Prolog
Mein Bruder war ein Arsch! Und ein Sadist. Bis er über die Zinnen unserer Burgmauer stürzte, unten auf dem Grundgestein hart aufschlug und sich dabei alle Knochen samt Genick brach. Jetzt ruht er in der Gruft neben den anderen Sadisten unserer Familie.
Wir waren drei Brüder, Janosh, Terrec und ich. Aufgewachsen auf der Burg Ferrystein als Söhne des Burgherren, irgendwo im Osten dieser vergammelten Grenze. Ausgestattet mit wenig Pflichten, dafür aber mit umso mehr Rechten, pflegten wir das Leben des jungen unbeschwerten Adels. Wir wurden unterrichtet im Recht des Stärkeren, im Waffengang wie auch im waffenlosen Kampf und in den drei Ausprägungen der Etikette des Hofes: Protzen - Verbeugen – Arschlecken.
Janosh wird unserem Vater nachfolgen, erbt die Burg und den Titel. Zugegeben, er ist auch der intelligenteste von uns. Aber, und das möchte ich hier ausdrücklich betonen, eben auch ein Arsch. Nicht auf Terrecs direkte Art und Weise, sondern subtiler, feiner, hinterlistiger. Terrec, der mittlere von uns, wäre Janoshs rechte Hand geworden. Sein Laufbursche, der Mann fürs Grobe, sein Hund. Und ich? Ich wäre nichts. Den Dritten braucht niemand, einzig eine Gefahr für die über dem Dritten. Kein Titel, keine Aufgabe. Mein Leben - nur Langeweile und Müßiggang. Ein Hoftanz hier, ein Ritterturnier dort, irgendwann mit einer Edeldame dritten Ranges verkuppelt, verheiratet und verrottet. Doch es kam anders.
Ich freundete mich mit einer unserer Küchenmägden an. Sie hieß Anabell, war wahrscheinlich um die 14 Jahre und recht hübsch, mit für dieses Alter mehr Weiblichkeit ausgestattet, als im Nachhinein gut für sie war. Es dauerte nicht lange und wir fanden ins im Heuschober wieder. Wir lernten den anderen kennen - seine Seele, seinen Körper. Wir liebten uns inniglich. Es war eine grandiose Zeit! Und ich hätte schwören können, dass ich sie liebte. Wahrscheinlich habe ich ihr das auch gesagt – aber so genau weiß ich das nicht mehr. Irgendwann stand Terrec auf dem Heuboden und schaute zu. Was er sah, musste ihm wohl gefallen haben und er beanspruchte Anabell für sich. Immerhin seien wir des gleichen Blutes, er mein Bruder, dazu noch der ältere. Es sei sein Recht. Schlichte Terrec-Logik. Ihr blieb nichts anderes übrig, mir der Scham. Drei Tage später schubste ich ihn über besagte Mauer.
Nach der peinlichen Befragung durch den Burgherren war der Hergang aufgedeckt. Ich, des Mordes an meinen eigenen Bruder überführt, verlor sämtliche Ansprüche, meinen Familiennamen und meinen Siegelring. Dafür erhielt ich unverhofft die Gnade des Lebens, mein eigen Hab und Gut, sofern ich es selbst tragen konnte, und die Vogelfreiheit. Das wiederum ist normaler Weise gleichbedeutend wie der Tod. Janosh stand übrigens neben meinem Vater. Er grinste.
Ich aber habe vor zu leben. Ich werde mir mein Geburtsrecht wiederholen, die restlichen Ärsche meiner Familie auslöschen! Ich bin Harton von Burg Ferrystein und irgendwann erster seines Namens!
Und Anabell? Der Burgherr erwies ihr die Gnade des Balkens. Dort baumelt sie nun, weniger hübsch anzusehen als vorher. Sie hat meinem Vater zwei Söhne geraubt. Welches Urteil hätte er sonst sprechen sollen. Erwähnte ich schon, dass auch er ein Arsch ist? So wie unsere ganze Familie?