AW: Pirat sein richtig gemacht (oder: Seefahrt-Recherchen zwischen 15. und 18. Jhdt.)
Fechtbuch - WEbseite
Talhoffer 1467
Handhabung Schwerter
Hammaborg: Historischer Schwertkampf
Mit Hieb und Stich - über die Handhabung von Schwertern
Eine edle Waffe
Von den mannigfaltigen Waffen, die auf den Schlachtfeldern der Menschheit zum Einsatz kamen, wurde keine gleichermaßen hoch geachtet wie das Schwert. Obwohl das Leben eines mittelalterlichen Kriegers eher vom Einsatz von Lanzen, Geschossen und Wuchtwaffen abhing, wurde das Schwert trotz seiner nur begrenzten militärischen Bedeutung zu einer geradezu mystischen Waffe, von der eine bis in unsere Tage andauernde Faszination ausgeht. Dies ist möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass es sich um das erste Artefakt der Geschichte handelt, das allein dazu entwickelt worden ist, Menschen zu töten oder zu verstümmeln. Mehr als 5000 Jahre sind vergangen, seit die ersten Bronzeschwerter zu eben diesem Zweck geschärft wurden. Alle anderen vorgeschichtlichen Waffen wie Speere, Äxte sowie Pfeil und Bogen konnten stets auch als Werkzeuge oder Jagdwaffen eingesetzt werden. Das Schwert taugt allein zum Kämpfen und ist aus eben diesem Grund schon immer auch ein Machtsymbol gewesen. Umso verständlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es seit jeher hochspezialisierter Fachkräfte bedurfte, um ein gutes Schwert zu erschaffen. Dadurch und wegen der kostbaren Rohmaterialien war es auch immer die teuerste aller Waffen. Tatsächlich war das Tragen von Schwertern in manchen Kulturen nur einer erlauchten Kriegerelite vorbehalten.
Während es in Japan eine ungebrochene Tradition der Schwertherstellung und -kampfkünste gibt, entbehrt Europa jeglichen Bewusstseins für die großartigen Leistungen seiner mittelalterlichen Schwerthersteller, von den historischen Kampfkünsten ganz zu schweigen. Dabei muss man weder in Bezug auf das eine noch das andere den Vergleich mit Asien scheuen.
1999 initiierte Dr. Stefan Mäder in Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Landesmuseum in Stuttgart ein überaus interessantes Projekt: Zwei alamannische Saxe und eine Schwertklinge wurden in Japan von Meisterschwertfeger Takushi Sasaki mittels des traditionellen Katana-no-Kantei-Systems untersucht. Es handelt sich hierbei um eine jahrhundertealte Form der Metallografie, die zur Bestimmung der Herkunft und Qualität mittelalterlicher japanischer Schwerter entwickelt wurde. Mit großer Behutsamkeit wurde auf diese Weise der überaus feine Schichtenaufbau der verschickten europäischen Klingen wieder erkennbar gemacht. Anschließend wurde eine der Saxklingen dem Meisterschwertschmied Akitsugu Amada zur Begutachtung vorgelegt. Dieser wollte kaum glauben, dass die Waffe nicht einem Fürsten, sondern einem einfachen Krieger ins Grab gelegt worden war (1).
Für den Schwertkenner ist dies freilich keine große Überraschung, da er immerhin eine wenigstens ungefähre Vorstellung von der hohen Fachkenntnis hat, die z.B. für die Herstellung eines damaszierten Wikingerschwertes nötig ist. Nach Jahren des unermüdlichen Experimentierens und zahllosen Fehlschlägen kann nur eine sehr überschaubare Zahl heutiger westlicher Schwertschmiede von sich behaupten, der Meisterschaft ihrer Vorfahren nahezukommen. So manches Geheimnis alter Waffenschmiedekunst ist dennoch leider unwiederbringlich verloren.
Doch wodurch zeichnete sich ein gutes Schwert aus? Über welche Eigenschaften musste es verfügen? Was konnte es tatsächlich leisten?
