Blindflug

Es ist der 13. Februar 2082 als die Erde plötzlich Besuch von 65536 Sonden außerirdischen Ursprungs bekommt, die in einem regelmäßigen Muster über die gesamte Erdkugel verteilt auf diese herabregnen und kurz vor ihrem Verglühen ein Signal aussenden – fast so als hätten sie ein Photo gemacht und dieses Bild an ihren Auftraggeber gesandt. Die Menschheit ist geschockt.
Einige Monate später empfängt ein fast vergessene, alte menschliche Sonde, die sich auf den Rand unseres Sonnensystems zu bewegt zufällig ein ganz ähnliches Signal – und bestimmt als Herkunft einen Kometen, der durch unser Sonnensystem fliegt.
Aus diesem Grund wird hastig ein Raumschiff gebaut, das eine Crew zu diesem Kometen bringen soll um nachzusehen, wer oder was da kommt.

Soweit eine kurze Synopsis des Ausgangspunktes des Romans „Blindflug“ („Blindsight“) von Peter Watts.

Angesichts dessen erwartet man als Leser eine weitere in einer langen Reihe von Erzählungen über den ersten Kontakt zwischen Menschen und Außerirdischen – und obwohl man damit Recht hat, könnte man nicht falscher liegen. Dies liegt in mehreren Dingen begründet.
Zum einen in der Zukunftsvision, die Peter Watts entwickelt hat: Die Menschheit hat sich seit der Jahrtausendwende drastisch entwickelt und ebenso ihre technischen Möglichkeiten. Man wagt nur nicht zu sagen, ob sie sich zum besseren entwickelt hat. Neben der Nutzung von Antimaterie zur Energiegewinnung und zur künstlichen Produktion fast aller Güter, hat sich auch die Computertechnik weiterentwickelt. Die Menschheit steht an der Grenze zur Entwicklung einer wirklichen KI – und wartet fast angespannt auf das Eintreten dieser Singularität. Aber auch die Menschheit selbst hat sich verändert – Kinder werden routinemäßig optimiert um besser an die Anforderungen dieser Welt angepasst zu sein, körperliche Kontakte zwischen Menschen sind verpönt und werden vermieden, reiche, gelangweilte, aber auch hochbegabte Menschen ziehen sich immer häufiger in den ‚Himmel’ zurück – ihr Geist wird in einen Computer geladen und lebt fortan in einer nach ihren Wünschen gestalteten virtuellen Realität. Und dieser Menschheit müssen nun Wesen entstammen, die in der Lage sind, zu der vermuteten außerirdischen Intelligenz Kontakt aufzunehmen…
Daher wird, und das ist der zweite Punkt, eine sehr ungewöhnliche Crew für das Schiff zusammengestellt – eine Crew von Außenseitern, die aber alle besondere Begabungen mitbringen, um diesen Auftrag meistern zu können:
Wichtig für uns als Leser ist Siri Keeton, der Synthesist an Bord, da er der Erzähler ist. Die Aufgabe eines Synthesisten ist die Beobachtung und Interpretation des Geschehens, ohne einzugreifen. Siri erhielt als Kind eine Gehirnoperation, bei der ihm zur Behandlung der Epilepsie eine Hirnhälfte entfernt und durch einige künstliche Verbindungen ersetzt wurde. Da er seit dieser OP nicht in der Lage ist, emotionale Bindungen einzugehen, aber anhand der Körpersprache auf die Gefühle einer Person rückschließen kann, ist er für diese Aufgabe prädestiniert.
Kommandant der Expedition ist Jukka Sarasti, ein Homo sapiens vampiris. Vampire sind in der Erzählung eine evolutionäre Variante des Manschen, die ausgerottet und dank moderner Wissenschaft wiederbelebt wurden. Als Vampir hat er zwar die vampirtypischen Schwächen, ist jedoch an in Bezug auf seine Wahrnehmung und Informationsverarbeitung den Menschen überlegen, weswegen er für diesen Posten gewählt wurde.
Major Amanda Bates ist der Soldat an Bord – ausgewählt für den Fall, dass es ernst wird. Sie steuert mit ihren Gedanken vom Schiff noch herzustellende Waffensysteme oder Drohnen.
Susan James ist die Linguistin an Bord. Ihre Besonderheit ist, dass ihr Kopf von 4 Persönlichkeiten geteilt wird. Diese wurden künstlich erschaffen und sind die stereotype multiple Persönlichkeit – wobei diese Persönlichkeiten zusammenarbeiten.
Zu guter letzt verbleibt Isaac Szpindel – eine Art von Biologe und Arzt, der so sehr mit Maschinenteilen verschmolzen ist, dass er ohne Feedbackhandschuh mit der Hand nicht angemessen fühlen könnte.
Für jeden außer des Kommandanten ist auch noch ein Ersatz mit an Bord – wie auch die anderen während der Reise in einem Art Dauerschlaf.
Diese ungewöhnliche Crew macht sich nun also auf – und als sie erwacht stellt sie fest, dass der Komet nicht mehr Ziel ihrer Mission ist, sondern ein Gasplanet, um den eine Art Raumschiff der Außerirdischen kreist. Auf sich gestellt versuchen sie, Kontakt aufzunehmen und müssen feststellen, dass das Außerirdische vor ihnen weitaus fremdartiger ist, als irgendwer hätte vermuten können. Und so nimmt die Geschichte ihren Gang…

