Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea

[JUSTIFY]Sitzung 108 - Besuch aus Fürstenbad

Die Geschichten von Neire mussten leider noch etwas warten, denn wir hatten wirklich ein Problem. Wir waren immer noch in der großen Halle unter dem Thronsaal und wussten nicht was mit Urrungfaust passieren sollte. Die anderen hatten schon angefangen die Berge von Schätzen zu verstauen. Es stank grauenvoll nach verbranntem Fleisch. Das Fleisch des Königs und seiner Ritter. Aber auch nach meinem Fleisch. Der Trank der Heilung hatte zwar in Windeseile die Wunden wieder geschlossen, dennoch zuckte mein ganzer Körper zusammen bei der Erinnerung. Halbohr schien auch nicht ganz er selbst zu sein. Er hockte auf dem Boden und spielte mit einigen Münzen. Tauschte sie aus, stapelte sie und entfernte einige. Vielleicht war es aber auch kein Spiel. Vielleicht versuchte er einen viel zu komplizierten Plan auszuarbeiten, wie es nun mal seine Art ist. Und der gehäutete Leib des kolossalen Lindwurms schien alles aus seinen toten Augen zu beobachten.

Jetzt galt es unser Problem zu lösen. Der König war nur noch ein verbranntes Etwas, doch wir brauchten einen König. Wir konnten uns nicht durch die ganze Stadt Urrungfaust kämpfen. Doch genau das würde passieren, wenn wir ohne den König wieder auftauchen würden. Die Lösung unseres Problems sollte Daera Düsterung sein. Die wunderschöne Dame mit ihren schwarzen Tätowierungen, die auf ihrer milchig weißen Haut im starken Kontrast hervorstachen, hatte die Fähigkeiten dazu. Offenbar konnte sie nicht nur den Geist von anderen beherrschen, wie auch Neire, sondern sie verstand es auch ihre Gestalt zu ändern. Sie hätte am liebsten die Frau gespielt die wir kurz im Thronraum gesehen hatten, doch half uns dies nicht bei dem Problem mit dem König. Schließlich, nach zeitraubenden und langweiligen Diskussionen, stand der Plan. Daera würde die Gestalt des Königs Granryks annehmen. Fehlten noch die Grauwegur Ritter. Wenn einer der Ritter fehlen würde, würde dies sicherlich nicht besonders auffallen. Doch wenn alle fehlten, würden sich unangenehme Fragen anschließen. Also schafften wir einige Orks aus dem Tempel des Jensehers heran. Und dann wurde ich mit in das Versteckspiel einbezogen. Ich hatte eine Idee und niemand sollte die schweinsähnlichen Kreaturen für etwas anderes als stolze Grauwegur Ritter halten. Ich half nach und mit der Hilfe der Herrin ließ ich ihre Knochen, Haut und Haare zu denen der Duergar werden. Zusätzlich brach Neire mit seinen Augen des Jensehers ihren Geist. Sie sollten nicht nur so aussehen wie Nachtzwerge, sondern sie sollten alles vergessen was sie vielleicht vorher gewesen waren. Einige widerstanden wie durch ein Wunder. Sie wurden getötet und entsorgt. Wir konnten es uns nicht erlauben, dass eine geistige Stärke in diesen Kreaturen heranwuchs. Andere konnten die Schmerzen, die die Umwandlung ihnen bereitete, nicht aushalten. Sie verwandelten sich in verkrümmte Abscheulichkeiten. Irgendetwas zwischen Ork und Duergar, bevor ihr Herz den Qualen nicht mehr standhalten konnte. Irgendwann hatten wir genug, um sie in die Rüstungen zu stecken. Einer fehlte jedoch immer noch. Die letzte Grauwegur Rüstung war durch die Flammen komplett verbogen und nicht mehr zu gebrauchen. Aber das war nicht schlimm. Dann würde eben ein Grauwegur Ritter immer gerade auf Botengängen sein. Auch Daera war nicht untätig geblieben. Als wir mit den verwandelten Orks aus Nebelgard zurückkamen (Neire ist dortgeblieben), war von ihr nichts mehr zu sehen. Aber wir standen plötzlich wieder vor dem König Granryk von Werunstein, als wenn ihm kein Haar gekrümmt worden wäre. Jedes kleinste Detail hatte sie nachgeahmt. Nur weil sie gerade neben dem verkohlten Leichnam stand konnte ich überhaupt auf den Gedanken kommen, dass dies in Wahrheit Daera war. Sie wies die Orks im Körper der Duergar zurecht und sie zogen sich die Rüstungen an. Sie waren noch etwas ungeschickt dabei und brauchten Hilfe. Der falsche König hatte auch die Rüstung angezogen und Waffen und Schild geschultert. Zusammen gingen sie wieder zurück in den Thronsaal. Wir warteten erst einmal bis Daera sich umsehen konnte, ob irgendjemand schon Verdacht geschöpft hatte. Daera wolle auch herausfinden wer diese Frau gewesen war, die mit König Granryk von Werunstein bei unserem Besuch gesprochen hatte.

Nach etlichen Stunden kam Daera wieder zurück. Ihr Gang war überaus selbstsicher. Und sie hatte den Rat, den ihr ihr gegeben hatte, bereits berücksichtigt, dass der König des Öfteren in das Lachen eines Säufers gefallen sei. Bereits jetzt konnte sie es täuschend echt nachahmen. Daera berichtete, sie fände die Frau nicht mehr wieder. Niemand hatte sie wieder gesehen. Offenbar war es die neue Gemahlin des Königs, Thunriel von Grauroch. Die alte Frau, Idriania von Werunstein war wohl vor kurzem gestorben. Ich fand es merkwürdig, dass die neue Königin nicht auch den Namen des Mannes angenommen hatte. Sollte vielleicht der alte Wurm Thiangjort etwas damit zu tun gehabt haben? Aber wer weiß schon, welche Gepflogenheiten bei den Nachtzwergen geduldet werden und vielleicht war es ja die neue Frau des Königs. Daera hatte etwas über einen Sohn des Königs, Breodin von Werunstein herausfinden können. Obwohl er als Abkömmling der nachtzwergischen Rasse noch im Alter eines Kindes, vielleicht eines Heranwachsenden, war, schien er doch stärker zu sein als man meinen könnte. Vielleicht würde er uns irgendwann einmal Probleme bereiten, aber jetzt widersetzte er sich den Befehlen des neuen Königs nicht. Und der erste Befehl war, dass ein neues Bündnis mit Unterirrling geschlossen werden sollte. Dieses Bündnis sollte den Grundstein für den Reichtum von Urrungfaust legen. Und in Wahrheit sollte Urrungfaust an den Tempel des Jensehers und damit an Jiarlirae gebunden werden.

Für uns gab es nichts mehr zu tun und wir verließen die stinkende Stadt des Unterreichs über die breite Brücke, auf dem Weg auf dem wir gekommen waren. Es war das gewaltige Bauwerk über den See von Arbolbaar, das von den Nachtzwergen Brücke Irrlingglomm genannt wurde. Keiner behelligte uns auf den Weg, auch wenn uns einige immer wieder misstrauische Blicke zuwarfen, vor allem unserem „Meister Halbohr“. Wir waren fast schon über die breite und imposante Brücke gelangt, als Bargh etwas Merkwürdiges auffiel. Er zeigte in die Richtung, in der die Brücke sich dem Ufer der Höhle näherte. Keiner von uns verstand im ersten Moment worauf er hinaus wollte, bis er sagte: „Schaut, die Wägen!“. Dann fiel es mir auch auf. Der immerwährende Strom von Karren, Kutschen und Kolonnen war in unsere Richtung abgebrochen. Einige Wägen betraten gerade noch die Brücke um ihre Waren in Urrungfaust anzubieten, doch es kamen keine neuen aus dem Dunkel der Tunnel. Halbohr sprang schnell zu einem der letzten Wagen. Der ältere Nachtzwerg der ihn zusammen mit seinem Sohn führte, erkannte ihn fast direkt. Er wusste auch etwas, doch die Gier dieser Geschöpfe war unermesslich. Selbst für eine einfache Frage wollte er bezahlt werden. Ich hätte ja die Worte mit glühendem Stahl aus ihm heraus gebrannt, doch Halbohr war schwach und gab nach. Zwei blitzende Citrine hielt er ihm vor seine knollige Nase. Das lockerte seine Zunge. Er erzählte, dass sie tatsächlich in den Tunneln etwas gesehen hatten. Ein Glitzern von Metall, wie von Rüstungen. Das war auch gar nicht weit weg gewesen. Und er hatte Stimmen gehört. Sein Sohn bestätigte es. Er hatte sogar etwas mehr gesehen: Die Schatten von Gestalten, die aber viel zu groß waren um Duergar sein zu können.

Das Ganze war sehr besorgniserregend. War neben dem Tempel und Urrungfaust noch eine dritte Macht im Spiel die sich bisher bedeckt hielt? Das sollte und durfte nicht sein. Wir mussten die einzige Macht sein und unsere Vorherrschaft durfte von niemanden angefochten werden. Lyrismar nahm magischen Kontakt zu Neire auf. In seinem Geist hielt er eine kurze Zwiesprache mit Neire, der weit weg im Tempel des Jensehers verweilte. Er fragte den Propheten des Tempels des Jensehers um Rat. Neire berichtete, dass dort ein Spitzel ausfindig gemacht wurde. Dieser hatte unseren Weg und unsere Ziele verraten, nämlich, dass wir von Urrungfaust aufbrachen. Wer dieser Spitzel war und von wem er bezahlt wurde wusste er noch nicht. Die Folterungen brachten jedoch eine Spur, die nach Fürstenbad führte. Barghs Gesicht wurde grimmig als Lyrismar die Worte die er hörte wiederholte. Was wollten sie hier und was hatten sie mit uns zu tun? Wollten sie an Bargh Rache nehmen? Oder war es nur reiner Zufall? Ich rätselte über die Gründe, als Bargh ein weiteres Mal rief und auf das dampfende und stinkende Wasser des Sees deutete. Jetzt sah ich, was er meinte. Irgendetwas machte eine Spur von Wellen im Wasser, und diese Wellen kamen auf uns zu. Wir zogen unsere Waffen und sprachen unsere Gebete zum Lob von Jiarlirae. Dann brach wie aus dem Nichts die Kreatur hervor, die sich im Tiefflug unsichtbar über das Wasser bewegt hatte.

Ein gewaltiger Schatten der die Lichter der Dunkelfeuer von Urrungfaust schluckte legte sich über uns. Eine Kreatur mit riesigen Schwingen und schuppigen Körper. Hier und da blitzten die Schuppen wie Kupfer auf, doch an vielen Stellen sahen sie aus, als ob das Kupfer vom Grünspan zerfressen wurde. Die Augen der Kreatur brannten in grünem und rötlichem Licht. Der gewaltige Schädel warf sich nach hinten. Doch der Schwanz der Kreatur war kürzer als man es eigentlich erwartet hätte. Ab der Mitte schien es, als ob der Rest weggebrannt wurde. Schwarze vernarbte Schuppen waren das Einzige, was übriggeblieben war. Die Kreatur trug auf ihrem Rücken ein Geschirr mit mehreren Sätteln wovon einer besetzt war, von einer Frau mit langen silbernen Haaren und einer Haut die so hell war wie kaltes Mondlicht. Als ich den Schwanz sah, erinnerte ich mich in einem Buch von so einer Kreatur gelesen zu haben. Dies musste der alte kupferne Drache der Wildweberberge sein, Lysseryth’Branthil. Die Berge, in denen er in den Geschichten lebte, waren ganz in der Nähe von Fürstenbad. Auch wurde von einem Kampf zwischen Lysseryth‘Branthil und einem anderen Drachen mit roten Schuppen erzählt, bei dem der kupferne Wurm als Verlierer hervorging und dabei einen Teil seines Schwanzes einbüßen musste. Der Schädel stieß zu uns herab und aus den Tiefen des Rachens spie er eine grüne Flüssigkeit auf uns alle. Schon als der erste Tropfen meine Haut berührte, brannte es fürchterlich und dann kam der Rest der Flüssigkeit auf mich. Ich musste aufschreien als sich meine Haut begann aufzulösen. Den anderen ging es nicht besser. Und dabei hatten wir noch Glück denn wir konnten alle noch ein Stück zur Seite springen. Auf der Brücke nach Urrungfaust tauchten weitere Gestalten auf. Ganz vorne schritt ein Krieger in einem Feldharnisch aus einem matten Stahl, auf dem Runen und das große Bild eines Adlers prangerten. Unter dem Helm quollen lange blonde Haare hervor und er trug einen purpurnen Mantel über seine Rüstungen. Dieser wehte durch die Schwingen des Drachen zur Seite und ich konnte darauf das widerliche Symbol von Torm sehen. Hinter ihm folgte ein Trupp von Rittern und weiteren Soldaten, die schon ihre Bögen spannten. Der Ritter des Torm stellte sich uns entgegen und brüllte über die Brücke: „Meister Halbohr, ihr werdet bezahlen für eure Taten. Stellt euch ehrenhaft im Kampf und sterbt!“ Ich rappelte mich auf. Sie sollten die wahre Macht Jiarliraes zu spüren bekommen. Ich beschwor einen gleißenden Blitz und schleuderte ihn auf die Drachenkreatur. Doch er fuhr einfach an den Schuppen entlang, ohne dass die Kreatur etwas davon zu bemerken schien. Stattdessen jedoch fuhren die Energien auf die Frau im Sattel die gerade schon begonnen hatte Zauberformeln zu rezitieren. Sie schrie auf, als auch ihre Haut aufplatze und ihr Fleisch begann zu kochen.

Zur gleichen Zeit stürmte Bargh den Rittern entgegen. Das Wappen von Fürstenbad setzte ihn in Rage. Die Schatten von Glimringshert tropften aus der Klinge. Der Ritter erhob sein Schild und Barghs Schwert krachte scheppernd dagegen. Er wollte den Angriff mit seinem Hammer erwidern doch auch Bargh wehrte den Angriff mit seinem Schild ab. Ich hörte das Klingen von Stahl auf Stahl, das für eine Weile tobte. Dann war da ein fürchterlicher Schrei. Glimringshert zog einen Flammenschweif hinter sich und der vor Hitze glühende Stahl fuhr durch das Bein des fremden Ritters. Sauber schnitt Bargh durch Muskeln und Knochen, als ob sie nur aus Luft bestünden. Der stolze Ritter fiel zur Seite, als Bargh sein Bein an der Hüfte abhackte. Dennoch feuerte er unter Schmerzen seine Kameraden weiter an. Die Soldaten in den letzten Reihen entließen ihre gespannten Bögen und ein Pfeilhagel legte sich über uns, während die anderen Ritter an Bargh vorbei stürmten. Sie wollten Halbohr um jeden Preis. Lyrismar beschwor mit seinem Stecken weiter Blitze, aber auch dieses Mal fuhren sie einfach der Schuppen des kupfernen Wurmes entlang in den Körper der Frau hinein. Sie schrie kurz auf, dann fiel der tote Körper mit einem dumpfen Knacken auf die steinerne Brücke. Ihr schöner elfischer Schädel hatte sich geöffnet und etwas Rotes hatte sich dort verteilt. Ich freute mich, als ich sie stürzen sah und musste trotz meiner Schmerzen auflachen, als sie dort am Boden lag. Wie sich nachher herausstellte, hatten wir die alte elfische Hexe der Wildweberberge getötet, die elfische Königin Learwy’thi’Silgur. Die Ritter trafen jetzt auf uns, aber ich und Halbohr erwarteten sie schon. Mein dem Chaos geweihter Säbel blitze nach vorne, viel zu schnell, als dass der Ritter ebenfalls sein Schild erheben konnte. Auch der Dolch von Halbohr fand sein Ziel und stach in den Hals eines anderen Ritters. Bargh war ihnen in der Zwischenzeit gefolgt und griff sie von hinten an, doch als ob seine Wut auf Fürstenbad ihn übermannt hätte stolperte er. Glimringshert dürstete es nach Blut und es war der Klinge egal wessen Blut es werden sollte. So senkte sich der Stahl in Barghs eigenes Bein. Es sah so aus als ob der Kampf nicht gut enden würde für uns, doch dann kam der Prophet von Flamme und Düsternis zu uns.

Wie ein Engel aus Schatten erschien er in der Luft über der Brücke. Sein Gesicht war noch eingehüllt in seinen Mantel, doch konnte ich die blonden Locken erkennen. Aus seiner Hand schossen mehrere glitzernde Geschosse aus Schatten in den Kopf des Drachen die nicht mehr einfach abflossen, sondern an den Schuppen aufplatzten. Die Kreatur brüllte als sich dunkles Blut über die Brücke ergoss und ein riesiges Stück Kupfern-besetztes Fleisch aus ihrem Körper gerissen wurde. Ein Diener des Torm rief die anderen zum Sturm, während er selbst eine Säule der Flammen auf uns warf. Doch Glimringshert konnten die Flammen nicht schaden. Das Schwert saugte sie in sich auf und brach die Macht des schwachen Gottes. Der Anführer der Ritter, ein Krieger mit Namen Sigwolv von Ulminrun, wie wir später erfahren sollten, hauchte seine letzten Atemzüge, während das Blut in Strömen aus dem Beinstumpf floss. Mit einem röchelnden Schrei rief er: „Verzagt nicht, meine Brüder. Tötet sie!“ Dann verdrehten sich seine Augen und er starb in der Gewissheit versagt zu haben. Neire hatte die Wendung gebracht und das ist ihm bewusst geworden. Der Drache war schon in einer Taumelbewegung als weitere Geschosse von Neire in den Körper trafen. Eine gewaltige Wunde platzte dabei auf und die Kreatur rammte mit einem kolossalen Getöse in den Stein der Brücke. Lyrismar beschwor eine Feuersbrunst die sich mit einem Bersten über die restlichen Soldaten legte. Ich sah Teile von Körpern durch den Druck einfach wegfliegen, als ob jemand einen kleinen Zweig aus einem Ast reißen würde. Auch Bargh war wieder auf den Beinen, seine Wunde war zum Glück nicht so tief. Von hinten schnitt das Schwert den Rücken eines Ritters auf und von vorne teilte ich die Kehle eines anderen. Einer nach dem anderen fiel. Doch waren sie verblendet und sahen nicht wie hoffnungslos ihr Kampf geworden war. Der letzte Anhänger des Torms lag in einer Lache seines Blutes. Zitternd versuchte er noch zu sprechen, als ob das, was er sagen würde noch irgendeinen Wert hätte: „Seht was ihr angerichtet habt. Ihr seid mit Dämonen im Bunde…“.

Ich lachte ihn aus, denn ich wusste, dass er log. Nein, wir waren im Bunde mit der Schwertherrscherin Jiarlirae, der Herrin über Feuer und Schatten. Wir hatten Nebelgard, den Tempel des Jensehers, Unterirrling und Urrungfaust erobert, doch ich wollte mehr. Bald schon, sehr bald würde auch Fürstenbad mit meiner Herrin im Bunde sein, oder es würde brennend untergehen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Zwischenspiel 01 - Ringgeist Fraertha

Die Luft des Gemachs roch nach fluoreszierenden Tinkturen, nach den alchemischen Flüssigkeiten, die dort in den Schatten aufgebahrt waren. Für Ungewohnte mochte der Hauch abstoßend sein, zu beißend und zu fremdartig. Neire störten die Dämpfe kaum noch. Zudem musste er sich jetzt konzentrieren. Er musste seine Müdigkeit überwinden, musste sie abschütteln wie eine zweite Haut. Der junge Priester ließ für einen Augenblick seine zitternden Hände sinken und betrachtete die Dietriche, die er zwischen seinen Finger verhakt hatte. Er senkte seinen Kopf mit dem gold-blond gelockten Haar und dachte an die beiden letzten Wochen zurück. Seit der Abreise von Bargh, Zussa und Halbohr, hatte Neire seine freie Zeit in dem alten Lagerraum verbracht. Er hatte wenig geschlafen und die Pläne und Unternehmungen von Halbohr vorangebracht. Doch innerlich war Neire von Zweifeln geplagt gewesen. Er hatte die Tätigkeiten unterschätzt, die Halbohr mit seiner minutiösen Planung verfolgt hatte. Nicht nur die sture Beharrlichkeit Halbohrs hatte Neire nicht aufbringen können, sondern auch die Anweisungen und Unterredungen, die er mit den neuen Dienern Jiarliraes abhalten musste, waren ihm unangenehm. Viel lieber flüchtete er sich in den alten Lagerraum, den er langsam in ein kleines Labor umgerüstet hatte. Hier hatte er die Apparaturen aus Ortnors magischer, extradimensionaler Kammer aufgebaut, die sie vor Barghs Abreise dort herausgeholt hatten. Hier hatte er auch die drei sphärischen Gegenstände aufgebahrt, die Lyrismar Schwefelschimmer ihm vor einigen Tagen aus Urrungfaust gebracht hatte. Die Sphären waren aus Ne’ilurum, besaßen eine Käfig-ähnliche Struktur und Kristallglasverbindungen. Nur ein mattes Licht drang aus den Fenstern aus Bergkristall, die im dunklen Ne’ilurum Stahl eingelassen waren. Doch auch die Gedanken an die wundersame Bestimmung der Sphären, die Neire zu ergründen versucht hatte, waren für den Moment in weitere Ferne gerückt. Neires Aufmerksamkeit lag auf der kleinen bleiernen Tür, die er hinter einem Schrank entdeckt hatte. Sie war verschlossenen; Halbohr, Bargh und Zussa mussten sie wohl übersehen haben. Neire atmete tief ein und begann die Dietriche in das Schloss einzuführen. Er hatte die Tür bereits nach Fallen untersucht und eine giftige Nadel entdeckt. Der Schlossmechanismus war sehr alt und kompliziert. Er musste bereits von den elfischen Erbauern des Tempels konstruiert worden sein. Neire begann die Dietriche an den Kraftpunkten zur fixieren. Seine Hände waren jetzt ruhig. Als er sich sicher war, dass er genügend Halt hatte, leitete er die Bewegung ein. Das Metall der Dietriche begann sich zu spannen, das alte Schloss knirschte. Für einen Augenblick glaubte er, die Fixierung würde reißen. Doch er hatte auch Glück. Die Bewegung hakte nicht und endete schließlich mit einem Einrasten. Neire atmete aus. Sein Herz raste und er hörte seinen Puls in den Ohren. Er zog vorsichtig die Tür auf. Dahinter sah er ein kleines, etwa drei mal drei Schritt großes Gemach liegen. Die Wände waren mit Blei beschichtet. Eine dicke Schicht Staub verhinderte ein Schimmern. Dennoch drang genügend des vielfarbigen Lichtes hier hinein. Der Raum war leer, bis auf ein kleines eisernes Podest. Dort lag ein funkelnder Ring auf einem verwelkten Stück Samt. Neire schlich sich langsam näher und betrachtete seinen Fund. Der Ring war aus einem Kranz von schwarzem Opal, der über glänzendes Mithril geschoben war. Vorsichtig untersuchte Neire das Podest und den Ring nach Fallen und Flüchen. Nur als er sich sicher war, nahm er den Ring auf. Ein merkwürdiges Kribbeln floss durch seine Finger und stieg seinen Arm hinauf. Es war, als würde er ein fernes Flüstern hören. Er versuchte sich zurückzuerinnern. Er hatte schon einmal von einem solchen Ring gelesen. Es musste sich um einen der Svaerendor handeln – ein Arkefakt aus einer fernen Welt; Ringe, die okkulte, mächtige Geisterwesen an sich gebunden hatten. Neire hatte auch von einem alten Fluch gehört, doch er hatte keine direkte Gefahr verspürt. Er begann sich den Ring über den Ringfinger der linken Hand zu ziehen. Das Flüstern wurde stärker. Wie eine ferne Stimme sprach es zu ihm. Lieblich, eindringlich und flehend zugleich. Es war ein besonderer Zustand, in den sein Verstand glitt. Fast wie der, des geöffneten Geistes. Neire betrachtete das funkelnd schwarze und helle Schimmern. Er begann den Ring zu drehen. Zuerst wurde das Säuseln geringer. Dann war es plötzlich da. Ein kalter Windhauch erfüllte den Raum und silbriges Licht war zu sehen. Sein Atem kondensierte in der zuvor warmen Luft; Eiskristalle begannen sich an den Wänden zu bilden. Da war ein Gesang, wie von alten elfischen Runenliedern. Neire spürte, dass ihn etwas von hinten betrachtete. Langsam begann er sich umzudrehen. Vor den Lichtern des alchemischen Gemachs, den Steintischen und Regalen, stand die geisterhafte Gestalt. Sie war lieblich anzusehen; von bleicher Haut und silbrigem, langen, lockigem Haar. Ein Hauch von Frost war um sie herum, doch sie fröstelte nicht. Im Gegenteil. Silberne feine Ketten, an denen kleine blaue Juwelen funkelten, bedeckten Brust und Scham ihres sonst nackten Körpers. Magisch blau leuchtende Augen blickten ihn aus einem noblen Gesicht an. Hohe Wangenknochen, eine gerade Stirn und spitze Ohren charakterisierten die Schönheit ihrer übermenschlichen Symmetrie. Der junge Priester stand in diesem Moment da und betrachtete das Wesen aus einer anderen Zeit. Dann hörte er ihre Stimme.