Die Krieger der Wikingerzeit oder des Mittelalters hatten gewiss eine ganz genaue Erwartungshaltung an ein Schwert: Es sollte eine stabile Klinge haben, einerseits geschmeidig genug, um unter hoher Belastung nicht zu brechen, andererseits jedoch steif genug für einen harten Stich. Weiterhin sollte es über schnitthaltige Schneiden und einen scharfen Ort verfügen, der vielleicht sogar leichtere Kettenpanzer durchstoßen konnte. Auch von Länge, Gewicht und Ausgewogenheit hatte der mittelalterliche Kämpfer sicher eine klare Vorstellung. Schließlich würde es seine mit Abstand teuerste Waffe sein, selbst, wenn sie nicht mit Gold oder Silber verziert war; und eines Tages könnte sein Leben von ihrer Güte abhängen. Zweifelsohne konnten viele Waffenschmiede die hohen Erwartungen ihrer Kundschaft erfüllen, allerdings wäre es falsch anzunehmen, dass alle Schwerter Meisterstücke waren. Mit Sicherheit gab es einen Gutteil mittelmäßiger Klingen, die aus unzureichendem Rohmaterial oder von weniger kunstfertigen Schmieden hergestellt worden waren. So wissen die Sagas der Isländer aus dem 13. Jahrhundert von einem Kämpfer zu berichten, der während eines Gefechts mehrfach dazu gezwungen war, seine Klinge unter dem Fuß wieder gerade zu biegen. Als Qualitätsnachweis wurden häufig Schwertmarken mit dem Namen des Herstellers, wie Ulfberth oder Ingelrii, in die Klingen eingelegt. Wahrscheinlich sind solche Klingeneinlagen auch von anderen Waffenschmieden kopiert worden, um die eigenen Produkte attraktiver wirken zu lassen. Klingen aus dem Rheinland waren besonders begehrt und wurden in großer Stückzahl nach Skandinavien exportiert, wo heimische Handwerker sie entsprechend dem Geschmack ihrer Kundschaft mit Gefäßen versahen. Toledo in Andalusien und später Passau in Bayern waren ebenfalls als Produktionsstätten für herausragende Schwerter bekannt, was im Umkehrschluss aber bedeutet, dass es auch Klingen minderer Qualität gegeben haben muss.
Killerklinge oder Klingenkiller?
So hervorragend das Erzeugnis eines Schwertmachers auch sein mochte, es war immer nur so gut, wie der Mann, der es führte. Das Schwert war ein zweckoptimiertes Hightechprodukt, und sein Gebrauch setzte ein entsprechendes Training voraus. Durch unsachgemäße Handhabung konnte es relativ leicht beschädigt werden. Im norwegischen »Konungs Skuggja« (Königsspiegel) aus dem frühen 13. Jahrhundert empfiehlt ein Veteran jungen Kriegern sich täglich im Kampf mit Schwert und Schild zu üben, so wie weiterhin das Bogenschießen, Speerwerfen oder den Gebrauch der Schleuder regelmäßig zu trainieren. Empfehlungen zu ausreichender Wasseraufnahme während des Trainings und moralische Ermahnungen runden die Ratschläge des alten Kämpen ab. (2) Bereits im späten 12. Jahrhundert beschreibt Saxo Grammaticus die Ausbildung dänischer Krieger durch kampferprobte Veteranen. Durch Sport und Wettkämpfe hielten sich die Kämpfer fit, Mutproben dienten möglicherweise der psychischen Festigung in Stresssituationen. (3) Die spätmittelalterlichen Fechtbücher sind von einer ähnlich ganzheitlichen Herangehensweise an die Kampfkunst geprägt, und so mag es nicht überraschen, dass »fechten« im mittelalterlichen Sinne eben nicht nur das Fechten mit Blankwaffen bezeichnete, sondern »kämpfen« im weitesten Sinne. Genau wie im englischen Verb »to fight«, das derselben etymologischen Wurzel entspringt.
