"Benutzerfreundliche" Charakterisierung

Hallo, Liebe Mit-Spielleiter !

Kennt ihr das auch?

Man zieht einen NPC aus dem Hut, auf magische Art und Weise, wie das SL nun einmal tun.
Und es tritt einer von zwei ähnlich unerwünschten Fällen auf:

Entweder der Charakter hat zuvor überhaupt nicht existiert, oder ist nur zu einem bestimmten Zweck ins Leben gerufen worden, und er funktioniert außerhalb dessen nur sehr schlecht und ziemlich mechanisch.

Er wird für dich und die Spieler zu einem nur schwammig wahrnehmbaren Objekt mit keinerlei wirklicher Persönlichkeit und wird dann auch genauso behandelt.

Oder aber der Charakter ist bereits von dir sehr gut ausgestattet mit Details und Hintergrund, aber es gelingt einfach nicht, die viele Arbeit auch lebhaft im Spiel rüberzubringen und vor allem für dich und auch die Spieler nutzbar zu machen.

Entweder hat viel von dem was du vorbereitet hast schlichtweg keinen, zumindest nicht eindeutigen, direkten praktischen Nutzen.
Oder aber es könnte sowohl für dich als auch die Spieler sehr praktisch und interessant sein… Wenn es doch nur aktiv zur Verfügung stünde.

Kurzum, dem Charakter fehlt es schlichtweg an Funktion und Substanz oder aber diese sind nicht präsent genug um von tatsächlichem Effekt und Nutzen zu sein.

Nun stellt sich die Frage:
Wie also geht man an so eine Charakterisierung (Nicht nur für NPCs) heran?

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Was mit “Charakterisierung” hier gemeint ist:
Die Summe an allen Details die von einem Charakter definiert sind,
z.B. Aussehen, Beruf, Ziele, Ideale, Angehörigkeit, Rasse, Sprache, Stimme, Ausrüstung, Kampfgeschick, …, etc.
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Es lässt sich potenziell bei der Charakterisierung unendlich weit ins Detail gehen, was folglich einige Fragen aufwirft:

Zum einen in der Vorbereitung:
Welche Details definiert man überhaupt für einen Charakter, was lohnt sich wirklich ?
Auf welche Details beschränkt man sich oder definiert man als erstes wenn man improvisieren muss ?

Und außerdem in der Praxis:
Wie verwende und präsentiere ich diese Details dann im Spiel, um den Charakter zum Leben zu erwecken und interaktiv zu machen ?

Der Grund warum ich dieses Thema speziell anspreche, ist, dass ich vorhabe vor allem für Charaktere, die ja letzten Endes doch im Mittelpunkt aller Geschichten stehen, eine systemübergreifende Grundmethode zu entwickeln, ihre Vorbereitung sowohl als auch die Umsetzung im Spiel so praktikabel, kompakt und gewinnbringend wie möglich zu machen.

Mein momentaner Ansatz, das ganze zu bewerkstelligen wäre es,
Zielorientiert unter Berücksichtigung und Wahl von Einschränkungen,
Eine archetypische Form des Charakters in die Vorstellung zu rufen,
Diesen mit den nötigen Funktionen auszustatten um funktionieren, agieren und reagieren zu können,
und in Folge unter Berücksichtigung dieser Tatsachen zielorientiert handeln zu lassen,
auf eine dem Charakter treue Art und Weise,
die ermöglicht im Affekt auch rückwirkend die vorigen Schritte vornehmen zu können.

Schritt 0 - Ziele und Kreative Einschränkungen

Konkrete Zielsetzung und das Auferlegen von Einschränkungen sind wahrscheinlich die zwei Dinge vor denen sich Künstler am meisten fürchten (Und ja Rollenspielen und das Spielleiter-Dasein sind Künste, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Ansprüchen) und welche sie oft stetig versuchen zu meiden und teilweise sogar zu verleugnen, dass diese überhaupt existieren.

Der Grund für diese Einstellung ist meist die Furcht davor, die Kreativität einzuschränken und sich Freiheit zu nehmen oder aber auch, sich zusätzliche “Arbeit” zu schaffen und den freien Kreativen Prozess in etwas mühseliges zu verwandeln.
Diese meist unterbewussten Ängste sind, wie für mich persönlich schwer zu erkennen gewesen ist, zum Großteil unbegründet und können zudem sogar aktiv dem kreativen Prozess schaden, und das aus mehreren Gründen.

Zum Einen, sind Ziele und kreative Einschränkungen beides etwas, das immer existiert, ob wir es uns bewusst machen oder nicht:
Ziele werden spontan oder unterbewusst festgelegt, Einschränkungen sind uns allein durch unsere Kreativität, den Stand unseres Wissens, des verwendeten Materials und unserer geistigen oder körperlichen Fähigkeiten permanent auferlegt.

Des weiteren müssen diese unsere Kreativität in keinster Weise einschränken, wenn wir die Festlegung unserer Ziele und Einschränkungen als Teil des kreativen Prozesses sehen und somit Teil der künstlerischen Freiheit.
Häufig ist es einfach nur diese Änderung des Blickwinkels das, was einen ausschlaggebenden Unterschied machen kann.

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“Für Spaß zu sorgen” zum Beispiel, kann ein einfaches, legitimes Ziel sein.
Man denkt sich vielleicht, Spaß ist immer ein Faktor, aber wenn man beginnt ein Abenteuer oder Charaktere zu entwerfen und jedes mal überlegt: “Wie kann ich das ganze so optimieren, dass es so viel Spaß wie möglich bringt ?” anstelle von Fragen wie: “Wie mache ich diesen Encounter so fair und ausgeglichen wie möglich?”.
Plötzlich schwenkt man von Struktur und Fairness zur Unterhaltung, was einen überlegen lässt, was es ist, dass den Spielern und einem selbst Aufregung und Freude bereitet, und die richtige Antwort kann sein, einfach mal sämtliche Struktur rauszuwerfen, und seine Kreativität auf die Sachen einzuschränken, welche einen selbst und seine Spieler in gute Stimmung versetzen.
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Grenzen insbesondere können, sobald sie als kreatives Werkzeug genutzt werden ermöglichen, effizient, innovativ und authentisch seine gesetzten Ziele zu verfolgen.

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Wenn man zum Beispiel ein Horror Szenario entwirft, und man möchte seine Spieler in Angst und Schrecken ersetzen, wie geht man das ganze an?

Frei zu überlegen führt einen in erster Linie meist zu überholten Klischees, welche die Spieler natürlicherweise auch kennen und sich davon nicht beeindrucken lassen würden.