Ringgeist: „Ihr habt mich gerufen Meister des Rings. Ich gebe mich euch hin und begrüße euch, Neire von Nebelheim, Diener von Jiarlirae.“
Neire: „Ihr… ihr dient dem Ring, Svaerendor, ist es nicht so? Wie ist euer Name Geist?“
Ringgeist: „Weise seid ihr, mein lieblicher Junge. Ihr kennet die Namen aus alter Zeit. Mein Name ist Fraertha, doch ein Geist bin ich nicht. Gebunden bin ich, fern in Raum und Zeit, doch aus Fleisch und Blut. Jetzt diene ich euch. Fragt mich, wie ich an diesen Ring gefesselt wurde und befreit mich, wenn ihr mich befreien wollt.“
Fraertha schenkt Neire ein kaltes Lächeln. Ihre langen silbernen Locken umspielen ihre nackten Hüften. Sie kommt einen Schritt näher. Ihre Augen leuchten blau.
Neire: „Wir alle dienen alle unserem Herrn. Ich diene der Schwertherrscherin, der Königin von Flamme und Düsternis, der Dame des abyssalen Chaos. Ihre Stimme sagt mir, dass ihr nicht die ganze Wahrheit sprecht, Fraertha. Sie spricht von einem Fluch der Bindung, von verborgenem Wissen. Das Verborgene treibt den Wissenden zur Erlösung des Fluchs oder in den Wahnsinn, in dem er einst vergehen wird, sollte er den Fluch nicht brechen können.“
Fraerthas Lächeln erstirbt, als Neire die Worte zischelt. Sie hebt den Zeigefinger ihrer linken Hand, als sie spricht. In der kleinen bleiernen Kammer haben sich Eiskristalle gebildet.
Fraertha: „So sagt mir Neire, was ist euer Begehr? Ich diene euch, bis ihr mich wieder in die Schatten entlasst.“
Neire: „Die alten Sagen und Mythen sprechen von drei Wünschen, die ihr mir erfüllen müsst. Doch gebunden seid ihr an den Ring. Welche Macht gewährt ihr dem Träger?“
Jetzt tritt der Jüngling näher an Fraertha heran und streicht sich die gold-blonden Locken zurück. Sein schattenhafter Umgang verbirgt seine äußeren Konturen. Das Glitzern von Sternen sowie dunkle Aussparungen von Tentakeln sind auf seiner Robe zu erkennen.

Eine Zeit hatte sich Neire mit Fraertha unterhalten und sie nach ihrer alten Zeit gefragt. Zuerst hatte sie sich gesträubt und ihm kurze Antworten gegeben. Dann hatte sie Neire nach der Rasse der Schneeelfen gefragt und Fraertha hatte ihm von ihrer vergangenen Welt erzählt. Sie hatte von Inseln ewigen Schnees im Nordmeer berichtet, von Kriegen und von der Herrschaft ihrer hohen Rasse über versklavte Menschen und Zwerge. Sie war einst eine Hexenmeisterin am kaiserlichen Hofe gewesen. Sie hatte im Blute menschlicher Jungfrauen gebadet und schlimmere Dinge getan. Sie hatte den alten Chaosgöttern gedient. Sie hatte Arioch als ihren Herrn genannt. Sie hatte die Macht der Portale in andere Welten beherrscht und war deren schwarzer Künste Herrin. Sie gewährte Neire seinen Wunsch, den er dreimal wiederholte. Seine Worte waren: „Gewähret mir Wortgewandtheit, Ausstrahlung und Einfluss.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Zwischenspiel 02 - Die Entdeckung im Tunnel - Teil I

Es war jetzt eine Zeit her, dass Neire das letzte Mal etwas von Bargh, Zussa, Lyrismar und Halbohr gehört hatte. Zuletzt war Lyrismar Schwefelschimmer plötzlich und wie aus dem Nichts erschienen. Der Diener Jiarliraes mit der kohlenschwarz-verbrannten Haut und dem schmalen, länglichen und völlig haarlosen Kopf hatte ihm vier der Sphären aus dem dunkel-schimmernden Glasstahl übergeben. Nur kurz hatte Lyrismar über die Erstürmung des Tempels Glammringsfaust berichtet. Der Gesandte aus dem fernen Reich von Flamme und Düsternis hatte zudem nach den jüngsten Entwicklungen im Tempel des Jensehers gefragt, bevor er wieder in die Hallen des Nachtzwergengottes zurückgekehrt war. Neire hatte die geraubten Strukturen aus Ne’ilurum untersucht, aus deren kristallischen Öffnungen noch ein schwacher Schimmer von Lichtmagie drang. Er hatte festgestellt, dass die Sphären noch intakt und für das Weltentor brauchbar waren. Er hatte daraufhin einige schlaflose Nächte damit verbracht die Sphären in ihren Verankerungen anzubinden, um damit das Weltentor wieder vollständig in Gang zu setzten. Nach einigen erfolglosen Versuchen war er sich der Funktionsweise der Lichtinstrumente immer sicherer geworden. Sie schienen einen Teil derer Energien anzuzapfen, welche das dreiundzwanzigjährige Wiederkehren des Linnerzährns in die Ne’ilurum-Adern des Unterberges verbracht hatten. Neire hatte seine Erkenntnisse notizenhaft auf Papyrus niedergeschrieben und betrachtete jetzt sein Werk von teils wirren Runenzeichnungen. Er wusste, dass die Energiesphären magische Kräfte aufnehmen und für eine Zeit speichern konnten. Der Magiefluss, den diese Instrumente speicherten, war anscheinend für verschiedene Zwecke verwendbar. Er hatte Mechanismen entdeckt, die die Magie in Untergruppen von Kräften aufteilte, um sie dann nach anderen Mustern wieder zusammenzufügen. Geschah dies in richtiger Weise, konnten die unendlich-dimensionalen Gebilde von Raum und Zeit, so zusammengesetzt werden, dass neue Verbindungen und Brücken entstanden. Neire hatte sich dazu entschlossen den Vorgang als Umkehrung derer Gesetze einzustufen, die die Welt um ihn herum steuerten. Er war sich sicher, dass, sollte die Maschine in richtiger, noch unbekannter Weise benutzt werden, auch die Grenzen zu den Reichen der Götter überbrückbar sowie vielleicht die Zeit selbst umkehrbar sein würden. Er war voll von unbändiger Neugier und urtümlicher Freude, vielleicht eine Entdeckung gemacht zu haben, die einst die Schöpfung der starr-gesetzlichen Ebenen widerrufen könne. Sollte er der Prophet der Dame des aufsteigenden Chaos des Abgrundes sein, der die verhassten Reiche jener Götter in ein Urmeer aus Chaos wandelte? Er verharrte einen Moment und betrachtete sein Spiegelbild im glasigen Schimmer des dunklen Metalls. Sein Antlitz hatte an Ausstrahlung gewonnen, seitdem er dem Ringgeist seine drei Wünsche geäußert hatte. Er ahnte und wusste, dass noch etwas fehlte in seinen Forschungen. Er war gerade dabei das Weltentor auf einen Fokus zu setzen. Die Kristallsphären mussten dafür in eine bestimmte Neigungs- und Drehwinkel gesetzt werden, um das Tor auf einen Punkt einer fernen Welt zu richten. Die Verdunklung der Kristallgitter, die über Mechanismen in den Sphären selbst bestimmbar war, entschied dann mit den Neigungen und Drehungen über die auszuwählende Welt. Die Möglichkeiten schienen schier unendlich zu sein. Er hatte eine lange Zeit damit verbracht verschiedene Kombinationen auszuprobieren. Der Vorgang war dem ähnlich, den er mit seinen Dietrichen vollführte, wenn er ein Schloss öffnen wollte. Allerdings waren es hier nicht mechanische Kraftpunkte und Drehrichtungen, mit denen er das Schloss bewegen wollte. Das Gebilde des Weltentors musste auf einer imaginären Ebene der Erkenntnis einrasten, um den Mechanismus der Umkehrung zu aktivieren. Zu dieser imaginären Ebene musste sich zudem die Weltliche einfügen, um bestimmte, wiederkehrende Zyklen aus dem Chaos zu schöpfen. Neire hatte bereits eine Kombination entdeckt. Jetzt forschte er an einer neuen Konstellation, die ihm den Weg zu einem anderen Ort dieser Welt öffnen sollte. Das Tor begann zu flimmern und er konnte sehen, wie sich die geisterhaft-durchsichtige Spiegelscheibe bildete, die sich begann über dem Boden zu drehen. Sollte er die Kombination finden, die das Portal öffnete, musste er schnell sein. Er hatte zwar einige nachtzwergische Söldner befehligt nahe dem Weltentor zu wachen, doch sollte etwas das Portal durchdringen, wäre er für eine Zeit allein der Gefahr ausgesetzt. Sicherer fühlte er sich, wenn er den Raum verlassen und die Türe mit dem schweren Rad von außen verriegeln würde. Neire konzentrierte sich, um den Lichtpegel der letzten Sphären zu justieren. Er lauschte dem summenden Geräusch. Er fühlte den Kraftfluss der Magie des Unterberges. Er spürte das Ne’ilurum der Irrlingsspitze, das unsägliche Mächte speicherte. Doch da war auch etwas Anderes. Ein Geräusch das wie… ja es waren, es mussten Schritte sein. Schnell, als wenn jemand laufen würde. Sie hallten durch ein Gewölbe und sie kamen näher. Neire zögerte, dann ahnte er Herkunft des Geräuschs. Aus dem Tunnel hörte er plötzlich ein Rufen in der Sprache der Nachtzwerge. „Wo ist er, wo ist der Prophet? Wo ist Neire von Nebelheim?“[/JUSTIFY]

Zwischenspiel 02 - Die Entdeckung im Tunnel - Teil II

[JUSTIFY]Neire war Granrig Hellengrub durch die Tunnel gefolgt. Er hatte keine weitere Zeit damit verloren das Weltentor zu öffnen. Im Gegenteil. Kurz bevor er den Raum verlassen hatte, hatte er eine der Kristallsphären in eine neutrale Stellung bewegt, in welcher der Kraftfluss der Magien unterbrochen war. Jetzt eilte er mit dem Baumeister durch die alten Gänge des elfischen Komplexes. Der Nachtzwerg, der den Bau des Tunnels nach Wiesenbrück verantworte, ging voran. Nur wenn Neire mit ihm sprach, drehte er sich um und antwortete ihm. Er hatte Neire bereits berichtet, dass etwas im Tunnel vorgefallen war; dass sie etwas entdeckt hätten und dass sie in ein Höhlensystem hineingebrochen waren. „Und ihr sagtet, ihr habt noch keinen Schritt durch die Öffnung getan? Ihr habt nicht nachgesehen, was dahinter war?“ Granrig drehte sich wieder um zu Neire, als er ihm antwortete. Der Nachtzwerg hatte langes schwarzes, gelocktes Haar und ein, für einen Zwerg, schmales Gesicht. In der Dunkelheit funkelten seine grauen Augen. Granrig besaß keinen Bart und war gekleidet in seine Schuppenrüstung aus geölten Stahlplatten, in der Form kleiner Schilde. Auf seinem Haupt und seiner Rüstung haftete noch der Steinstaub des Tunnelbaus. Sein kleines Schild hatte der Nachtzwerg an seiner linken Schulter befestigt, seine militärische Picke trug er im Gürtel. „Wir haben den Tunnel sofort gesichert. Ich sagte euch doch bereits, mein Prophet. Ich habe mich an die Erfahrung meines Volkes gehalten und dem jungen Feuerriesen Theredal das Kommando übergeben. Er und Gelundara wachen dort über die Orks, die für die Steinarbeiten eingeteilt waren.“ Neire dachte an die jungen Feuerriesen, die sich beim Dienst im Tunnelbau abwechselten. Er hatte bereits öfters mit Theredal gesprochen, der für einen Feuerriesen relativ intelligent war. Theredal konnte lesen und schreiben und hatte sogar Interesse an Jiarlirae gezeigt. Die junge Feuerriesin Gelundara kannte Neire nicht so gut. Er wusste, dass sie für eine Feuerriesin stark und groß gewachsen war. Auch hatte er von ihrem aufbrausenden Charakter gehört. Sie hatten mittlerweile den einstigen Forschungskomplex der Grauelfen verlassen und schritten durch die Höhlen, in denen die Orks hausten. Die Kaverne war natürlichen Ursprunges und nicht erleuchtet. Zwischen Tropfsteinen, die an einigen Stellen, die Verbindung zwischen Boden und Decke hergestellt hatten, flackerte jedoch der Schein von Feuer. Der Gestank von Müll, verrottetem Fleisch und Fäkalien erfüllte die Höhle. Zudem war das Schreien von Orkkindern zu hören. Sie verließen die Kavernen der Orks und gelangten durch einen Gang zur Halle der unterirdischen Spalte. Der Tunnel, der sie dorthin führte war bereits verbreitert worden. Die Riesen hatten den Stein an vielen Stellen abgeschlagen und den Gang auf eine Breite von mindestens drei Schritten sowie eine Höhe von vier bis fünf Schritten erweitert. Jetzt lag der Tunnel hinter ihnen und sie blickten auf die schwarzmetallische Konstruktion, die den an dieser Stelle verbreiterten Abgrund überspannte. Die Höhle wurde bereits von zwei Feuerkäfern erhellt, deren Licht aus den eisernen Käfigen drang, die dort von der Decke hingen. Zwei grimmige Feuerriesen, der eine gehüllt in ein Kettenhemd, der andere in einen Schienenpanzer, hielten dort Wache. Sie wurden unterstützt von acht Orks, die für die Wache sowie den Betrieb der beweglichen Plattform vorgesehen waren. Neben dem Transport der Tunnelgräber bewegten sie hauptsächlich den Abraum des Tunnels hinauf. Die Orks sahen zwar erschöpft aus, waren aber längst wieder zu Kräften gekommen, nachdem sie sie damals aus den Kerkern des Nomrus befreit hatten. Vernarbtes Gewebe war jedoch an den Stellen zu erkennen, an denen ihre Haut nicht von Schuppen- und Lederpanzern bedeckt war. Granrigs Stimme dröhnte durch die Halle, die im rötlichen Schimmer der Feuerkäfer lag. „All der Götterheil Jiarlirae! Gribtus, Ulfur. Macht die Plattform bereit. Der Prophet ist mit mir und wir müssen hinab.“ Beide Feuerriesen schienen die Kommandos in der gemeinen Zunge zu verstehen und murmelten kurze Beleidigungen gegen den Nachtzwerg. Gribtus, der kleinere der beiden Riesen, drehte seine gedrungene Gestalt in Richtung der Orks und donnerte den Befehl. „Auf das Rad, worauf wartet ihr noch, verfluchte Bastarde. Der Prophet ist hier und muss hinab in den Tunnel.“ Neire betrachtete den Feuerriesen. Gribtus‘ lange rot-blonde Haare quollen unter seinen Helm hervor. Er besaß einen kurzen, ausgefransten rot-braunen Bart. „Schaut sie an, wie langsam sie klettern, Prophet! Wir sollten vielleicht ab und an einen in den Schacht hinabwerfen, so dass sie das hinaufklettern lernen, hahahaha…“ Gribtus hatte Neire in der Sprache der Feuerriesen geantwortet und hielt sich jetzt den Bauch. Neire grinste zwar, aber der ältere, größere Feuerriese Ulfur zog eine missmutige Miene. „Wie sollten sie das überleben, dort hinab. Wollt ihr dann selber auf das Rad steigen Gribtus? Nicht lustig, nicht lustig.“ Gribtus‘ Lachen wurde weniger, als er den fettleibigen Ulfur betrachte. Ulfurs Gesicht war dreckig und ungepflegt, wie auch seine Rüstung. Strähniges Haar war größtenteils unter seinem Helm verborgen und bernsteinfarbene Augen musterten seinen Kameraden. Beide Feuerriesen hatten aschgraue Haut. Bevor Gribtus etwas erwidern konnte, antwortete Neire. „Lernen sie nicht, müssten sie gezüchtigt werden. Doch wir brauchen sie lebend. Tod im Schacht nützen sie uns nichts.“ Beide Feuerriesen nickten zustimmend und beobachteten sie. Neire und Granrig waren bereits auf die Plattform gestiegen, die an vier Seilen hing. Gribtus murmelte zwar noch etwas, doch Neire konnte die Worte nicht verstehen. Dann senkte sich der Aufzug in die Tiefe. Das Knirschen von Kettengliedern war zu hören, als die Orks sich auf der Trittrolle bewegten. Die Plattform schaukelte bedrohlich, als es durch den Steinschacht hinabging. An den Wänden funkelten die Spuren des Ne’ilurumerzes in matten, dunklen Glastönen. Als sie ein Stück hinabgelitten waren und die Geräusche der Ketten leiser wurden, sprach Granrig zu Neire. „Prophet, sie gehorchen zwar der Königin und achten euch, doch sie tun alles um sich meinen Anweisungen zu widersetzen. Es gefällt mir nicht. Wir kommen nicht schnell genug voran. Und wer weiß, wann sie ihre Gelegenheit sehen mich mit einem Felsbrocken zu erschlagen. Ich habe keine Angst, doch ich habe ein ungutes Gefühl.“ Neire strich sich die Locken zurück, die mittlerweile von Steinstaub bedeckt waren. Der Luft des Schachtes war wie von einem feinen Nebel durchzogen, den man auf der Zunge schmecken konnte – der zwischen den Zähnen knirschte. Er nickte, als er antwortete. „Ich verstehe Granrig. Sie erinnern sich an Umbari, den Diener König Isenbuks. Er verriet einst seinen König und zahlte den Preis dafür. Vielleicht sehen sie Umbari, wenn sie mit euch reden.“ Granrig schüttelte den Kopf und wollte gerade antworten, da unterbrach Neire ihn. „Ihr werdet unsere heilige Sache nicht verraten, Granrig. Ich sehe die Zukunft in Flamme und Düsternis und ich sehe euch dort. Ich werde mit Königin Hulda sprechen müssen. Ihr gehorchen die Feuerriesen und sie werden ihr nicht widersprechen.“ Granrig nickte, als sie weiter in die Tiefe sanken. „Habt Dank, mein Prophet.“ Schon bald kam die Plattform zu einem Halt. Sie waren am Fuß der Spalte angelangt, die nur im Bereich des Schachtes verbreitert worden war. Spinnweben und Gebeine füllten den Grund der natürlichen Felsöffnung aus. Sie drehten sich jedoch zu dem Tunnel, der durch den Stein der Irrlingsspitze hinfort führte. Der Gang war fast fünf Schritt breit und ebenso hoch. Er führte durch die ewige Dunkelheit, mit einer leichten Abwärtsneigung. Für eine lange Zeit knirschten ihre Schritte über die Steine, die noch hier und dort lagen. Je weiter sie kamen, desto weniger wurden die Erzspuren des Ne’ilurums. Schließlich konnte Neire die kältere Luft spüren, die durch den Tunnel drang. Ein Höhlengeruch, wie von Wasser und Erde kam ihnen entgegen. Dann hörten sie die Stimmen und sahen Umrisse nebelhaft im flackernden Fackellicht. Zwei riesenhafte Gestalten, von muskulöser, leicht gedrungener Gestalt. Sie hielten ihre Köpfe geduckt, wohl bedacht nicht an die Decke zu stoßen. Ihren Gesichtern war ihre Jugendlichkeit anzusehen, die im Kontrast zu ihren großen Körpern stand. Beide Riesen waren umringt von fast zwei Dutzend orkischer Arbeiter, die auf Abraum saßen oder lagerten. Die heranwachsenden Riesen drehten sich zu ihnen, als sie die Schritte im Tunnel hörten. Je näher sie kamen, desto besser war der Dunst von Steinstaub zu durchblicken. Gerätschaften und Loren standen im Gang, Werkzeuge waren an die Wände gelehnt. Neire konnte hinter den Gestalten ein Loch in der Felswand des Tunnels erkennen – dorthin, wo sie den Gang gruben. Ein Raunen von grunzenden und gutturalen Stimmen war zu hören, das die beiden heranwachsenden Riesen mit einem scharfen Zischen unterbanden. Hervor trat Theredal, der, von Steinstaub bedeckt, nur einen Lendenschurz trug. Er war schlank und drahtig für einen Feuerriesen und trotz seines jugendlichen Alters bereits fünf Schritt groß. Ein kindliches Gesicht kennzeichnete ihn, ohne Bartwuchs und umrahmt von langen, fettigen schwarzen Haaren. Er beugte sich zu Neire hinab und begrüßte ihn: „Allheil Jiarlirae! Ihr seid endlich gekommen, Prophet. Wieso mussten wir so lange warten hier?“ Neire nickte ihm zu und zog seinen Tarnumhang zurück. „Granrig suchte mich im Tempel auf und erzählte mir von eurem Fund. So tretet zu Seite und lasst mich sehen, was ihr entdeckt habt.“ Theredal trat zur Seite, doch da war Gelundara, die jetzt den Gang versperrte. Sie war jünger als Theredal, aber bereits genauso groß wie er. Auch sie war in Unterkleidung gehüllt und von Steinstaub bedeckt. An einigen Stellen hatte getrockneter Schweiß lange Bahnen in den Staub ihrer schwarz-grauen Haut gezogen. Sie war muskulöser als Theredal und korpulent. Ihre rötlichen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. „Ach was, er hat uns warten lassen, dieser kleine Bastard. Wieso sollte er anders als Umbari sein? Wieso sollten wir ihn nicht hier und jetzt zerquetschen und den Orks zum Fraß vorwerfen?“ Ihre rötlich schimmernden Augen funkelten hasserfüllt in ihrem rundlichen Gesicht, als sie sprach. Neire richtete sich auf und trat ihr einen Schritt entgegen. Er durfte keine Schwäche zeigen. Obwohl er innerlich vor Furcht zitterte, klang seine Stimme entschieden. Neire würde die Kraft der Linsen des Jensehers einsetzen, sollte sie ihm widersprechen. „Ich bin Neire von Nebelheim. Ich bin der Prophet, dem eure Königin Hulda vertraut, der euch hierhin geführt hat und euch einst vor dem Verrat Umbaris und eurem Verderben bewahrte. Ihr müsst eurer Königin gehorchen. Sie hat euch aufgetragen diesen Gang zu graben, unter Granrigs Kommando.“ Neire sah, dass Gelundara ein beleidigtes Gesicht zog. Er fuhr weiter fort. „Solltet ihr euch weigern, werde ich mit Königin Hulda sprechen. Ihr solltet ihre Strafe fürchten.“ Gelundara schien zu grübeln. Sie konnte die Worte wohl nicht ganz fassen, nickte aber und trat zurück. Neire bewegte sich näher zu den beiden jungen Riesen und den orkischen Arbeitern. Er blickte in Richtung des Lochs in der Höhlenwand, aus dem ihm klare, kalte Luft entgegenströmte. Theredal und Gelundara wichen zur Seite und wiesen ihm den Weg. Er hörte das schweinische Grunzen einiger Orks, die ihn bewundernd anschauten und ihre Köpfe vor ihm beugten. Die Öffnung war drei Schritt hoch und gerade breit genug für ihn durchzusteigen. Neire überlegte einen Augenblick, ob er allein hindurchsteigen oder die beiden Riesen mit ihm nehmen sollte. Das Fackellicht des Tunnels drang nicht weit in die Dunkelheit dahinter. Er hörte ein Rauschen, wie von Wasser und sah den Schimmer bleicher fluoreszierender Pflanzen. Dahinter schien es hinabzugehen, in die Tiefe. „Theredal, Gelundara, verbreitert die Öffnung. Wir werden zu dritt hinabsteigen. Granrig wird mit den Arbeitern hierbleiben.“ Er trat einen Schritt zurück und beobachtete, wie die beiden jungen Riesen ihr Werk vollbrachten.

