

AW: Kap. 2: Karoline …

[SIZE=“3”]Ich hob träge eine Augenbraue, als Echnad das “Beissende Pferd” erwähnte. Der Tag wurde immer besser. Es hatte sich doch tatsächlich gelohnt, solange hier zu bleiben. Vermutlich hätte ich ohne diesen Hinweis eine Weile gesucht, bis ich dieses Wirtshaus gefunden hätte, welches mir als Treffpunkt für Reisende, fahrendes Volk und allerlei sonstiges Gelichter genannt worden war.

Um die Müdigkeit zu vertreiben, streckte ich die Arme, die Schultergelenke knackten wie üblich und die Narben, die sich von den Schulterblättern in einem feinen Geflecht über den Rücken zogen, spannten ein wenig. Ich strich mir die roten Locken aus dem Gesicht und erhob mich langsam, kramte nach ein paar Münzen, die ausreichen sollten, um den Heiler zu bezahlen. Dann trat ich hinter Luca, nahm ihre Hand und legte die Geldstücke hinein, dabei raunte ich ihr kurz ein: “Ich bin nebenan.” ins Ohr. Ohne das weitere Geschehen zu beachten, verliess ich die etwas aufgeregte Versammlung und ging hinaus, um im “Beissenden Pferd” nach Antworten zu suchen.[/SIZE]