Die Zahl derer, die die Kampfkünste unserer Vorfahren erforschen, nimmt in aller Welt stetig zu: Ernsthafte Re-enactmentgruppen experimentieren mit Feldtaktiken; der Kampf Mann gegen Mann wird von Kampfkunstbegeisterten rekonstruiert, die sich auf eine nicht unbeträchtliche Zahl entsprechender mittelalterlicher Manuskripte stützen. Die akademische Auswertung der Quellen ist dabei nur der erste Schritt, gefolgt von der Rekonstruktion mittels praktischer Anwendung. Dass dem Sicherheitsgedanken bei jedem verantwortungsvollen Kampfkunsttraining höchste Priorität eingeräumt werden muss, versteht sich von selbst. Zu diesem Zweck wird bei den meisten Arten von Gefechtssimulationen, Waffendrills oder Sparring eine geeignete Schutzausrüstung getragen. Dazu kommen die entsprechenden Schwertsimulatoren, beispielsweise stumpfe Stahlrepliken historischer Vorbilder, stumpfe Aluschwerter, Polsterwaffen oder modifizierte Shinais, also die traditionellen schlag- und stoßabsorbierenden Bambusschwerter des japanischen Schwertkampfes, die sinnvollerweise häufig um eine Kreuzstange erweitert werden. Mittlerweile sind sogar historisch belegte europäische Langschwertübungsgeräte verfügbar, sogenannte Fechtfedern. Für die Mehrzahl der Grundübungen reicht aber allemal ein robustes Holzschwert. Leider liegt es in der Natur der Sache, dass jede Art von Simulator immer nur Teilaspekte eines echten Schwertes repräsentieren kann. Deshalb ist bei einer großen Zahl moderner Schwertkampfadepten das Klingenbewusstsein leider nur unzureichend ausgeprägt. Ein umfassenderes Wissen über die Leistungsfähigkeit und -grenzen des Schwertes wäre aber hilfreich, um den Standard moderner Schwertkampfkunst zu verbessern.
Es sollte mittlerweile unstrittig sein, dass, wenn man schnellstmöglich ein Schwert zerstören will, man nur den entsprechenden Anweisungen aus Hollywood folgen muss: Führe dein Schwert niemals in einer Scheide, sondern ramme es mit dem Ort voran in den Boden, nachdem du wie wild Schneide gegen Schneide nach feindlichen Schwertern gehackt hast, die Klinge in Betonpfeiler gehauen und Mittelklassewagen zu rustikalen Cabrios zersäbelt hast! Nicht zu vergessen: Betatsche die Klinge so oft wie möglich mit den Fingern!
Jeder, der eine gute Holzaxt sein eigen nennt, achtet sorgfältig darauf, das Blatt nie in den Boden zu hacken. Steine zerstören Schneiden. Warum also sollte man mit Schwertern anders verfahren? Zwei ausgemusterte Küchenmesser gleicher Härte mit den Schneiden ineinanderzuschlagen (Nicht zur Nachahmung empfohlen, und höchstens unter geeigneten Sicherheitsvorkehrungen und mit entsprechendem Gesichtsschutz auszuführen!), vermittelt einen ungefähren Eindruck davon, was eine vergleichbare Vorgehensweise bei zwei Schwertern anrichten würden: Je nach Schlagstärke verkeilen sich die Klingen bis zu einem Zentimeter und tiefer ineinander und können unter Umständen sogar brechen. Nun unterscheiden sich Messer von Schwertern unter anderem in Härte und Schneidengeometrie, doch die klingenzerstörende Wirkung von Schneide-gegen-Schneide-Aktionen dürfte außer Frage stehen. Das bedeutet allerdings nicht, dass derlei immer vermieden werden konnte: Es gibt etliche