Steine waren polternd in die Tiefe gefallen. Der Nachhall hatte eine größere Höhle erahnen lassen. Theredal und Gelundara hatten ihre Werkzeuge mit Gewalt und Geschick eingesetzt und das Felsgestein hinfort geschlagen. Als das Loch breit genug für die beiden Riesen war, hatten sich Theredal sowie Gelundara bewaffnet und eine Fackel aufgenommen. Dann waren sie hinabgestiegen. Neire war ihnen gefolgt. Sie hatten den Tunnel offenbar in die Felswand einer Höhle getrieben, die knappe vier Schritt unter ihnen aufragte. Im Licht der Fackeln hatte sich Neire der Blick auf nässlich schimmernde Felswände eröffnet. Der Boden war von einer Schicht Erde bedeckt gewesen, auf der Flechten und matt-weißlich fluoreszierende Pilze wuchsen. Sie hatten begonnen die Höhle zu erkunden und einen klaren unterirdischen See gefunden. Am Ufer des Sees hatten sich Bänke aus dunklem Sand gebildet, die teils von Flechten überwachsen waren. Neire hatte mittlerweile die Fackel von Theredal übernommen, der einen riesigen Zweihänder trug. Die jungen Riesen standen neben ihm und betrachteten das glitzernde, klare Wasser. Beide fröstelten in der kalten Luft, zeigten aber eine furchtlose Entschlossenheit. Gelundara trug die Fackel in ihrer linken sowie ein übergroßes Langschwert in ihrer rechten Hand. Neire deutete wortlos in eine Richtung und sie begannen dem Ufer zu folgen. Sie schritten schweigsam am Strand des Sees entlang. Zwei Lichtkegel, verloren in der Dunkelheit. Dann fanden sie den unterirdischen Fluss, der den See nährte. Entgegen des reißenden Wassers schritten sie und erkundschafteten zwei höher liegende Höhlen, die von einem Pilzwald bewachsen waren. Bis auf das beständige Rauschen des Wassers hörten sie keine Geräusche. Nicht einmal Insekten waren hier zu finden. Am Ende der zweiten Höhle stießen sie auf einen Wasserfall, der durch den Strom eines engen Tunnels genährt wurde. In dem kleinen See am Fuße des Wasserfalls konnten sie bleiche Fische sehen, die in dem klaren Wasser schwammen. Sie durchsuchten die Höhle und begaben sich dann wieder auf den Rückweg, um den Strom des Wassers zu folgen. Nach einiger Zeit kehrten sie zurück in die Höhle mit dem See und schritten am Ufer entlang. Auch hier schlossen sich mehrere kleinere und größere Kavernen an, die mit bleichen Pilzen bewachsen waren. Die Höhlen waren frei von Tieren, die nicht im Wasser lebten. Die letzte Höhle war fast vollständig von einem See ausgefüllt, dessen Wasserstand niedriger als die ihn umgebenen Felskanten lag. Das Wasser war klar und tief und sie konnten nicht sehen, wohin der unterirdische Strom floss. Das Fackellicht war zu schwach, um in weitere Tiefen vorzudringen. Neire hatte jedoch genug gesehen. Die Höhlen schienen unbewohnt und ohne weitere Gefahren. Sie mussten Granrig Bericht erstatten. Er würde den weiteren Bau des Tunnels planen.[/JUSTIFY]

Zwischenspiel 03 - Audienz bei Königin Hulda Isenbuk
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Neire ließ sich auf einen der gepolsterten Stühle hinabsinken, den ihm Königin Hulda gewiesen hatte. Er nahm einen Schluck des von gelblichem Schaum bedeckten Dunkelbraans, welches ihm Hulda angeboten hatte. Er genoss den starken, bitteren Geschmack und die feine, säuerliche Note des urrungfauster Bieres. Neire musterte die Königin kurz, ließ seinen Blick dann aber durch das Gemach schweifen. Pechfackeln brannten an den Wänden und warfen lange flackernde Schatten. Der Boden war mit kostbaren Fellen ausgelegt und gestickte Teppiche schmückten die Wände. Dort waren die Runen von Jiarlirae zu sehen sowie Feuerriesen, die in glorreichen Schlachtenszenen dargestellt wurden. Teils stammten die Wandteppiche noch aus den Mitbringseln König Dunrok Isenbuks. Das Empfangsgemach beinhaltete zudem Bänke und Stühle, die dem Thron aus Ne’ilurum zugewandt waren. Dort saß Königin Hulda. Zwei hohe eiserne Türen führten in anliegende Räume. Große Schatztruhen waren um die Erhöhung des Thrones aufgestellt. Die Wirkung des Dunkelbraans setzte augenblicklich ein und Neire genoss die Wärme und die flackernden Schatten des Gemachs. Er blickte Königin Hulda an, schwelgte jedoch in Gedanken an die vergangenen Monate, die seit dem Aufbruch von Bargh, Zussa, Halbohr und Lyrismar vergangen waren. Im Tempel des Jensehers hatte sich seitdem einiges verändert. Neire hatte bereits vor einiger Zeit seine Forschungen am Weltenportal abgeschlossen. Die ursprüngliche Macht des magischen Tores hatte er vollständig wiederhergestellt. Zudem war er sicher in der Bedienung des Mechanismus geworden, der das Weltenportal steuerte. Aber auch in anderen Bereichen hatte sich der Tempel verändert. Sie hatten den Ausbau der Höhlen weiter vorangetrieben. Granrig Hellengrub hatte die Arbeiten geplant und beaufsichtigt. Neire erinnerte sich an seinen letzten Rundgang durch die unterirdischen Hallen. Die Düsterheitpilze hatten sich dank des ausgeklügelten Bewässerungssystems und der beständigen Zufuhr von Fäkalien und totem Fleisch ausgebreitet. Sie hatten Riesen und Orks angewiesen ihre Geschäfte in Bettpfannen zu sammeln und sie dann in die Höhlen zu bringen. Neire erinnerte sich an das purpurne Glühen der nässlich schimmernden Höhlen. Hier und dort hatte er die zerteilten Überreste von Körpern gesehen, die bereits von den Pilzen überwuchert wurden. Wann immer einer der Orks starb - was alle paar Tage einmal vorkam, wenn ein Riese in einem Wutanfall einen erschlug – hatten sie den Leichnam zerlegt und ihn zur Anreicherung des Nährbodens unter den Pilzen verteilt. Die Höhlen hatten eine morbide Schönheit. Sie waren voll von vergänglichem Gestank, doch von einem überweltlichen, purpurnen Lichtglimmer. Aber nicht nur der Anbau der Düsterheitpilze war vorrangeschritten. Nahe den Lagern der Orks hatte Granrig eine Ne’ilurum Mine erschlossen, in der sie das wertvolle Erz abbauten. Auch der zweite zwergische Berater, Heergren Nuregrum, der von Halbohr angeheuert wurde, war nicht untätig gewesen. Der Nachtzwerg in den Diensten des Tempels des Jensehers hatte eine Schmiede und einen Hochofen aufgebaut, die sich nahe den Gemächern von Königin Hulda befanden. Dann hatte er mit der Ausbildung der Feuerriesen Vargur und Gryvik begonnen. Vargur kannte Neire gut, hatte doch der erwachsene aber sehr junge Feuerriese die Gruppe von Frauen und Kindern in die entfernten Höhlen abseits des Krieges geführt. Über ihn munkelte man, dass er von König Isenbuk und einer Feuerriesin gezeugt wurde, die bei seiner Geburt starb. Gryvik hingegen war ein heranwachsender Feuerriese, mit schneller Auffassungsgabe und guten kämpferischen Fähigkeiten. Er war von Heergren als zweiter Diener an der Esse ausgewählt worden. Zusammen hatten Heergren, Vargur und Gryvik begonnen Stahl aus Ne’ilurumerz sowie Waffen und Werkzeuge herzustellen. Sie hatten Kohlelieferungen aus Unterirrling erhalten und zudem einige Orks zum Dienst abkommandiert. Neire hätte seine Gedanken so weiter schweifen lassen können. Er dachte gerade an ihre Erfolge in der Zucht der Feuerkäfer, als er von der Stimme Königin Huldas aus den Gedanken gerissen wurde. Er verdränge die Erinnerungen an die Bruthöhle der glühenden Rieseninsekten und blickte Hulda in die Augen. Die Königin hatte ihre beiden Beine verschränkt und betrachtete ihn wohlwollend von ihrem Thron. Ihre grau-dunkle Haut hing von ihrem Körper und Gesicht in Falten hinab und wurde größtenteils von wertvollen Wildlederfällen überdeckt. Die beiden dunklen, schweinsartigen Augen betrachteten Neire bewundernd aus ihrem Ratten-ähnlich spitz zulaufenden Gesicht. Neire ließ sich nicht abschrecken von ihrer Hässlichkeit, von ihren abstehenden, rot-verfilzten Haaren und den Geschwüren, die ihre Wangen bedeckten. Er dachte zurück an ihre gemeinsamen Gespräche. Immer seltener hatte er die Linsen des Jensehers eingesetzt und über die vergangenen Monate hatte die Königin ihn auch ohne seine Bezauberungsmagie als ihren engsten Freund akzeptiert. Er hatte sie zudem von seiner Herrin, der Schwertherrscherin, der Göttin von Flamme und Düsternis überzeugen können. Auch Huldas untergebene Feuerriesen hatten sich der neuen Schutzpatronin zugewendet und ihn, Neire von Nebelheim, als ihren Propheten akzeptiert, wenngleich sie ihre Befehle nur von der Königin empfingen. Die Königin zeigte ihre fauligen Zähne, als sie ihn anlächelte und sprach.

Königin Hulda: „Neire, mein lieber Freund. Wie lange ist es her, dass wir zuletzt redeten? Waren es zwei oder drei Wochen? Sagt, was gibt es Neues zu berichten. Habt ihr etwas von euren Freunden gehört, aus Urrungfaust?“
Neire von Nebelheim: „Es ist zu lange her, meine verehrte Königin. Seitdem ist viel geschehen, nur eure Schönheit bleibt unverändert bestehen. Nachdem mir Lyrismar Schwefelschimmer die Sphären für das Weltenportal brachte, habe ich nichts von Meister Halbohr, Bargh und Zussa gehört. Doch ich habe sie in meinen Visionen gesehen. Sie kämpfen für Jiarlirae in diesem Augenblick. Ich bin mir sicher, sie werden siegreich sein.“
Die Königin kneift ihre Schweinsaugen zusammen und lächelt, geschmeichelt durch Neires Worte. Sie nimmt einen Schluck aus ihrem Kupferbecher und bringt ein tiefes Rülpsen hervor.
Königin Hulda: „Ihr müsst mir unbedingt erzählen… was habt ihr in euren Visionen gesehen?“
Neire von Nebelheim: „Ich kann es euch nicht nur erzählen, Königin. Ich kann euch die Visionen zeigen. Doch ich habe heute ein dringendes Anliegen, das leider nicht warten kann.“
Sorgenfalten zeigen sich auf Neires Stirn, als er sie eindringlich und mit großen, nachtblauen Augen anschaut. Das Lächeln in Huldas Gesicht erstirbt und ihre dunklen Augen funkeln erbost.
Königin Hulda: „Ist es wieder die junge Gelundara, die für euren Unmut sorgt? Sagt es nur und ich werde sie selbst züchtigen.“
Neire von Nebelheim: „Nein meine Königin, es geht nicht um Gelundara. Ich komme von einer Unterredung mit Granrig Hellengrub. Er sagt, dass wir bald den Durchbruch nach Wiesenbrück haben werden. Es sind Dinge vorzubereiten, bevor wir das Dorf erreichen. Ich plane ein Fest zu Ehren von Jiarlirae in den inneren Hallen des Tempels.“
Königin Hulda: „Das sind hervorragende Neuigkeiten Neire. Wie lange habe ich darauf gewartet und die Bücher studiert. Die Fertigstellung des Tunnels bedeutet das Ende meines Wartens. Ich hatte euch bereits erzählt, dass die Riesen anfangen zu reden. Die Frauen haben sich alle einen neuen Mann gewählt, doch sie schauen auf ihre Königin und reden über mich im Verborgenen.“
Neire von Nebelheim: „Ihr habt Recht Königin Hulda. Ihr sollt nicht länger warten und ich habe versprochen euch auf der Suche nach eurem neuen Gemahl zu helfen. Aber ihr seid die Königin. Das Gerede habt ihr nicht zu erdulden. Ergreift sie und bestraft sie, statuiert ein Exempel, um ihnen zu zeigen, dass ihr mit eiserner Hand regiert.“
Erst nickt Hulda grimmig, doch dann schüttelt sie ihren Kopf.
Königin Hulda: „Ihr sprecht die Wahrheit, doch dies war nie mein Weg. Sehet Neire, dafür war stets König Dunrok Isenbuk zuständig. Er regierte mit eiserner Hand, nach meinem Willen. Ich formte ihn nach meinem Begehr und er folgte mir, für das Wohl unseres Volkes. Nur wurde er fett, träge und hässlich. Er war nicht mehr schön, wie einst, als ich ihn heiratete.“
Neire von Nebelheim: „So soll es wieder sein, wenn ihr euren neuen Herrscher gefunden habt. Jung und stark soll er sein, wie ihr ihn euch gewünscht hattet. Und nach eurem Willen formbar. Eure Schläue, meine Königin, steht eurer Schönheit um nichts nach. Euer Volk und Jiarlirae braucht euch. Sagt Königin Hulda, haben eure Nachforschungen bereits Früchte getragen?“
Königin Hulda: „Ja, habt Dank Neire. Ihr habt recht, nur ich habe die notwendige Weitsicht meine Riesen zu führen. Doch dazu brauche ich meinen Gemahl. Die Bücher, die ihr mir aus Urrungfaust beschafft habt, haben eine Erinnerung in mir hervorgerufen. Es ward geschrieben von der alten Eisenfeste Sverundwiel, die einst den Strom des Feuers gebar. Errichtet wurde sie von der Rasse der Nachtzwergen, auf der Grenze von Schatten und Licht. König Dunrok Isenbuk erzählte von einem jungen Jarl, genannt Eldenbarrer. Er wurde einst bekannt als Träger der Flamme von Thiangjord, eines schwarzen Schwertes, das im Feuer des alten, gleichnamigen Lindwurms geboren wurde. Eldenbarrer sammelte Riesen um sich und eroberte die Eisenfeste Sverundwiel. Ich erinnerte mich, dass Dunrok damals Boten schicken wollte, auf dass sich Eldenbarrer unserem Kampf anschließen solle. Doch wir warteten auf das Gold der schwarzen Elfen und so kam der Austausch nie zustande.“
Neire hört aufmerksam zu, erhebt sich und verbeugt seinen Kopf.
Neire von Nebelheim: „Eine weise Wahl, Königin. Auch ich habe von der alten Eisenfeste Sverundwiel gehört. Ich werde mit den Vorbereitungen beginnen und wir werden aufbrechen, wenn die Zeit reif ist. Ihr habt euch Jiarlirae zugewendet. Ihr Reich ist ein ewiges, aus Flamme und Düsternis. Unter ihrem Zeichen werdet ihr euren neuen König gewinnen. Er wird euer Volk durch eure verborgene Stimme zu neuem Heldentum führen. Die alten Runen deuten euer Schicksal, sie sprechen von Ruhm und Ehre.“

Neire verließ die Gemächer der Königin der Feuerriesen. Er musste mit den Vorbereitungen anfangen und durfte keine weitere Zeit verlieren. Sie mussten das Fest feiern, um die Gunst Jiarliraes zu erhalten. Erst dann konnten sie nach Wiesenbrück vordringen. Er lächelte, als er an das Bergdorf am reißenden Strom Fireldra dachte. Es würde ihr Zugang in das Reich der Oberwelt werden. Ein Ort der Verbindung beider Welten. In seinen Gedanken formte sich bereits ein neuer Name für Wiesenbrück.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Zwischenspiel 04 - Ein Fest im Tempel des Jensehers - Teil I

Das Kohlefeuer glühte hell in der Feuerschale aus Ne’ilurum. Die Flammen vereinzelter Scheite getrockneter Riesenpilze brannten im gelblichen Licht, das lange Schatten warf. Trotz der Helligkeit schien es, als würde der alte Stein der hohen Halle des inneren Tempels das Licht schlucken, je weiter es kam. Die Randbereiche der zum Festsaal geschmückten Kammer waren daher mit Wandfackeln erhellt, die viel kleinere Lichtkegel bildeten, als sie es eigentlich sollten. Ein Stimmengewirr erfüllte das Gewölbe, in das zwei große, sich gegenüberliegende Gänge hineinführten. Die Luft war wohlig-warm und erfüllt von Feuer-, Alkohol- und Schweißgeruch. Paare von Augen schattenhafter Gestalten waren in der Dunkelheit zu erkennen. Die größten Kreaturen waren die Feuerriesen, die mit einer Höhe von bis zu sieben Schritten fast die Decke des Gemachs erreichen. Zwischen den Riesen, die sich teils auf Decken und Felle niedergelassen hatten, waren kleinere Kreaturen zu sehen. Sie waren menschengroß und muskulös, mit wulstigen Augenbrauen, fliehender Stirn sowie einem Unterbiss, aus dem wildschweinartige Hauer aufragten. Vereinzelt waren zudem Nachtzwerge zu erkennen, deren bleiche Haut mit Venengeflechten durchzogen war und deren Augen bläulich im Feuerschein blitzen. Die Menge war chaotisch, teilweise bewaffnet und euphorisch. Grollende wie grölende Stimmen, Brüllschreie und unflätige Rülpslaute durchzogen das Gewölbe. Ein Bereich nahe dem Feuer war mit wertvolleren Fellen ausgelegt. Dort war ein Thron aus Holz zu erkennen, auf dem Königin Hulda saß. Neben dem Thron standen einige Stühle. Hier hatten sich die beiden Nachtzwerge und engsten Berater von Meister Halbohr, Heergren Nuregrum und Granrig Hellengrub, niedergelassen. Zudem saß dort Neire von Nebelheim mitsamt seinem engsten Zirkel des Tempels - Daera Düsterung und Mordin von Noresfyring. Daera Düsterung saß zur Linken von Neire und war in dunkle, leichte Seidengewänder gehüllt. Sie trug einen roten Umhang. Schwarzes, langes, lockiges Haar fiel von ihrem schönen, symmetrischen Gesicht und umhüllte die weiße Haut ihrer weiblichen Kurven. Sie betrachtete die Menge und sprach angeregt lächelnd mit Mordin und Neire. Zur rechten Seite von Neire saß Mordin von Noresfyring. Mordin war groß gewachsen, scheinbar um die 30 Jahre alt und von athletischer Statur. Die Haut seines Gesichtes glänzte wie frischer Schnee in der Dunkelheit und wurde eingerahmt von rotblonden langen Locken. Grünliche Augen blitzten intelligent in seinem adeligen Antlitz. Neire von Nebelheim hielt einen kostbaren Silberkrug in der Hand und trug seine silberne Krone mit dem großen glitzernden Diamanten, der auf seiner hohen Stirn zu sehen war. Die Krone drückte seine gold-blonden Locken, die mittlerweile über seine Schultern fielen, an seinen Kopf. Dort war sein schönes Gesicht zu erkennen. Die weiße makellose Haut, die großen blauen Augen, die gerade Nase und die hohen Wangenknochen. Der Jüngling war vor kurzem sechzehn Jahre alt geworden und gekleidet in seine kostbare, dunkle Magierrobe. Im schwarzen Samt des Kleidungsstücks blitzten leuchtende silberne Sterne eines fernen Nachthimmels. Dunkle Stellen zogen sich wie Tentakel über Brust und Beinkleider. Neire hatte seinen Tarnumhang abgelegt und trug seinen roten Nebelheimer Umhang mit den goldenen Chaosrunen. An beiden seiner Hände blitzten kostbare Ringe.

Neire betrachtete abwechselnd Daera und Mordin, von denen er wusste, dass sie seit langem ein Liebespaar waren. Sie hatten ihn sogar einst eingeladen an ihrem Liebesakt teilzuhaben, doch Neire hatte abgelehnt. Zuviel hatte er zu tun und außerdem fürchtete er sich vor Daera. In seiner kurzen Zeit, in der Lyrismar Schwefelschimmer im Tempel des Jensehers verweilt hatte, hatte er ihn vor Daera gewarnt. Jetzt lächelte Daera sie beide an, sprach dann aber zu Mordin. Neire betrachtete bewundernd ihre okkulten Tätowierungen und genoss ihr Parfüm, das nach Weihrauch und brennenden Gewürzen roch. „Mordin, erzählt doch nochmals eure Geschichte, wie ihr mich einst fandet und wie wir uns das erste Mal liebten.“ Mordins Lächeln kam nicht schnell und wirkte auf Neire etwas gezwungen. Dennoch antwortete er, nachdem er etwas Wein aus seinem Kristallglas getrunken hatte. „Hatte ich sie euch nicht schon einmal erzählt, mein Prophet? Es kommt mir so vor als hätte ich sie bereits jedem erzählt.“ Neire bemerkte, dass Daera ihr Lächeln verzog und für einen Augenblick raubtierhafte Fangzähne in ihrem Mund zu sehen waren. „Wir haben die Zeit Mordin und ich habe die Geschichte noch nicht gehört. War es dort, wo ihr einst aufgewachsen seid? Im Reich unserer Herrin?“ Mordin nickte und als Neire zu Daera blickte, lächelte sie. Ihre Fangzähne waren verschwunden. Ein orkisches Sklavenmädchen schenkte ihnen Wein nach und Mordin begann zu erzählen.

„Es war vor langer, langer Zeit. Vielleicht vor 23 Jahrzehnten? Ich lebte im Schloss meiner Mutter, dem Sitz der Familie Noresfyring. Meine Mutter war und ist Liv, VII. von Noresfyring und sie herrscht von Schloss Schattenflamme. Sie ist Liv, die Hexenkönigin, genannt auch die oberste Schattenflamme. Ich aber hatte eine schwere Kindheit. Doch das soll eine Geschichte für einen anderen Tag sein, mein Prophet. Als ich älter war, durfte ich an den wilden Blutjagden teilnehmen und so fing alles an. Ich liebte den brennenden Schattenwald, mit all seinen Gefahren und den fremden Kreaturen. Ihr müsset wissen, mein Prophet. Schloss Schattenflamme und der brennende Schattenwald liegen auf der fernen Ebene Molgor, im ewigen Reich unserer Herrin Jiarlirae. Als Abkömmling der Noresfyrings war es mein heiliges Recht und meine Pflicht den brennenden Schattenwald zu durchstreifen. Ich tat es mit meinen Gespielinnen, den Konkubinen des Chaos. Sie waren glorreiche Geschöpfe, voll von brennender Gier, zerstörerischer Lust und aufopferungsvollem Hass. Ihre Namen waren Ida, Ylvi und Lyke und sie waren, wie meine Familie selbst, aus alten adeligen Geschlechtern der Blutmark. Geschlechtern, die seit jeher den Schwertherrschern, den alten Chaosgöttern gedient hatten.“

Mordin beugte sich zu Neire und der junge Priester konnte die übermenschliche Hitze spüren, die von Mordin ausging und jeden normalen Menschen verbrannt hätte. Ein Leuchten war in seinen grünlichen Augen zu sehen, als Mordin von den drei Konkubinen des Chaos sprach. Nur das Zischen von Daera brachte Mordins Geschichte ins Stocken. Er hielt für Augenblick inne und der Schimmer in seinen Augen verschwand. Dann fuhr Mordin fort.

„Es war am dreizehnten Tag unseres Streifzuges durch den brennenden Schattenwald, als wir auf die Ruinen der alten Stadt Hagatorm stießen. Ich hatte von der Geschichte der Stadt bereits gehört. Die Herrscher des Waldes hatten im Zentrum von Hagatorm einst die dunkle Pyramide errichtet, um das silberne Feuer des Mondlichtes auf eine ferne Welt hinab zu bringen. Doch wir waren nicht an den Geheimnissen von Hagatorm interessiert, nicht an dem alten Fluch der Stadt. Wir suchten die Lichtung des brennenden Schattenwaldes, den verwunschenen Ort Gladenlys. Wir schritten durch das vergangene Reich und sahen den alten Silberfluch. Die Bäume schrien, denn ihre Wurzeln brannten im Feuer des flüssigen Mondlichtes. Doch da war kein Mond, kein Himmel im Reiche Molgor. Das Feuer ist überall in Molgor und der Himmel selbst ist der brennende Schattenwald. Dann kamen wir an den weinenden See und wir sahen, was aus Gladenlys geworden war. Die Tränen aus Mondlicht waren zu brennendem Quecksilber gewandelt. Wir legten unsere Kleider ab und nahmen ein Bad in den silbernen Fluten. Nur dort im See, nur in den blubbernden Fluten, im Quecksilbernebel, hörten wir ihre Schreie. Wir sahen die Insel und die brennende Esche. Wir schwammen näher und erfreuten uns an ihren Schreien. Es waren die Kinder der brennenden Esche, die dort gefangen waren. Silberne Mondfeen aus der einstigen Welt von Hagatorm. Sie waren die Wurzeln der Esche, wie die Wurzeln der Esche sie waren. Ihre Flügel waren durchsichtig und trugen das Feuer; sie schwirrten beständig, als ob sie ihre Schreie vervielfältigen wollten. Wir gingen näher auf sie zu, die Konkubinen des Chaos und ich. Wir waren fasziniert von ihrer Schönheit, dem Schmerz ihrer in die Ewigkeit gestreckten Vergänglichkeit. Ich wollte nach ihren Flügeln, nach den Wurzeln greifen. Doch die Wurzeln begannen sich zu bewegen und dann stand sie dort. Ich trug damals bereits mein Breitschwert aus Graustahl, geschmiedet von der hohen Inquisition der Blutmark und seit langem in unserem Familienbesitz. Doch ich hatte die Waffe nicht bei mir, war wie meine Konkubinen völlig nackt. Das Wesen aus den Wurzeln kam zu mir und sie sprach. Sie sagte, sie wäre Daera Düsterung, die erste Frau, seit dem Anbeginn der Zeit. Das erste Weib, das aus dem Urchaos geboren ward. Ich war gefangen in ihrem Blick, ihren violetten Augen und in ihren von Quecksilberflammen verzehrten schwarzen Locken. Sie fragte mich wer ich sei, was ich an diesem Ort verloren hätte. Ich sagte, ich bin Mordin von Noresfyring, Sohn der Hexenkönigin, der obersten Schattenflamme. Ich sagte, ich hätte keine Furcht vor ihren schwarzen Lippen, ihren lebenden Tätowierungen und ihren dunklen Krallen. Sie lächelte und fasste mich bei meiner Männlichkeit. Sie zog mich hinein in die brennenden Wurzeln, welche die silbernen Mondfeen waren. Und sie waren um uns herum während wir uns liebten. Da waren die Schreie der auf ewig gequälten Kreaturen und ihre Flügel, die uns sanft berührten. Es war dieser Schmerz, der zärtliche Flügelschlag, der mich dort wie rötlicher Samt umschloss. Die Hitze wollte mich verschlingen, die Feuchte der Flammen anreichern und mich verwelken lassen. Ich spürte ihren Mund und ihre Klauen. In größter Ekstase begann ich die Flügel der silbernen Mondfeen auszureißen. Ihr Klagegesang schwoll zu einem Höhepunkt heran, dann ward der Fluch gebrochen. Daera Düsterung ward befreit von ihrer Aufgabe. Ich war nicht verwelkt, nicht dahingerafft in ihrer Liebkosung. Wir sammelten die ausgerissenen silbernen Flügel und verließen diesen verfluchten Ort. Wie vereinbart brachte ich die Flügel meiner Mutter, die sie für ihre schwarze Kunst benötigte. Doch ab jetzt waren es Daera Düsterung, meine Konkubinen des Chaos und ich, die den brennenden Schattenwald von Molgor durchstreiften.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Zwischenspiel 04 - Ein Fest im Tempel des Jensehers - Teil II

