„Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend zu erklären ist“
Guten Morgen @Feuertraum
In deinem OP stehen eine ganze Menge Informationen und auch ein paar Fragen, die hier zum Teil konstruktiv beantwortet wurden. Ich hoffe, ich kann ein paar zusätzliche Informationen und konkrete Beispiele bringen, die dir als Spielleiter helfen können.
Ich möchte diesen Post verfassen, weil ich das Gefühl habe, dass die beschriebene Problematik von vielen Spielleitern nicht nur als dem Spiel schadend, sondern als böswillige Absicht interpretiert wird. Ich finde wichtig, dass man versteht, dass es unterschiedliche Gründe für so ein Verhalten geben kann:
- der Spieler ist unerfahren, hat abweichende Erwartungen
- der Spieler hat das Gefühl die Gruppe läuft in eine falsche Richtung und er möchte mehr aus dem Abenteuer rausholen
- der Spieler hat Angst nicht gesehen zu werden und braucht ganz besonders viel Aufmerksamkeit
- der Spieler möchte den Spielfluss aktiv zu seinem eigenen Amüsement sabotieren
- der Spieler möchte gerade lieber wo anders sein
In jedem Fall ist es ein Verhalten, welches dir als Spielleiter Kummer bereitet und weshalb du verschiedene Möglichkeiten hast damit umzugehen. Und je nachdem, wie du die Kosten und den Nutzen abwägst, solltest du dich für die eine oder die andere Möglichkeit entscheiden.
Prävention:
- Schon beim Einladen klärst du deine Erwartungshaltung ab: Wir wollen ein spannendes (Gruppen-)Abenteuer erleben
- Du kannst die Gruppe in die Situation werfen. Warum musst du sie in die Taverne locken? Es ist Abend, sie suchen noch etwas zu essen und ein Bett. Zufällig sind alle im Vollen Krug einquartiert.
- Ihr macht eine aufwendige Charaktererstellungsphase, in der bereits Verbindungen zwischen Charakteren festgehalten werden, Motivationen abgeklärt werden und auch eine stimmige Gruppe erstellt wird
(4. vor allem in neuen Runden: Nur gute Gesinnungen zulassen)
Reaktion:
- Informiere den betroffenen Spieler über Gefühle, die in ihm auftauchen. „Er hat so eine Ahnung, dass heute in der Taverne sein Schicksal auf ihn wartet.“ oder „Du hast ein schlechtes Gewissen, dass du ständig deinen Mitstreitern teile des Schatzes vorenthälst“ oder „du bekommst Mitleid mit dem Bauern und seiner Familie“ - Ob der Spieler diesen Gefühlen nachgeht oder nicht, das bleibt dann ihm überlassen. Aber Gefühle sind auch im richtigen Leben keine Dinge, die wir uns aussuchen.
- Gib dem betroffenen Spieler eine Vision oder einen Traum. Bitte ihn dafür vor die Tür. Auch hier kannst du den subtilen Weg gehen und ihm ein Märchen erzählen, welches ihn motiviert oder du kannst ihn abseits der Gruppe darauf hinweisen, dass sein Verhalten nicht förderlich ist und er diese Spielweise überdenken sollte
- Bewusst schädliches Verhalten, das sich trotz Absprache nicht ändert, kann nicht toleriert werden. Du bist als Spielleiter nicht dafür Verantwortlich, dass ein Freund oder Bekannter sich als Mensch weiterentwickelt. Und auch im realen Leben gilt: Taten haben Konsequenzen und unter Umständen heißt es, dass man zu einem (Gruppen-)Abenteuer nicht wieder eingeladen wird
(4. Spieler an ihre Gesinnung erinnern)
Motivation:
Du schreibst, dass der Spieler keine Motivation hat sich der Gruppe anzuschließen. Das sehe ich ganz anders.
Spielermotivation:
- Ich möchte Teil eines (Gruppen-)Abenteuers sein
- Ich möchte eine gute Zeit mit ein paar anderen Menschen oder bestenfalls meinen Freunden haben
- Ich möchte lernen im Team zu arbeiten
Davon zu unterscheiden ist die Spielercharaktermotivation:
- Reichtum
- Macht
- Ruhm
- Das Bedürfnis etwas gutes zu tun
- Persönliche Verbindungen, Verantwortungen, etc. (eigentlich sind die Möglichkeiten unbegrenzt)
Dagegen ist jeder Charakter, der keine Motivation besitzt sich der Gruppe anzuschließen ein NPC. Demnach kannst du einem Spieler, dessen Charakter halt so ist gerne darauf hinweisen, dass er einen schönen NPC hat und er doch bitte einen PC auspacken oder erstellen möchte oder auf einen von dir gestellten PC zurückgreifen möge.