Funde schartiger Schwerter. Dr. Stefan Mäder konnte sogar an einer von ihm untersuchten spätantiken Klinge das tief in die Schneide eingedrungene Fragment einer gegnerischen Waffe entdecken. Doch dürfen wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass der ausgebildete Schwertkämpfer effektiv zu fechten wusste, ohne seine Waffe fahrlässig zu zerstören. Bereits 2002 wies Gregory Mele anhand diverser ikonografischer und textlicher Quellen eben dies nach, wobei er betont: »Wann, warum und wie Fläche und Schneide einzusetzen sind, muss auf dem Verständnis der zugrundeliegenden Verteidigungsprinzipien und auf der Biomechanik beruhen, wie es sowohl ausdrücklich als auch unausgesprochen von den mittelalterlichen Meistern selbst gelehrt wurde.« (4)
Ein weiterer ausgemachter Klingenkiller ist Korrosion. Obschon in den Augen des modernen Betrachters eine dezente Patina dem Schwert erst die rechte Würde verleiht, vergrößern die durch Rost enstandenen mikroskopisch kleinen Vertiefungen die Klingenoberfläche dramatisch und setzen somit stetig mehr Stahl der Gefahr fortschreitender Korrosion aus. Natürlich wird ein Schwert dadurch nicht so schnell beschädigt wie durch eine harte Schneidenparade, aber so wie jeder verantwortungsvolle Handwerker sein Werkzeug wartet und in Ordnung hält, darf man auch bei einem mittelalterlichen Schwertkämpfer eine sorgfältige Pflege seiner Waffe voraussetzen.
Einen guten Schnitt machen
Nach der Betrachtung der Belastungsgrenzen eines Schwertes stellt sich nun die Frage, welchen Schaden es einem Gegner in den Händen eines geübten Fechters tatsächlich zufügen konnte. Um Klingenbewusstsein zu entwicklen und um eine Vorstellung von der tödlichen Bedrohung zu bekommen, die ein mit einem scharfen Schwert bewaffneter Gegner darzustellen vermochte, sind Schnitttests ein gute Möglichkeit. Zu diesem Zweck habe ich entsprechende Experimente mit eigens hierfür angefertigten Schwertern durchgeführt. Ich möchte hierbei anmerken, dass eines der Schwerter nicht sachgemäß geschliffen worden ist. Durch übermäßige punktuelle Hitzeentwicklung in einigen Bereichen ist die eine Schneide zu hart, die andere zu weich geworden. Für die bisher durchgeführten Experimente war das aber eher ein Glücksfall, da die Auswirkungen unterschiedlicher Schneidenbeanspruchungen miteinander verglichen werden konnten. Ich lud einige Re-enactment- und historische Fechter ein, um ihre Schnitttechnik an äußerst unauthentischen Zielen unter Beweis zu stellen: an von Schnüren hängenden, wassergefüllten Plastikflaschen. Es zeigte sich sehr schnell, dass, obwohl die Schwerter sehr scharf waren, ein harter, kraftvoller Hieb allein nicht notwendigerweise zum gewünschten Ergebnis führte. Manchmal schwang die getroffene Flasche an ihrem Seil einfach zur Seite, und lediglich einige Tropfen rannen aus einem winzigen Einschnitt. Für den perfekten Schwerthieb ist es erforderlich, dass beide Schneiden sich auf exakt derselben Ebene auf das Ziel zubewegen. Im Moment des Auftreffens muss das Schwert kurvend zurückgezogen werden, wodurch erst die Schnittbewegung zustande kommt, die es der Schneide ermöglicht, das Ziel sauber aufzutrennen. Wenn man die