Wählt man sich jedoch Einschränkungen …

  • ein bestimmtes Thema, “Blut”
  • eine Umgebung, “ein Moor”
  • eine Art von Fraktion mit welchen die Spieler zu tun bekommen werden “Banditen”

So fallen einem plötzlich viele verschiedene Arten ein wie ein “Blut-Moor” mit ortsansässigen Banditen die Spieler in Furcht und Abscheu versetzen könnte, und es graut einem vielleicht selbst davor, zu viele Fragen zu stellen…

Insbesondere das Thema kann hier ausgereizt werden:
Egal ob jetzt ein Blutopfer vollbracht wird, jemand in Blut erdroht zu ertrinken, die Banditen sich als Vampire herausstellen oder missgestaltete Blutbesudelte Kreaturen aus dem Schlamm emporkriechen und über die Spieler herfallen, jeder sollte die Verbindung erkennen können und nicht viel Zeit mit hinterfragen der Handlung oder des Spielleiters verbracht werden.
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Einschränkungen können Futter für die Kreativität sein, dir Ansätze geben zum darauf aufbauen, und helfen Sachen organisch miteinander zu verknüpfen.

Ziele

Für mich im speziellen ist ein schwerer Schritt gewesen, zu erkennen, das selbst die interessantesten Charaktere innerhalb den Grenzen einer Geschichte in erster Linie(!) dazu da sind, bestimmte Aufgaben zu erfüllen, sie können und sollten demnach wie jedes andere Werkzeug zu bestimmten Zwecken geschaffen werden.

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Spieler aufgepasst:

Ein Spieler-Charakter ist hiervon keineswegs ausgenommen !

Ich kann nur empfehlen, sich Ziele zu überlegen,
die ihr mit und beim dem spielen des Charakters zu erfüllen ersucht und welche ihr schon beim Erschaffen des Charakters berücksichtigen könnt.

Seht dies nicht als Pflicht(wobei es stark den Spaß am Spiel für alle beteiligten fördern kann),
sondern als Möglichkeit, sich gezielt zu überlegen, was man vom Spiel möchte und beitragen will.
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Wozu also sollte ein Charakter innerhalb des Spiels dienen ?

Dramatische Aufgaben

Jeder Charakter sollte mindestens eine bestimmte Rolle erfüllen, die der Geschichte hilft.
Diese muss nicht besonders groß sein, aber in jedem Fall vorhanden.
Ein Charakter der tatsächlich nichts beiträgt ist einfach langweilig und eine unnötige Ablenkung
(gezieltes Ablenken kann allerdings auch eine Aufgabe für einen Charakter sein).

Beispiele für dramatische Aufgaben:

  • Den Weg weisen, Informationen liefern, Widerstand leisten, Unterrichten (Mentor), Unterstützen und begleiten, Moralisches Feedback geben, …

Hinweis:
Jeder Charakter kann im Verlauf des Abenteuers unterschiedliche Aufgaben zu unterschiedlichen Zeiten erfüllen und mehrere gleichzeitig;
Hat man also eine Aufgabe die erfüllt werden muss, lässt sich unter Umständen auf schon bestehende Charaktere zugreifen und falls dies möglich und glaubhaft ist, ist dies eine gute Chance zentraleren Charakteren mehr Zeit auf der Bühne zu geben und somit mehr Substanz.

Job und Mechanik

Jeder Charakter hat zusätzlich meist die Anforderung, eine bestimmte Position in der Welt zu haben in diese er hineinpassen muss und an vom System abhängigen mechanischen Prozessen teilzuhaben, was erfordert, das er über die nötigen Charakteristiken, Kompetenzen, Status und Ausrüstung verfügt um diese erfüllen zu können.

Beispiele für Positionen
Priester, Politiker, Anführer, Spion, …

Beispiele für Mechanische Ansprüche:
Handel, Handwerk, Ausbildung, Kampf, Magie, …

Tipp:
Sowohl bei den dramatischen Aufgaben und den konkreten mechanischen Ansprüchen, kann es helfen so präzise wie möglich zu sein, um es zu erleichtern einen so gut wie möglich geeigneten Charakter zu finden.
Die einfachste Art, diese genauer einzugrenzen ist es, Fragen zu stellen.
z.B. Wohin weißt der Charakter den Weg? Leistet er dabei großen Widerstand? Widerstand welcher Art?
Was für eine Art Anführer muss der Charakter sein? Zu was muss er seine Untergebenen beordern können?
Welchen politischen Standpunkt vertritt er?

Stimmung

Jeder Charakter sollte außerdem aktiv dazu beitragen, die Stimmung der Situation und des Spiels als ganzes zu beeinflussen.
“Welche allgemeine Stimmung oder Kombination an Stimmungen möchte ich für das Abenteuer oder diesen speziellen Charakter fördern?”
Da Menschen von Natur aus soziale Wesen sind, sind Charaktere eine der besten Arten und Weisen, Stimmung in der Geschichte zu erzeugen.
Es gibt zwei grundsätzliche Arten, wie Charaktere Stimmung beeinflussen können.

Aktiv - Durch Aktionen und Ausstrahlung; Liefern stimmungsvoller Erfahrungen für andere

Beispiele für Verhaltensweisen das aktiv Stimmung erzeugt:
Motivieren, Fordern, Drohen, Schmeicheln, Flirten, Provozieren, Überreagieren, …

Beispiele für Attribute die aktiv Stimmung erzeugen:
Anmut, Plumpheit, Stärke, Schwäche, Status, Schönheit, Gepflegtheit, Hässlichkeit, Entstellung, …

Ansteckend - Durch eigene Stimmung; Resultierend aus der Erfahrung des Charakters

Beispiele für ansteckende Stimmungen:
Begeisterung, Optimismus, Interesse, Verbitterung, Trauer, Zorn, Unruhe, Apathie, Angst, Panik, …

Tipps:
Stimmungen zu erzeugen und zu vermitteln ist schwer, es ist die wahre Kunst des Rollenspiels.
Die einfachste Art und Weise anzufangen diese Kunst zu lernen und zu entwickeln, ist es Charakteren starke und eindeutige aber auch authentische Stimmungen zu geben.
Je stärker ein Attribut, ein Verhalten oder eine Stimmung ist, desto Stärker müssen die Gründe dafür sein, damit diese authentisch bleiben.

Der Charakter bedroht beständig sein Gegenüber ?
→ Er lebt in einer Welt, in der er dadurch überleben konnte (Tyrannei, Untergrund, Wettbewerb, … )
Der Charakter strahlt Stärke und Anmut aus ?
→ Der Charakter hat diese Attribute denn er ist (Trainiert, Kampferfahren, Sportler, von edler Herkunft, …)
Der Charakter ist in Trauer oder sehr verbittert ?
→ Er hat etwas sehr wichtiges verloren (Gegenstand, Person, Traum, …)

Wichtig ist, dass du selbst tatsächlich verstehen und anerkennen kannst, warum der Charakter so handelt,
Also müssen die Gründe dafür in aller erster Linie dich selbst überzeugen, und nicht die anderen.

Es lässt sich hier außerdem untersuchen, worauf die Spieler am besten reagieren und mit welcher Art von Stimmung sich diese gerne umgeben und auch welche Arten von Stimmungen für das Spiel dir am ehesten zusagen.

