Hallo, Liebe Mit-Spielleiter !
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Kennt ihr das auch?
Man zieht einen NPC aus dem Hut, auf magische Art und Weise, wie das SL nun einmal tun.
Und es tritt einer von zwei ähnlich unerwünschten Fällen auf:
Entweder der Charakter hat zuvor überhaupt nicht existiert, oder ist nur zu einem bestimmten Zweck ins Leben gerufen worden, und er funktioniert außerhalb dessen nur sehr schlecht und ziemlich mechanisch.
Er wird für dich und die Spieler zu einem nur schwammig wahrnehmbaren Objekt mit keinerlei wirklicher Persönlichkeit und wird dann auch genauso behandelt.
Oder aber der Charakter ist bereits von dir sehr gut ausgestattet mit Details und Hintergrund, aber es gelingt einfach nicht, die viele Arbeit auch lebhaft im Spiel rüberzubringen und vor allem für dich und auch die Spieler nutzbar zu machen.
Entweder hat viel von dem was du vorbereitet hast schlichtweg keinen, zumindest nicht eindeutigen, direkten praktischen Nutzen.
Oder aber es könnte sowohl für dich als auch die Spieler sehr praktisch und interessant sein… Wenn es doch nur aktiv zur Verfügung stünde.
Kurzum, dem Charakter fehlt es schlichtweg an Funktion und Substanz oder aber diese sind nicht präsent genug um von tatsächlichem Effekt und Nutzen zu sein.
Nun stellt sich die Frage:
Wie also geht man an so eine Charakterisierung (Nicht nur für NPCs) heran?
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Was mit “Charakterisierung” hier gemeint ist:
Die Summe an allen Details die von einem Charakter definiert sind,
z.B. Aussehen, Beruf, Ziele, Ideale, Angehörigkeit, Rasse, Sprache, Stimme, Ausrüstung, Kampfgeschick, …, etc.
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Es lässt sich potenziell bei der Charakterisierung unendlich weit ins Detail gehen, was folglich einige Fragen aufwirft:
Zum einen in der Vorbereitung:
Welche Details definiert man überhaupt für einen Charakter, was lohnt sich wirklich ?
Auf welche Details beschränkt man sich oder definiert man als erstes wenn man improvisieren muss ?
Und außerdem in der Praxis:
Wie verwende und präsentiere ich diese Details dann im Spiel, um den Charakter zum Leben zu erwecken und interaktiv zu machen ?
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Der Grund warum ich dieses Thema speziell anspreche, ist, dass ich vorhabe vor allem für Charaktere, die ja letzten Endes doch im Mittelpunkt aller Geschichten stehen, eine systemübergreifende Grundmethode zu entwickeln, ihre Vorbereitung sowohl als auch die Umsetzung im Spiel so praktikabel, kompakt und gewinnbringend wie möglich zu machen.
Mein momentaner Ansatz, das ganze zu bewerkstelligen wäre es,
Zielorientiert unter Berücksichtigung und Wahl von Einschränkungen,
Eine archetypische Form des Charakters in die Vorstellung zu rufen,
Diesen mit den nötigen Funktionen auszustatten um funktionieren, agieren und reagieren zu können,
und in Folge unter Berücksichtigung dieser Tatsachen zielorientiert handeln zu lassen,
auf eine dem Charakter treue Art und Weise,
die ermöglicht im Affekt auch rückwirkend die vorigen Schritte vornehmen zu können.
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Schritt 0 - Ziele und Kreative Einschränkungen
Konkrete Zielsetzung und das Auferlegen von Einschränkungen sind wahrscheinlich die zwei Dinge vor denen sich Künstler am meisten fürchten (Und ja Rollenspielen und das Spielleiter-Dasein sind Künste, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Ansprüchen) und welche sie oft stetig versuchen zu meiden und teilweise sogar zu verleugnen, dass diese überhaupt existieren.