maximale Hiebenergie auf das Ziel übertragen will, sollte man mit dem sogenannten Schwingungspunkt treffen. Dies ist die Stelle der Klinge, die nicht vibriert, wenn man auf die Klingenfläche schlägt, üblicherweise in etwa ein Viertel der Klingenlänge unterhalb des Ortes. Allerdings können wir davon ausgehen, dass bereits die letzten Zentimeter ausreichen, um einem ungeschützten Hals eine lebensbedrohende Verletzung zuzufügen. Führt man nun auf die beschriebene Weise einen kurvenden Hieb aus, so spürt man beim Schnitt durch eine der hängenden Plastikflaschen nahezu keinen Widerstand. Der abgetrennte Teil fällt herab und das Wasser stürzt eher nach unten als dass es wild verspritzt werden würde. Tatsächlich ist deutlich weniger Kraft erforderlich als man meinen würde. Zudem empfiehlt es sich, die Energie aus dem Körper durch Hüftund Schulterdrehung in den Hieb zu übertragen, anstatt einfach nur die Armmuskeln zu benutzen. Dies gewinnt an Relevanz, wenn man sich eine Kampfsituation vor Augen führt: Sollte ein Schwertkämpfer seinen Gegner verfehlt haben, oder hat dieser die Attacke abgewehrt, so muss die Endposition des eigenen Hiebes der Ausgangspunkt für eine erneute Attacke sein, ohne aber dabei mögliche Ziele für den Gegner zu entblößen (diese Anfangs- und Endpunkte wurden übrigens von den alten Fechtmeistern als sogenannte Huten systematisiert). Kontrolle ist dabei das ausschlaggebende Element. Schlägt man einfach nur hart aus den Armmuskeln, so läuft man Gefahr, den Hieb zu verreißen, wodurch sich für den Gegner Angriffslinien auftun. Selbst wenn er dies einige Zeit überstehen sollte, so wird der Schwertfechter, der sich allein auf die Kraft seiner Arme verlässt, schnell ermüden und dadurch gänzlich die Kontrolle verlieren. Möglicherweise endet einer seiner Hiebe auch noch in der Wade eines Kameraden, was ihn in seiner Einheit sicher nicht besonders populär machen dürfte. Körperenergie für den Schwerthieb zu nutzen ist in jeder Hinsicht das überlegene Prinzip. Der Hieb wird härter, dabei gleichzeitig kontrollierter, und er erfordert geringeren Kraftaufwand.
Man mag im ersten Moment meinen, dass eine Plastikflasche sehr viel leichter zu durchschneiden ist, als Gliedmaßen oder gar der Hals eines geiferspeienden Berserkers. Nun, dem ist nicht so. Ein Ziel mit geringem Gewicht, dass zudem noch frei an einem Seil baumelt, kann Aufprallenergie in Bewegung umsetzen und einfach von der Klinge fortschwingen. Einem 90-Kilo-Berserker dürfte das schwerfallen, und so muss sein Körper die ganze Energie des Hiebes absorbieren - vorausgesetzt
natürlich, dass man sorgfältig gezielt hat und das richtige Timing hatte. Ein ungepanzerter Gegner hat gegen einen schneidenden Schwerthieb tatsächlich keine Chance.
Natürlich haben Schnitttests wie alle Versuchsanordnungen ihre Schwächen und bleiben angreifbar. Wenn man die Aussagekraft eines solchen Experiments beurteilen will, muss man nicht nur z.B. die Schlaffheit toten Tiergewebes oder die geringere Größe der Knochen des Zieles berücksichtigen, sondern auch die Härtung des jeweiligen Schwertes und die Schneidengeometrie. Ein weiteres Problem ist die Simulation des korrekten Widerstands der Masse.