Kreative Einschränkungen

Nun da wir wissen, welche Aufgaben der Charakter (zunächst) erfüllen soll, und wie er dazu beitragen soll, die Stimmung zu beeinflussen, haben wir erfolgreich die Ziele der Charakterisierung festgelegt.
Nun ist zu ermitteln in welchem Rahmen diese zu erfüllen sind.

Einschränkungen kommen in vielerlei Formen.
Erfahrung und Übung lassen einen die sowohl die notwendigen, als auch die und optionalen aber nützlichen Einschränkungen erkennen.

Hier ein paar Möglichkeiten in welchen Bereichen sich die Charakterisierung einschränken lässt:
Charakter und Klassen Profil, Fraktion, Rasse, Klasse, Ausrüstung, Herkunft, Ausbildung, Beruf, Stand, Geschlecht, …

Tipps:
Es besteht kein Mangel an mechanischen und soziologischen Einschränkungen, und die Welt sollte voll sein von Charakteren die von ihrer Umgebung und Vorgeschichte gezeichnet sind, also verwende sie wann immer möglich.
Dadurch ensteht eine starke, positive Wechselwirkung.
Je klarer definiert die Wurzeln eines Charakters sind, desto besser kann er im restlichen kreativen Prozess wachsen und gedeihen.
Und je mehr deiner Charaktere aus den selben Wurzeln entspringen und diese in der Welt repräsentieren, desto klarer definiert werden diese und desto lebendiger und authentischer wird demzufolge die Welt.

Außerdem ermöglicht dir ein solches Vorgehen später, vereinzelt alles über den Haufen zu werfen um besonders herausstechende Persönlichkeiten zu kreieren.

Schritt 1 - Archetypen:

Womit beginne ich bei der tatsächlichen Charakterisierung ?

Mit einer ordentlichen Betitelung.

“Wer oder was ist mein Charakter?” - In so wenig Worten, mit so viel Prägnanz wie möglich.

“Bauer 1”, “Ork 37”, “Troll 107”

Aber um tatsächlich ein prägendes, bedeutsames Bild des Charakters zu schaffen, muss es eine Betitelung so aussagestark wie möglich sein.

Manche Leute besitzen sogar die Gabe, nur aus einem gut und klar definierten Titel, instinktiv ein vollständiges, lebendiges Wesen zu schaffen. Vor diesen zöge ich nur zu gern meinen Hut, wenn ich einen hätte.

Die Techniken die hierfür erforderlich sind, sind jedoch extrem grundlegend für die menschliche Kommunikation und werden deshalb von jedem, wenn vielleicht auch häufig instinktiv und weniger bewusst und genutzt.

Ein Charakter setzt sich im Wesen aus unterschiedlichen Ideen zusammen; Aus sogenannten Archetypen, fundiert im Setting das ihn umgibt, oder welche fest in unserer Gesellschaft und der menschlichen Natur verankert sind;
Und außerdem zum Großteil aus der eigenen Erfahrung.
Der Mensch ist ständig bestrebt und überaus vielseitig in der Art und Weise eigene Vorstellungen und Erlebnisse in Form von Ideen an andere weiterzugeben, was bewusst oder unbewusst auch über imaginäre Charaktere hinweg geschieht.

Was genau sind Archetypen, und wie funktionieren diese ?

Wer nie oder nur vage von der Bezeichnung “Archetyp” gehört hat, hier eine kurze Zusammenfassung aus meiner Sicht:

Der Archetyp ist die Bezeichnung für die direkte Verkörperung einer Idee,
ein idealer Kern, der alle Begriffe die unter diesem Archetypen vereint sind verbindet und deshalb universell ist.
Wichtig zu verstehen ist es, dass das exakte Bild, das der individuelle Mensch zu einem Archetypen im Kopf hat,
nicht zwangsläufig übereinstimmt.

Wenn ich den Archetypen: “Baum” nenne, hat nicht jeder den selben Baum im Kopf,
Aber er hat üblicherweise Wurzeln, einen Stamm und eine Krone die in den Himmel reicht.
Damit lässt sich arbeiten.

Es gibt etliche grundlegende Archetypen, verankert in Gesellschaft, Psyche und Setting.

Für Charaktere sind dies zum Beispiel Grundlegende Bezeichnungen, die sich über sämtliche Genres ziehen wie:
“König”, “Krieger”, “Beschützer”, “Jäger”, “Scharlatan”, …

Oder auch Berufe die sie ausführen:
“Wachmann”, “Gladiator”, “Mechaniker”, …

Fraktionen, denen sie angehören:
“Rebellen-Loyalist”, “imperialer”, “Söldner”, …

Persöhnlichkeits-basierte:
“Optimist”, “Pessimist”, “Opportunist”, “Egoist”, …

Außerdem - Rasse, Geschlecht, Herkunft, Bestimmung, Klasse, Rang, …, etc.

Jeder Charakter setzt sich, genau wie wir selbst aus mehreren Archetypen zusammen, die ihn teilweise definieren.
Sämtliche, besonders konkretere und neue Archetypen formen sich im Geiste durch direkte Erfahrung.

Je mehr unterschiedliche Bäume man im Leben gesehen, gepflanzt, umarmt und abgeholzt hat, desto mehr hat man eine Ahnung davon was einen Baum im Wesen ausmacht, was man von ihm erwarten kann, wie er aussieht und wann definitiv etwas mit dem Baum nicht stimmt.

Archetypen sind deshalb im fantastischen Bereich besonders mächtig.
Hier lassen sich diese gezielt neu erschaffen und formen.
Durch konsistente Verwendung lassen sich neue Ideen von Fraktionen, Klassen, Rassen, Sozialen Strukturen und vielem mehr etablieren und dann wie zerschmettern um alle zu schockieren.

Archetypen stellen ein nützliches Werkzeug im Werkzeugkasten eines SL da, und können gezielt ausgesucht, gepflegt, und verwendet werden.

Wie verwende ich Archetypen um meinen Charakter zu formen ?

Wie bereits mehrfach erwähnt, setzen sich Charaktere aus Archetypen zusammen.
Und da Archetypen grundlegende Ideen sind, die sehr viele Implikationen haben können,
sind diese besonders gut geeignet um eine starke Orientierung für sämtliche anderen Details zu bieten.
Das wichtigste ist nun, dass man seinen Charakteren Archetypen zuordnet, aus denen man so viel wie möglich herausholen kann.

Um das zu ermöglichen gibt es zwei nicht exklusive Vorgehensweisen:

Vorbereitende Recherche

Informiere dich über die Archetypen, welche im Szenario vorkommen.
Im speziellen die, welche du zwangsläufig und häufig verwenden wirst.

→ Gegnerprofile mit Statblocks; Örtliche Bevölkerung; Beteiligte Fraktionen; Charakter-Archetypen von zentralen Charakteren
Wenn nichts im Material zu finden ist, was du vorliegen hast, suche nach ähnlichem Material zur Orientierung und definiere sie gezielt.

