AW: Wahnsinn oder Wahrheit?
Ich kann dem vorher gesagtem nicht ganz folgen, da ich den Text anders sehe:
Er beginnt ja mit der Schilderung einer Möglichkeit und der Folgen des Eintretens dieser Möglichkeit:
Und wenn wir diesen Kampf verlieren, dann wird sich alles entscheiden. Alles. Die Barriere zwischen Gut und Böse wird sich lösen, alles verschwimmen und zu einem viel größeren Feind zusammenschmelzen. Es wird nichts mehr dagegen zu machen sein, wenn wir diesen Kampf verlieren. Wir werden zu Grunde gehen, werden uns nach der Zwietracht zwischen uns und ihnen sehnen, werden darum betteln die alte Ordnung der Sterne zurück zu erlangen. Und man wird es uns versagen.
Jetzt würde ich eigentlich erwarten, dass an dieser Stelle folgt, was passiert wenn doe Möglichkeit nicht eintritt oder eine Idee geschildert wird, wie die Niederlage abzuwenden sein könnte. Kommt aber nicht:
Vielmehr folgt die Feststellung, dass die Gruppe, der der Erzähler angehört, ihre Niederlage selbst verursacht und es werden Gründe für diese Festellung geschildert:
Wir sind die Zerstörer, wir, die glauben mit Kampf werden Feinde zu Freunden, mit Krieg werden Probleme erlöschen und allesamt würden wir glücklich werden. Diese Annahme ist der größte Irrtum, der größte Fehler den wir alle jemals begangen haben, begehen und begehen werden. Es wird unser lasterhaftes Manko sein darüber zu grübeln. Die sieben Todsünden werden uns heimsuchen. Die Büchse der Pandora wird sich öffnen und uns alle in unseren schlimmsten Alptraum stürzen. Wir werden an unserer Gier, an unserem Neid, zu Grunde gehen, unausweichlich. Niemand kann uns daran hindern, …
Und dann folgt ein Bruch:
…denn wir wollen übersehen was dem Kleinsten von uns klar ist.
Ich finde es interessant, dass hier nicht steht: …klar sein müsste. Das gibt dem gaanzen eine andere Bedeutung - da es jedem Mitglied der beschriebenen Gruppe die Möglichkeit nimmt, nicht Bescheid zu wissen oder die Folgen des Handelns falsch einzuschätzen. Der Erzähler geht also davon aus, dass die Gruppe sich absichtlich vernichtet.
Es ist unmöglich uns daran zu hindern in den Tod zu springen. In die Vernichtung einzutauchen und nie wieder daraus hervor zu stoßen. Wir werden unter der Oberfläche unserer Sünden ertrinken am Schmutz des Negativen. Niemand kann uns daraus helfen. Wir werden jämmerlich an uns selbst verrecken. Und wir verdienen es nicht anders. Wir alle nicht. Wir sind eine unausgereifte Spezies, dumm und töricht.
Soweit, so bekannt, diese Voraussage der Folgen der Niederlage hatten wir schon mal ebenso die Feststellung, dass der Gruppe der Wille fehlt, gegen das Drohende anzugehen. Aber jetzt kommt ein neuer Punkt:
Während wir die zerstören, die sich den Gepflogenheiten dieser Welt anpassen und gleichwohl auch die Ressourcen bis zuletzt verbrauchen, verhindern wir, dass wir je wieder eine Chance auf Heilung haben. Die, die nach den Gesetzen der Welt leben, sind nichts weiter als Unwürdige in den Augen der großen Mächte.
Offenbar gibt es neben der Gruppe, die der Erzähler bisher beschrieben hat (und der er sich zugehörig fühlt), auch noch eine andere Gruppe. Nicht klar wird für mich, ob der Erzähler der Meinung ist, dass die Handlungen dieser Gruppe die Niederlage abwenden könnten - würde auch die andere Gruppe so handeln. Das liegt daran, dass der Teilsatz “und gleichwohl auch die Ressourcen bis zuletzt verbrauchen” sich sowohl auf die erste, als auch auf die zweite Gruppe beziehen kann. Der Satzbau bleibt hier unklar.
Auch bleibt unkar, wer die großen Mächte sind - entweder ist das die erste Gruppe oder aber eine dritte. Darüber kann man spekulieren, leider gibt es im Rest des Textes keuine Hinweise auf unterschiedliche Mächtegruppen.