Der Grund für diese Einstellung ist meist die Furcht davor, die Kreativität einzuschränken und sich Freiheit zu nehmen oder aber auch, sich zusätzliche “Arbeit” zu schaffen und den freien Kreativen Prozess in etwas mühseliges zu verwandeln.
Diese meist unterbewussten Ängste sind, wie für mich persönlich schwer zu erkennen gewesen ist, zum Großteil unbegründet und können zudem sogar aktiv dem kreativen Prozess schaden, und das aus mehreren Gründen.
Zum Einen, sind Ziele und kreative Einschränkungen beides etwas, das immer existiert, ob wir es uns bewusst machen oder nicht:
Ziele werden spontan oder unterbewusst festgelegt, Einschränkungen sind uns allein durch unsere Kreativität, den Stand unseres Wissens, des verwendeten Materials und unserer geistigen oder körperlichen Fähigkeiten permanent auferlegt.
Des weiteren müssen diese unsere Kreativität in keinster Weise einschränken, wenn wir die Festlegung unserer Ziele und Einschränkungen als Teil des kreativen Prozesses sehen und somit Teil der künstlerischen Freiheit.
Häufig ist es einfach nur diese Änderung des Blickwinkels das, was einen ausschlaggebenden Unterschied machen kann.
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“Für Spaß zu sorgen” zum Beispiel, kann ein einfaches, legitimes Ziel sein.
Man denkt sich vielleicht, Spaß ist immer ein Faktor, aber wenn man beginnt ein Abenteuer oder Charaktere zu entwerfen und jedes mal überlegt: “Wie kann ich das ganze so optimieren, dass es so viel Spaß wie möglich bringt ?” anstelle von Fragen wie: “Wie mache ich diesen Encounter so fair und ausgeglichen wie möglich?”.
Plötzlich schwenkt man von Struktur und Fairness zur Unterhaltung, was einen überlegen lässt, was es ist, dass den Spielern und einem selbst Aufregung und Freude bereitet, und die richtige Antwort kann sein, einfach mal sämtliche Struktur rauszuwerfen, und seine Kreativität auf die Sachen einzuschränken, welche einen selbst und seine Spieler in gute Stimmung versetzen.
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Grenzen insbesondere können, sobald sie als kreatives Werkzeug genutzt werden ermöglichen, effizient, innovativ und authentisch seine gesetzten Ziele zu verfolgen.
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Wenn man zum Beispiel ein Horror Szenario entwirft, und man möchte seine Spieler in Angst und Schrecken ersetzen, wie geht man das ganze an?
Frei zu überlegen führt einen in erster Linie meist zu überholten Klischees, welche die Spieler natürlicherweise auch kennen und sich davon nicht beeindrucken lassen würden.
Wählt man sich jedoch Einschränkungen …
- ein bestimmtes Thema, “Blut”
- eine Umgebung, “ein Moor”
- eine Art von Fraktion mit welchen die Spieler zu tun bekommen werden “Banditen”
So fallen einem plötzlich viele verschiedene Arten ein wie ein “Blut-Moor” mit ortsansässigen Banditen die Spieler in Furcht und Abscheu versetzen könnte, und es graut einem vielleicht selbst davor, zu viele Fragen zu stellen…
Insbesondere das Thema kann hier ausgereizt werden:
Egal ob jetzt ein Blutopfer vollbracht wird, jemand in Blut erdroht zu ertrinken, die Banditen sich als Vampire herausstellen oder missgestaltete Blutbesudelte Kreaturen aus dem Schlamm emporkriechen und über die Spieler herfallen, jeder sollte die Verbindung erkennen können und nicht viel Zeit mit hinterfragen der Handlung oder des Spielleiters verbracht werden.
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Einschränkungen können Futter für die Kreativität sein, dir Ansätze geben zum darauf aufbauen, und helfen Sachen organisch miteinander zu verknüpfen.