Die Tatsache allerdings, dass es, wenn man die korrekte Technik beherrscht, keiner großen Anstrengung bedarf, den Kopf eines Rehbocks oder einen Schweinelauf abzuschlagen, spricht für sich selbst. Tatsächlich war die Eindringtiefe einiger unserer Hiebe in einen rohen Schweineschinken oder den Rücken eines aufgehängten Rehbockkadavers ziemlich gruselig. Wir probierten unterschiedliche Hiebe und Hiebkombinationen. Es sei an dieser Stelle gesagt, dass der Twer- oder Zwerchhau (ein mit hocherhobener Hand horizontal ausgeführter Hieb, bei dem der Daumen von unten die Klingenfläche stützt) nur dann effektiv ausgeführt werden kann, wenn man Hüfte und Oberkörper in dem Moment, da man das Ziel trifft, eindreht, wodurch man einerseits die Waffe zusätzlich beschleunigt, zum anderen durch die Zugbewegung der eigentliche Schnitt überhaupt erst ermöglicht wird. Ohne diese kleine Bewegung wird die Schweineschwarte nicht einmal angeritzt. Es zeigt sich also: Scharfe Schwerter schneiden nur, wenn sie korrekt eingesetzt werden. Es gibt dokumentierte moderne Fälle von Schwertattacken, die diese These untermauern. Der jüngste derartige Vorfall, der mir bekannt ist, ereignete sich 2004 in Bayern, wo ein offensichtlich geistig verwirrter junger Mann einen Waffenhändler mit einem scharfen Samuraischwert attackierte. Des weiteren gibt es einen Bericht über einen Vorfall, der sich im Zweiten Weltkrieg ereignet haben soll. Ein japanischer Soldat griff einen GI mit einem Schwert an, schaffte es aber nicht, diesen zu töten. In beiden Fällen gelang es den Opfern, die Hiebe mit den bloßen Armen abzuwehren. Zwar trugen sie schwere Hiebverletzungen davon, doch wurden die Arme nicht abgetrennt. Es scheint, dass die Angreifer ihre Schwerter eher wie Knüppel denn wie Klingen benutzten, indem sie auf ihre Opfer einhackten und nicht mit kurvenden Hieben schnitten.
Stich ohne Gnade
So erschreckend die Wirkung eines Schwerthiebs auf ein ungepanzertes Ziel auch sein mag, so war es doch der Stich, den wir in gewisser Weise als noch erschütternder empfanden. Diejenigen Leser, die mit den Fechtbüchern, den mittelalterlichen Abhandlungen über Waffenkünste, vertraut sind, dürfte dies nicht allzu sehr überraschen. Tatsächlich empfiehlt bereits der Autor des ältesten bekannten Fechtbuches der Welt, dem wohl aus Süddeutschland stammenden sogenannten MS I.33 über das Fechten mit Schwert und Faustschild: »Daher der Rat, dass du ohne Gnade mit einem Stich eintreten mögest.« Das bevorzugte Ziel für den Stich ist im I.33 das Gesicht. (5) Im Kampf Mann gegen Mann, waffenlos oder bewaffnet, sind Gesichtstreffer überaus effektiv. Nicht allein wegen ihres letalen Potenzials, sondern auch wegen der enormen psychologischen Wirkung. Selbst ein leichter Hieb ins Gesicht wird den Impetus eines Angreifers stoppen, und sei es nur für einen Sekundenbruchteil.
Körpertreffer haben nicht notwendigerweise denselben Effekt. In ihrem sehr erhellenden Artikel über Verwundungen durch Blankwaffen schildern die beiden Mediziner Richard Swinney und Scott Crawford den modernen Fall eines Betrunkenen, der sich erst sechs Stunden, nachdem er einen kompletten Durchstich seines Bauches mit einer knapp zwei Zentimeter breiten Schwertklinge erlitten hatte, in der Notaufnahme meldete. Die Wunde hatte kaum geblutet. (6)
Wann immer ein Schwertkämpfer einen Stich ausführt, sollte er Kraft aus der Hüftbewegung in den Angriff übertragen. Dennoch war es bemerkenswert, mit welcher Leichtigkeit die Klinge eines Wikingerschwertes jedes unserer Testziele durchdrang, selbst, wenn wir nur die Armmuskeln für den Stich eingesetzt hatten. Wir probierten Oberstiche (Stiche von oben nach unten) und Unterstiche (Stiche von unten), und insbesondere im Fall des von einem Seil hängenden Rehbockkadavers spürte man kaum einen nennenswerten Stichwiderstand. Die Klinge drang mühelos in und sogar durch den Körper, je nachdem, wie weit man seinen Arm gestreckt hatte. Tatsächlich erwies es sich als deutlich einfacher, den Brustkorb mit der ganzen Klinge zu durchdringen, als schnelle aber kontrollierte Stiche mit einer Eindringtiefe von nicht mehr als 20 bis 30 Zentimetern auszuführen und das Schwert sofort wieder kontrolliert aus dem Stichkanal zu ziehen. Wiederum zeigte sich, dass durch den Einsatz von Hüftdrehungen ein Höchstmaß an Waffenkontrolle gewährleitet werden kann, sowohl beim eigentlichen Stich, als auch beim Herausziehen der Waffe. Dies funktioniert deutlich besser, als wenn man den Schwertarm allein benutzt.