Hier geht es nicht darum die Welt vor uns zu retten… Irgendwann müssen wir uns vor der Welt retten, denn irgendwann schlägt sie zurück - und wir werden das nicht überleben. Wir überdauern vielleicht die Übergangsphase in jene Welt, wie sie eigentlich sein sollte, doch nur um daran schrecklich wahnsinnig zu werden, weil wir mit einem Schlag feststellen, wie die Welt hätte für uns aussehen können, wären wir nicht die unterbelichtete, beschränkte Art die jemals auf die Erde losgelassen wurde….
Zum Abschluss dann noch eine Anlehnung an die christliche Apokalypse: Dem Untergang folgt die Errichtung des Himmelreichs auf Erden, welches die Sünder nicht betreten dürfen sondern in den Feuern der Hölle braten müssen.
In der Summe fehlt mir also der Gegenstandpunkt - die zweite Möglichkeit, die eintritt, wenn die Gruppe den Kampf nicht verliert.
Entweder folgt diese später im Text oder der Erzähler sieht diese Möglichkeit nicht und verwendet das “wenn” zu Beginn nicht konditional (wie von mir angenommen) sondern temporal. Dann wäre der gesamte Text als Kapitulation des Erzählers (und der Gruppe, der er angehört) zu verstehen. Ob er recht hat oder wahnsinnig ist - das kann nur der Kontext zeigen.
Daher verstehe ich Teile des vorher geschriebenen nicht:
@Tufir: Du verstehst denn Text also als philosopische Ausdeutung des Suum cuique durch einen Erzähler, der die Schuld seiner Gruppe erkennt und entschlossen ist, die Konsequenzen als unabwendbar hinzunehmen, oder? Wenn das wenn zu Beginn temporal ist, dann stimme ich Dir zu.
@Gordovan: Wo findest Du die Aufforderung zum Weitermachen oder Hinweise auf die Gene? Ich sehe in dem Text eher die willentliche Entscheidung zur Selbstzerstörung als dahingehende Gängelung.
@Torwächter: Was die Wut angeht, so stimme ich Dir zu, ebenso in Bezug auf die tendenz zu Selbstvernichtung. Ob allerdings das Gerechtigkeitsempfindeb des Erzählers verdreht ist, würde ich nicht festlegen wollen - denn ohne den Kontext kann man das nicht beurteilen. Außer man geht davon aus, dass der Text nicht fiktional ist. Dafür gibt es aber im Text keine Hinweise, nur Lucas Interpretation geht dahin.
@Luca: Das ist auch der Fehler den Du machst:
Die Art, wie Du den Text präsentiert hast, gibt uns keinen Kontext und lässt auf einen Ausschnitt aus einem längeren fiktionalen Text schließen. Daher ist es nicht möglich, aus dem Geschriebenen Rückschlüsse auf die Realität zu ziehen. Außer Du weißt anderes über den Text und kennst die Bezüge. Sollte der Text also nicht fiktional sein, würde ich ihn als fatalistischen Blödsinn, bestenfalls als fatalistische interpretation des Suum cuique interpretieren - könnte ihm aber nicht zustimmen. Nur diskutierten wir dann hier nicht einen literarischen Text, sondern die reale Frage, ob die Menschheit sich selbst vernichtet. Das kann man auch machen, sollte man aber vorher erwähnen.
Aber auch unabhängig davon: ich sehe in diesem Text keinerlei Hinweise darauf, dass der Erzähler irgendwelchen “Egoisten auf dem Thron” die Schuld gibt, noch darauf, dass der Erzähler der Meinung ist, dass er helfen könne und durch die Umstände daran gehindert wird. Noch nicht mal dafür, dass die einzelnen Mitglieder der Gruppe bereit wären, das Schicksal abzuwenden und mit erreichen einer Machtposition diesen Willen verlieren, finde ich Hinweise - dem “kleinsten” ist zwar das drohende Schicksal bewusst, es deutet sich aber nirgends an, dass er den Willen hat es abzuwenden.
Sollte das in dem Text gemeint sein, so müsste man ihn anders formulieren und die verschiedenen Gruppen vereinen, die dort beschrieben werden, so dass es eine Mehrheitsgesellschaft gäbe, die sich selbst vernichtet, eine kleine Gruppe, die versucht das zu verhindern und die von den mächtigen der Mehrheitsgesellschaft daran gehindert wird. Diese Interpretation gibt aber der Text in seiner jetzigen Form mMn nicht her.
Und was die Frage betrifft, aus welcher Motivation heraus der Autor den Text verfasst hat: Man sollte nie, den Erzähler mit dem Autor gleichsetzen. Es mag möglich sein, Patrallelen zu ziehen, aber dafür muss man den Autor kennen. Nur aus dem Text auf den Autor zu schließen, ist eine unzulässige Spekulation und widerspricht den Grundprinzipien der Literatur.