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Ziele
Für mich im speziellen ist ein schwerer Schritt gewesen, zu erkennen, das selbst die interessantesten Charaktere innerhalb den Grenzen einer Geschichte in erster Linie(!) dazu da sind, bestimmte Aufgaben zu erfüllen, sie können und sollten demnach wie jedes andere Werkzeug zu bestimmten Zwecken geschaffen werden.
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Spieler aufgepasst:
Ein Spieler-Charakter ist hiervon keineswegs ausgenommen !
Ich kann nur empfehlen, sich Ziele zu überlegen,
die ihr mit und beim dem spielen des Charakters zu erfüllen ersucht und welche ihr schon beim Erschaffen des Charakters berücksichtigen könnt.
Seht dies nicht als Pflicht(wobei es stark den Spaß am Spiel für alle beteiligten fördern kann),
sondern als Möglichkeit, sich gezielt zu überlegen, was man vom Spiel möchte und beitragen will.
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Wozu also sollte ein Charakter innerhalb des Spiels dienen ?
Dramatische Aufgaben
Jeder Charakter sollte mindestens eine bestimmte Rolle erfüllen, die der Geschichte hilft.
Diese muss nicht besonders groß sein, aber in jedem Fall vorhanden.
Ein Charakter der tatsächlich nichts beiträgt ist einfach langweilig und eine unnötige Ablenkung
(gezieltes Ablenken kann allerdings auch eine Aufgabe für einen Charakter sein).
Beispiele für dramatische Aufgaben:
- Den Weg weisen, Informationen liefern, Widerstand leisten, Unterrichten (Mentor), Unterstützen und begleiten, Moralisches Feedback geben, …
Hinweis:
Jeder Charakter kann im Verlauf des Abenteuers unterschiedliche Aufgaben zu unterschiedlichen Zeiten erfüllen und mehrere gleichzeitig;
Hat man also eine Aufgabe die erfüllt werden muss, lässt sich unter Umständen auf schon bestehende Charaktere zugreifen und falls dies möglich und glaubhaft ist, ist dies eine gute Chance zentraleren Charakteren mehr Zeit auf der Bühne zu geben und somit mehr Substanz.
Job und Mechanik
Jeder Charakter hat zusätzlich meist die Anforderung, eine bestimmte Position in der Welt zu haben in diese er hineinpassen muss und an vom System abhängigen mechanischen Prozessen teilzuhaben, was erfordert, das er über die nötigen Charakteristiken, Kompetenzen, Status und Ausrüstung verfügt um diese erfüllen zu können.
Beispiele für Positionen
Priester, Politiker, Anführer, Spion, …
Beispiele für Mechanische Ansprüche:
Handel, Handwerk, Ausbildung, Kampf, Magie, …
Tipp:
Sowohl bei den dramatischen Aufgaben und den konkreten mechanischen Ansprüchen, kann es helfen so präzise wie möglich zu sein, um es zu erleichtern einen so gut wie möglich geeigneten Charakter zu finden.
Die einfachste Art, diese genauer einzugrenzen ist es, Fragen zu stellen.
z.B. Wohin weißt der Charakter den Weg? Leistet er dabei großen Widerstand? Widerstand welcher Art?
Was für eine Art Anführer muss der Charakter sein? Zu was muss er seine Untergebenen beordern können?
Welchen politischen Standpunkt vertritt er?
Stimmung
Jeder Charakter sollte außerdem aktiv dazu beitragen, die Stimmung der Situation und des Spiels als ganzes zu beeinflussen.
“Welche allgemeine Stimmung oder Kombination an Stimmungen möchte ich für das Abenteuer oder diesen speziellen Charakter fördern?”
Da Menschen von Natur aus soziale Wesen sind, sind Charaktere eine der besten Arten und Weisen, Stimmung in der Geschichte zu erzeugen.
Es gibt zwei grundsätzliche Arten, wie Charaktere Stimmung beeinflussen können.