Neire hatte während der Geschichte an Mordins Lippen gehangen. Er hatte sich jede einzelne Szene vorstellen können. Er war fasziniert vom Reich seiner Herrin, von der Urgewalt des Chaos, die dort herrschte. Er konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als einst in dieses Reich zu reisen, um die Welt seiner Göttin selbst zu erleben. Er schaute Mordin und Daera mit bewunderndem Blick an, während er sprach. „Es ist eine solche liebliche Geschichte Mordin. Habt Dank! Ich dachte, ich wäre selbst dort gewesen, als ihr sie erzähltet. Ihr müsset versprechen, mir den brennenden Schattenwald einst zu zeigen, Mordin. Vielleicht reisen wir zusammen mit Daera dorthin?“ Mordin nickte zögerlich, doch Daera blickte Neire begeistert an. „Natürlich werden wir einst dorthin reisen, mein Kind der Flamme.“ Neire lächelte Daera an. Vielleicht sollte die Zeit einst kommen. Nur die Göttin selbst wusste, welche Zukunft auf ihn warten würde. Neire begann sich aufzurichten. Er musste jetzt das Fest eröffnen. Er wusste, dass es den Glanz der Feiern im inneren Auge von Nebelheim nicht erreichen würde, doch die Zusammenkunft hier sollte niemand jemals vergessen. Als Neire seinen Becher erhob und in die Menge der Gestalten blickte, konnte er keine Reaktion sehen. Erst als sich Heergren Nuregrum und Granrig Hellengrub erhoben und mit ihren Waffen auf ihre Schilde klopften, richteten sich die Blicke auf sie und die Stimmen begannen langsam abzuebben. Dann war da nur noch das Knistern der Flammen zu hören und Neire fing an zu sprechen. Seine ersten Worte klangen nervös und leise, zunehmend wurde er aber sicherer. „Horcht her, die ihr hier versammelt seid. Anhänger und Gefolgsleute unserer hohen Herrin, der Schwertherrscherin, der Dame des abyssalen Chaos, der größten unter allen Göttern: Jiarlirae. Wir weihen diesen neuen Tempel in ihrem Namen. Es ist der Tempel des Jensehers, ihr Heiligtum. Wir tun es in Anwesenheit der mächtigen und schönen Königin der Feuerriesen Hulda von Isenbuk. Königin Hulda, alle die ihr folgen und die Anhänger des Tempels des Jensehers huldigen Jiarlirae mit dem Blut eines Kampfes. Schafft die Feuerschale zur Seite und sehet Gruschuk, den Grausamen, aus der Rasse der Hügelriesen.“ Jubelschreie waren zu hören, als Gruschuk sich aufrichtete und zur Feuerschale hervortrat. Mehrere orkische Sklaven begannen bereits die große Glutschüssel zur Seite zu ziehen. Sie benutzten hierfür die Widerhaken der großen Bratspieße. Gruschuk drehte sich im Licht des Feuerscheines, stellte seine Muskeln zur Schau und hob seinen riesenhaften Streitkolben beidhändig über den Kopf. Der junge Hügelriese hatte ein menschliches Vergleichsalter von etwa 14 Jahren erreicht und an einigen Körperstellen bereits Fett angesetzt. Er war fast drei Schritt groß, besaß krauses, schwarzes Haar, das an einigen Stellen schon dünner wurde und ein abgeschnittenes rechtes Ohr. Sein Brüllen erfüllte die Halle, jedoch fingen einige Feuerriesen an zu lachen und spotten. Neire bemerkte die Unsicherheit bei Gruschuk, als der junge Hügelriese in die Gesichter der älteren Feuerriesen schaute. Neire trat jetzt näher zur Mitte und führte seine Rede fort. „Gegen Gruschuk, den Grausamen, kämpfen drei ausgewählte Krieger der Orks. Tretet hervor Oruk, Gornakh und Utnakh und kämpft für den Ruhm Jiarliraes.“ Das Grölen kam jetzt hauptsächlich von den vielen Orks, die zwischen den Riesen saßen. Es traten drei Krieger hervor, von denen zwei Kurzschwerter und einer eine einköpfige Schlachtenaxt trug. Sie waren muskulös, doch lange nicht die stärksten Exemplare im Tempel des Jensehers. Sie trugen, wie auch Gruschuk, Teile von Rüstungen, mit denen sie verschiedene Stellen ihrer Körper geschützt hatten. Als der Jubel verhallte, begann Neire seine Rede fortzusetzen. Die Kontrahenten hatten sich bereits begonnen zu mustern und sich zirkelnd zu bewegen. „Kampf ist Leben, Kampf ist Tod. Kampf ist Chaos und dieser hier ist ein Kampf des Chaos auf Leben und Tod. Die Seelen derer, die heute hier fallen werden, werden in das Reich unserer Herrin eingehen. Sehet also eurer Zukunft glorreich entgegen. Es gibt keine Regeln… nur wer lebend diese Mitte verlässt, soll an diesem Tag mit uns feiern.“ Neire streckte seinen Becher der Menge entgegen, die die Kontrahenten grölend anfeuerte. Gruschuk warf ihm einen letzten Blick zu bevor er sich den Kämpfenden zuwendete. Neire konnte das Wort Freund erahnen, das Gruschuk lautlos über die Lippen ging. Er nickte dem jungen Riesen lächelnd zu.

Er hatte nicht alle Worte verstanden, die sein Freund Neire gesagt hatte. Die Sätze waren so lang, so kompliziert gewesen und einige Worte waren ihm unbekannt. Auch wenn Gruschuk nicht alles hatte deuten können, so hatte er doch die Ankündigung seines Namens gehört: Gruschuk, der Grausame. Er verstand die Bedeutung und lächelte, als er an die Worte seines Freundes Neire dachte. Das höhnende Lachen der Feuerriesen hatte bereits wieder vergessen. Gruschuk zog die Augen zusammen und blickte in Richtung seiner drei Widersacher. Er wollte sie töten und dann zertrampeln. Er wollte den Ruhm des Kampfes für sich. Ja, er würde ihnen keine Gnade zeigen. Er hasste Orks über alles. Sie hatten ihn schließlich gequält, nachdem sein Freund Neire die Feste von Nomrus befreit hatte. Und was waren sie?… sie waren vorher Nomrus‘ Sklaven gewesen. Im düsteren Licht, im Gegröle der Menge, musterte Gruschuk seine Gegner. Ihnen lief wie ihm der Schweiß vom Körper. Gruschuk verlor keine weitere Zeit. Er knirsche mit seinen Zähnen, dann fing er an zu Brüllen und schlug auf den Ork ein, der rechts von ihm stand. Die drei Orks hatten ihn schon umzingelt und er hatte den Kontrahenten mit dem Kurzschwert vor ihm gemustert. Der Ork mit der Schlachtenaxt hatte seinen Angriff nicht erwartet. Gruschuk führte den Streitkolben von links nach rechts in eine Aufwärtsbewegung und traf den Ork im Bauch. Durch die Gewalt wurde die Kreatur zur Seite geschleudert und seine Bauchdecke zerfetzt. Gruschuk sah das Blut aufspritzen und einen Leichnam zu Boden fallen. Seine Wut verstärkte sich. Er blickte jetzt wieder nach vorn auf den Angreifer mit dem Kurzschwert. Angst war in den Augen des Wesens zu sehen, das er um mehrere Köpfe überragte. Doch der Ork mit den verheilten Narben von Peitschenhieben ließ sein Schwert nach vorn schnellen. Gruschuk spürte den Schmerz nicht, als das Kurzschwert in sein Bein stach. Er sah sein eigenes Blut auf der Klinge des Angreifers. Auch spürte er nicht, dass der Ork hinter ihm angriff. In seinem Wutrausch hatte er ihn fast vergessen. Nur als die Klinge gegen seinen Panzer rammte, sagte ihm sein Instinkt, dass dort etwas war, hinter ihm. Gruschuk drängte auf den Ork vor ihm zu, der zurückwich und ein weiteres Mal nach ihm stach. Jetzt hob er den Schienenpanzer des Unterarms und der Schlag prallte harmlos ab. Doch etwas biss sich in seinen Rücken und der Schmerz war groß. Gruschuks Wut explodierte, er fuhr herum, um das zu zertrampeln was dort war. Es war der dritte dieser verhassten Kreaturen, der sich hinter ihm versteckt hielt. Gruschuk rammte seinen Streitkolben in die Brust des Angreifers. Er hörte das Knacken von Rippen und sah den Ork Blut spuken. Dann brach die Kreatur vor ihm zusammen. Doch stach etwas in seinen Rücken, den er unvorsichtig, seinen Gegner missachtend, gedreht hatte. Gruschuk wendete sich abermals um und holte mit seinem Streitkolben aus. Er sah, dass der letzte Ork mit seinem Kurzschwert nach ihm stach. Im gleichen Augenblick. Doch Gruschuk war schneller. Sein riesiger Streitkolben rammte gegen den Kopf der kleineren Kreatur und der junge Hügelriese hörte das Knacken des schweinischen Schädels. Der Ork taumelte tot zu Boden und sein Angriff ging ins Leere. Gruschuk blickte sich um. Er war voll von einer wutentbrannten Gier, einem unersättlichen Gewalthunger. Er spürte nicht die blutenden Schnitte an seinem Körper, hörte nicht die grölenden Jubelschreie der Menge. Er wollte töten, er wollte mehr. Er schritt zu einer Leiche, die er zerschlagen hatte und trampelte mit einem Bein auf den Brustkorb. Blut spritzte auf, als Rippen wie Streichhölzer knackten. Gruschuk stellte sich auf den Ork, dann nahm er dessen Arm und begann zu reißen. Sehnen und Haut wurden zerfetzt, als der blutende Hügelriese den orkischen Arm ausriss. Gruschuk warf das Stück Fleisch in die Menge und brüllte: „Gruschuk siegen, Gruschuk grausam.“ Dann nahm er sich einen weiteren Arm und noch einen und dann einen Kopf. Wieder und wieder brüllte er seinen Namen in Richtung der Feuerriesen. Erst als er die rötlich glühenden Augen in dem von gold-blonden Locken eingerahmten Gesicht sah, den funkelten Diamanten auf der Stirn des Jünglings, hielt Gruschuk ein. Er lauschte den Worten, die sein Freund Neire sprach. Sie wirkten besänftigend auf ihn und lobten seinen Ruhm. Wieder verstand er nicht alle Worte, konnte deren Sinn aber erkennen. „Sehet Anhänger von Jiarlirae. Gruschuk, der Grausame, war siegreich. Er verschonte seine Gegner nicht. Sie haben tapfer gekämpft und ihre Seelen werden in das Reich unserer Göttin eingehen, geheiligt sei ihr Name. Bringt dem Sieger den Kelch, auf dass das Fest beginnen kann.“ Gruschuk brüllte nachdem der Prophet die Worte zur Menge gesprochen hatte. Er hob seinen Streitkolben. Blut und Schweiß tropften ihm in die Augen, die anfingen zu brennen, als er sie rieb. Verschwommen sah er drei orkische Frauen auf ihn zukommen. Sie trugen einen großen silbernen Kelch mit schäumendem Bier. „Trinkt Gruschuk, trinkt Anhänger von Jiarlirae. Heute feiern wir mit Gruschuk, dem Grausamen.“ Gruschuk stieß wieder sein Brüllen aus und nahm den Kelch. Er kostete das Bier, trank gierig. Den ganzen Kelch konnte er nicht in einem Zug trinken, also setzte er ab und ließ ein tiefes Rülpsen von sich. Als er die Augen wieder öffnete sah er, dass die Farben der Fackeln intensiver waren und lange Fäden zogen, wenn er seinen Blick schweifen ließ. Gruschuk spürte eine innere Wärme in ihm aufsteigen. Es konnte nicht nur die Wirkung von Bier sein, doch Gruschuk war viel zu einfältig, dies zu begreifen. Plötzlich war da Neire, der seine Hand nahm und ihn durch die Mitte der Halle führte. Gruschuk hörte die Rufe und die Gesänge der Kreaturen, von denen er glaubte sie würden ihn feiern. Schließlich kamen sie zu einem Fell auf dem seine beiden Gefährten Kulde und Gulgra saßen. Die beiden Hügelriesen waren Geschwister und hatten, wie er, das rechte Ohr verloren. Gruschuk schwankte zwar immer noch, sah aber mittlerweile nicht mehr so verschwommen. Er nickte Gulgra zu und blickte in ihr dickliches, rundes Gesicht, das etwas debil aussah, für ihn aber wunderschön war. Er betrachtete lüstern ihren Körper. Gulgra und er waren schon seit längerer Zeit ein Paar und ihr dicker Bauch deutete an, dass sie sein Kind trug. Für die Feierlichkeiten hatte sie sich ihre beiden geflochtenen Zöpfe mit Knochen verziert. Gulgra war nicht dick, aber ihre bereits zuvor gewaltigen Brüste waren noch größer geworden. Ihr Gesicht und ihr Körper waren geziert von den Narben unzähliger Schnittverletzungen, die ihr von den Orks zugefügt wurden. Doch Gruschuk mochte ihre Narben. Während Gruschuk Gulgra betrachtete, spürte er das warme Gefühl in seiner Lendengegend, als seine Erregung stieg. Jetzt zog Neire ihn zu sich hinab und flüsterte ihm ins Ohr. „Gruschuk, der Sieger nimmt sich was er will. Sie gehört euch und sie ist bereit für euch.“ Gruschuk nickte und folgte den Worten seines Freundes. Er ließ den Streitkolben fallen und riss sich das Fell von seinen Lenden. Er hörte nicht mehr das Lachen der Feuerriesen, sah nicht mehr die Witze und Anspielungen, die sie über die Größe seiner voll ausgebildeten Männlichkeit machten. Er stürzte nach vorn… keuchend und von Schweiß und Blut bedeckt. Es war die Ektase des Kampfes, des Rausches und der Lust, die in ihm tobte. Er bemerkte nicht, dass Gulgra sich dümmlich und ängstlich umblickte, sich ihm anfänglich verwehrte. Als er in sie eindrang, begann er tief und stupide an zu grunzen. Sein Denken setzte vollständig aus, als er in rhythmische Bewegungen verfiel. Er spürte nicht, dass seine Wunden aufrissen, sah nicht sein frisches Blut, das Gulgra besudelte. Gruschuk war reduziert auf die Begattung von Gulgra, bestand nur noch aus seiner Männlichkeit. Gulgra fing jetzt an zu Stöhnen, in einem helleren, heiseren Ton, doch Gruschuk bemerkte es nicht. Um die Liebenden hatte sich eine Traube von Gaffern gebildet. Hunderte Augenpaare von Orks, Feuerriesen und Nachtzwergen glotzten auf das Geschehen. Anfeuerungsrufe waren von Feuerriesen zu hören, ihre Frauen rollten nur mit den Augen, konnten aber nicht ihre neugierigen Blicke abwenden. Im Höhepunkt explodierte die Welt von Farben um Gruschuk. Die Lust überkam ihn im unerreichten Rausch. Sein Liebesmuskel verkrampfte ein letztes Mal und die Welle seiner Gefühle rollte unkontrollierbar davon. Dann wurde es dunkel um ihn. Wie ein nasser Sack brach der junge Hügelriese Gruschuk ohnmächtig über Gulgra zusammen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Zwischenspiel 05 - Der Tunnel nach Wiesenbrück - Teil I

Der erfahrene Feldwebel schlug seinen gewaltigen Ne’ilurum-Hammer gegen die Felswand. Wieder und wieder. Fuldir keuchte und Schweiß lief an seinem riesigen Körper hinab, an dem hier und dort Fettpolster zu sehen waren. Das Fackellicht, das die Diener Jiarliraes hinter ihm trugen, reichte kaum zu ihm heran, so dicht war der Steinstaub. Fuldir blickte sich nicht um und wechselte die Führungshand. Dann schlug er wieder gegen den Stein. Er ächzte und seine Muskeln schmerzten. Doch er gab nicht auf, er durfte nicht aufgeben. Zwei, drei, vier Schläge, er zählte nicht mit. Dann war das Geräusch anders und er verlor fast das Gleichgewicht. Lichtstrahlen drangen vor ihm durch ein Loch und er spürte den Zug kalter Luft. Es roch nach Schnee. Fuldir lachte laut und blickte sich um. Sie alle sahen im Fackellicht sein von alten Kriegsnarben gezeichnetes Gesicht. Die einst eingeschlagene, jetzt schiefe Nase und seine abgebrochenen Zähne. Der Feuerriese mit der kohlenschwarzen Haut und dem kahlen Schädel drehte sich wieder um und schlug zu. Schneller und hastiger. Große Steinbrocken brachen hinaus und das Loch war bald großer als der Oberkörper eines erwachsenen Menschen. Fuldir drehte sich um und trat zurück. Er verbeugte sich vor den Anwesenden, vor dem Prophet des Tempels des Jensehers und seiner Königin Hulda Isenbuk. Dann sprach er. Er unterdrückte sein Keuchen so gut es ging. „Meine Königin, Prophet Jiarliraes, der Weg ist frei. Sehet das Licht, vernehmet die kalte Luft.“ Seine Königin nickte ihm lächelnd zu und der Prophet trat jetzt näher. Das Kind der Flamme kam Fuldir klein und zerbrechlich vor, im Vergleich zu seiner Größe. Doch er hatte bereits von den Kräften Neires gehört, der den heiligen Segen der alten Chaosgöttin Jiarlirae haben sollte. Seine Königin Hulda Isenbuk glaubte jedenfalls fest daran. Neire nickte ihm zu, lächelte und hustete im Staub. Dann sprach der Jüngling, der in seine von Sternen glitzernde Roben und einen Tarnumhang gekleidet war, in der Sprache von Fuldirs Vorvätern: „Hab Dank Fuldir, heute ist ein großer Tag, im Namen von Jiarlirae. Ihr alle habt große Arbeit geleistet. Lasst mich sehen, was auf der anderen Seite liegt und wartet hier.“ Dann schritt der Jüngling an ihm vorbei und bückte sich durch das Loch, durch das mittlerweile Schneeflocken rieselten. Hinter ihm herrschte ein gespanntes Flüstern. Nach kurzer Zeit tauchte das Gesicht von Neire wieder auf. Er strich sich die gold-blonden Locken zurück und sprach feierlich. „Wahrlich, ein besonderer Tag ist heute und wir werden unserer Göttin huldigen. Doch mein besonderer Dank gilt Granrig Hellengrub, der diesen Tunnel plante. Seine Berechnungen waren richtig. Vergrößert das Loch und kommt hinaus, auf dass ihr diesen Anblick ersehen könnt.“ Dann verschwand der Jüngling wieder durch die Öffnung. Bevor die ersten Orksklaven durch die Öffnung huschten, bellte Fuldir barsche Befehle. Er wies sie zum Arbeiten an. Die Sklaven und die jüngeren Feuerriesen. Seiner Königin sollte die Ehre zu Teil werden, dem Propheten zu folgen. Dann würde auch Fuldir hindurchschreiten. Er hatte diesen Tag herbeigesehnt, hatte die Höhlen fast nicht mehr ertragen. Jetzt stand er vor dem Tor zur oberen Welt. Seine Königin hatte ihm erzählt von den Plänen, die der Prophet hatte. Seine Aufgabe als Krieger erwartete ihn. Er wollte dienen und er wollte kämpfen. Er hatte den Krieg und die Gewalt so schmerzlich vermisst.

Als Neire durch die Öffnung getreten war, hatte sein Herz laut und schnell geklopft. Er hatte sich diesen Tag so lange herbeigesehnt. Kurz glitten seine Gedanken in die Vergangenheit. Wie lange hatten sie an diesem Tunnel gebaut? Er wusste es nicht genau. Vielleicht fünf, vielleicht sechs Monate? Das Licht blendete ihn zuerst, dann gewöhnten sich seine Augen langsam an die Helligkeit der Winterwelt. Neire blickte in ein schneebedecktes Tal, über dem bleierne Wolken hingen. Die aufsteigenden Bergflanken verschwanden in der grauen Unterkante des bedeckten Himmels. Gipfel zu den Seiten des Tals konnte er nur erahnen. Ein leichter Schneefall rieselte hinab und begrenzte die Sicht. Trotzdem konnte er hinabblicken auf die weiß bedeckten Dächer von Häusern, die dort auf dem Talboden standen. Er bemerkte zudem das Band eines Flusses, der dunkel und frei von Schnee eine Bahn um die andere Seite des Dorfes zog. Dies musste Wiesenbrück sein, denn er erkannte die Brücke über die Firedra wieder. Zudem sah er das Gasthaus zum alten Nussbaum in der Mitte des Dorfes, wo die jetzt laublose Krone aus dem Dach aufragte. Neire betrachtete seine Umgebung, während er hinter sich das Klingen von Hämmern und Spitzhacken hörte. Immer wieder brachen Felsbrocken hinaus, als sich das Loch vergrößerte. Neire trat durch den knirschenden Schnee zur Seite. Die Öffnung des Tunnels war in der aufsteigenden Bergwand über Wiesenbrück entstanden. Von hier aus konnte man das Dorf gut überblicken. Über dem Tunnel wurde das Gelände steiler und die schneebedeckten Tannen spärlicher. Vor der Wolkendecke konnte man hier und dort schroffe Felsen aufragen sehen. Neire grübelte, als er sich umblickte. Er fing an sich auszumalen, was sie hier verändern würden. Nach einiger Zeit hörte das Hämmern auf und die Königin bückte sich durch die Öffnung, die jetzt größer geworden war. Ihre schweinischen Augen blinzelten in ihrem rattenhaft-spitzen Gesicht. Dann fing Hulda an zu lächeln, strich ihre verfilzten, roten Haare zurück und zeigte ihre fauligen Zähne. Sie fröstelte, obwohl sie sich einige kostbare Felle übergeworfen hatte. „Es ist schön Neire, aber so kalt. Ihr habt nicht zu viel versprochen. Was wollen wir tun? Wollen wir hinab gehen und diese Menschlein zerquetschen?“ Hulda lachte, als sie den Satz beendete. Weitere Feuerriesen drängten hinaus und gaben überraschte Rufe von sich. Der junge Riese Redebald schritt auf eine Tanne zu und sagte erstaunt. „Schaut her, ein weißer Baum.“ Dann begann er die Tanne zu schütteln, so dass er plötzlich von Schnee bedeckt wurde. Als er verdutzt zurücksprang und sich prustend schüttelte, war das Gelächter groß und Redebald verzog beleidigt sein Gesicht. Neire drehte sich zu den Erschienenen und sprach: „Wählt Wachen aus, die den neuen Tunnel beschützen. Wir werden nach Wiesenbrück gehen und uns die Stadt nehmen. Sie gehört ab diesem Tag unserer Göttin Jiarlirae und soll zu ihrer Ehre neu benannt werden.“ Die Feuerriesen und einige Orks hoben jubelnd ihre Waffen. Dann wählte Fuldir die Feuerriesen aus, die ehrenhaft ihre Pflicht der Wacht am Tunnel entgegennahmen. Sie brachen umgehend auf und stiegen durch den verschneiten Wald hinab. Sie schritten hinab nach Wiesenbrück mit grimmigen, entschlossenen Mienen und gezogenen Waffen.