Das Ausnutzen schon bestehender Erfahrung

Nutze Archetypen mit denen du vertraut bist, besonders im Eifer des Gefechts,
Vieles lässt sich auch abwandeln und auf deine Bedürfnisse zuschneidern.

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Es gibt nichts neues unter der Sonne und Diebstahl wird hier eher belohnt als bestraft,
nutze Erfahrungen aus Film und Buch, sogar ganze Charaktere, mit denen du dich auskennst.
Das fügt ein zusätzliches Level von Spaß hinzu, und selbst wenn die Spieler einen der Charaktere erkennen, den du verwendet hast um einen besonders starken NPC zu schaffen, führt dies hauptsächlich nur dazu, dass sie sich selbst und dich für eine ganze Nummer schlauer halten.
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Wichtig: Wähle Archetypen, die unterstützen, und nicht sabotieren welche Ziele und Pläne du für den Charakter hast!

Tipp: Mach die für seine Rolle wichtigen Archetypen vorherrschend, sodass der Charakter so funktionsfähig wie möglich ist.

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Nun füge vordefinierte und ausgewählte Archetypen zu einem Titel zusammen.
Adjektive hinzuzufügen, kann hilfreich sein.

(Name +) Auswahl an Archetypen (+ definierenden Adjektiven)

Der Name kann optional sein, macht die Sache aber persönlicher.

“Duncan, der Ork-Späher, beständiger Draufgänger und versteckter Egoist.”
“Fred, der Bauern-Geselle, verlorener Romantiker und Faulpelz.”
“Samanta, Baronin zu Grauberg, nüchterne Pessimistin und entschiedene Anführerin.”
“Din Viesel, Barbar des Bleiblut-Stammes, eiskalter Riddick-Verschnitt”

Wichtig ist, dass du selbst mit dem Titel des Charakters so viel anfangen kannst wie möglich !
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Dimensionen eines Charakters

Die denkwürdigsten Charaktere entstehen durch Widersprüchlichkeiten.

Geschichten entstehen durch Konflikte.
Ein Charakter der also Widersprüchlichkeiten in sich vereint und so einen internen Konflikt mit sich trägt, ist demnach eine wandelnde Geschichte.
Man möchte wissen “Wie das ganze ausgeht” und welche Seite seiner Persönlichkeit am Ende und von Moment zu Moment obsiegt.

James Bond - “Bad Boy” + “Held”
Harry Potter - “Schicksalsopfer” + “Anführer”
Robin Hood - “Bandit” + “Heiliger”
Indiana Jones - “intellektueller Gelehrter” + “herausfordernder Abenteurer”

Für zentrale Charaktere, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollen,
kann dies also sehr nützlich sein.

Das Gegenteil gilt für kleinere Charaktere.
Wähle für sie sich gegenseitig unterstützende Archetypen,
um sie ihre direkteren Rollen einfacher und direkter erfüllen zu lassen.

Schritt 2 - Ausstattung eines Charakters:

Was benötigt ein Charakter eigentlich um zu funktionieren ?

Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst ein Blick auf die Natur des Konfliktes geworfen werden.

Konflikt im realen Leben
Konflikt ist ein beständiger Teil des Lebens. Man strebt nach allen möglichen Dingen, und gerät dabei in Konflikt, mit sich selbst, der Umgebung, anderen Leuten, der Zeit, dem Punktestand, dem Geld, den Emotionen, etc.
So viele Konflikte laufen auf einmal, dass wir uns häufig gar nicht bewusst sind, dass diese existieren.

Ein weiterer Punkt ist, das Konflikte häufig scheinbar willkürlich und ohne unser Eingreifen beendet, verschlimmert oder auch vereinfacht werden.
Durch Unfälle, Zufälle oder das unbewusste Eingreifen unbeteiligter Parteien.
(Natürlich ist hier immer die Frage ob man an das Schicksal und Karma glaubt, aber deutliche, logische und bedeutsame Schlüsse lassen sich häufig einfach nicht ziehen.)

Konflikt in Geschichten
In Geschichten ist Konflikt einer völlig anderen Natur.
Es ist ein ungeschriebenes Grundgesetz, dass in einer Geschichte nichts voran geht, außer durch Konflikte.
Konflikte halten sämtliche Bedeutung in einer Geschichte.
Laufen die Helden einfach direkt zur Schatztruhe, oder werden ohne ersichtlichen Grund gekrönt, oder auch getötet, verliert die Geschichte ihre Glaubwürdigkeit und im Rollenspiel auch ihre Balance.
Konflikte in Geschichten haben immer einen Grund, und ihr Verlauf und Ausgang ist durch die Interessen und Fähigkeiten der Beteiligten und das resultierende Drama gerechtfertigt.

Da Konflikt zentral zu jeder Geschichte ist, müssen wir also einem Charakter die nötigen Werkzeuge geben um korrekt innerhalb eines Konfliktes zu funktionieren.

Konflikte entstehen dadurch, das Interessen auf Hindernisse stoßen, demnach benötigt jeder Charakter zunächst einen Willen.
Des weiteren benötigt er Stärken, Werkzeuge und Schwächen, um im Konflikt Schläge austeilen und einstecken zu können.

Der Wille eines Charakters

Das Leben eines Charakters in Geschichten beschränkt sich immer nur auf den Zeitraum, indem sein Wille aktiv in einer Geschichte existiert, solange er ein Ziel verfolgt und in Konflikte verwickelt ist.

Je präziser ein Wille formuliert ist, desto einfacher ist es mit ihm zu arbeiten.

Für den Spielleiter ist es deshalb aus praktischen Zwecken vorteilhaft, den Willen festzuhalten, in konkrete Ziele zu formulieren und zwischen strukturell unterschiedlichen Stufen von Zielen zu unterscheiden:

  • Das akute Ziel: Was will der Charakter in diesem Augenblick, und was hat er vor ?

  • Das Abenteuer-Ziel: OPTIONAL ! Was versucht dieser Charakter im Verlauf des Szenarios zu erreichen ?

  • Das Kampagnen-Ziel: OPTIONAL ! Was versucht dieser Charakter im Verlauf der Kampagne zu erreichen ?

  • Das Lebens-Ziel: Was wünscht sich der Charakter für sein Leben, wonach strebt er ? Dies kann sehr vage sein.
    Überlege: "Was für grundsätzliche Werte sind dem Charakter wichtig: Liebe? Macht? Wissen? Ästhetik? Geld?
    Formuliere diese in Charakter-spezifische Ziele um.

Das “Lebens” Ziel eines Charakters ist hier bewusst außen vor gesetzt. Es ist meist ein utopisches, idealisiertes Ziel, was der Charakter wahrscheinlich, zumindest im Rahmen des Rollenspiels nicht wird erreichen können;
Es wird genutzt um zu schlussfolgern in welche Richtung ein Charakter tendiert wenn es darum geht Entscheidungen zu treffen und seine akuten Ziele zu ermitteln.

