[SIZE=7]Einleitung[/SIZE]
Natürlich haben meine Kinder mitbekommen, dass ich an manchen Abenden vor dem Rechner sitze und mit irgendwelchen Leuten spreche. Die Neugier ist groß, die Kleinen interessieren sich eben dafür, was die Großen so anstellen, vor allem, wenn es sich auf den ersten Blick nicht ganz verstehen lässt. Selbstverständlich habe ich es ihnen möglichst knapp erklärt, doch wie auch bei Erwachsenen, die noch keinerlei Berührung mit dem P&P Rollenspiel hatten, reicht eine bloße Erklärung nicht aus, um es greifbar zu machen.
Heute war es also endlich so weit. Wenn nicht jetzt, wann dann? Oder so ähnlich. Jedenfalls setzte ich mich mit meinen Mädels (6, 7 und 9 Jahre alt) hin und wir erlebten unsere erste gemeinsame P&P Session.
Das Ganze fand im Immerwald statt, einem scheinbar endlosen Meer aus Bäumen, bewohnt von allerlei kauzigen, bis hin zu eher gruseligen Wesen. Meine Spielerinnen durften sich aussuchen, ob sie Wurzelwanderer, Tümpeltrolle, Dämmerungsdräuer oder Wipfelwichtel sein wollten. Wir verblieben dann bei zwei Wurzelwanderern (die 7- und die 9jährige) und einem Dämmerungsdräuer (6jährige). Die ersteren sind Wesen von ungefährer Menschenkindergröße, mit Borkenhaut und Wurzeln, bzw. dünnen Zweigen anstatt von Haupthaaren. Letztere sind fledermausartige Wesen mit großen Augen und Ohren und außerdem noch Hörnern (letzteres war die Idee meiner Tochter). Als erstes wurden die Charaktere gemalt - ganz ohne Anreiz von mir, das war der erste Impuls meiner Kinder. Dann überlegten wir uns Namen: Birkus (Wurzelwanderer der 9jährigen), Deckgrün (Wurzelwanderer der 7jährigen) und Nachtfell (Dämmerungsdräuer der 6jährigen). Zum Schluss sollte sich jede überlegen, worin ihr Charakter besonders gut sein soll. Birkus ist ein ausgezeichneter Kletterer, Deckgrün kann hervorragend Spuren lesen und Nachtfell verfügt über herausragende Nachtsicht.
Anders als die meisten Bewohner des Immerwaldes, die ständig im Schutz ihrer Gemeinschaften leben, verließen diese drei getrieben von Abenteuerlust und dem Bedürfnis, anderen zu helfen, ihre Heimatorte.
Das Ganze wird als eine Art Hexcrawl gehandhabt, wobei jeder Abschnitt des Waldes 2-3 Begegnungen bereit hält.
[SIZE=5]Der Turm der Alten[/SIZE]
Nachdem sie gemeinsam ihre Reise angetreten hatten, trafen sie bald auf das erste Wunder, welches sie während eines gediegenen Lebens in ihren Gemeinden nie gesehen hätten. Ein riesiger, aus großen Steinblöcken errichteter Turm, der alle Bäume der Umgebung überragte, stand vor ihnen. Aus dem Inneren ließ sich eine frustrierte Stimme vernehmen. Bevor sie einfach klopften, wollten sie auskundschaften, was sie erwartete. Birkus kletterte am Turm empor und sah durch die unteren Fenster, während Nachtfell empor flog und sich die oberen Fenster vornahm. Sie sahen Räume, vollgestopft mit Regalen voller Schriftrollen. Außerdem entdeckten sie ein kleines Männchen mit langen weißen Haaren, einem ebensolchen üppigen Bart und einer langen, dünnen Nase, sowie buschigen Augenbrauen. Der kauzige Kerl schien verzweifelt nach etwas zu suchen. Nachdem sie sich überzeugt hatten, dass keine böse Überraschung auf sie wartete, klopften sie an die Tür. Nach einer Weile - es ist ein wirklich großer Turm - öffnete das Männchen ihnen die Tür und fragte nach ihrem Begehr. Sie sagten, dass sie ihn fluchen gehört hatten und fragen wollten, ob er Hilfe gebrauchen könnte. Er berichtete, dass er nach einer bestimmten Schriftrolle suchte und sich einfach nicht entsinnen konnte, wo er sie abgelegt hatte. Sofort erklärten sich unsere Abenteurer bereit, ihn zu unterstützen.