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„Sind es alle Bewohner, seid ihr euch sicher Eirold? Bedenkt eure Worte gut, denn ich toleriere kein falsches Wissen und erst recht keine Lügen.“ Neire blickte dem Dorfvorsteher Eirold Mittelberg in die Augen. Er selbst war etwas größer als der schlanke Mann mit dem Pferdeschwanz, den er auf etwa 60 Winter schätzte. Schneeflocken legten sich immer wieder auf das dünne graue Haar, unter dem Neire die Kopfhaut von Eirold sehen konnte. Angst war dem Dorfvorsteher anzusehen, der mit seinen stahlblauen Augen hastig die Riesen musterte, die die Menge mit gezogenen Waffen bedrohten. Sie waren hier auf dem kleinen Platz vor dem Gasthaus Zum alten Nussbaum zusammengekommen – Männer, Frauen und Kinder. Vielleicht an die vierzig bis fünfzig Familien, die in Wiesenbrück lebten. Neire erinnerte sich zurück an die Geschichte, die ihm einst Zussa erzählt hatte. Die Geschichte der Totenfeier im Gasthaus. Der anschließend durchzechten Nacht von Bargh mit seinen beiden Gespielinnen. Er hatte auch die Jäger nicht vergessen, von denen Bargh einen am nächsten Morgen niedergemacht hatte. „Ja, soweit ich es sehe… es sind alle, Prophet. Bis auf einige Jäger, die sich auch in den Wintermonaten in die Berge wagen… ich weiß nicht wann sie zurückkommen, sie haben dort ihre Jagdhütten.“ Die Stimme des alten Mannes zitterte, als er sprach. Neire spürte, dass er die Wahrheit sagte. Jedenfalls glaubte er es. Er ließ ab von Eirold und drehte sich zur Menge, zu der er trat. „Bürger von Wiesenbrück. Wir sind hier zusammengekommen an einem großen Tag. Es ist der heutige Tag, an dem ich, Neire von Nebelheim, aus den Tiefen der Erde hervorgetreten bin. Ich habe die Flamme aus der Dunkelheit geholt, die Flamme, die auf ewig mit den Schatten vereinigt sein wird. Es ist das Feuer und die Düsternis, die durch mich sprechen, die Worte meiner Herrin, der Schwertherrscherin Jiarlirae. Ich bin ihr Prophet und ich bringe euch Ruhm, Reichtum und eine glorreiche Zukunft.“ Neire hielt einen Augenblick inne und betrachtete die Menge, die begann zu tuscheln. Rauch stieg aus den Kaminen uriger Häuser und der Schneefall hielt an. Die Feuerriesen überragten den Platz wie Kolosse. Einige waren größer als die verzierten Giebel der Häuser. „Bürger von Wiesenbrück. Heute bin ich gekommen als Kind der Flamme, als Reisender in einem Meer unendlicher Wege und Möglichkeiten. Ich frage euch, wollt ihr mich begleiten auf meinem tausendjährigen Gang durch diese schwindende Welt, auf der ihre Flamme uns zu den Geheimnissen ihrer Schatten führt. Wollt ihr mich begleiten und euch Jiarlirae widmen, mit all eurem Streben und all eurem Sehnen? Schließt euch mir an und wir werden gemeinsam beten. Die Wahl jedoch ist eure. Tretet jetzt hervor, wenn ihr zweifelt an ihr, deren geheiligter Name Jiarlirae ist.“ Kein Jubeln war zu hören, nur das Schreien einiger Kinder. Zu groß war die Angst der einfachen Menschen. Neire fragte sich, wieso sie ihm nicht zujubelten. Wieso sie den Ruhm der Göttin nicht freudig empfingen, sich nicht mit all ihren Herzen ihr zuwendeten. Als eine Windböe den Schnee von den Dächern pfiff, hörte Neire die Stimme von Eirold hinter sich. Er drehte sich langsam um und sah, dass der Dorfvorsteher niedergekniet war und auf den Boden blickte. „Seht, Bürger von Wiesenbrück. Er ist mit den Riesen des Feuers gekommen und sie haben uns nicht getötet, noch haben sie uns ausgeraubt. Sie gehorchen ihm, dem Kind der Flamme. Es muss diese wahre Macht sein, die ihm seine Göttin gibt. Ich, Eirold Mittelberg, erkenne sie an. Seine Göttin soll die meine sein. Ich werde ihr treu dienen und ihr, Bürger von Wiesenbrück, solltet es mir nachmachen. Heil Jiarlirae!“ Neire lächelte Eirold zu, obwohl der ältere Mann noch seinen Kopf gesenkt hatte. Einige Bürger traten nun hervor, senkten die Knie und wiederholten die Heilsbekundungen. Neire frohlockte innerlich, bis die heisere Stimme einer Frau die Luft zerschnitt. „Ich werde mein Knie nicht beugen, bei den alten Göttern, bei Torm, dem Wächter und Walldung, dem Einäugigen. Es war diese Göttin, die mir meinen Jungen genommen hat, meinen Siguard.“ Ein Raunen ging durch die Menge, als die Frau, die sichtlich betrunken war, stolperte. Sie hatte ein eingefallenes Gesicht, ergraute lange Haare und glasige Augen. Hinter ihr war ein dürrer Mann erschienen, der ihr aufhalf. „Schweigt, Runa!“ Rief Eirold und fuhr erklärend fort: „Siguard ist tot und er hat bereits Unheil über eure Familie Einhand gebracht. Lasset die Toten ruhen, Weib!“ Jetzt sah Neire, dass Eirold auf die beiden zugehen wollte, um sich einzumischen. Er hob seine Hand und Eirold verstummte. „Lasst sie reden Eirold. Lasst sie ihr Anliegen vorbringen… Sagt Runa, glaubt ihr nicht an IHRE Macht? Misstraut ihr dem Kind der Flamme, dem Propheten Jiarliraes?“ Runa wurde jetzt von dem Mann gestützt, der ihr gefolgt war. Er war nicht wesentlich jünger als sie. „Eure Göttin hat genug Unheil über meinen Sohn gebracht. Nein, ich glaube nicht an ihre Macht und werde mein Knie nicht beugen.“ Neire sah, dass auch der Mann mit dem Ansatz einer Glatze nickte. „Seid ihr auch ihrer Meinung? Wie ist euer Name.“ Der Mann wollte zurücktreten in die Menge, doch Runa blickte ihn vorwurfsvoll an. „Osbart ist mein Name, mein Herr. Der Osbart Einhand, der sein Knie nicht beugen will.“ Neire schritt jetzt in die Mitte der Menge und blickte sich um. Es schneite noch immer und die Feuerriesen wurden unruhig. Einige zitterten bereits vor Kälte. „Es wird ein Gottesurteil geben. Wir werden sehen, auf wessen Seite die Macht steht. Wer den Segen Jiarliraes hat.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Zwischenspiel 05 - Der Tunnel nach Wiesenbrück - Teil II

Der Schneefall hatte zugenommen und der Tag ging dem Ende zu. Die dunklen Wolken lagen bedrückend über dem Tal. Nebel kroch die Bergwände hinab. Einige der Riesen hatten Fackeln entzündet, die den Platz in ein geisterhaftes Flackern hüllten. Neire zitterte am ganzen Körper vor Kälte. Er konnte sich kaum noch bewegen. Die Fesseln schnitten in seine Hände und seine Füße. Er war vollkommen nackt. Nackt, wie auch die beiden Gestalten neben ihm, die zu Flehen begonnen hatten. Nach seiner Verkündung hatten sie Brennholz aus dem ganzen Dorf herangeholt und zu einem großen Haufen aufgeschichtet. Dann waren hastig drei Pfähle in das Holz gestellt worden. Unter den Schreien von Runa und Osbart, waren die beiden von einigen Orks entkleidet und an die beiden äußeren Pfähle gebunden geworden. Neire hatte selbst seine Kleidung abgelegt, war auf den Haufen geklettert und hatte sich anbinden lassen. Immer wieder sah er die neugierigen Blicke der Menge, die seinen linken, bis zur Schulter schwärzlich verbrannten, Arm betrachteten. Dort funkelten die drei roten Rubine, die Herzsteine, die mit dem Fleisch seiner Schulter verwachsen waren. Auch die Narbe an seinem seitlichen Bauch war zu erkennen. In der Kälte schimmerte sie rötlich. „Bürger von Wiesenbrück. Wir gekommen… für Gottesurteil.“ Die Stimme Königin Huldas schallte über den Platz. Sie sprach mit dem schweren Akzent ihrer riesischen Weise. „Urteil bedeuten Feuer und durch Prüfung muss gehen. Müssen brennen in Feuer, in Reinigung. Gunst der Göttin belohnt Prüfung. Es beginnen.“ Hulda war nähergekommen und warf ihre Fackel auf das Holz. Einige der Riesen taten es ihr nach und begannen zu jubeln. Neben ihm hörte Neire Runa schreien. Ihr Flehen hatte sich in blanken Hass gewandelt. „Ihr seid wahnsinnig Flammenkind, ihr werdet verbrennen. Ist es das, was ihr wollt? Habt ihr das meinem Siguard erzählt? Verflucht sollt ihr sein. Bei allen Höllenteufeln möget ihr in diesem Feuer schmoren.“ Neire lächelte sie an, mit klappernden Zähnen. Dann blickte er verträumt zur Menge. Zuerst konnte er den Rauch riechen, der vom trockenen Holz aufstieg. Dann waren dort die ersten Flammen. Er spürte die wohlige Hitze, die ihn wärmte. Schon nach kurzer Zeit brannte es auf seiner Haut. Die Schmerzen waren fast unerträglich und Tränen liefen an seinen Augen hinab. Neben ihm hörte er jedoch panische Todesschreie. Sie wurden lauter und lauter. Es roch nach verbranntem Fleisch, nach schwelenden Haaren. Die Flammen waren jetzt um ihn und Neire begann die Todesschreie nachzuahmen. Dann vollführte er die Transition der Schreie in den Singsang seiner schlangenhaften Gebete. Er spürte die Schmerzen, sah das helle Feuer. Als die Schreie erstarben, begannen sich seine Fesseln zu lösen. In roten Glutstücken brachen sie auseinander und fielen hinab. Auch die Reste der Leiber von Runa und Osbart sanken in sich zusammen. Die Flammen waren so hell, dass er ihre leblosen Körper nicht mehr sah. Um ihn herum waren die Flammen, ein Zischen und ein Knacken von infernalischer Glut. Verzerrte, ferne Rufe der Menge drangen an ihn heran. Alles war wie in einem Traum. Ein Traum von Feuer und von Schatten im Schnee. Dann stieg Neire durch die Glut hinweg. Er näherte sich der Menge. Er trat heraus aus dem Feuer und Schneeflocken fielen auf seine makellos weiße Haut. Er war das Kind der Flamme – verbrannt mit den Sündern und Blasphemikern auf einem Scheiterhaufen und wiedergeboren in Flamme und Düsternis. Er war ihr Kind, ihr wahrer Prophet. Neire hob seinen linken schwarz-verbrannten Arm und formte seine Hand zu einer Faust. Die Herzsteine in seiner linken Schulter pulsierten rötlich-glühend. In seinen gold-blonden Locken schienen die Flammen noch zu tanzen, seine Augen wie von der Feuersbrunst rot zu leuchten. Seine Worte waren kraftvoll, ein zischelnd-hörbarer Schimmer in eisiger Winternacht. „Sehet den Ruhm der Göttin, den Ruhm von Jiarlirae.“ Und sie riefen ihm zu oder träumte er es nur. Sie frohlockten ihm, riefen ihn als Kind der Flamme an. Sie warfen sich nieder vor ihm in den kalten, dunklen Schnee. Neires Stimme überschlug sich, als er in den warmen Rauch des Feuers und in den schattenhaften Frostnebel blickte, der von den Berghängen kam. Er hatte seinen Namen für diesen Ort gefunden. Er rief der Menge zu: „Der Segen von Jiarlirae wird diesem Ort zu teil werden, der von nun an NEBELGARD heißen soll.“

Sie saßen im wohlig warmen Raum des Gasthauses zum alten Nussbaum. Ein Feuer prasselte im Kamin und erhellte den alten dicken Stamm des Baumes, in dessen Rinde Schnitzereien zu sehen waren. Der Geruch von gebratenem Ziegenfleisch und gerösteten Zwiebeln strömte aus dem Küchenbereich, aus dem sie dumpfe Klänge von Töpfen und Messern hören konnten. Bis auf Eirold, Mordin und Neire war die Halle des Gasthauses leer. Der Wirt, Raimir Gruber, hatte ihnen drei Krüge mit dunklem Bier gebracht und war dann verschwunden. Jetzt saßen sich Neire und Eirold am Tisch gegenüber. Mordin hatte am Feuer Platz genommen und starrte in die Flammen. Neire saß mit dem Rücken zum Kamin und blickte in das Gesicht des Dorfvorstehers. In dem flackernden Licht wurden die Falten des Alters zu Furchen und Schluchten. „Ihr habt weise gehandelt Eirold, doch meine Göttin verlangt die Wahrheit. Sie verlangt die ganze Wahrheit, falls sie auch eure Göttin werden soll.“ Wieder sah Neire die Furcht in den Augen des alten Mannes, dessen Blick wirr im Raum umherglitt. Eirold fing an zu stammeln. „Prophet… natürlich habe ich euch nicht alles erzählt. Wir hatten Probleme nach den Angriffen der Riesen. Seit sie wieder in den Bergen verschwunden sind. Drei Häuser sind vollständig niedergebrannt und es gab Streit über die Unterbringungen. Auch die Schäden der Flut sind noch nicht ganz beseitigt.“ Neire schüttelte den Kopf und sein Blick verfinsterte sich. „Das will ich alles nicht wissen, Eirold. Erzählt es Meister Halbohr, wenn er wieder hier ist. Ich möchte wissen, was ihr vor mir verbergt.“ Beim Namen Halbohr konnte Neire ein kurzes Aufflackern in den Augen von Eirold sehen. Dann blickte der Dorfvorsteher auf den Tisch und blieb stumm. Neire schaute einen Augenblick in das Feuer und konzentrierte sich. Die Flammen änderten langsam ihre Färbung und die Gaststube wurde karmesinrot vor seinen Augen. Er spürte das Pochen auf den Augen, doch es war längst nicht so stark wie einst in der Festung König Isenbuks. Neires Stimme zischelte in einem fremden Singsang. Leise anfangs, doch dann hörbar lauter. „Eirold, solltet ihr einem alten Freund nicht alles erzählen? Die Wahrheit und nur die Wahrheit, wie es sich alte Blutsbrüder versprochen hatten?“ Eirold hob seinen Kopf und in seinen Augen war ein rötlicher Schimmer. „Ja, mein Prophet… ja Neire… einem Freund wie euch kann ich es natürlich anvertrauen. Vor euch brauche ich keine Geheimnisse zu haben.“ Sie beide lächelten sich jetzt an und tranken an ihrem Bier. Dann fuhr Eirold fort. „Es war vor langer Zeit, da ich nach Wiesenbrück… äh… Nebelgard kam. Die Arbeit war hart und das Leben karg, doch nach ein paar Jahren konnte ich mir ein Haus kaufen. Auch nahm ich mir ein Weib. Wedrun war ihr Name. Wir hätten wahrscheinlich wie alle hier Kinder bekommen, wären alt geworden und dann gestorben. Es sollte aber alles anders kommen.“ Wieder hob Eirold seinen Krug, nahm einen tiefen Schluck und wischte sich den Schaum vom Mund. „Es war eines Abends, als ich in den Keller ging, um etwas von unseren Vorräten zu holen. Es war Winter und draußen fegte ein kalter Wind über den hohen Schnee. Es muss bestimmt mehr als zwanzig Jahre her sein.“ Neire unterbrach den alten Mann. „Wann war es Eirold, könnt ihr nicht erinnern?“ Auch Mordin hatte sich vom Feuer zu Neire und Eirold gedreht und lauschte aufmerksam. „Es war… ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Es muss kurz vor der vorletzten Ankunft des Linnerzährn gewesen sein. Es war noch nicht lange Winter und die Gruppe um die Abenteurer war noch nicht eingetroffen.“ Neire unterbrach Eirold wieder. „Niroth, Kara, Wargo, Faere und Adanrik, waren das nicht ihre Namen?“ Eirold nickte zögerlich. „Ja das mag sein. Ich erinnere mich nicht richtig… Nun, naja… ich ging also in den Keller und da sah ich den toten Fuchs. Ich weiß bis heute nicht, wie das Tier dort hinab gekommen war, doch er lag vor einer Wand und hatte im Boden gewühlt. Blut war an seinen Vorderpfoten und an seinem Maul zu sehen. Es sah fast so aus, als ob das Tier wie tollwütig nach etwas gegraben hätte. Ich brachte danach die Vorräte zu meiner Frau, doch in dieser Winternacht stieg ich wieder hinab und begann an zu graben. In den Morgenstunden wurde ich fündig. Ich hatte eine alte Treppe freigelegt, die weiter hinabführte und an einer schwarzen Türe endete. Meine Neugier hatte mich gepackt. Ich öffnete die Tür und fand dahinter eine Treppe die noch tiefer nach unten führte, in ein steinernes Labyrinth. Die Wände schimmerten in einem Schwarz, als ob sie das Licht meiner Lampe aufsaugen würden. Ich stieg hinab und fand weitere Türen. Einige verschlossen, doch andere führten in uralte Räume.“ Jetzt war es Mordin, der Eirold unterbrach. „Was habt ihr gefunden Eirold? Was war es?“ Eirold zuckte auf, als wäre er aus einem Traum erwacht, doch Neire beruhigte ihn. Dann fuhr der Dorfvorsteher fort. „In den nächsten Tagen und Wochen stieg ich immer wieder hinab. Ich studierte alte Schriften, fand seltene Gegenstände, dort verborgen. Dann war es Wedrun, mein törichtes Weib. Sie war mir gefolgt und hatte den Eingang entdeckt. Ich hatte es nicht gemerkt. Als ich am nächsten Tag arbeitete, muss sie wohl hinabgestiegen sein. Ich weiß nicht was sie dort entdeckt hatte, denn ich habe sie seitdem nie wieder gesehen. Voller Kummer widmete ich mich nun vollends dem Studium der alten unterirdischen Ruinen. Aus Wochen wurden Monate und aus Monaten Jahre. Ich lernte die Schrift zu verstehen, die Runen der schwarzen Künste zu lesen. Denn es waren die alten Meister der grauen Rasse, die diese Kerker erbaut hatten. Vielleicht unter ganz Nebelgard. Ich lernte ihre Kunst zu nutzen und verschaffte mir meine Vorteile. Jetzt wisst ihr es, mein Freund. Die ganze Wahrheit. Die schwarze Kunst half mir auf dem Weg zur Macht. So wurde ich Dorfvorsteher von Wiesenbrück… äh, Nebelgard. Die Geister der Bürger sind schwach, wendet man den Zauber nur im richtigen Augenblick an.“ Eirold lachte und jetzt stimmte auch Mordin in das Lachen von Neire ein. Neire trank einen Schluck seines Bieres, bevor er zu Eirold sprach. „Eure Geschichte ist wahr und nach dem Gefallen von Jiarlirae. Habt Dank für eure Ehrlichkeit. Ihr müsst mir zudem später diesen geheimen Eingang zeigen. Wer hätte gedacht, was sich unter Nebelgard verbirgt.“ Die Antwort von Eirold kam augenblicklich. „Natürlich zeige ich euch die unterirdischen Ruinen. Ihr seid Jiarliraes Prophet. Vielleicht seht ihr etwas dort, was ich nicht sehen konnte… Einen Gefallen müsst ihr mir aber tun, mein Freund.“ Neire nickte, als Eirold fragend abwartete. „Die Bürger von Nebelgard haben Angst. Ich glaube nicht, dass ihr es seid oder eure Riesen. Wir wurden überfallen. Sie haben unser Dorf geplündert und einige Einwohner erschlagen oder geraubt. Es war eine Horde von Riesen, doch andere als eure Feuerriesen. Kleiner, doch riesig. Primitiver, dümmer und unorganisiert, doch nicht weniger gefährlich. Wir haben Angst, dass sie zurückkommen und sich holen, was übriggeblieben ist. Das was wir noch haben ist nicht viel.“ Neire hatte ernsthaft zugehört. Jetzt lächelte er. „Ihr steht nun unter Jiarliraes Schutz. Habt keine Angst mehr Eirold. Sagt, wisst ihr wo diese Riesen herkamen?“ Eirold nickte zögerlich. „Ich glaube ja. Ein Jäger erzählte, dass er sie nordwestlich von hier gesehen hätte - vier Tagesreisen. In der Nähe des Halgahorns. Wenn ich mich richtig erinnere, in der Hirinrother Alm am Flüstersee. Doch es gibt keine Alm dort, gab vielleicht auch niemals eine. Die Ammenmärchen erzählen von einer weißen Weide, die dort seit jeher stand. In einer mondlosen Winternacht, sollte ein Blick durch die Zweige des Baumes die Feuer der Sterne offenbaren. Manch einer sprach gar von wilden Träumen, die einem dort widerfuhren. Einst kam ein Sternenkundiger in die Schneeberge und baute dort einen Turm, der Legende nach um die Weide.“ Neire deutete auf die alte Rinde des Nußbaums, die inmitten des Raumes aufragte. „So wie hier, so wie im Gasthaus zum alten Nußbaum?“ Eirold nickte und fuhr fort. „Vielleicht hat es damit etwas auf sich. Vielleicht war der Sternenkundige hier. Vielleicht gehörte er zur grauen Rasse. Ich habe der Geschichte nie richtig geglaubt, denn heute sind nur noch Ruinen am Flüstersee. Sie sind längst überwuchert vom Wald, von der weißen Weide keine Spur. Selbst die Jäger meiden die Gegend um den See, soll sie doch verwunschen sein. Verwunschen, das sagten sie sei…“ Mit einem lauten Krachen flog die Tür zur Küche auf und der Wirt, Raimir Gruber, erschien mit seiner Tochter Edda. Ein Lächeln war in dem Gesicht des Mannes mit den kurzen blonden Haaren, als er zu seiner fast erwachsenen Tochter sprach. „Erzählt ihr wieder eure alten Spukgeschichten, Eirold? Wir stehen unter dem Schutz der Göttin von Feuer und Schatten, da ist mit diesen Schreckensmärchen nichts mehr zu gewinnen.“ Seine Tochter lachte laut und warf ihre langen, blonden Haare zurück. Dann stellten sie die großen Teller mit dem dampfenden Ziegenbraten und den gerösteten Zwiebeln auf ihren Tisch. Auch brachten sie volle Krüge mit schäumendem Bier. Eirold stimmte in das Lachen ein und pries Jiarlirae. Doch Neire blieb diesmal still. Er dachte an die Hirinrother Alm und den Flüstersee. Er stellte sich den Blick durch die weiße Weide in den Sternenhimmel vor und fragte sich, was ein Sternenkundiger dort wohl gesucht hatte. Er fragte sich, ob die Geschichte wahr war und wo die Riesen jetzt ihr Unwesen trieben.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Zwischenspiel 06 - Nebelgard

Neire schnappte nach Luft und taumelte zurück. Die Energie, die er für den neuen Spruch hatte aufbringen müssen, raubte ihm alle Kräfte. Seine Knie zitterten. Dann blickte er auf das schwarze dünne Material, das einst wie dunkles Kristallglas, jetzt durchsichtig war. Das Ne’ilurum war kunstvoll dünn geschmiedet. Es hatte die Höhe eines großen Menschen und war mehr als halb so breit. Der Blick des Jünglings ging durch die Scheibe, in der er seine Silhouette wie ein schwaches Spielbild sah. Viel Zeit war vergangen, seit ihrer Eroberung von Nebelgard. Er war seitdem gewachsen und sein Gesicht hatte einige kindliche Züge abgelegt. Es waren zwei Winter vergangen seit Bargh, Halbohr und Zussa aufgebrochen waren und mittlerweile hatte der Frühling schon ein zweites Mal in diesem Teil der Schneeberge Einzug gehalten. Noch einen Augenblick betrachtete Neire seine Schönheit: Die weiße makellose Haut, die hohe Stirn und die gerade Nase. Seine gold-blonden, vollen Locken fielen ihm weit über seine Schultern hinab. Seine Augen schimmerten bläulich, doch schlangenhaft, vertikal geteilt. Auch seine gespaltene Zunge erinnerte in an sein nebelheimer Erbe. Dann blickte er auf sein jüngstes Werk und durch den Stahl hindurch. Tatsächlich vermochten seine Augen die Schwaden durchdringen, die über dem einstigen Bergdorf lagen. Die Macht seiner schwarzen Kunst, die jetzt im Stahl des seltsamen Erzes der Irrlingsspitze lag, machte es ihm möglich. Dass sein neuer Spruch erfolgreich gewirkt hatte, erfüllte ihn mit einem jauchzenden Glücksgefühl. Seine Kraft kehrte bereits zurück. Doch was er dort betrachtete, übertraf für einen Moment seine Erwartungen. Durch das Fenster konnte er in die Ferne blicken. Es war ein sonniger Tag und er sah die schneebedeckten Gipfel aufragen, die das Tal umgaben. In der Ferne thronte die steile weiß-glitzernde Pyramide der Irrlingsspitze über allen anderen Bergen. Er ließ seinen Blick in nächste Nähe hinabgleiten und sah unter ihm Nebelgard liegen. Das Dorf hatte sich geändert, seit sie es vor zwei Wintern erobert hatten. Neue größere Häuser waren entstanden und der Deich, der den Ort vor den Wassern der Fireldra schützte, war mit einer Stadtmauer erweitert worden. Er sah auf den matschigen Straßen Gestalten, die ihren Geschäften nachgingen. Rauch stieg aus vielen Schornsteinen auf. Auf der anderen Seite des Flusses und jenseits der Fireldrabrücke, hatte sich eine kleine Barackenstadt angesammelt in der die Flüchtlinge lebten, die aus den umliegenden Landen nach Nebelgard gekommen waren. Es handelte sich um arme, ausgestoßene oder zwielichtige Menschen, von denen einige in Acht und Bann standen. Sie hatten diese Hütten erbaut, arbeiteten auf den Baustellen von Nebelgard und hofften auf ein besseres Leben. Sie hofften auf den Reichtum und den Ruhm, der durch den Segen Jiarliraes kam, sollten sie auch als Henker, Soldaten, Huren, Waschweiber, Diebe, Spione oder Tagelöhner arbeiten. Sie träumten von einem Leben im Tempel oder vom Wissen schwarzer Kunst, denn sie hatten die Geschichten gehört, die man sich über Nebelgard erzählte. Es waren diese Geschichten an die Neire gerade dachte, als ein Lächeln über sein Gesicht huschte. Es waren die Geschichten, die er sich von den Spähern gerne und immer wieder erzählen ließ. Sie berichteten von einer dunklen Stadt, die Tag und Nacht und in jeder Jahreszeit unter einer dunstigen Glocke von Nebel lag. Man erzählte sich, dass das Feuer gewaltiger Essen der Unterberge und das Tauwasser von Bergschnee den Nebel schufen. In dieser Stadt sollte man schnellen Reichtum erlangen können, doch in einem weiteren Satz wurde dann gewarnt vor den dunklen Machenschaften, die dort im Gange waren. Besonders der letzte Teil der Legenden interessierte Neire. Es wurde berichtet von einer Bergfeste die im Bau war, von Riesen des Feuers, die die Errichtung der Zitadelle vorantrieben. Die Geschichten begannen fast immer mit Meister Halbohr, der als hinterlistiger Verräter und grausamer Heerführer die Stadt beherrschte. Sie endeten meist mit der Legende des Propheten, dem Kind der Flamme. Es wurde erzählt von einer Göttin, deren Geheimnisse in Flamme und Düsternis offenbart werden sollten. Es wurde berichtet vom Kind der Flamme, das mit Sündern auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden war und doch wiedergeboren und schöner als je zuvor aus des Feuers Brunst stieg. Neire liebte diesen Teil der Geschichte. Doch er verwarf die Gedanken. Jetzt war er stolz auf das Erreichte. Auf die Wirkung seines neuen Zaubers und auf das sehende Fenster aus Ne’ilurum. Er wollte weitere Fenster folgen lassen, um den Nebel der Stadt in jede Richtung zu durchblicken. Der Gedanke holte ihn in das hier und jetzt zurück. Er hatte so viele Dinge, denen er nachgehen wollte. Er liebte es sich im sich im Turm der Schatten aufzuhalten. Das Gebäude war inmitten von Nebelgard errichtet worden. Sie hatten dafür das Fundament das Haus von Eirold Mittelberg abgerissen. Die Nachtzwerge unter Granrig Hellengrub hatten den Turm aus Steinen geplant, die die Reste von Ne’ilurum in sich trugen. Das fünfeckige Gebäude überragte ganz Nebelgard und barg in den Tiefen die Geheimnisse der grauen Rasse der Elfen. Doch der Turm war erst vor kurzem fertiggestellt worden. Eirold war Neire treu ergeben und wachte über die niederen Geschosse. Die oberen Ebenen gehörten Neire. Hier rief er seine engsten Vertrauten zusammen und hatte Laboratorien jenseits des Tempels des Jensehers. Neire schüttelte den Kopf und trat vom durchsichtigen Ne’ilurum Stahl zurück. Die Kammern des Turmes und die Laboratorien mussten weiter gestaltet werden. Jede Aufgabe schien eine neue nach sich zu ziehen. Jede Forschung an Zaubern erschuf neue Ideen. Neire verstaute seine Zutaten und machte sich auf den Weg hinab. Er musste zurück in den Tempel des Jensehers, wo seine wahren Forschungen warteten.