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Beispiele:
Ein Bauer der das akute Ziel hat “so schnell wie möglich an seine Arbeit zurückzukehren, und so wenig wie möglich mit den Abenteurern zu tun zu haben und diese abzuwimmeln”, da sein Lebens-Ziel ist “friedlich mit seiner Familie alt zu werden”, wird so lange relevant sein, bis er das akute Ziel erreicht hat, oder dieses permanent blockiert oder durch aktives Eingreifen des Schicksals oder der Spieler durch ein anderes ersetzt wurde.
Da dies jedoch ein relativ triviales Ziel ist, sollte es, abhängig natürlich wie immer auch von den Spielern, demnach auch relativ schnell abgehandelt sein.
Und der Charakter kann (zunächst) in sein eigenes Leben zurückkehren.

Ein Adeliger der das Abenteuer Ziel hat “seinen Konkurrenten XY und dessen gesamte Familie mithilfe von noch nicht spezifizierten Attentätern auszuschalten” da sein Lebensziel ist “Den Stand seiner Familie auf lange Zeit und um jeden Preis zu heben”; Wird um einiges länger in der Geschichte verweilen, und diese beeinflussen, und sogar, wenn er ausgeschaltet wird, könnte sein Abenteuer Wille an einen Nachfolger weitergegeben werden.
Und in jeder Szene in der er auftaucht, wird er vermutlich akute Ziele haben und bevorzugen, die ihm dabei helfen dieses übergeordnete Ziel zu erreichen, wie zum Beispiel jenes aktiv vor der Öffentlichkeit zu verschleiern.
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Akute Ziele im speziellen sind nicht immer direkt eindeutig abhängig von den Lebenszielen eines Charakters.

Sie können auch dazu dienen, zum Verfolgen dieser höheren Zielen zurückkehren zu können:
Wenn ein Charakter es zum Beispiel nicht schafft eine Situation zu überleben(-> Akutes Ziel), wird es ihm sehr schwer fallen weiterhin seinen Träumen nachzugehen.

Verwendung des Willens eines Charakters

Das Lebensziel des Charakters sollte vage formuliert vorhanden sein und helfen untergeordneten Ziele zu leiten.

Der akute Wille ist situationsbedingt und häufig eher reaktiver Natur, muss aber in jedem Fall vorhanden sein.

Abenteuer oder Kampagnen Wille können je nach Bedarf auch später hinzugefügt werden, sollte ein Charakter relevanter werden.
Für wichtige Charaktere, die die Geschichte vorantreiben oder zusammenhalten sollen, sollten diese Ziele jedoch schon im voraus zumindest in skizzierter Form festgelegt sein.

Sobald ein Charakter seinen eigenen Willen hat, gilt es nur noch, ihn auch nach seinem eigenen Interesse handeln zu lassen.

In Folge werden seine Interessen entweder mit den Spielern und anderen Charakteren kollidieren, wenn sie jenen im Weg stehen oder umgekehrt, oder womöglich überschneiden sich diese teilweise und die Spieler oder anderen Charaktere haben einen Verbündeten gefunden, wenn vielleicht auch nur kurzzeitig und oberflächlich.
Der Wille eines Charakters kann demzufolge natürlich auch absichtlich so gewählt sein, dass er gezielt zu Konflikt oder zur Übereinkunft des Charakters mit der Gruppe oder auch anderen NPCs führen kann.

Motivation

Hinter jedem Willen steckt Motivation, die Gründe, warum ein Charakter tut was er tut.

Diese sind auf der tiefsten Ebene häufig menschlich und verständlich und geben dem Charakter ein Herz.
Aber es ist im Rahmen einer Story, wie ich im Verlauf der Zeit realisieren musste, nicht immer wirklich relevant, warum ein Charakter im tiefsten inneren tut was er tut. Und kaum ein Charakter trägt sein Herz auf der Zunge.

Also solange es nicht aktiv hinterfragt wird, oder zentral zur Geschichte ist, ist es häufig vollkommen legitim die genauen Motivationen eines Charakters zunächst außen vor zu lassen, da er auch ohne sie funktionieren kann.

Tipp: Motivationen können allerdings ein starkes Hilfsmittel sein, um zu realisieren wie wichtig ein Ziel einem Charakter ist, was zum einen dabei helfen kann, besser in seine Rolle zu schlüpfen als auch diesen mehr als ein Wesen mit Gefühlen zu betrachten.

Deshalb ist es immer gut, wenn man Schwierigkeiten hat einen Charakter zu mögen oder ihn darzustellen, sich zu überlegen, warum er das tut was er tut.

Und die Antwort ist immer erst dann gut, wenn man sich selbst, vorstellen kann das selbe unter den gleichen Voraussetzungen zu wollen und zu tun!

Stärken, Werkzeuge und Schwächen

Nun da der Charakter einen Willen hat, muss ihm die Möglichkeit gegeben werden, diesem nachzugehen und in darauf folgenden Konflikten zu funktionieren.

Wichtig wird an dieser Stelle, in welchem System wir uns bewegen.
Und speziell auf welcher Ebene die folgenden Konflikte gelöst werden (sollen).

Ich zum Beispiel ziehe es vor, wenn Konflikte auf möglichst vielseitige Art und Weise gelöst werden können,
deshalb ist für mich meist wichtig, dass Stärken, Schwächen und Werkzeuge relativ flexibel einsetzbar sind.

Je nach dem Spielleiter-Stil und dem System in dem man spielt, kann die Gewichtung hier allerdings auch sehr anders ausfallen.

Hier ein Beispiel von Stärken Schwächen und Werkzeugen anhand von “Rowhan, dem etablierter Meisterschmied, Perfektionisten und eigensinnigen Narzissten”; Welcher sowohl eine konkrete Informationen als auch Handel bieten soll, allerdings auch starken Widerstand leistet (Persönlich, Finanziell und möglicherweise Körperlich).

Stärken
Was sind die Kompetenzen und Tugenden dieses Charakters ?
“Hohe Stärke, Schmiedekunst, Durchsetzungsvermögen, Ausdauer”

Werkzeuge
Was steht meinem Charakter zur Verfolgung seiner Ziele zur Verfügung ?
“Halbwegs loyaler Schmiede-Geselle, Schmiedehammer, Geschmiedete Ausrüstung, Hohes Ansehen”

Schwächen
Was sind seine Schwachstellen und Laster ?
“Schlechte Agilität, Eitelkeit, Sturheit”

Tipps:
Schwächen lassen sich gut anhand der bestehenden Stärken herleiten.
Entweder diese so ausgeprägt machen, dass sie wieder hinderlich sind(Muskeln sind Schwer).
Oder diese ins Negative Übersetzen(“Ausdauer” ist eine Tugend, “Sturheit” ist eher ein Laster).

Wähle die Stärken, Schwächen und Werkzeuge die du definierst anhand des bevorstehenden Konfliktes.
Würde ich an dieser Stelle ein Monster Charakterisieren, dass instinktgesteuert ist, und hauptsächlich durch Kampf zu bezwingen ist, würde die Auswahl an Stärken, Schwächen und Werkzeugen sich auch hauptsächlich auf diesen Bereich oder auch ein einfaches Gegner-Profil und die daraus resultierenden Erkenntnisse beschränken.