Proben handhaben wir, indem alle drei Spielerinnen je drei Würfel werfen. Jedes Ergebnis von 4+ ist ein Erfolg, für die Suche waren 5 Erfolge notwendig. Da es im Turm keine künstliche Lichtquellen gibt, war es dort recht düster und Nachtfells Spielerin durfte zwei zusätzliche (Helden-)Würfel nutzen. Gemeinsam kamen sie auf 7 Erfolge und fanden rasch die Schriftrolle. Erleichtert bedankte sich der Turmbewohner und entlohnte sie damit, dass er jeder eine Frage beantwortete. Nachtfell wollte wissen, was 20+20+13 ist (was er mit 53 beantwortete), Deckgrün fragte sich, was auf den ganzen Schriftrollen steht (“All das Wissen über den Immerwald, das meine Vorfahren und ich über die Jahrhunderte gesammelt hatten”) und Birkus wollte erfahren, wie viele Gefahren noch vor ihnen liegen. Diese Frage konnte er natürlich nicht beantworten, denn er ist nicht in der Lage, in die Zukunft zu sehen, doch er konnte Auskunft darüber geben, dass sich in der Nähe eine Blutbirke befand, vor der man sich besser in Acht nehmen sollte.
[SIZE=5]Die Blutbirke[/SIZE]
Unerschrocken entschieden sie sich, nach dem fleischfressenden Baum zu sehen, denn schließlich könnte jemand von ihm gefressen werden, dem sie zu Hilfe eilen mussten. Also verabschiedeten sie sich von dem Alten und wanderten weiter. Nachtfell flog voraus, um rechtzeitig vor der Birke warnen zu können und entdeckte diese auch bald, wie sie dort auf einer Lichtung stand, umgeben von zahlreichen Knochen vergangener Beute. Mit einer ihrer Wurzeln zog die Blutbirke bereits ein neues Opfer heran, welches Nachtfell als ihren Onkel erkannte (das war übrigens auch die Idee meiner Tochter, ich hatte gemeint, dass sie nicht genau erkennen kann, um wen oder was es sich handelt). Ohne zu zögern eilten sie dem bewusstlosen Dämmerungsdräuer zu Hilfe. Es folgte eine rege, ca. 10minütige Planbesprechung, wobei es schließlich so geschah: Deckgrün hatte ein Lasso dabei, mit welchem sie den Bewusstlosen einfing und auf Bodenniveau zog, denn die Birke hatte ihn gerade nach oben in Richtung des zahnbewehrten Fressschlundes ziehen wollen. Währenddessen durchtrennte Nachtfell mit einem Knochen die Wurzel. Birkus huschte am Stamm des Baumes empor und warf einen großen, starken Ast in den Schlund. Damit beschäftigt war die Birke abgelenkt und die drei konnten samt des Geretteten entfliehen.
Nach einer Weile erwachte dieser, war entsprechend verwirrt und erfuhr von den Heldinnen, was geschehen war. Daraufhin erinnerte er sich, dass er auf dem Weg zu Verwandtschaft gewesen war und sich für eine Pause auf einem Ast niedergelassen hatte, woraufhin ihn irgendwas an den Beinen gepackt hatte und er mit dem Kopf hart aufgeschlagen war. Äußerst dankbar setzte er seinen Weg fort und wünschte ihnen alles Gute für die weitere Reise.
Für diese Szene waren 6 Erfolge notwendig gewesen, aber nachdem alle drei Würfe insgesamt nur 4 Erfolge erzielen konnten, sah es zunächst schlecht für den Onkel aus. Allerdings konnten sie ihre Heldenwürfel nutzen und erzielten zwei weitere Erfolge. Dies bedeutet jedoch, dass zwei der Spielerinnen beim nächsten Mal nur je einen Heldenwürfel (also einen weniger) zur Verfügung haben, da sie ausgelaugt sind durch den Kampf mit der Blutbirke.
Zusammenfassung
Nach ca. 1h15min (inklusive Charaktererstellung) war unsere erste Session beendet. Ich war hin und weg, wie engagiert und kreativ meine Kleinen an die Sache herangegangen waren. Außerdem schwoll mir die Brust vor Stolz und Freude, als sie meinten, dass sie morgen unbedingt ihre Reise durch den Immerwald fortsetzen wollen.