Ohne den Sonnenschein war die Luft kalt und er sah seinen Atem kondensieren. Er schritt durch den Matsch der Gasse, die bergauf führte. Schlamm und Unrat häufte sich mit nichtgetautem, schwarzem Schnee, der an die Seiten der Häuser geschafft worden war. Der Nebel war dicht und überall. Er trug den Geruch von Feuer und Vergänglichkeit. Nuancen, die sich auf angereicherten Lüften dermaßen intensiviert hatten, dass sie nur noch als beißender Gestank wahrgenommen werden konnten. Neire hatte sich nach dem Verlassen des Schattenturms in eine graue Robe gehüllt, die seinen gesamten Körper und Kopf bedeckten. Er war in Gedanken versunken und dachte an die Vergangenheit und die Zukunft. Als er die Bäckerei passierte, aus deren Hintergasse der Geruch von warmem Brot den Gestank verdrängte, hörte er den einen schmatzenden Schritt im Schlamm, der näher war, als er eigentlich sein sollte. Nach dem Geräusch vernahm er ein weiteres… dann noch eins. Die Schritte kamen näher, doch durch die tiefgezogene Robe konnte er niemanden sehen. Dann drehte er sich um und fasste in das Leere. Sein Herz pochte und er war auf alles vorbereitet. Eine Hand hatte er an seinem Degen. Im Drehen schlug seine Hand gegen einen Widerstand, wie etwas Weiches. Für einen Bruchteil eines Augenschlages konnte er die Umrisse einer Gestalt sehen, die nach seinem Gürtel gegriffen hatte. Der Angreifer fühlte sich ertappt und zog ruckhaft seine Hand zurück. Neire sah, wie sich die Konturen einer bemäntelten Gestalt formten, die nun durch die Hintergasse des Bäckers flüchtete. Augenblicklich lief Neire hinterher, erinnerte sich dann aber an die Worte der schwarzen Kunst. „Erstarre!“ Seine Stimme hatte eine rohe und urtümliche Gewalt in sich. Die Fäden von Flamme und Düsternis waren in das Machtwort verwoben. Neire zeigte mit dem Finger auf die Silhouette und im Licht des offenen Hintereingangs begann sie ihre Richtung zu ändern. Sie wurde langsamer und stieß mit einem Stapel von Mehlsäcken zusammen. Weiterer Staub wurde in die Luft gewirbelt. Der Schlamm war hier weniger und Vordächer zogen sich lang über Hintergasse hinweg. Neire schritt vorsichtig näher und zog seinen Degen aus dunkel glänzendem Ne’ilurum. Die Gestalt schien wie eingefroren, übermannt von seiner schwarzen Kunst. Im Zwielicht waren nicht viel mehr als ihre Umrisse erkennbar. Neire legte den Degen an den Hals der Kreatur, die etwas kleiner als er war. Er flüsterte die Worte, als er die Kapuze der Robe zurückzog. „Wer seid ihr, dass ihr es wagt das Kind der Flamme zu bestehlen?“ Im Nebel erschwerten die aufgewirbelten Mehlpartikel die Sicht, doch er war in der Lage das Gesicht seines Angreifers zu erblicken. Was er sah, erfüllte ihn mit Erstaunen. Ihm gegenüber stand eine zierliche junge Frau, kaum älter als 17 Winter. Sie hatte langes schwarzes Haar und eine schneeweiße Haut. Eine feine Schicht von Mehlstaub hatte sich über ihre vollen roten Lippen gelegt. Ihr hübsches Gesicht besaß einen teilnahmslosen, überlegenen Ausdruck. Dieser Ausdruck schien nicht aufgesetzt, war ihr Gesicht doch unter seiner schwarzen Kunst fast erstarrt. Neire konnte nur sehen, wie sich ihre strahlend-blauen Augen langsam bewegten. Doch da war keine Furcht in ihrem Blick. Sie schien ihn interessiert zu betrachten. Ihre Hände waren in schwarze Handschuhe gehüllt und hatten gerade nach ihrer Waffe, einem Kurzschwert getastet. Neire strich über ihr Gesicht und ihre Lippen. Der Mehlstaub rieselte hinab und die Muskeln ihrer Wange fingen an zu zucken. Sie blieb jedoch stumm. Neire trat näher an sie heran und vernahm ihren süßlichen Geruch von Vanille und Honig. Er öffnete ihre Hand und griff nach dem Schwert, während er zischelnd sprach. „Ich nehme an ihr werdet diese schöne Waffe nicht gebrauchen wollen, wenn ich euch aus der Erstarrung entlasse. Es ist schon verwunderlich, dass ihr mich versucht zu bestehlen und in euren Augen keine Furcht zu sehen ist.“ Neire sprach die Wahrheit, doch er verheimlichte, dass er von ihrer Schönheit und ihrer Anmut verzaubert war. In der Rechten hielt er ihre Klinge, die einen schwarzen Opal am Ende des Griffstücks eingelassen hatte. Der Stahl der Schneide glitzerte silbern in der Düsternis. Mit der Linken, seiner verbrannten Hand, vollzog Neire eine schnelle Geste, als würde er eine Rune in die Luft zeichnen. Er beendete damit seinen Zauber. Langsam kehrte Leben in die Gestalt zurück. Ihre schwarzen Augenbrauen fingen an zu zucken und ihre Lippen begannen sich zu bewegen. Die ersten Worte waren langsam, klangen fast gelähmt. „Ich… ich wusste nicht… Ich wusste nicht wer ihr seid. Verzeiht, Kind der Flamme. Mein Name ist Edda, Edda von Hohenborn. Ich kam nach Nebelgard wegen des Goldes, was man hier verdienen kann. Doch ich wollte euch nicht bestehlen.“ Sie trat einen Schritt zurück und blickte sich um, als würde sie nach Fluchtmöglichkeiten suchen. Als sie von Gold sprach, lächelte Neire und sie erwiderte sein Lächeln. „Oh, eure Hand war dort, wo sie nicht hingehören sollte und ein einfaches Menschlein hätte euch wohl nicht bemerkt, Edda. Ich bin aber kein einfaches Menschlein. Ich bin Neire von Nebelheim, Prophet von Jiarlirae und Herr des Turmes der Schatten. Ihr seid mir jetzt etwas schuldig und ich habe euer schönes Schwert.“ Das Lächeln in ihrem Gesicht erstarb sofort, als Neire seine Forderung stellte. Edda stieß einen Seufzer aus und ließ bewusst übertrieben ihre langen, geschminkten Augenwimpern sinken. Allein ausgelöst durch diese Geste, spürte Neire ein warmes Gefühl durch seine Brust fließen und lächelte erneut, als sie antwortete. „Ich fürchte, ich habe keine Wahl. Doch ich bitte euch mir eines zu versprechen, Neire. Auch wenn ich nicht euer Göttin Jiarlirae diene, will ich nicht auf dem Scheiterhaufen enden.“ Jetzt war es Neire, dessen Miene sich verfinsterte. Er spürte die Wut – oder war es Enttäuschung – als Edda so über seine Göttin sprach. Er spürte, dass er wollte, dass sie Jiarlirae liebte, so wie er es tat. So wie einst Lyriell es getan hatte. Doch je länger er nachdachte, desto schneller verflog die Wut. Sie hatte schließlich Jiarlirae nicht verneint. Neire nickte und sagte: „Gut ihr habt mein Wort. Nun kommt. Ich habe im Tempel des Jensehers einige Dinge zu erledigen und ihr sollt dort eure Aufgabe erhalten.“

Neire und Edda waren der breiteren Gasse gefolgt, die mittlerweile in Serpentinen den Berg hochführte. Die Häuser schienen alle neueren Ursprungs zu sein. Düsterer Nebel und schwebende Asche verdunkelten auch hier das Sonnenlicht und der Matsch der Straße erschwerte das Gehen. Neire war bis jetzt schweigsam hinter Edda gegangen. Die Diebin hatte es nicht gewagt ihm eine Frage zu stellen oder zu sprechen. Sie spürte wohl, dass er ihr Schwert gezogen hatte und es ihr jederzeit in den Rücken stoßen konnte. „So sagt Edda, von woher kommt ihr? Erzählt mir von eurem Weg hierhin. Eurer Reise nach Nebelgard.“ Sie hatten mittlerweile die letzten urigen Häuser passiert, auf deren steinernen Mauern hölzerne Obergeschosse mit mächtigen, runenverzierten Dachgiebeln ruhten. Als Neire die Frage stellte, war nur noch der Nebel um sie herum. Die Geräusche seiner zischelnden Stimme wurden geschluckt von den Schwaden. „Ich komme von weit her. Von einer südlichen Insel. Dort liegt eine Stadt, die Vintersvakt genannt wird.“ Neire antwortete sofort. „Winter im tiefen Süden? Ich habe von der Wärme des Südens gelesen. Wieso dieser Name Edda?“ Sie drehte sich um und lachte auf, bevor sie weiter fortfuhr. „Es ist warm in Vintersvakt, oh ja. Es ist sehr warm. Doch die Stadt liegt an einem hohen Berg, der seit jeher eine weiße Spitze trägt. Man sagt der Schnee besänftigt das Feuer, das im Inneren des Berges tobt. Nur der weiße Rauch über der Spitze zeugt noch von diesem Feuer. Man sagt, seit der Ankunft der ersten meiner Vorfahren ist die Kuppe weiß gepudert. Seitdem wachen die heiligen Männer des Frostviggier über Vintersvakt. Dort oben, von ihrem Tempel im ewigen Schnee. Sollten sie einst nicht mehr dort wachen, so sagt man, wird das Feuer wieder ausbrechen und Vintersvakt zerstören.“ Neire spürte, dass er die heiligen Priester des ihm fremden Gottes nicht mochte. Er malte sich aus, wie sie versuchten das Feuer mittels Eis zu kontrollieren; wie sie die fortwährende Veränderung einfroren, um sie an ihre Gesetze zu binden. Er lachte auf. „Ha… eine Geschichte, die man vielleicht kleinen Mädchen erzählt. Seid ihr so aufgewachsen? Habt ihr den Geschichten der Frostviggier Diener gelauscht?“ Edda drehte abermals ihren Kopf zu ihm und rollte gelangweilt ihre Augen. „Andere Mädchen? Vielleicht ja. Ich hatte einen Vater der nie Zuhause war und meine Mutter starb bei meiner Geburt. Also spielte ich mit meinem Schwertmeister und er lehrte mich den Gesang der Klinge, die ihr nun für mich tragt. Als ich älter war, wurde ich dann von meinem Vater in die östlichen Küstenlande geschickt, um dort in einem unserer Schlösser zu leben. Burg Sturmhort am Ostend. Irgendwann wurde mir jedoch langweilig und ich kehrte von einem meiner Ritte nicht zurück. So kam ich nach Nebelgard, von dem ich einige Gerüchte gehört hatte.“ Neire ließ Edda ausreden, spürte aber, dass sie in Teilen log. Für heute wollte er es bei der Geschichte belassen, doch er würde sie wieder fragen. Die fernen Lande und Geschichten von Vintersvakt hatten sein Interesse geweckt. Mittlerweile waren Neire und Edda an das Ende der Straße gelangt. Nebelgard lag irgendwo hinter ihnen, verborgen in den dichten Schwaden. Hier oben war der Dunst lichter und sie sahen vor sich die Mauern aus gewaltigen schwarzen Steinquadern. Der Weg führte über eine provisorische Holzbrücke und überall ragten hölzerne Gerüste auf. Gedämpft klangen die Geräusche von Spitzhacken, Hämmern und Meißeln zu ihnen heran. Sie durchquerten die Burgmauern und kamen vorbei an Arbeitern. Menschen, Nachtzwerge und muskulöse Orks schufteten auf der Baustelle. Ab und an sahen sie schemenhaft die Gestalt eines Riesen gewaltige Steinquader schleppen. Die oberen Körperteile verschwanden unscharf im Nebel, so groß waren die schwarzen Körper der Feuerriesen. Dann durchquerten sie die Hallen eines fast fertiggestellten Hauptgebäudes. Als sie in den fackelerhellten Tunnel blickten, der in das Innere des Berges führte überholte Neire Edda und verbeugte sich gespielt elegant vor ihr. „Willkommen Edda im Reich von Flamme und Düsternis, willkommen im Tempel des Jensehers.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Zwischenspiel 07 - Edda von Hohenborn

Sie war immer wieder zurückgekehrt. Sie wusste nicht wieso. Sie hatte auch nie darüber nachgedacht wieso sie zurückgekehrt war. Sie hatte nur über den Gedanken gebrütet, ob sie zurückkommen sollte oder nicht. Waren es die Geheimnisse des Tempels des Jensehers? Oder war es die unbeschwerte Erscheinung des kindlichen Propheten, ein Verlangen in seiner Nähe zu sein und an seinen Geheimnissen von Feuer und Schatten teilhaben zu können? Edda wusste nicht genau was es war. Sie konzentrierte sich auf das, was einst war, was ihr jetzt bevorstand. Sie dachte an ihre Aufgabe und ihre kommende Begegnung. Bereits zum dritten Mal war sie in die steinernen Hallen unter der Irrlingsspitze zurückgekehrt. Die erste Aufgabe, die ihr Neire gegeben hatte, war einfach gewesen. Sie hatte eine kleine Schatulle nach Kusnir bringen müssen. Ihr wurde ein Pferd zugewiesen und sie war schnell vorwärtsgekommen. Es war Sommer gewesen in den Schneebergen, doch je näher sie dem Herzogtum Berghof kam, desto wärmer war es geworden. Das Wetter hatte Edda nicht überrascht – Wärme war ihr aus ihrer Heimat, Vintersvakt, bekannt. Sie hatte sich gewundert über die große Anzahl an Karren, die teils von Pferden oder Ochsen über die Straße nach Kusnir gezogen wurden. Ebenso viele Karren kamen ihr entgegen. Güter, die nach Nebelgard gebracht wurden oder von dort stammten, mussten sich auf den Gefährten befunden haben. In Kusnir hatte sie die Schatulle dem neuen Ortsvorsteher geben, der den Namen Jorwin Raunenstharr trug. Sie hatte gehört, dass sein Vorgänger Kurst mit einigen anderen unglücklichen Seelen auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden war. Alle, die in den Flammen zu Grunde gegangen waren, hatten das Knie vor Jiarlirae nicht beugen wollen. Edda hatte natürlich versucht die Schatulle zu öffnen. Die kleine Kiste war verschlossen gewesen und sie hatte ihre Dietriche benutzt. Das Schloss war für sie kein Hindernis gewesen und im Inneren hatte sie einige wertvolle Platinumstücke und mehrere Fläschchen mit einer schwarzen Flüssigkeit entdeckt. Die Violen hatte sie als Extrakt der Droge Düsternis erkannt, von der sie in Nebelgard bereits probiert hatte. Eines der Fläschchen hatte sie dann für sich behalten, bevor sie die Schatulle wieder verschloss. Der weitere Teil ihrer ersten Aufgabe war ohne besondere Ereignisse verlaufen. Auf dem Rückweg von Kusnir hatte sie einige Abende im Freien verbracht und sich an Düsternis berauscht. Sie hatte sich ein Lager im weichen Gras und unter den Bäumen kleiner Haine gesucht, die in dieser unbewohnten hügeligen Wiesenlandschaft aufragten. Unter dem Blattwerk uralter Weiden und unweit eines plätschernden Bächleins hatte sie den Sommersternenhimmel betrachtet. Geträumt hatte sie vom Tempel des Jensehers und von Neire. Edda hatte sich an ihre Dialoge erinnert und darüber nachgedacht, was sie ihm sagte, wenn sie ihn wiedersehen würde. Sie hatte sich gefragt, ob sie ihre Instinkte wieder betrügen würden, wie damals in Vintersvakt. In diesen Tagen hatte sie lange nachgedacht, wohin sie reiten solle. Sie war dann doch zurückgekehrt und hatte, wie von ihr erwartet, den nächsten Auftrag erhalten. Der Auftrag war ungleich schwerer und unangenehm gewesen und hatte einiges von Edda abverlangt. In der Flüchtlingsstadt vor Nebelgard sollte sie eine alte Frau beschatten, die unter dem Namen Mutter Ormrynda für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Edda hatte sich in Lumpen gehüllt, sich nicht mehr gewaschen und war für eine Zeit in der Barackensiedlung vor den Toren der Stadt abgetaucht. Sie hatte Mutter Ormryndra ausfindig gemacht und schon bald festgestellt, dass sich Ormrynda als Hüterin und als Mensch gewordene Schlange ausgab. Die alte Frau hatte sich als Predigerin Jiarliraes ausgegeben und war geübt mit einigen niederen Taschenspielertricks, um die Hungerleider eines Besseren zu überzeugen. Edda hatte einige Wochen im Dreck gelebt und mit ihrem Dolch und Kurzschwert in griffbereiter Nähe geschlafen. Die Zeit hatte sie an ihre alten Tage erinnert. An eine Zeit, an die sie nicht zurückdenken wollte. Zu groß war der Schmerz der Erinnerung. Sie hatte sich zudem um das harte Überleben in dieser Umgebung kümmern müssen. Nicht nur einmal wäre sie fast vergewaltigt worden, hätte sie nicht den Angreifern mit dem Kurzschwert geschickt durch das Gesicht geschnitten und sie so verjagt. Bei Mutter Ormrynda hatte das für Aufsehen gesorgt und sie war der älteren Dame nähergekommen. Die Frau war von Spenden der Hungerleider versorgt worden und Edda hatte sich gewundert, wieviel selbst die Ärmsten noch abgeben konnten. Doch sie hatte gewusst, dass sich die Menschen hier ein besseres Leben erhofften und die Opfergaben nicht aus freiem Herzen kamen. In den Abendstunden, wenn die Sommersonne bereits über den Bergen untergegangen war und ein magisch-bläuliches Himmelsglühen den Horizont über den weißen Gipfeln überzog, hatte Edda wie gebannt auf die düsteren Schwaden geschaut, die über Nebelgard waberten. Sie hatte sich auf dem Dach der Baracke niedergelassen und sich gefragt, ob sie all das Elend nur verlassen wollte oder ob sie sich nach Neire sehnte. Sie hatte sich sein Gesicht vorgestellt und seine zischelnden Worte fernen Singsangs waren in ihrem Kopf gewesen. Wie einstige Melodien ihrer Kindesstatt. Eines Abends hatte ihr Mutter Ormrynda erzählt, dass der Tempel neue Diener suche, die in der schwarzen Kunst unterrichtet werden sollten. Ormrynda hatte ihr bereits einige ihrer Zaubertricks gezeigt, die größtenteils auf einfacher Täuschung beruhten. Sie hatte aber auch ein Wort von ihr gelernt, das die Schatten ihrer Bewegungen ein wenig länger werden lassen konnte. Mutter Ormrynda hatte sich über ihre Lernfähigkeit gefreut und die alte Frau hatte gehofft, dass sie so einen Zugang zu den Geheimnissen des Tempels des Jensehers haben würde. Edda hatte eingewilligt und die alte Frau verlassen. Sie war nach Nebelgard zurückgekehrt, doch anstatt sich als Schülerin der neuen Akademie Schwarzenlohe anzuschließen, war sie unverzüglich in den Tempel des Jensehers zurückkehrt. Dort hatte sie Neire sofort empfangen. Junge Orksklavinnen hatten sie gebadet und ihr ein fürstliches Mahl gebracht, während Neire sich mit ihr unterhalten hatte. Der Jüngling hatte ihr Wein eingeschenkt und an ihren Lippen gehangen. Nach der Zeit in der Flüchtlingsstadt, die immer öfters als Eldrabrück bezeichnet wurde, hatte sie sich so nach einem Bad gesehnt. Die Wärme und der Wein waren ihr zu Kopf gestiegen und sie hatten getrunken, gesungen und gelacht. Das glitzernde Licht der Fackeln, die Juwelen, der Reichtum und der das Licht absorbierende Stein, von dem das Gemach in ein angenehmes Zwielicht gehüllt wurde, hatten sie in einen träumerischen Zustand versetzt. Neire hatte ihr Haar mit warmem Wasser sowie Duftölen gewaschen und sie hatte wie in einer Trance weitererzählt. Dem nächsten Teil ihrer Aufgabe hatte sie ohne Zögern zugesagt. Den letzten Auftrag hatte sie mit Neire zusammen geplant. Sie war nach ihrem Aufenthalt im Tempel des Jensehers in die Akademie Schwarzenlohe eingetreten, in der sie anschließend die Aufnahmeprüfung bestanden hatte. Dort hatte sie einige Zeit mit anderen Schülern verbracht und Bücher studiert, von denen sie sehr wenig verstanden hatte. Sie hatten keinen richtigen Lehrer gehabt. Nur ab und an hatte ihnen Neire einen Besuch abgestattet und ihnen über die Geheimnisse von Flamme und Düsternis erzählt. Richtige Lehrstunden, wie die, die sie bei ihrem damaligen Schwertmeister in Vintersvakt hatte, waren es aber nicht gewesen. Ihre Zeit, in der kein Lehrmeister vorhanden war, hatten einige ihrer Mitschüler für andere Dinge verwendet. Sie hatten sich dem Wein, der berauschenden Substanz der Düsternis und dem Liebesspiel hingegeben. Edda hatte sich dann in ihr Zimmer zurückgezogen und studiert, so gerne sie auch mit ihren Gleichaltrigen abgegeben hätte. Sie hatte sich an das Wort der Macht zurückerinnert, mit dem Neire ihre Bewegungen hatte einfrieren lassen. Schon damals hatte sie gewusst, dass dies die Macht war, die sie einst selbst beherrschen wollte. Nach drei weiteren Wochen, die viel zu schnell vergangen waren, hatte Neire ihnen allen freie Tage zugestanden, die sie nach ihren eigenen Vorlieben gestalten konnten. Edda war nach Eldrabrück und zu Mutter Ormrynda zurückgekehrt. Sie hatte den wissbegierigen Fragen der alten Frau gelauscht und ihr erzählt, was ihr in der Akademie Schwarzenlohe widerfahren war. Das Gespräch hatte sich bis in die Abendstunden gezogen. Ormryndas Wachen, zwei grobschlächtige Schläger, von denen einer schielte, hatten dafür gesorgt, dass sie ungestört blieben. Schließlich hatte sich Ormrynda verabschiedet und Edda hatte sich vor ihr verbeugt und ihre bleiche, faltige Hand geküsst. Als sich die alte Frau umdrehte, hatte Edda zugeschlagen. Sie hatte ihr Kurzschwert gezogen, auf dem Neire das tödliche Gift aufgebracht hatte. Sie hatte Ormrynda das Kurzschwert in den Rücken gestochen und der Mutter der Schlange den Mund zugehalten. Das Schwert war in tief in den Rücken eingedrungen, hatte aber nicht das Herz von Mutter Ormrynda getroffen. Die ältere Frau mit dem grauen, schmutzigen Haar hatte angefangen zu zittern und war ohne ein weiteres Aufbäumen in sich zusammengesackt. Edda hatte daraufhin den Körper aufgefangen und ihn vorsichtig auf das einfache Lager im türenlosen Seitenraum gezogen. Sie hatte versucht so geräuschlos wie möglich zu sein. Bis auf das leise Knarzen der Bretter waren keine Geräusche zu hören gewesen. Dann hatte sie sich das Blut von den Händen gewaschen und ihre Kapuze übergezogen. Sie hatte anschließend die Hütte durch den Eingang und in die Nacht von Eldrabrück verlassen. Die beiden Wachen hatten sie zwar anschaut, ihr aber keine weiteren Fragen gestellt. Erst als Edda die Stadtwachen von Nebelgard, die an der Fireldrabrücke standen, passiert hatte, war die Anspannung von ihr abgefallen. Erst jetzt war ihr aufgefallen, dass sie unter ihrer Kleidung und in ihrer rechten Hand das Kurzschwert hielt. Ihre Linke hatte sie zur Faust geballt, so dass sich ihre Fingernägel in die Haut geschnitten hatten. Sie hatte Nebelgard durchquert und war dem Tunnel in den Tempel des Jensehers gefolgt. Jetzt, nach ein paar Stunden Fußmarsch war die Anspannung von ihr abgefallen und sie spürte die Müdigkeit des langen anstrengenden Tages, als sie in der großen Halle wartete, deren hohe Decke nicht gänzlich von dem Licht erhellt wurde. Edda betrachtete immer wieder die Wände, der mit einem grauen, geschliffenen Alabasterstein versehenen Halle. Rote und schwarze Banner waren dort aufgehängt, die goldene Runen der Chaosgöttin Jiarlirae trugen. Junge Orksklavinnen hatten ihr bereits das zweite Glas Wein gebracht, an dem sie hin und wieder trank. Die Halle war ab und an von den Dienern Jiarliraes betreten worden, die, ohne mit ihr zu sprechen, wieder in einer anderen Türe verschwanden. Augenblicklich war jetzt wieder das Geräusch einer Türe zu hören. Hervortreten sah sie jedoch das Kind der Flamme, gekleidet in einen roten Umhang mit den Stickereien von goldenen Chaosrunen. Neire warf seinen Kopf mit den gold-blonden Locken zurück und lächelte ihr zu. Sie schätzte das Alter des Propheten auf 17 Winter; so alt, wie sie selbst war. Edda erwiderte das Lächeln. Sie konnte ihren Blick nicht von Neires anmutigem Gesicht nehmen. „Edda, seid gegrüßt. Wie ist es euch ergangen? Ihr seht müde aus und müsst hungrig sein. Hat man euch Speise und Trank gebracht.“ Edda nickte und deutete auf das Glas. „Ich habe getan, was getan werden musste, Neire. Ormrynda ist tot. Sie ist gestorben durch meine Hand.“ Neire trat jetzt näher an sie heran und nahm ihre Hände. Dort waren noch geringe Verfärbungen des Blutes zu erkennen. Edda vernahm sein modrig-süßes Parfüm, das nach Erde und einer fremden Wurzel roch. Sie konnte die schlangenhaft geteilten Pupillen seiner nachtblauen Augen glitzern sehen. „Das sind wunderbare Nachrichten Edda und das müssen wir feiern. Nehmt etwas von dieser Substanz, die sich Grausud nennt und erzählt. Ich bin so gespannt eure Geschichte zu hören.“ Edda dachte nicht lange nach und leckte den grauen klebrigen Tropfen von Neires Finger. Sie verspürte den Geschmack von ranzigem Fett und exotischen Gewürzen. Augenblicklich fing ihre Zunge an zu kribbeln. Dann schossen Lichtblitze durch ihr Blickfeld. Die Zeit schien still zu stehen, Wärme floss durch ihre Gliedmaßen und sie dachte, sie würde schweben. Neires Antlitz leuchtete golden im Licht der Fackeln. Seine Haare zogen lange vielfarbig glitzernde Fäden, die an einigen Punkten wie helle Sterne schimmerten. Sie sah, dass Neire sich auch ein Glas Wein eingoss und einen Tropfen der seltsamen Substanz nahm. Dann fing sie an zu erzählen. Für eine Weile sprudelten ihre Worte hervor wie ein Wasserfall. Sie war glücklich und erfüllt von Freude. Sie saßen eng beieinander und Neire hörte ihr zu. Sie hatte die Entbehrungen, die Angst und den Schmutz vergessen. Selbst den Mord an Mutter Ormrynda erzählte sie mit sehnsüchtigem Rückblick, in ein nostalgisch verklärtes Gestern. Jetzt war es das, was einst war.