Schritt 3 - Repräsentation: Der Charakter als Werkzeug und Wesen

Wenn es darum geht, einen Charakter letztendlich aktiv zu nutzen, fließt alles zusammen.
Auch hier ist es essenziell, zunächst zu erschließen, was tatsächlich wichtig ist.

Was also sind die Ziele beim Umsetzen des Charakters ?
Der Charakter soll in erster Linie allen seinen ihm auferlegten “Pflichten” nachkommen; Dramatische Ziele erfüllen, die Stimmung beeinflussen, und alle mechanisch-praktischen Voraussetzungen erfüllen.
Dabei soll er außerdem lebendig und treu zu seinem Charakter, und zudem glaubhaft (nicht zu verwechseln mit realistisch) sein und bleiben.

Zudem ist es wichtig, das das gesamte Vorgehen praxisorientiert ist;
Das heißt, dass es möglich sein muss es auch auf Charaktere anwenden zu können die (vorläufig) nur für kurze Zeit ins Leben gerufen werden.

Funktion

Wie bei jedem praxisorientierten kreativen Prozess, ist es wichtig gleich zu Beginn zu erschließen, wohin er führen soll.

Je nach dem Stil des Umsetzenden und nach Situation, kann dies ein sehr aktiver oder sehr reaktiver Prozess sein.
In jedem Fall geht es darum eine Abwandlung der Frage zu stellen: “Was wird gebraucht ?”

Die Spieler haben etwas zu viel Spaß in deinem Horror Szenario ?
Zeit für ein möglichst ernüchterndes Event.
Der richtige NPC löst das Problem.

Die Spieler sind nicht motiviert ?
Zeit das Interesse am Szenario anzuheben, auf eine Art und Weise die bei deinen Spielern immer zieht.
Der richtige NPC löst das Problem.

Die Spieler sind weit hinter dem Zeitplan ?
Zeit ihnen ein paar Informationen zu geben oder sie in eine bestimmte Richtung zu weisen.
Der richtige NPC löst das Problem.

Die Spieler kommen zu schnell voran ?
Zeit sie in einen Konflikt zu verwickeln.
Der richtige NPC löst das Problem.

Die Spieler suchen einen Händler ?
Der Kampf wird langsam langweilig, sollte aber eigentlich lange noch nicht enden ?
Die Spieler sind in einer scheinbar ausweglosen Lage welche du ihnen eingebrockt hast ?

Natürlich kann das ganze auch vorbereitend passieren, indem man erahnt was man brauchen wird und sich alternativen vorbereitet.
Wenn man die Spieler in einen extrem dramatischen Encounter verwickelt mit vielen Wendungen, könnte es hilfreich sein, danach jemanden parat zu haben, der ihnen hilft zu verarbeiten, was eigentlich passiert ist.
Oder, sollten sie alles schon selbst verarbeiten und realisieren, könnte er einfach dazu da sein, zu zeigen wie cool sie sind oder um sie zurück auf den Teppich zu holen.

Was immer das Problem oder die Anforderungen der Geschichte gerade sind, das Eingreifen von Charakteren kann liefern, was gebraucht wird.

Wichtig ist auf Charaktere und Hilfsmittel zurückzugreifen, die du im Kontext auch tatsächlich verwenden kannst.
Alles wobei du auf handfestes Material zurückgreifen kannst, und alles was sich für dich verlässlich improvisieren lässt.

Persönlichkeit

Jeder ist Held seiner eigenen Geschichte.
Dieses Prinzip gilt für jeden einzelnen deiner Charaktere.

Damit ein Charakter glaubhaft ist, muss er während der Erfüllung der Bedürfnisse der Geschichte organisch und in seinem eigenen Interesse handeln.

Leichter gesagt als getan, aber zum Glück gibt es ein einfaches strukturiertes Vorgehen was schnell und sicher zum Erfolg führt.

Bedenke, dass es bei jedem Schritt mehr als eine Antwort geben kann, und das ist gut so.
Hat man viel Zeit, lassen sich die unterschiedlichen Möglichkeiten abwägen.
Hat man wenig Zeit, lässt sich schnell eine Möglichkeit finden, mit der man sich sicher fühlt und fortfahren kann.

Schritt 1 - Wahl des richtigen Charakters

Zwei gut funktionierende Möglichkeiten bieten sich hier an:

Generell zu bevorzugen ist es, Charaktere zu wählen die bereits existieren oder vorbereitet sind.

Es hat große Vorteile, Charaktere möglichst früh und möglichst häufig zu verwenden.
Zum einen wird mit ihnen und ihrer Umsetzung vertrauter, was dazu führt dass man mit deutlich weniger Aufwand mit ihnen arbeiten kann, zum anderen hat man die Chance ihnen weitere Facetten hinzuzufügen und sie in den Augen der Spieler lebendiger zu machen.

Ist jedoch keiner der vorbereiteten Charaktere für die gegebene Situation und ihre Ansprüche geeignet, oder es wird einer oder mehrere zusätzliche Charaktere benötigt, kommt die zweite Möglichkeit ins Spiel.
Diese ist beinhaltet jedoch nicht, einen Charakter aus dem Nichts zu schaffen, denn das führt meist zu flachen, an Komplexität mangelnden Charakteren oder auch sehr abgehobenen die nicht in die Welt passen.

Viel effizienter und gewinnbringender ist es, Charaktere nicht aus bloßen Ideen zusammenzusetzen, sondern sie aus der umgebenden Welt zu erschließen und mithilfe der eigenen Erfahrung zu mit Persönlichkeit auszustatten.

An dieser Stelle kommen kreative Einschränkungen ins Spiel.
Was ist verfügbar, was ist verfügbar zu machen, und was davon bietet sich an ?

Bei Charakteren ist hierbei besonders wichtig, Fraktionen in Betracht zu ziehen.
Diese liefern Informationen über Herkunft, Hintergrund, Aussehen, Ziele und üblichen Ideale.
Der Rest beinhaltet nur noch das Ausstatten mit entsprechenden, nützlichen Details und Charaktereigenschaften am besten in Form von Archetypen, mit denen du etwas anfangen kannst.
(Stärken, Schwächen und Werkzeuge sollten nach Möglichkeit zumindest grob impliziert sein. Sich hier um Klischees Gedanken zu machen ist meist überflüssig, die Situation und die Fraktionen aus denen die Charaktere entspringen machen so etwas nahezu unmöglich)

((
Beispiel:
Die Stadt ist im Chaos, eine Horde Barbaren fällt über die beinahe unverteidigte Siedlung her und trifft auf nur wenig Widerstand.
Die Spielergruppe bewegt sich ein wenig zu schnell durch das Schlachtfeld und nimmt die ganze Angelegenheit nicht sonderlich ernst.
Lösen wir die Angelegenheit doch mithilfe eines NPC.