Aktiv - Durch Aktionen und Ausstrahlung; Liefern stimmungsvoller Erfahrungen für andere
Beispiele für Verhaltensweisen das aktiv Stimmung erzeugt:
Motivieren, Fordern, Drohen, Schmeicheln, Flirten, Provozieren, Überreagieren, …
Beispiele für Attribute die aktiv Stimmung erzeugen:
Anmut, Plumpheit, Stärke, Schwäche, Status, Schönheit, Gepflegtheit, Hässlichkeit, Entstellung, …
Ansteckend - Durch eigene Stimmung; Resultierend aus der Erfahrung des Charakters
Beispiele für ansteckende Stimmungen:
Begeisterung, Optimismus, Interesse, Verbitterung, Trauer, Zorn, Unruhe, Apathie, Angst, Panik, …
Tipps:
Stimmungen zu erzeugen und zu vermitteln ist schwer, es ist die wahre Kunst des Rollenspiels.
Die einfachste Art und Weise anzufangen diese Kunst zu lernen und zu entwickeln, ist es Charakteren starke und eindeutige aber auch authentische Stimmungen zu geben.
Je stärker ein Attribut, ein Verhalten oder eine Stimmung ist, desto Stärker müssen die Gründe dafür sein, damit diese authentisch bleiben.
Der Charakter bedroht beständig sein Gegenüber ?
→ Er lebt in einer Welt, in der er dadurch überleben konnte (Tyrannei, Untergrund, Wettbewerb, … )
Der Charakter strahlt Stärke und Anmut aus ?
→ Der Charakter hat diese Attribute denn er ist (Trainiert, Kampferfahren, Sportler, von edler Herkunft, …)
Der Charakter ist in Trauer oder sehr verbittert ?
→ Er hat etwas sehr wichtiges verloren (Gegenstand, Person, Traum, …)
Wichtig ist, dass du selbst tatsächlich verstehen und anerkennen kannst, warum der Charakter so handelt,
Also müssen die Gründe dafür in aller erster Linie dich selbst überzeugen, und nicht die anderen.
Es lässt sich hier außerdem untersuchen, worauf die Spieler am besten reagieren und mit welcher Art von Stimmung sich diese gerne umgeben und auch welche Arten von Stimmungen für das Spiel dir am ehesten zusagen.
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Kreative Einschränkungen
Nun da wir wissen, welche Aufgaben der Charakter (zunächst) erfüllen soll, und wie er dazu beitragen soll, die Stimmung zu beeinflussen, haben wir erfolgreich die Ziele der Charakterisierung festgelegt.
Nun ist zu ermitteln in welchem Rahmen diese zu erfüllen sind.
Einschränkungen kommen in vielerlei Formen.
Erfahrung und Übung lassen einen die sowohl die notwendigen, als auch die und optionalen aber nützlichen Einschränkungen erkennen.
Hier ein paar Möglichkeiten in welchen Bereichen sich die Charakterisierung einschränken lässt:
Charakter und Klassen Profil, Fraktion, Rasse, Klasse, Ausrüstung, Herkunft, Ausbildung, Beruf, Stand, Geschlecht, …
Tipps:
Es besteht kein Mangel an mechanischen und soziologischen Einschränkungen, und die Welt sollte voll sein von Charakteren die von ihrer Umgebung und Vorgeschichte gezeichnet sind, also verwende sie wann immer möglich.
Dadurch ensteht eine starke, positive Wechselwirkung.
Je klarer definiert die Wurzeln eines Charakters sind, desto besser kann er im restlichen kreativen Prozess wachsen und gedeihen.
Und je mehr deiner Charaktere aus den selben Wurzeln entspringen und diese in der Welt repräsentieren, desto klarer definiert werden diese und desto lebendiger und authentischer wird demzufolge die Welt.
Außerdem ermöglicht dir ein solches Vorgehen später, vereinzelt alles über den Haufen zu werfen um besonders herausstechende Persönlichkeiten zu kreieren.