~

„Wenn das Licht uns einst nehmen sollte…, wenn es uns unser Geheimnis stehlen sollte… wir dürfen es niemals dazu kommen lassen. Jiarlirae ist stark, sie würde es nicht zulassen.“ Edda war an die schwarze Sphäre herangetreten, die dort zwischen den drei spitzen Obelisken aus Ne’ilurum schwebte. Die Sphäre war mehr als doppelt so groß wie sie selbst und sie konnte förmlich die fremde Macht spüren, die dem seltsamen Konstrukt innewohnte. Sie ließ das Licht der Kammer auf sich wirken, das in der schwarzen Kugel verschluckt wurde. In den Steinwänden schimmerten dunkle Ne’ilurum Adern wie Kristallglas. Die kolossale Halle verfügte über Halbhemisphären-ähnliche Teilkammern, die sich in der Mitte trafen und sich überlappten. Neire hatte es als verborgenes Herz eines Gottes bezeichnet, als sie durch die doppelflügeligen Ne’ilurumtüren gegangen waren. Es war wie ein Herz, was in den Berg geschnitten wurde, um unglaubliche Energien zu beherbergen. Edda sprach zu Neire ohne sich umzudrehen. Sie spürte den Rausch des Grausud und des Weines, den sie danach getrunken hatten. Überall funkelte das Licht um sie herum und begann sich zu drehen. Nur die Kugel aus Dunkelheit bewegte sich nicht. „Es ist so schön Neire. Es ist das Heiligtum eurer Göttin und ich spüre ihre Macht.“ Sie hörte sich selbst frohlocken, als sie sprach. Sie fühlte sich hingezogen zu Feuer und Dunkelheit. Was konnte man Besseres tun, als in kindlicher Freude mit den Dingen zu spielen, bei der Offenbarung solch unglaublicher Möglichkeiten. Wie würde eine tanzende Flamme mit ihrem Schatten spielen? Neires Stimme war jetzt hinter ihr. „Ja, es schön. Doch es ist auch ein Portal. Eine Öffnung in eine andere Welt hinter den Sternen. Nicht die Welt meiner Herrin. Eine kalte Hölle kreischender Winde verbirgt sich auf der anderen Seite.“ Eddas Neugier wuchs bei jedem von Neires Worten. Jetzt lachte sie auf. „Wo seid ihr gewesen Kind der Flamme, während ich Mutter Ormrynda tötete. Wo seid ihr jetzt Neire, während wir das schwarze Portal eurer Göttin betrachten, das in eine Höllenwelt jenseits der Sterne führt?“ Sie spürte, dass Neire näher an sie trat und seine linke Hand ihr Haar zurückstrich. Sie konnte das Narbengewebe seiner verbrannten Haut an ihrer Wange fühlen. Dann flüsterte Neire in ihr Ohr, während er sie umschlang. „Ich bin hier Edda. Ich bin hier bei euch und es gibt nur uns beide.“ Sie drehte sich zu ihm um und er zog sie zu ihm. Als sich ihre Lippen berührten konnte sie das verrückte Kreischen des kalten Windes in der Ferne hören. Sie fühlte Neires gespaltene Zunge, die die ihre berührte. Da waren die Lichter des Herzens im Berg. Die Lichter des göttlichen Herzens, die schimmerten wie ferne Sterne. Und da waren sie: Edda und Neire. Sie waren wie zwei tanzende Flammen in berauschter Schwärze. Sie waren wie zwei sterbliche Menschenschlangen, verzaubert verschlungen im Erahnen eines unendlich-dimensionalen Meeres von Macht. Es war die Brandung des Urchaos, ein feuriger Reigen junger Geister, der an diesen sternenlosen Strand der Düsternis brauste.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sitzung 109 - Aufbruch in den Höllenkessel - Teil I

Die Tage vergingen wie im Rausch. Neire verbrachte einen Großteil seiner Zeit in der Akademie Schwarzenlohe. Er arbeitete in den Laboratorien und lehrte die neuen Schüler, die teilweise jünger als er selbst waren. In Wahrheit verbrachte er aber seine Zeit dort wegen Edda. Die anderen Schüler hatten dies schnell bemerkt; sie tuschelten und kicherten, wenn sie Neire und Edda zusammen sahen. An den Abenden und in den Nächten hielten sich Neire und Edda in den Laboratorien oder in Neires Schlafraum auf. Sie sprachen über die schwarze Kunst, die Formeln, von denen einige tödlich in der Wechselwirkung mit lebendem Fleisch waren und von denen andere fortwährende Dunkelheit und Verdammnis brachten. Sie sprachen auch über ihre Erfahrungen, über alte Geschichten, vergangene Kunst und neue Lieder. Edda wollte alles über Neires Kindheit in Nebelheim wissen und das Kind der Flamme erzählte ihr mit leuchtenden Augen von Jiarlirae. Wenn sie nicht forschten, tranken die beiden Wein, berauschten sich mit Grausud oder liebten sich dort, wo sie sich gerade befanden. Das Zeitgefühl ging ihnen verloren und Edda lernte schnell. Doch je länger die beiden in Schwarzenlohe verweilten, desto öfters klopften die Boten an die Pforten der neugegründeten Akademie. Meist waren es Unterredungen, zu denen Neire gebeten wurde. Zum einen mussten Entscheidungen beim Bau der Festung an der Felswand über Nebelgard getroffen werden. Zum anderen waren es aber auch viele kleinere Dinge, wie die Steuerung des Handels mit Unterirrling, Urrungfaust oder dem Herzogtum Berghof. In diesen Situationen fiel beiden der Abschied schwer und zog sich meist so lange, bis selbst die Boten unruhig wurden. Dann aber änderten sich die Dinge und es erschien ein anderer Bote an der Pforte von Schwarzenlohe. Es war eine junge Feuerriesin, die Neire zu einer Audienz mit Königin Hulda von Isenbuk bat. Neire willigte sofort ein und ließ Edda nach einem langen Abschiedskuss zurück. Die Feuerriesin, die sich ihm als Thialda vorstellte, führte Neire durch die Baustelle der Festung und den Tunnel, bis in das Gemach der Königin. Dort nahm Neire auf einem Stuhl Platz und wartete auf Hulda. Er betrachtete den Empfangsraum der Königin, während er die Wärme genoss, die von dem neu errichteten Ofen aus Ne’ilurum ausging. Der Jüngling hatte bereits ein Dunkelbraan erhalten und genoss den starken, bitteren Geschmack sowie die feine, säuerliche Note des urrungfauster Bieres. Dann öffnete sich die Tür zu Huldas Gemächern und hervor trat die Königin. Neire erhob sich und verbeugte sich tief, dann lächelte er der Anführerin der Feuerriesen zu. Hulda hatte sich in kostbare purpurne Gewänder gehüllt, die dem Anlass nicht entsprechend waren. Sie zeigten zu viel ihrer grau-dunklen Haut, die in langen Falten hinabhing. Huldas dunkle, schweinsartige Augen waren zusammengekniffen, als sie zur Begrüßung sein Lächeln erwiderte. Im flackernden Licht der Fackeln wirkte ihr Ratten-ähnlich spitz zulaufenden Gesicht älter, als es eigentlich war. Oder ging es ihr vielleicht nicht gut? Neire verwarf den Gedanken, als er den Reichtum des Gemachs betrachtete, den Hulda nach ihrer Ankunft hier angehäuft hatte. Nachdem sie die üblichen Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatten, sprach Hulda den wahren Grund der Audienz an. Sie erhob das Wort in der Sprache ihrer Vorväter, in der Weise der Feuerriesen. „Neire, seit ich euch kenne seid ihr zu meinem besten Freund geworden und daher wage ich es offen mit euch zu sprechen.“ Neire nickte zustimmend und Hulda fuhr fort. „Es bedrücken mich einige Entwicklungen in meinem Volk, deren Anfänge ich schon seit unserer Ankunft beobachten konnte. Euch sind sie vielleicht nicht aufgefallen, da nur ein Feuerriese sein eigenes Blut derart kennt.“ „Was ist es Königin? Was bedrückt euch?“ Hulda beendete ihr Stocken, als Neires Frage sie bestätigte. „Anfangs waren es kleine Streitigkeiten zwischen meinen Kriegern. Rivalitäten, nichts Schlimmes. Es folgten Schlägereien, die mit einer zunehmenden Brutalität geführt wurden. Schließlich bildeten sich Gruppen, die nun mein Volk vergiften.“ Neire neigte fragend seinen Kopf und die Königin fuhr fort. „Es ist der fehlende König an meiner Seite. Es weckt Begehrlichkeiten. Jeder der fähig ist, will seine Macht zeigen, versucht Anhänger zu sammeln. Sie umwerben mich immer offensiver; sie möchten mit ihren Taten glänzen. Doch sie sind nicht geeignet als Nachfolger Dunroks. Sie sind nicht stark genug und auch nicht schön genug. Ich fürchte, dass es noch schlimmer werden wird. Wenn wir nicht etwas unternehmen, wird es bald Mord und Totschlag geben.“ Neire nickte, als er langsam die Schwierigkeiten verstand, die Hulda belasteten. „Ich verstehe euch, Königin. Ihr seid intelligent und weise in euren Vorahnungen. Ihr habt meinen Dank im Namen von Jiarlirae, dass ihr ehrlich zu mir sprecht. Wahrlich seid ihr eine große Freundin.“ Er verbeugte sich und die Königin erwiderte seine Geste. „Ich brauche euren weisen Rat Königin. Was kann ich tun? Sollte ich nochmals mit ihnen sprechen? Kann ich den Unruhen Einhalt gebieten?“ Hulda schüttelte ihr Haupt, bevor sie antwortete. Ihre verfilzten rötlichen Haare standen von ihrem hässlichen Kopf ab, auf dem Geschwüre zu sehen waren. „Ich fürchte nein. Ihr habt einen großen Einfluss Prophet und mein Volk respektiert euch. Doch, verzeiht meine Ausdrucksweise, ihr seid so klein. Eure Worte würden vielleicht eine Zeit wirken. Dann würde alles wieder anfangen. Vielleicht schlimmer als vorher.“ „Ich verstehe, Königin. Es braucht Macht und es braucht Furcht, um euer Volk zu beherrschen. Es braucht einen König, der nur aus eurem Blute entstammen kann.“ Jetzt war es Hulda, die in ein breites Grinsen verfiel und ihre fauligen Zähne zeigte. „Deswegen seid ihr mein bester Freund Neire. Ihr seid so klug und weise. Ja, es braucht diesen König an meiner Seite, den König aus meinem Blute. Groß und stark soll er sein. Und schön, so wie einst König Isenbuk… bevor er fett und hässlich wurde. Und nicht zu intelligent muss er sein. Damit ich, Königin Hulda, herrschen kann. Damit wir Jiarlirae dienen können.“ „Wer kann es sein, Königin? Wer könnte euer König werden?“ Hulda antwortete ihm wohl überlegt. „Erinnert ihr euch? Ich erzählte euch einst von dem jungen Jarl Eldenbarrer, dem Träger der Flamme von Thiangjord. König Dunrok Isenbuk hatte damals bereits mit ihm Kontakt aufgenommen, um ihn als Verbündeten im Krieg gewinnen zu können. Aber ich glaube die beiden waren da bereits verstritten. Eldenbarrer schaute auf das hinab, was aus Dunrok geworden war. Ein fetter und träger Säufer. Doch er hatte Respekt vor Dunrok und wäre wohl seinem Waffenruf gefolgt.“ „Ihr erzähltet mir einst über die Eisenfeste Sverundwiel. Über ihre Geschichte und ihre Erbauer, die Nachtzwerge, habe ich gelesen. Den Legenden nach soll sie südwestlich von hier, im Höllenkessel liegen.“ Hulda nickte, als er sprach. Neire bemerkte ihre Aufregung. „Ich bitte euch Neire, brecht bald auf. Doch seht davon ab, meine Untergebenen mitzunehmen. Die alten Feindseligkeiten zwischen Dunrok und Eldenbarrer könnten wieder aufleben.“ Neire überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, Königin Hulda, habt keine Angst. Ich werde einen Riesen aus Halbohrs Garde mitnehmen. Wir werden bald aufbrechen.“ Er erhob sich und verbeugte sich tief. Dann warf er seine gold-blonden Locken zurück, die ihm mittlerweile bis auf die Brust hinabfielen. Königin Hulda lächelte ihm ein letztes Mal zu, als sie die Worte des Abschieds sprach. In ihren Worten schwang ein emotionaler Ton, der auf mehr als Freundschaft deutete. „Ach mein Neire. Ihr seid mein bester Freund, mein Seelengefährte. Wenn ihr doch nur nicht so klein wärt. Ihr seid mein wahrer König und werdet es für immer sein.“

~

Neire hatte mit allen gesprochen. Keiner hatte sich der Aufgabe verwehrt, doch den Hügelriesen Kulde aus seinen Aufgaben zu lösen, hatte sich am schwierigsten dargestellt. Neire hatte hierzu die Baustelle der Festung am Tunneleingang aufgesucht. Er hatte nach Fuldir Ausschau gehalten und war dem Riesen mit der schiefen Nase und den zerbrochenen Zähnen schließlich begegnet. Im Nebel hatte Fuldir eine Peitsche getragen und sich bereits wie ein König aufgeführt. Neire hatte die Augen des Jensehers eingesetzt. Er war so in der Lage gewesen, den Unteroffizier zu überzeugen, dass er sich mehr um die Arbeiten und nicht um andere Dinge kümmern sollte. Dann hatte er Fuldir befohlen Kulde herbeizurufen und ihn aus seinem Dienst zu entlassen. Fuldir hatte sich militärisch gefügt und Neire versprochen den Bau der Festung voranzutreiben. Die folgenden Tage waren sie mit den Vorbereitungen der Reise beschäftigt gewesen. Neire hatte den Nachtzwerg Heergren Nuregrum beauftragt einen großen Rucksack für Kulde anzufertigen. Als Heergren diese Aufgabe beendet hatte, hatten sie ihre Sachen gepackt und waren aufgebrochen. Sie wollten nur nachts reisen und verließen Nebelgard in den Abendstunden in südlicher Richtung. Sie waren zu viert: Neire von Nebelheim, Edda von Hohenborn, Heergren Nuregrum und Kulde, der Hügelriese. Der Himmel war von Wolken verhangen und der sommerliche Abend war nicht zu warm. Sie folgten dem Tal in Richtung des strömenden Gebirgswassers. Die Fireldra schimmerte von grünlich-grauem Gletscherwasser; ihr Rauschen erfüllte die Abendstille. Das Tal schlängelte sich durch die Landschaft und schon bald war Nebelgard hinter einem Bergrücken verschwunden. Als die Nacht einsetzte, hörten sie das Zirpen der Grillen. Sie vernahmen den Geruch von Bergblumen und dem des Grases der Wiesen. Irgendwann in der Nacht, sie mussten wohl schon einige Zeit gegangen sein, hörten Neire Stimmen in der Entfernung. Edda sah dort den Schimmer eines Lagerfeuers, auf der anderen Seite des Flusses. Sie berieten sich kurz, entschieden sich dann aber weiterzugehen und dem Feuerschein keine Beachtung zu schenken. Als dann der Morgen graute wurden sie müde und suchten sich einen kleinen Lagerplatz. Neire und Edda sprachen sich ab, die Wachen zu wechseln. Heergren und auch Kulde waren bereits in tiefen Schlaf gefallen. So verbrachten sie den Tag am Fluss. Neires Wache verlief ohne besondere Ereignisse. Er schaute immer wieder fasziniert auf den großen Leib von Kulde, dessen muskulöser, behaarter Oberkörper sich im Takt seines rasselnden Atmens hob. Einmal sah Neire ein Reh auftauchen, das neugierig in ihre Richtung glotzte. Als sie sich ausgeschlafen hatten, machte Neire ein Feuer und sie nahmen ihre Mahlzeit ein, die Kulde aus seinem schweren Sack beförderte. Nur Nuregrum blieb unter seiner Decke und im Schatten des Felsen liegen und sie brachten ihm geräucherte Würste und Brot. Dem Nachtzwerg ging es nicht gut im Licht. Seine Augen hatten zu tränen angefangen und er sprach von Kopfschmerzen. Neire und Edda unterhielten sich und erzählten sich lustige Geschichten. Neire fiel auf, dass Edda neugierig zu Kulde blickte, der schmatzend und rülpsend die dreifache Portion verschlang. Der Hügelriese hatte sich Felle und Teile einer Rüstung übergeworfen und saß auf dem Stamm einer alten umgekippten Eiche. Dann stand die zierliche junge Frau mit den schwarzen, langen Haaren auf und setzte sich neben Kulde. Zuerst bemerkte der Hügelriese Edda nicht, die in einen schwarzen Umhang gekleidet war. Sie trug ein abgewetztes Lederwams und einen kurzen Rock über einer Lederhose. „Euer Name ist Kulde und ihr dient Meister Halbohr, ist es nicht so?“ Edda sprach in einem lieblich neckenden Ton, als würde sie mit Kulde spielen. Der Riese hörte auf zu kauen und blickte mit geöffnetem Mund zu ihr hinab. Speichel sabberte schon bald aus seinem Maul hinab. Neire konnte den Schweiß und Uringestank von Kulde durch das Feuer und bis zu ihm riechen, obwohl er nicht wie Edda neben Kulde saß. „Uhhh?“ sagte Kulde und blickte mit seinen kleinen schwarzen Augen in Richtung Neire. Kulde hatte dünnes braunes fettiges Haar und einen ausgeprägten Unterbiss, der seinem Gesicht eine zurückgebliebene Hässlichkeit verlieh. „Meisschter Halbohr, ja… Neire Freund“ sprach er schließlich und Fleischbrocken fielen aus seinem Maul hinab, als er wieder zu kauen begann. Neire betrachtete Edda, doch sie zeigte keine Anzeichen von Abscheu, rümpfte nicht ihre Nase. Im Gegenteil. Sie berührte mit ihrer behandschuhten Hand den langen Arm von Kulde, der von Narben gezeichnet war. „Ihr tragt einige Narben, Kulde. Woher habt ihr sie?“ Wieder blickte Kulde zu Neire, als er zu überlegen begann. Dann schluckte er und drehte sich zu Edda hinab. Der Riese, dessen menschliches Vergleichsalter noch nicht ganz 17 Jahre war, sprach langsam und lispelnd. „Narben von Kampf… Kulde kämpfen… Kulde sschiegreissch… Kulde sshtark… Kulde sschiegreissch.“ Dann blickte Kulde wieder zu Neire und der Jüngling der Flamme nickte ihm lächelnd zu. Er sah die grausame Brandnarbe des rechten Ohrs, von dem nur noch der Gehörgang zu sehen war. Sie würden wohl noch eine Zeit zusammen reisen, dachte Neire. Ihn freute die Furchtlosigkeit von Edda, doch spürte, dass er auch Angst um sie hatte. Kulde gehorchte ihm zwar, aber Neire wusste nicht wieviel die Augen des Jensehers dazu beitrugen. Der junge Riese hatte im Tempel seinen Zorn bereits gezeigt, als er einen Ork erschlagen und ihn dann auf dem Feuer gebraten und gegessen hatte. Kulde war gewachsen und groß für einen Hügelriesen. Bereits jetzt hatte er die Größe über vier Schritten erreicht. Zudem hatte er fast täglich mit Heergren und Granrig trainiert. Er trug seinen Morgenstern mit Stolz, dessen Kopf aus Ne’ilurum größer als der Oberkörper von Edda war. Neire ließ die beiden reden, doch er warf ein Auge auf Edda. Er würde einschreiten, falls es erforderlich sein würde. Neire wusste, dass er Edda beschützen wollte, koste es was es wolle.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sitzung 109 - Aufbruch in den Höllenkessel - Teil II