Genau wie wikingerzeitliche Originale sind meine Testschwerter mit leicht runden, aber scharfen Spitzen versehen. Breite Spitzen verursachen breite Stichwunden. Der damit verbundene hohe Blutverlust wird den Gegner schneller ermüden lassen und kann unter Umständen schließlich sogar zu seiner Kampfunfähigkeit führen, selbst wenn keine lebenswichtigen Organe verletzt sind. Erst mit der stetigen Verbesserung der Rüstung im 14. Jahrhundert tauchen auch schlanke Klingen mit dünnen Spitzen in nennenswerter Zahl auf. Bei der Diskussion der Vor- und Nachteile unterschiedlicher Ortformen stellten wir schließlich die These auf, dass eine Schwertspitze so rund wie möglich und so spitz wie nötig sein sollte. Aus Kulturen, deren Krieger sich ungerüsteten oder nur wenig gerüsteten Gegnern gegenübersahen, wie beispielsweise die Araber der islamischen Eroberungszüge, kennen wir Schwerter mit breiten, runden Spitzen. Das gleiche trifft auf den Katzbalger zu, die Standardseitenwaffe der berühmten Landsknechte - fast ein Jahrtausend später. Wurden in einer Kneipenrauferei des 16. Jahrhunderts die Waffen gezückt, so galt es lediglich, extravagante Kleidung zu durchstoßen, mit Rüstungen musste man nicht unbedingt rechnen. Ein breitrunder aber scharfer Ort reicht völlig aus, um einem ungepanzerten Gegner einen tödlichen Stoß zu versetzen. Im Gegensatz zu einer schmalen Spitze wird zum einen eine deutlich größere Wunde verursacht, zum anderen ist die Gefahr, sich zu verstechen und zu tief einzudringen, geringer. Somit besteht eine deutlich bessere Chance, die Kontrolle über die eigene Waffe zu behalten, und sich mit aller gebührenden Aufmerksamkeit den fünf Freunden des Herren zuzuwenden, der gerade zu Boden gestreckt wurde.
(1) Stähle, Steine, Schlangen: Ein neuer Blick auf alte Schwerter, Stefan Mäder, Karfunkel Combat Nr.1, Karfunkel-Verlag, Wals-Michelbach, 2005
(2) Viking combat techniques, Lars Magnar Enoksen, Medieval History Magazine, Issue 1, September 2003, Harnois, Frankreich/UK, 2003, Seiten 10 - 17
(3) The history of the Danes (Gesta Danorum), Saxo Grammaticus, Hilda Ellis Davidson (Hrsg.), ins Englische übersetzt von Peter Fisher, Cambridge, 1979-80
(4) Much Ado About Nothing: Or, About the Cutting Edge of Flat Parries, Gregory Mele, SPADA Anthology of Swordsmanship, Chivalry Bookshelf, Union City, CA, USA, 2002, Seiten 32 - 47
(5) The Medieval Art of Swordsmanship: A Facsimile & Translation of Europe’s Oldest Personal Combat Treatise, Royal Armouries MS I.33, Anonymus, transkibiert & übersetzt von Jeffrey L. Forgeng, Chivalry Bookshelf, Union City, CA, USA, 2003
(6) Medical Reality of Historical Wounds, Richard Swinney & Scott Crawford SPADA 2 Anthology of Swordsmanship, Chivalry Bookshelf, Highland Village, TX, USA, 2005, Seiten 5 - 22
Des weiteren:
Beiträge zur morphologischen Entwicklung des Schwertes im Mittelalter, Alfred Geibig, Karl Wachholtz Verlag Neumünster, 1991
Records of the Medieval Sword, Ewart Oakeshhott, The Boydell Press, Woodbridge, UK, 1991/2002