Funktion:
Ziel ist es, die Spieler ein wenig zu bremsen;
Ein wenig grauen und Realisation des Ernstes der Lage ins Geschehen zu bringen;
Und den Spielern einen attraktiven Grund zu bieten einzugreifen.

Persönlichkeit:

Schritt 1 Auswahl des Charakters
Fraktionen - Barbaren & Bürger

Option 1:
Barbar + Brute + Elite + “Sportbegeistert”
(Gedanken: Widerstand durch Kampf und Suche, Anführen; Stimmung durch grausamen Akt; Motivation durch “Sportbegeisterung”, Empathie)

Option 2:
Bürger + Kleines verlorenes Mädchen + “Verleugnend” + In akuter Gefahr
→ Widerstand durch Dilemma - Eingreifen und Auffallen oder nicht; Stimmung durch Naivität des Mädchens; Motivation durch Empathie oder Horror
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Schritt 2: Persönliches Ziel und Vorgehen

Nun geht es darum, dem Charakter ein Ziel zu geben, dass dieser auf seine Art und Weise verfolgen kann, sodass es unsere Zwecke erfüllt.

Wichtig hier ist es, dass der Charakter nicht zwangsläufig viel tun muss.
Häufig reicht es, dass dieser ausreichende Präsenz zeigt.

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Beispiele:

Option 1: Barbar + Brute + Elite + “Sportbegeistert”
Ziel - Ruhm, Jagd, Duelle
Vorgehen - Leute wie Wild durch die Stadt scheuchen und Panik mit grausamen Akten schüren;
Würdige Krieger aufspüren, zusammentreiben und herausfordern
→ Spieler werden eingekesselt

Option 2: Bürger + Kleines verlorenes Mädchen + “Verleugnend” + In akuter Gefahr
Ziel - Seine bereits tote Mutter aus der Gefahr bewegen
Vorgehen - Sich hilflos bemühen diese zu schleifen und dabei Aufmerksamkeit erregen
→ Mehrere Barbaren werden alarmiert
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Schritt 3, Optional: Motivation

Verfolgt nun einer der Charaktere, ein ihm untypisches Ziel und/oder verwendet eine untypische Vorgehensweise,
oder erscheinen dir Handlungen zu extrem oder zu fragwürdig, ist es oft ratsam sich die Motivation des Charakters einmal anzuschauen.

Fallen dir sofort Antworten ein, auf die Frage warum der Charakter tut was er tut und warum auf diese Art, welche du selbst glauben kannst, ist das Bedenken meist unbegründet.
Grenzt es allerdings hart an Unglaubwürdigkeit und Selbstbetrug des Charakters, so kannst du an dieser Stelle entweder Ziele und Vorgehen noch einmal anpassen, oder aber auch Motivation hinzufügen oder retten.

Frage dich, was den Charakter bereits in die Richtung bewegt und versuche das Feuer zu schüren,
Oder denke daran was so einen Charakter motivieren würde und baue es ein.

Hinweis:
Es ist wichtig, dass die Spieler auch an die Motivation glauben, deshalb ist es wichtig hier zu realisieren, ob der Charakter glaubhaft ist.
“Weil er es kann” reicht hier nicht.
Am einfachsten ist es, wenn ein Charakter, besonders wenn dieser nur eine kleinere Rolle spielt, mithilfe von äußeren Mitteln motiviert wird.

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Beispiele:

Option 1: Barbar + Brute + Elite + “Sportbegeistert”
Ziel - Ruhm, Jagd, Duelle
Vorgehen - Leute wie Wild durch die Stadt scheuchen und Panik mit grausamen Akten schüren;
Würdige Krieger aufspüren, zusammentreiben und herausfordern

Äußere direkte Motivation: Wird bewundert, Erzielt Erfolge, Stößt auf wenig Widerstand
Innere indirekte Motivation: Ruhm, Die Götter ehren

Option 2: Bürger + Kleines verlorenes Mädchen + “Verleugnend” + In akuter Gefahr
Ziel - Seine bereits tote Mutter aus der Gefahr bewegen
Vorgehen - Sich hilflos bemühen diese zu schleifen und dabei Aufmerksamkeit erregen

Äußere direkte Motivation: Mutter lebt gerade noch so, Hand nach dem Kind ausgestreckt
Innere indirekte Motivation: Mutter ist einzige verlässliche Bezugsperson, ihr “Ein und Alles”,
ihre vermeintliche Rettung
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Authentizität

Unser Charakter hat jetzt alle Details die er braucht um aktiv zu funktionieren.
Er hat Ziele, Stärken, Schwächen, Werkzeuge und sogar ein ausreichend motiviertes und konkretes Vorgehen.

Der letzte Schritt ist jetzt, den Charakter tatsächlich aktiv darzustellen.

Die schlechte Nachricht ist, das trotz der guten Vorbereitung, dies immer noch der schwerste Schritt sein kann.
Die gute Nachricht ist, dass wir uns an paar starken Prinzipien orientieren können.

Show don’t tell.

Das wichtigste zuerst:
Ein Charakter existiert nur innerhalb der Geschichte.
Jeder einzelne Teil des Charakters, der nicht erwiesenermaßen auf diese Einfluss nimmt ist folglich vollkommen bestandlos.

Damit das nicht passiert, müssen wir, für die Existenz aller wichtigen Details ausreichende Beweise liefern.

Was aber sind gute Beweise ?

Gute Beweise sind jene, die auf Taten und Ereignissen basieren…
Denn Taten sprechen meist lauter als Worte.

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Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die richtigen Worte auch Qualität von Taten haben können.
“Ich fordere dich zum Duell auf Leben und Tod heraus!”, kann ein bedeutsamer Schritt sein.
"Das ist meine Familiengeschichte: … " üblicherweise eher nicht.

Viele Konflikte werden auch im Wortgefecht ausgetragen, wo dann gezielt verbale Schläge ausgetragen werden.
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Die Spieler bewegen sich wie Detektive durch die Welt. Ob bewusst oder unbewusst.
Alle Beobachtungen werden erst gemacht, und dann in eine Schublade gesteckt.

Aus der Erfahrung mit dem jeweiligen Spielleiter ergibt sich dann, was auf diesen Schubladen steht:

“Unwichtiges Gewäsch”, “Schöne Orte”, “Interessante Hintergrundfakten”, “Loot”, “Ein weiterer Straßenraub”, …

ODER

“Zeugenaussagen”, “Schauplätze”, “Versteckte Motivationen”, “Beweismittel”, “Mysteriöser Mordversuch”, …

Wir entscheiden, was von dem was wir sagen welche Implikationen hat.

Wenn wir es wollen, können wir mit etwas Übung dafür sorgen, dass das meiste von dem, was wir von uns geben tatsächlich dramatisch bedeutsam ist.

Wie funktioniert das für einen Charakter ?
Wie können wir seine Ziele, sein Vorgehen, seine Stärken, Schwächen und Werkzeuge handfest machen ?