Meine Erfahrungen aus den letzten 2 Abenteuern:
Ich habe nach 20 Jahren endlich mal wieder 2 Rollenspielrunden gefunden.
In der ersten Runde habe ich einen bereits bestehenden Charakter gespielt, meine eigenen Erfahrungen und Erwartungen über Bord geworfen und mich erst einmal mit der Gruppe vertraut gemacht, indem ich mehr oder weniger deren Ideen blind gefolgt bin. Weil mein Charakter eben so ist. Und es hat einfach Spaß gemacht seine Motivation nicht weiter zu hinterfragen und mit den Leuten voranzukommen, anstatt alles auszupacken, was ich an Wenns und Abers hatte. Denn seien wir ehrlich, wenn wir als Gruppe scheitern, dann kann es trotzdem ein cooler Abend gewesen sein.
Die zweite Runde war mit meinen Geschwistern und zwei Anfängern und was soll ich sagen: Es gab einen roten Faden, aber mit war die Motivation etwas gutes zu tun und ein Abenteuer zu erleben nicht gut genug und habe krampfhaft einen Auftraggeber gesucht, während meine Schwester keine Lust hatte und mit der Frage „warum sollte ich das überhaupt tun“ beschäftigt war. Alles in einem wurde der Plot ewig aufgehalten und auch wenn es für die Neulinge ein cooles Abenteuer war, hatte ich 'ne Menge unnötigen Frust, der durch etwas Tatendrang leicht zu beheben gewesen wäre.
Der Punkt ist: Wenn einer immer quer schlägt, dann kannst du ihn bitten heute mal anders zu spielen, nur um es mal zu probieren, wie es sich für ihn anfühlt.
Das Schwarze Auge
Ich lese gerade alte Abenteuer aus dem Schwarzen Auge und die haben eine sehr brachiale Methode, um diesem Problem entgegenzuwirken. Es gibt einen Prolog, der sich in der Regel über zwei Seiten erstreckt und man kann sich als Spielleiter überlegen, wie viel man davon vorlesen möchte – oder auch nicht. Dazu gibt es zu jedem Abenteuer ein paar vorgefertigte Charaktere, damit Spieler die Möglichkeit haben auf diese zurückzugreifen. Der Prolog könnte dabei (das ist eine stark gekürzte Version) so aussehen:
Johann Björnson wacht auf. Ihm brummt der Schädel. Er sieht sich um und findet sich auf einem Schiff wieder. Ein großer Mann spricht ihn an:“Na, du lebst ja doch noch.“… (Im Gespräch wird von einem Schiff berichtet, auf dem ein Dämon einen Kristall bewacht, der ein Portal zu einer anderen Welt öffnen soll, um dieses Land mit seinesgleichen zu überrennen).
„Das muss um jeden Preis verhindert werden. Aber es ist nicht leicht, den schwarzen Diamanten an Bord des fremden Schiffes zu finden und mit Hilfe eines magischen Elixiers, das der Magier Rakorium bereithält, zu zerstören. Es drohen schreckliche Fallen, erbarmungslose Feinde und entsetzliche Ungeheuer… doch ihr wisst, welchen Ruhm ihr mit der Zerstörung des Diamanten erlangen werdet und die Kreaturen haben Schätze angehäuft, die eurem Geldbeutel wohltun würden.
Wollt ihr es wagen? Die Matrosen machen gerade eine Jolle zum Übersetzen fertig. Wer wird in der ersten Abenteuergruppe sein? Johann Björnson? Kim Shayenne? Einer der anderen, die uns flüchtig begegnet sind? Oder wollt ihr es allein riskieren? Wem soll der Magier Rakorium das Elixier geben? Entscheidet euch schnell, damit das Abenteuer beginnen kann.“
Wer noch keinen Abenteurer ausgewürfelt hat, sollte es jetzt tun. Es wird höchste Zeit, denn die anderen haben schon in der Jolle Platz genommen und warten ungeduldig. Ihr könnt aber natürlich auch einen der vorgewürfelten Charaktere wählen. Was auch immer ihr tut, beeilt euch!
Das ist zwar mit dem Knüppel auf dem Kopf, aber auf der einen Seite feuert es die Stimmung an und auf der anderen Seite kann kein Spieler einen Charakter haben, der nicht in die Jolle steigt – und wenn doch, dann kann er gerne vom Schiff aus den anderen zuschauen, wie sie am Horizont verschwinden.
Ich möchte noch so viel mehr schreiben, aber irgendwann wird es auch einfach zu viel. Ich hoffe das hilft dir weiter und viel Erfolg in deinen zukünftigen Abenteuern.