Peter Watts hat hier ein spezielles Buch abgeliefert. Die schrägen Charaktere sind das eine, das andere ist die Tatsache, dass hier ein Buch vor mit liegt, das ich als ‚harte SF’ bezeichnen würde. Es strotzt nur so vor Fachtermini – sowohl technische und physikalische, insbesondere auch phsychologische Begriffe. Es ist nun nicht so, dass man ein passendes Studium bräuchte um das Buch zu verstehen, aber schaden könnte es vermutlich auch nicht. Die wahre Stärke des Buches liegt aber sicher in der Beschreibung der Interaktionen zwischen diesen extremen Charakteren, der hochtechnologischen Welt und dem außerirdischen Artefakt. Und natürlich die Tatsache, dass das Überthema des Buches, also die Frage wie Bewusstsein und Intelligenz zusammenhängen, immer wiederkehrt und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird. Die Summe dieser Bestandteile ist äußerst gelungen, weswegen sich niemand von dem Etikett ‚harte SF’abschrecken lassen sollte.
Erzählt aus der Sicht des ‚neutralen’ Beobachters Siri Keeton mischt der Roman Siris persönliche Geschichte, die Geschehnisse die zu der Mission führten und die Mission selbst in Rückblenden, Gedanken und normalem Handlungsstrang. Dass diese Buch für den Hugo Award 2007nominiert war, ist vollkommen berechtigt – ob die Tatsache, dass ein anderes Buch gewählt wurde ebenfalls berechtigt ist, kann ich leider z.Z. noch nicht beurteilen, da ich den Sieger noch nicht gelesen habe.

Meiner Meinung nach verdient dieses Buch eine uneingeschränkte Empfehlung für jeden SF-Fan – das aber sollte man sein, wenn man sich daran macht.

Peter Watts, geboren 1958 (?), lebt in Toronto und besitzt einen universitären Abschluss in “Ökophysiologie mariner Säugetiere”. Er hat ca. 10 Jahre auf diesem Gebiet für verschiedenste Stellen (wie Tierschutzorganisationen, die US Fischereiindustrie und die kanadische Regierung) gearbeitet. Blindflug ist sein vierter Roman, vorangegangen war die Rifters-Trilogie. Mehr über den Autor auf Rifters.com.

Übersetzt wurde das Buch von Sara Riffel, die garantiert keinen leichten Job hatte, diesen aber, soweit man das ohne Kenntnis des Originals sagen kann, hervorragend erfüllt hat.