Zeit sich ein Beispiel an einem der berühmtesten fiktiven Detektive aller Zeiten zu nehmen.

Wer ist, war und wird dieser Charakter sein ?
Was tut, tat und wird dieser Charakter tun ?

Diese Fragen im Hinterkopf und mithilfe einer unglaublich stark ausgeprägten Wahrnehmung,
kann Sherlock-Holmes selbst die verstecktesten Geheimnisse und Pläne eines Charakters nur anhand ausgewählter Auffälligkeiten seines Aussehens und Verhaltens im Alltag bestimmen.

Diese Art und Weise zu ermitteln lässt sich für uns als Spielleiter umdrehen um das Bild und Handeln eines Charakters aus den Informationen zu erschließen die wir vorliegen haben und sogar, um gleichzeitig Informationen vermuten zu lassen, die überhaupt noch nicht existieren und somit dem Charakter bewusst Tiefe zu verleihen.

Hier einige Möglichkeiten wie die wichtigen Informationen von Charakteren sich in Aktionen des Charakters, Reaktionen der Umgebung und in Spuren und Indizien zeigen können.

Aktionen des Charakters:
Ziele und Vorgehen + Loyalität - Vorbereitung, Zwischenschritte, Zielführende Entscheidungen, …
Stärken + Erfahrung - Ausnutzen, Triumphieren, Routine, …
Schwächen - Vermeiden, Versagen, …
Werkzeuge - Vorbereiten, Begünstigen, Nutzen, …

Reaktionen von Anderen:
Ziele und Vorgehen + Loyalität - Widerstehen, Unterstützen, Bewerten, …
Stärken + Erfahrung - Respekt, Angst, Vermeiden, …
Schwächen - Spott, Ausnutzen, …
Werkzeuge - Benachteiligen, Vermeiden, …

Spuren und Indizien:
Ziele und Vorgehen + Loyalität - Zeugen, Pläne, Utensilien, Tatorte, Ausrüstung, …
Stärken + Erfahrung - (erprobte) Ausrüstung, Narben, Zeugen, Haltung und Aussehen, …
Schwächen - Narben, Zeugen, Haltung und Aussehen, …
Werkzeuge - Gebrauchsspuren, Tatorte, …

Beweise müssen nicht immer hundertprozentig eindeutig sein.
Wenn starke Vermutungen gut in das Gesamtbild passen, kann das völlig ausreichen.

Und letzten Endes sollte alles Wichtige was die Spieler meinen über einen Charakter zu wissen, aber nicht eindeutig ist, durch bedeutsame Aktionen bewiesen oder widerlegt werden.

Weniger ist mehr.

Nun, da wir wissen, wie wir wichtige Details eines Charakters präsentieren können, sogar ohne seine unmittelbare Anwesenheit, ist die Frage, wie wir diese Möglichkeiten sinnvoll ausschöpfen können, und vor allem den Charakter in die Tat umsetzen.

Wie üblich ist die Antwort das zielorientierte Vorgehen.

Was sind unsere Ziele an dieser Stelle ?
Alle offensichtlichen Informationen präsentieren, inklusive eines Gesamtbildes des Charakters.
Alle zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen sowohl präsentieren als auch verwenden,
Dramatische Aufgaben, Mechanik und Stimmung.
Konsistent bleiben: Keine Verwirrung stiften, dem Charakter und seinen Details treu bleiben.
Auf die Ziele konzentrieren können, das heißt nicht zu sehr auf die Details konzentrieren müssen.

Die Antwort ist somit recht eindeutig:
Beschränke dich auf so wenig Details wie absolut möglich, um das umzusetzen, was notwendig ist.

Um das zu bewerkstelligen, geht es darum, möglichst viel in die Attribute eines Charakters hinein zu kanalisieren.
Und die wichtigsten Träger von Information an aktive Attribute und wiederverwendbare Archetypen zu “heften”.

Optische Merkmale und mögliche Implikationen:

Optischer Archetyp, Gesamteindruck - Direkter Input; Ein guter Archetyp kann den Großteil einer Person beschreiben
Körper, Statur, Kleidung - Erfahrung, Körperliche [U]Stärken und Schwächen/U
Haltung, Verhalten, Stimme, Züge - Charakter, Erfahrung, Stimmung, Charisma, Stärken und Schwächen(geistig, sozial)
Ausrüstung, Bewaffnung - Erfahrung, Stärken und Schwächen(Kampf, Umwelt), Werkzeuge, Vorgehen, Fraktion
Zeichen, Markierungen - Loyalität, Fraktion
Narben und andere persönliche Highlights -
Können speziell fixiert werden, denn Detail führt hier zur Erkenntnis; Sollten regelmäßig erwähnt werden !; Liefern hauptsächlich Einblick in persönliche Erfahrungen und daraus resultierender Motivation.

Wichtig:
Beschränke dich (zumindest vorerst) auf eine kleine möglichst konkrete Auswahl an optischer Beschreibung, die möglichst gut den Charakter präsentiert und für die aktuelle Situation relevant ist.
Bewaffnung ist im Kampf meist deutlich relevanter als in einem freundlichen Gespräch.
Erwähne dennoch alle auffälligen Highlights, das Gesamtbild ergibt sich ähnlich wie bei einer Verkleidung schnell aus dem Archetypen und entsprechenden Highlights.
Wichtig ist außerdem darauf zu achten, in seinen Beschreibungen und der Umsetzung Konsistent zu bleiben.
Beschränke dich auf weniger Details wenn nötig und/oder halte diese schriftlich fest.

Der Charakter sollte immer einmal im Rahmen einer, im Idealfall für ihn typischen Aktion gezielt vorgestellt werden.

Alles weitere und wirklich entscheidende wird durch die Aktionen und Entscheidungen des Charakters, sowie der resultierenden Folgen und mithilfe von Beweisen vermittelt.

Versuche im Verlaufe der Verwendung des Charakters zu ermitteln, welche aktiven Attribute und Aktionen diesen am meisten definieren und lebendig wirken lassen und fokussiere dich auf diese.
Versuche außerdem einen oder mehrere möglichst konkrete auf Archetypen basierende Bezeichnungen zu finden, welche du und alle anderen verwenden und wiedererkennen können.

Nun ist der Grundstein gesetzt und der Charakter kann wachsen, gedeihen und letztendlich unvermittelt ins Gras beißen.

Nachwort

Zunächst:
Bitte entschuldigt meine immense WALLOFTEXT, ich habe mich diesmal wirklich selbst übertroffen.

Aber sofern ihr es bis hier geschafft habt, oder das ganze einfach zu diesem Punkt überflogen habt (ich kann es keinem verübeln), lasst mich euch ein paar Fragen stellen:

Welche Details gebt ihr euren Charakteren üblicherweise und wie setzt ihr diese dann im Spiel um ?

Und habt ihr Ideen, Anmerkungen oder Anregungen zur Methodik, die ich speziell in Betracht ziehe ?

Vielen Dank für eure Zeit,
und Liebe Grüße !