Paradiese der Sonne

In der Edition Phantasia liegt nun mit „Paradiese der Sonne“ ein Klassiker der Science Fiction in Neuauflage vor, das Original war 1962 unter dem Titel „The Drowned World“ erschienen und in Deutschland als „Karneval der Alligatoren“ veröffentlicht worden.

In einer nahen Zukunft hat sich die Erde durch ungewöhnliche Sonnenstürme stark verändert: Die erhöhte Aktivität der Sonne hat die Atmosphäre so stark aufgeheizt, dass die Erde ihre Ionosphäre verloren hat und quasi kocht. Die Menschheit hat ihre alten Siedlungsgebiete aufgeben müssen und besiedelt nur noch Gebiete jenseits des nördlichen Polarkreises, wo die Temperaturen wenigstens erträglich sind. Ballard erzählt die Geschichte einer Forschergruppe, die durch Mitteleuropa zieht um zum einen noch verbliebene Menschen zu evakuieren, zum anderen die entstandenen Lagunen und Urwälder zu kartografieren und um die Entwicklung der Natur zu untersuchen. Die Natur hat nämlich auf die steigenden Temperaturen reagiert und angefangen, sich zu einer dem späten Trias (an anderen Stellen aber auch dem Perm, Karbon und Jura) als ähnlich beschriebenen Flora zu entwickeln (nur viel feuchter) – und die Fauna scheint diesen Schritt ebenfalls zu gehen. Echsen entwickeln sich wieder zur vorherrschenden Spezies in den heißen Sümpfen. Aber auch Menschen scheinen von dieser Entwicklung nicht unbeeindruckt zu bleiben – gefesselt von ständig wiederkehrenden Träumen einer fernen Vergangenheit oder einer nahen Zukunft werden ihre Handlungen zunehmend irrationaler. Das Auftauchen eines Trupps Plünderer, die zu allem Überfluss auch noch beginnen, die Lagune trockenzulegen und die darunter liegende Stadt wieder auftauchen lassen, führt zur direkten Konfrontation von Vergangenheit und Vergangenheit und fordert eine Entscheidung!

Anders als man vielleicht vermuten könnte, zelebriert Ballard im vorliegenden Roman kein Endzeitspektakel oder gar einen Katastrophenroman – die Klimakatastrophe ist unumkehrbares Fakt und das Schicksal der Menschheit wird nur am Rande erwähnt. Ballard geht tiefer – er fokussiert sich auf seine Protagonisten und insbesondere auf das, was die veränderte Welt in deren Psyche anrichtet. Natürlich sind die geschilderten Folgen auf diese objektiv betrachtet spekulativ, aber das ist SF ja eigentlich immer. Ballard verdichtet das Gefühl der Antriebslosigkeit, das vermutlich jeden schon mal an einem zu heißen Tag befallen hat, steigert es über das normale Maß hinaus und kombiniert es mit alptraumhaften Eindrücken zu einem Gesamtbild, das mich stellenweise an die erdrückend verzweifelten Dschungelszenen beispielsweise eines Apocalypse Now erinnert. Die schwüle Hitze der Tage, die Ziellosigkeit der Protagonisten, die erdrückende Übermacht einer in Urzeiten zurückgeworfenen Natur, all das scheint fast greifbar aus den Sätzen zu rinnen.
Überhaupt die Sätze – Ballard pflegt einen verschachtelten, mit unter schwer zu verfolgenden Satzbau, der dem Leser manche Hindernisse in den Weg legt – fast wie die Natur seinen Protagonisten. Ein Beispiel zum Genießen:

Zwanzig Meilen entfernt hüllten Frühnebel noch den Horizont ein, enorme Schwaden goldenen Dampfs, die wie durchscheinende Vorhänge vom Himmel hingen, aber die Luft über der Stadt war klar und leuchtend, die Auspuffgase des Helikopters funkelten und schienen eine lange, krakelige, verblassende Signatur zu bilden.
Und es geht noch schöner…
Leider offenbaren sich bei längerer Lektüre auch einige Schwächen sowohl des Autors als auch der vorliegenden Ausgabe. Zum einen empfinde ich es inzwischen als überflüssige Erschwernis des Leseflusses, wenn ein Buch aus dem Jahr 2008 noch von der alten Rechtschreibung beherrscht wird. Viele Änderungen zwischen den beiden Regelungen fühlen sich noch in beiden Schreibweisen vertraut und richtig an, andere dafür umso falscher. Zum anderen scheint der Übersetzer an manchen Stellen ebenfalls Probleme mit dem Satzbau des Autors gehabt zu haben, da z.B. auch falsch gewählte Artikel mitunter den Lesefluss zusätzlich behindern.
Während der Rhythmus der Trommelwirbel rings um ihn ertönte und fast den tieferen Pulsschlag überdeckte, der noch leise in den Tiefen seines Verstandes erklang, hing er mit dem ganzen Gewicht an die Lederschnüre um seine Handgelenke, da er, abwechselnd bei Bewusstsein oder nicht, den Schmerzen gegenüber gleichgültig geworden war.
Aber auch der Autor, der auch als „Großmeister der Science-Fiction-Literatur“ (Die ZEIT 08.09.2005 Nr.37) bezeichnet wurde , war zum Zeitpunkt dieses Werkes noch nicht auf der Höhe seines Schaffens, da die Protagonisten der Buches seltsam eindimensional bleiben – gerade bei einem Buch, das sich so sehr auf psychologische Einflüsse fokussiert, ist dies eine bedauerliche Schwäche.

Nichts desto trotz ist Paradiese der Sonne ein faszinierendes Buch, das gerade durch solche Flutkatastrophen wie in New Orleans, aber auch durch den, wenn auch bei weitem nicht so dramatischen Klimawandel bereits vorhandene Bilder bedient. Wie einschlechter Traum fesselt das Buch den Leser und entlässt ihn in ein Ende, bei dem ihm nicht klar ist, ob er es nun schlecht oder gut für die Protagonisten finden soll. Pädikat empfehlenswert!

Wie ich bei der Recherche zu dem Buch herausfand, ist Paradiese der Sonne Teil eines vierbändigen (nicht zusammenhängenden) Zyklus über die Elemente, des weiteren bestehend aus „Der Sturm aus dem Nichts“, „Welt in Flammen“ und „Kristallwelt“, von denen nur letzteres zur Zeit außerhalb von Antiquariaten erhältlich ist, da ebenfalls in der Edition Phantasia erschienen. Ich bin ehrlich gespannt, was die noch ausstehende Lektüre noch an literarischen Perlen bereithält.

J.G. Ballard wurde 1930 in Schanghai geboren und ist ein britischer Auor, der vor allem durch SF-Romane bekannt wurde, die in durch jahrzehntelange Ausbeutung aus dem ökologischen Gleichgewicht gebracht wurden (frei nach: „Encyclopedia Britannica“). Insgesamt jedoch zeichnet sich sein Werk durch eine beeindruckende Breite aus, unter anderem auch bestehend aus dem autobiografischen „Das Reich der Sonne“ (verfilmt von Steven Spielberg) oder „Crash“ (verfilmt von David Cronenberg), das Teil seiner Dystopie Trilogie ist. Sein letzter Roman erschien 2006.
Weitere Informationen finden sich in dem sehr ausführlichen Artikel in der englischen Wikipedia.

AW: Paradiese der Sonne

Finde es immer wieder erfreulich wenn Bücher mit einer verhältnismäßig kleinen Seitenzahl hier gerade mal (224 S.) eine derartige Tiefe vermitteln können, dass man ins Schwärmen kommt so wie Sonic_hedgehog