Sie waren einige Tage gereist, in der Edda die Zeit mit Neire genossen hatte. Sie gingen beieinander in der Nacht und teilten ein Lager von Winterdecken und Fellen bei Tag. Die Tage waren warm gewesen und es hatte nicht geregnet. Sie hatten keine weiteren Begegnungen gehabt und hatten nach zwei weiteren Nächten der Wanderung das Tal der Fireldra in Richtung Westen verlassen. Edda hatte nach Spuren gesucht, während Neire versucht hatte sich nach seinem Kartenwissen zu orientieren. Am insgesamt vierten Tag waren sie immer höher gekommen und am fünften Tag waren sie über vereinzelte Schneefelder geschritten. Die Bäume waren kleiner hier und die Landschaft war karger. Berggipfel konnten sie immer noch nicht erkennen, da die Bewölkung anhielt. Langsam spürte Edda die Strapazen der Wanderung. Eigentlich war sie lange Tagesmärsche gewöhnt. Blasen hatte sie nicht und auch ihre Füße taten nicht weh. Die kühleren Temperaturen und die Höhe machten ihr aber zu schaffen. An diesem Morgen hatten sie sich in einem lichten Nadelwald niedergelassen, der vor einer Felswand endete. Ein kleines Feuer brannte vor dem Stein, vor dem sie die Decken ausgebreitet hatte. Sie blickte ins Feuer und fragte sich, was Jiarlirae Neire mitteilte, wenn er in die tanzenden Flammen starrte. Am Ende eines jeden Tages hatte sie interessiert dem Fackelritual zugeschaut, das Neire nach Einsetzten der Dunkelheit vollführte. Sie selbst sah nichts in den Flammen, doch sie spürte die wohlige Wärme des Feuers. Jetzt trat Neire zu ihr und gab ihr einen Kuss. „Hier meine Liebe. Trinkt. Wir werden den ganzen Tag hier sein, bis die Sonne sich wieder gesenkt hat. Wir haben genug Zeit, Edda.“ Edda nahm den Weinschlauch und trank mehrere große Züge. Augenblicklich spürte sie den Rausch – ein flaues Gefühl, als sie den Wein in ihrem nüchternen Magen fühlte. Ihre Laune stieg, als sie an den Schlaf und das Lager von Decken dachte. Sie kicherte, als sie Neire antwortete. „Haben wir genügend Zeit Neire? Ich weiß es nicht… wir sollten aufpassen… hihi… Heergren nicht zu wecken. Kulde schläft ja wie ein Stein.“ Dabei schaute Edda in Richtung des Riesen, der auf der anderen Seite des Feuers saß. Kulde blickte auf sie hinab und versuchte das Wort mit seinem Unterbiss nachzusprechen. „Ssshhtein… Shtein…“ grummelte der Riese lispelnd und schwerfällig, während er seinen Unterkiefer seltsam vorwärts bewegte. Edda blickte zum schattigen Lager von Heergren, doch sie bemerkte keine Reaktion. Er hatte sich bereits unter seine Decke verkrochen, die er als Schutz vor dem Licht über sich ausgebreitet hatte. „Vielleicht spielen wir ein Spiel? Was meint ihr? Kulde? Neire?“ Edda erhob sich aus ihrem Kniesitz und streifte das Fell ab. Sie konnte ihren Atem in der kühlen Morgenluft kondensieren sehen. Kulde grübelte, dann verzog sich sein Gesicht in ein Grinsen. Sie konnte sehen, dass seine Zähne trotz seines jungen Alters bereits faulig waren. „Sshhtein Sshpiel… Kulde liebt… werfen Sshtein… ja“. Edda hörte Neire lachen, doch sie schüttelte mit dem Kopf. „Nein Kulde, kein Steinspiel. Nein, nein, nein. Wir spielen ein viel besseres Spiel. Ihr flüstert Neire etwas ins Ohr und dann muss ich raten. Neire darf das Wort sagen, aber er darf nur seine Lippen bewegen. Keinen Ton darf er sagen. Wenn ich geraten habe, seid ihr dran Kulde.“ Kulda saß dort mit geöffnetem Mund. Sabber lief an seinem Kinn hinab und er hatte die Augen zugekniffen, als würde er überlegen. Dann sagte er: „Sshpiel?“ Edda wurde bereits unruhig, doch Neire trat zu dem Riesen hin. Der Jüngling zog Kulde am Arm und sagte. „Kommt Kulde. Wir müssen etwas weggehen. Edda darf es nicht hören, kommt.“ Neire führte Kulde zur Seite und Edda hielt sich die Ohren zu. Sie sah, wie sich Kulde hinabbeugte und versuchte zu flüstern. Doch das Wort war so laut, dass sie es trotz zugehaltener Ohren hörte: „Sshtein“, sagte Kulde. Dann trat er zurück, richtete sich auf und lehnte sich gegen einen Baum. Einige Tannenzapfen regneten auf sie hinab, als der Baum unter dem gewaltigen Körper Kuldes knarzte und sie sprang zu Neire. „Sagt es Neire, aber macht kein Geräusch.“ Neire formte die Worte mit seinem Mund. Edda konnte seine makellosen Zähne und die gespaltene Zunge sehen, er flüsterte jedoch nicht Stein. Vielleicht war es sein Nebelheimer Akzent, den er pflegte. Hätte sie das Wort nicht gehört, hätte sie „Steig“ geraten, doch Edda drehte sich zu Kulde, lachte und sagte. „Das war leicht Kulde. Ihr habt Stein gesagt.“ Der Mund von Kulde fiel noch weiter hinab, als er erstaunt zu ihr blickte. „Ohh, risshtissh… kluge Frau, oh ja…“ „Jetzt ihr Kulde. Jetzt müsst ihr raten.“ Kulde nickte, als hätte er das Spiel verstanden und Edda ging zu Neire. Sie trat an ihn heran und lächelte ihm zu. Sie spürte das Kribbeln im Bauch, roch den Geruch seines exotischen Parfüms. Sie fuhr ihm durch die gold-blonden Locken, strich seine Haare zurück und ihre Lippen berührten sein Ohr. Sie flüsterte ihm zu: „Liebe.“ Dann wandte sie sich ab. „Jetzt ihr Kulde. Schaut auf Neires Lippen. Was habe ich gesagt?“ Jetzt weiteten sich Kuldes Augen, doch sie waren immer noch klein. Sein Mund hing klaffend geöffnet, er stierte Neire an. Dann sagte er: „Sshtein es issht. Es issht Sshtein“ Neire fing zuerst an zu lachen, dann stimmte Edda kein. Sie konnten nicht mehr aufhören. Sie lachten, bis ihnen die Tränen kamen, bis ihnen der Bauch wehtat. Kulde lachte mit. Tief und debil. Er freute sich, weil er glaubte gewonnen zu haben. Selbst von Heergrens Lager kam ein kurzes Lachen und dann ein Fluch: „Hahaha, bei der Herrin von Flamme und Düsternis. Dieser verdammte, dumme Riesenbastard.“ Sie lachten und lachten, dann wischte sich Edda die Tränen aus den Augen und sprach zu ihrem großen Begleiter. „Nein Kulde, Stein war falsch. Es ist die Liebe und es ist nur die Liebe!“ Erst lachte Kulde weiter, doch dann weiteten sich seine Augen. In seinem Gesicht fing es an zu arbeiten. Da war Wut und Zorn. Kulde schritt zur Felswand und rammte seine Faust gegen den Stein. Brocken rieselten hinab, als die Wand zitterte. Edda sah Blut von Kuldes Faust rinnen. Dann lehnte er seinen riesigen Rücken gegen die Wand und ließ sich dort hinabrutschen. Er wippte mit seinem Oberkörper, vor und zurück, als er wieder und wieder die Worte sagte. „Blödes Sshpiel, dummes Sshpiel…“ Edda ging zu Neire und gemeinsam schlüpften sie unter die Decke. Sie tranken dort Wein und erzählten sich die Geschichte des Spiels. Sie kicherten und sie erzählten. Edda kuschelte sich an den warmen Körper von Neire und so schlief sie ein.

~

Sie waren in der Dunkelheit gewandert. Die nächste Nacht und noch eine weitere. Edda hatte in der Gebirgswildnis nach Spuren gesucht und Neire hatte die grobe Richtung vorgegeben. Sie waren gut vorangekommen und hatten die größten Höhen der Kristallnebelberge erreicht. In der siebten Nacht ihrer Wanderung war es dann aufgeklart und sie hatten den Sternenhimmel über sich sehen können. Eisbedeckte schroffe Wipfel ragten in unerreichte Höhen auf und Gletscher glitzerten schattenhaft in der Ferne. Doch die Landschaft war einer Änderung unterzogen gewesen, je weiter sie nach Süden vorgedrungen waren. Sie waren tiefer und tiefer abgestiegen und schließlich waren sie an eine Art Wetterscheide gelangt. Unter sich hatten sie in eine Landschaft sehen können, die wie eine Art Hochplateau aufragte. Überall war Rauch aufgestiegen und in der Ferne hatten rötliche Lichter geglitzert. Ihnen war wärmere Luft entgegengeströmt, die nach Schwefel roch. Nach einem weiteren Lager während des Tages hatten sie sich an den Abstieg gemacht und waren durch die seltsame Landschaft gewandert. Je weiter sie in den Höllenkessel vorgedrungen waren, desto schroffer waren die Berge geworden. Sie hatten die verschiedensten Farbtöne gesehen, von schwarz bis rostbraun. Dann waren sie an den Lavastrom gelangt, der die Landschaft wie ein rot glitzerndes Band durchzog. Die Luft war hier unerträglich warm und besonders Kulde schleppte sich mühevoll voran. Schweiß lief vom Körper des jungen Riesen und er trank gierig von dem Quellwasser aus einem großen Schlauch. Edda und Neire kamen besser mit der Hitze klar. Auch Heergren litt unter der Hitze, kämpfte aber verbissen und ohne Klagen. Sie entschieden sich dem Lavastrom zu folgen, da Neire in den alten Geschichten von einem Fluss aus Feuer gehört hatte. Einige Stunden folgten sie in gebührendem Abstand der schnell fließenden Masse aus flüssigem Stein, dann sahen sie es vor sich liegen. Das Morgengrauen hatte mittlerweile eingesetzt und die ersten Sonnenstrahlen durchdrangen die Wolken von Schwefel- und Gesteinsgasen nicht. Ein schwarzer Berg war vor ihnen zu sehen, aus dessen Kamm nadel-artige Spitzen aufragten. Das Massiv war riesig und zeigte gewaltige Verfärbungen von Eisenadern. In der senkrechten Felswand, von der Teile im giftigen Nebel verschwanden, sahen sie das kolossale Konstrukt aus schwarzem Stahl. Es war die Festung Sverundwiel die sie dort erblickten. Die Vorderseite schien aus massivem Metall zu sein und schloss mit den Wänden des Berges ab. Vor der Schwarzeisenwand waren die Statuen von Kriegern zu sehen, die sich dort riesenhaft erhoben. Es waren vier Stück an der Zahl und sie waren auf metallenen Plattformen aufgebacht. Sie stellten Nachtzwerge in mächtigen Helmen und Panzern dar. Krieger die Hämmer trugen. Aus ihren Mündern strömte ein nicht abebbender Quell von heißem flüssigem Stein, der in hellerem Gelb schimmerte. Die Fluten schossen wie Wasser hervor und sammelten sich in einem riesigen See unter ihnen. In der Mitte der Statuen war ein großes Portal zu sehen, zu dem Stufen hinaufführten. Von der Macht des Bauwerks gebannt, kauerten sich die Streiter hinter einen Felsen. Um sie herum war ein Feld von schwarzer vulkanischer Asche. Sie spürten ein beständiges Rumoren des Bodens – ein Vibrieren, das stets anschwoll oder abebbte. Mit trockenen Zungen und heiseren Stimmen berieten sie ihr weiteres Vorgehen. Sie hatten die Eisenfeste Sverundwiel erreicht und es war ihnen eines bewusst. Nur wenn sie weitergehen würden, nur wenn sie den brennenden See aus flüssigem Gestein passieren würden, würden sie das Portal erreichen. Dann würden sie vielleicht erfahren, ob der junge Jarl Eldenbarrer, Träger der Flamme von Thiangjord, die Eisenfeste hatte unterwerfen können.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sitzung 110 - Eisenfeste Sverundwiel

Die Luft um sie herum war erfüllt von flimmernder Hitze und beißendem Rauch. Es roch nach brennendem Stein, nach Gasen aus dem Erdinneren und nach Schwefel. Sie hatten nicht lange am See aus Lava verweilt und den brennenden Strom hinter sich gelassen. Auch der Eisenfeste Sverundwiel hatten sie den Rücken gekehrt und das imposante Bauwerk bald nicht mehr gesehen. Die Luft war zwar etwas kühler geworden, trotzdem hatte ihnen, insbesondere aber Kulde, die Hitze zu schaffen gemacht. Sie hatten sich daher entschieden eine Zeit zu rasten, um sich auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Ihr kurzes Lager hatten sie im Schutze einer großen Felsnadel aus dunklem Basalt angebrochen. Sie waren alle durstig gewesen und hatten getrunken. Der jugendliche Hügelriese Kulde, der bereits eine Größe von mehr als vier Schritten erreicht hatte, hatte ungeduldig seinen Wasserschlauch hervorgezogen und gierig getrunken. Er war so hastig gewesen, dass ein Teil des Wassers an seiner Kleidung aus Fell und Rüstungsteilen heruntergelaufen war. Edda hatte dem nicht lange zugesehen und sprach den Riesen an. Der Morgen war bereits angebrochen, doch die ersten Strahlen der Sonne drangen nicht durch die Rauchschwaden. „Kulde, ihr solltet langsam trinken… es ist nicht gut so schnell zu trinken. Glaubt mir, ich weiß wovon ich spreche. Ich komme aus dem fernen Süden, aus Vintersvakt. Aus der großen Hitze.“ Die fast 17-jährige Schülerin der Akademie Schwarzenlohe schaute Kulde mit ihren großen blauen Augen an. Auch in Eddas symmetrischem Gesicht waren Wassertropfen zu sehen, die sich auf ihrer Stirn gebildet hatten. Sie stand vor dem sitzenden Kulde, der sich mit dem Rücken an die Felswand gelehnt hatte. Trotzdem überragte der Riese die junge Frau noch. Kulde glotzte Edda an, als ob er ihre Worte nicht verstehen würde. Sein Mund war schwachsinnig geöffnet, bevor er anfing zu sprechen. „Aber… Kulde dursshtig… dursshtig grossh.“ Edda schüttelte den Kopf und lächelte Kulde an. Ihre schwarzen langen Haare klebten an ihrer Stirn. „Nein… nein Kulde. Glaubt mir, ich weiß wovon ich spreche. Trinkt langsam, auch wenn ihr Durst habt. Sonst verschüttet ihr noch alles. Und… je mehr ihr trinkt, desto mehr schwitzt ihr auch.“ Kulde nickte, doch es schien, als hätte er ihre Worte nicht verstanden. Dennoch fügte er sich der Anweisung Eddas und trank nicht mehr. Als sich Edda wieder ihrem Zauberbuch zuwendete, hatte Kulde bereits vergessen, dass er durstig war. Sie verbrachten danach einen Teil des Vormittags in schweigsamer Stille. Nur das Schnarchen von Kulde war zu hören, denn der Hügelriese hatte den Kopf nach vorne sinken lassen und war in einen Schlaf gefallen. Dann erhob sich Neire und sprach zu seinen Begleitern. Kulde, Heergren und Edda bildeten einen Kreis mit dem Kind der Flamme. „Wir werden bald aufbrechen und ich frage euch hier und an diesem Ort: Seid ihr auf der Seite der Schwertherrscherin? Seid ihr auf der Seite von Jiarlirae.“ Heergren, der nicht unter dem Einfluss von Neires Augen stand, antwortete zuerst. Heergrens kobaldblaue Augen funkelten in seinem glatzköpfigen Schädel, unter dessen rechtem Ohr eine wulstige, noch rote Narbe zu sehen war. „Ich diene ihr und stehe auf ihrer Seite, jawohl. Wäre es nicht wegen ihr und wegen Meister Halbohr, wäre ich jetzt bereits tot. Sie holte mich aus dem Gefängnis und gab mir meine Chance auf Ruhm und Reichtum.“ Heergren nickte und sein langer geflochtener Bart wippte, als wolle er seine Worte unterstreichen. Auch Kulde schloss sich Heergren an und sprach mit langsamen lispelnden Lauten. In seinem hässlichen Gesicht mit der fliehenden Stirn und der platten Nase klebten seine dünnen, von Schweiß nassen, schütteren Haare. Er bewegte seinen Unterbiss ungelenk, während er seine Worte erhob. „Herrin gut, Herrin sshtark. Herrin von Feuer. Feuer heissh, Feuer sshtark.“ Zuletzt trat Edda an Neire heran. Sie legte ihre Hand um seine Schultern und lachte. „Ja, Kulde ihr habt Recht. Doch Neire zeigte mir auch das Heiligtum, die schwarze Sphäre der Schatten. Ich glaube an Jiarlirae, die Macht über Portale in Höllenwelten besitzt. Ich glaube und vertraue auch ihrem Propheten. Er zeigte mir die schwarze Kunst der Schatten. Und im Gegenteil zu den Priestern des Eises, verdammt sollen sie alle sein, erzählte er mir von Jiarliraes Geheimnissen und von der heiligen Stadt, von Nebelheim.“ Als sie die Priester des Eises ansprach, verzog Edda ihr hübsches Gesicht, als würde sie sich vor etwas ekeln. Jetzt antwortete Neire und schaute sie alle feierlich an. „Ich habe gebetet und um ihre Hilfe gefleht. Wir werden aufbrechen und ihren Segen haben. Da ihr Jiarlirae dient, wird euch ihr Segen zuteilwerden. Es ist der Schutz vor dem Feuer, den sie euch verleiht. Für euch, Kulde, soll es ein großer Kampf werden. Ihr habt noch keinen Namen, wie Gruschuk, der Grausame. Ihr müsst kämpfen Kulde! Ihr müsst heute für Jiarlirae kämpfen und euch euren Namen verdienen.“ Kulde streckte sich und erschien noch größer. Er ließ seine Muskeln spielen. Für einen Hügelriesen war er muskulös, offenbarte fast keine Spuren von Körperfett. Er schlug sich auf die Brust und streckte seinen Morgenstern in den von Schwaden gefüllten Himmel. „Kulde issht grossher Krieger. Kulde grössher, Kulde sshtärker als Grusshuk. Kulde bereit für Kampf.“ Neire nickte und seine Stimme verfiel in einen choralartigen Singsang. „Lasset uns beten, die alten Verse von Nebelheim. Sprecht mir nach, Diener von Jiarlirae. Sprecht die Weisen der Dame des aufsteigenden abyssalen Chaos und preiset die schwarze Natter, als Abbild unserer Göttin. Weinet nicht um die verglimmenden Feuer, weinet nicht um die erlischende Glut. Denn die Dunkelheit birgt ihre Ankunft, Schatten ist das Licht unserer Göttin und Flammen der Morgen ihrer Heiligkeit.“ Die Stimmen von Edda, Heergren und Kulde beteten die Worte. Kulde stammelte zwar, konnte aber einige Silben richtig sprechen. Ihre Stimmen hallten vom Felsen zurück, verloren sich aber im dumpfen Brodeln von ferner Magma und im Pfeifen der Gase des Höllenkessels.

Neire blickte seine Mitstreiter an, die vor ihm gingen. Das Donnern und das Tosen der Ströme von Magma verschluckten alle anderen Geräusche. Der See aus flüssigem Gestein schimmerte in orangenen bis hell-gelben Tönen; die Luft flimmerte vor Hitze. Nur durch die Schutzmacht von Jiarlirae, durch den Bannspruch, dessen Macht Neire seinen beiden Gefährten Heergren und Kulde gewährt hatte, waren die beiden in der Lage hier unbeschadet zu wandeln. Er hatte Kulde und Heergren die Schutzrune aus Quecksilber auf die Stirn gemalt und die silberne Flüssigkeit brennend in ihrer Haut schwinden sehen. Kulde hatte den Schutz mit - Feuer aussh, nissht mehr heissh, Göttin sshtark - kommentiert. Ihm selbst gab die Göttin fortwährenden Schutz und Edda trug den magischen Ring, den er ihr geschenkt hatte. Sie waren zum glühenden See hinabgeschritten, der durch die gleißenden, dünnflüssigen Fontänen gespeist wurde, die aus den Köpfen der zwergischen Kriegerstatuen hervortraten. Rechts neben ihnen ragte der schwarze Stahl der Festungswand auf. Sie schritten über die dunklen Stufen zu dem riesigen Portal, das in der Mitte der vier Statuen lag. Der See war jetzt hinter ihnen. Wäre es nicht um den Schutz vor der Hitze gewesen, hätten ihre Kleidung und Haare längst Feuer gefangen. Jetzt blickten sie auf das doppelflügelige, etwa fünf Schritt hohe und breite Portal, dessen linker Flügel verbogen war. Es so aus als ob jemand den Flügel hätte herausreißen wollen, wie vor langer Zeit. Neire schlich sich voran und untersuchte die Türflügel, während Edda nach Spuren suchte. Der Jüngling fand einen Mechanismus, der von einem eingelassenen Türknauf gesteuert wurde. Der Türknauf des anderen Flügels war durch die Beschädigung unbrauchbar geworden. Neire spürte wie Edda an ihn herantrat. Er hörte ihre Stimme, als sie ihm ins Ohr rief. Sie machte einen ängstlichen Eindruck auf ihn, seitdem sie sich Sverundwiel genähert hatten. „Es sind Spuren hier, einige Spuren. Von Riesen, aber auch von anderen. Kleinere Wesen. Die Spuren sind alt. Älter als sechs, vielleicht sieben Monde.“ Neire nickte und blickte in die Gesichter, die von brennendem Magmaschein erhellt wurden. Alle hatten ihre Waffen gezogen, als er begann den Türknauf zu drehen. Leise hörten sie ein Klacken, wie von einer Vielzahl von Mechanismen. Dann begann Neire den Flügel des Portals aufzudrücken. Anfangs musste er die Trägheit überwinden, doch dann glitt die Türe lautlos auf. Im Inneren lag eine imposante Kammer. Sie war unbeleuchtet und aus schwarzem Obsidian. Im unteren Bereich konnte er zudem zerstörte Türen sehen. Treppen führten auf Podeste und auch auf eine höhere Ebene. Vorsichtig lauschend schlich der Jüngling voran. Neires feine Ohren hörten ein fernes Geräusch, wie ein krankes Stöhnen, das sich mit einem heiseren, dunklen Husten abwechselte. Die Ferne der Geräusche sagte ihm, dass das, was immer es auch war, hinter einigen Türen und Kammern sein musste. Er zog seinen Tarnmantel zurück, blickte sich um und winkte die anderen hinein. Heergren drückte als letzter den Portalflügel zu und das Magmalicht verschwand in den Schatten. Das donnernde Geräusch der Fluten war jetzt gedämpft und die Luft war viel kühler. Neire hörte das Schnaufen von Kulde, der sich unsicher und blind in der Dunkelheit umschaute. Erst das Licht einer Fackel, das Neire für den Riesen entzündete, nahm ihm seine Starre. Neire reichte das Feuer seinem großen Begleiter, dessen penetranter Schweißgestank sich jetzt im Inneren der Halle ausbreitete. Er zeigte auf die Türen und zischelte zu Heergren und Edda. „Wartet hier, ich höre ein Geräusch, doch es ist weit entfernt. Ich werde mir anschauen, was hinter den Türen ist.“ Dann schlich er sich aus dem Lichtkegel hinfort in die Dunkelheit. Hinter den zerstörten Portalen fand er einen Tunnel, der in den Basaltstein des Berges geschlagen war. Neire bewegte sich vorsichtig weiter. Er entdeckte einige Gewölbe, die auf Wach-, Schlaf-, Ess- und Küchenräume hindeuteten. Die Einrichtung war zerschlagen und auf dem Boden verteilt. Waffen hatten angefangen zu rosten. Nachdem er den Rundgang um die Halle erforscht hatte, kehrte er zurück. „Ein Tunnel, der in Räume führt. Dort wurde geplündert, wie es scheint.“ Heergren trat jetzt zu Neire und seine blauen Augen schimmerten im Fackellicht. „Was ist mit meinem Volk, Prophet? Habt ihr Leichen, Spuren eines Kampfes gesehen?“ „Nein, da war nichts Heergren. Keine Leichen und keine Kampfspuren. Es müssen aber die Feuerriesen gewesen sein, die hier gewütet haben.“ Heergren nickte enttäuscht und Neire legte ihm seine verbrannte Hand auf die Schulter. „Kommt Heergren. Wir werden herausfinden, was in der Eisenfeste Sverundwiel passiert ist.“ Neire schlich sich wieder voran, die Treppen hinauf, die auf einem Podest mündeten. Von dort aus konnte er auf das Fackellicht von Kulde hinabblicken. Jetzt sah Neire das Strahlenmuster, das in den Boden der Halle eingelassen war. Zwergische Runen schimmerten dort und breiteten sich von einem Mittelpunkt aus. Jeweils zwei Strahlen waren in Gold, Silber und Ne’ilurum gearbeitet. Von dem Podest führten zwei freischwebende Treppen nach oben. In eine Ebene, die über ihm bereits geöffnet war. Auf der anderen Seite des Portals war ein weiteres solches Podest zu sehen, von dem ebenso zwei freischwebende Treppen hinaufführten. Neire schlich weiter. Die Treppen endeten an metallenen, zylinderförmigen Einfassungen – dort wo sie auf der oberen Ebene mündeten. In der Dunkelheit eröffnete sich vor ihm ein spitz zulaufendes Gemach. An der gegenüberliegenden Wand sah er sechs Throne. Zwei waren jeweils aus Gold, aus Silber und aus Ne’ilurum. Der Boden war mit Fellen ausgelegt und das Gemach musste einst, wie ein nachtzwergischer Thronraum, pompös ausgesehen haben. Jetzt waren die Felle vergilbt und fehlten in einigen Bereichen. Er bewegte sich weiter nach vorn und horchte. Atmen und Stöhnen waren lauter geworden, doch immer noch weiter weg. Hinter ihm hörte er die Schritte seiner Kameraden. Jenseits der Türen des Sechsthronraumes fand Neire ein umfassendes Gewölbe, das eine Art Waffen und Schreibkammer darstellte. Armbrüste, Munition und eiserne Halterungen waren vor Schießscharten angebracht, die in den Sechsthronraum zeigten. Zwei Wendeltreppen führten weiter nach oben. Hier war sich Neire sicher, dass das Stöhnen vom Ende beider Treppen herrührte. Er wartete bis seine Kameraden aufgeschlossen hatten, gebot ihnen auf seine Rückkehr zu warten und schlich sich hinauf. Lauter und lauter wurde das Geräusch von Husten und Sabbern. Er wollte sich anschauen was dort war. Dann würde er zu seinen Mitstreitern zurückkehren.

Kulde keuchte und knirschte mit den Zähnen. Er hatte nicht alle Worte verstanden, die Neire gesagt hatte. Zu schnell hatte der Prophet, sein bester Freund, zu ihm gesprochen. Er hatte das Wort Kampf und das Wort Feuerriesen gehört und seine Wut war explodiert. Jetzt kniff er die Augen zusammen und ging Schritt für Schritt die Wendeltreppe hinauf. Den Morgenstern trug er in der Rechten und die Fackel in der Linken. Heergren und Edda gingen hinter ihm, doch das hatte Kulde bereits vergessen. Jetzt hörte auch er ein Stöhnen und ein Sabbern. Dann war da ein Husten. Er ging schneller und schabte am Stein entlang. Kulde wollte kämpfen. Er wollte beweisen, dass er stärker als Gruschuk war. Stärker und grausamer. Er wollte töten. Dann war da plötzlich das Ende des für ihn engen Ganges. Da war Bewegung. Ein aschfahles Gesicht blickte ihm entgegen. Der Riese war größer als er und hatte rotes, verdrecktes langes Haar. Schaum hatte sich vor seinem Mund gebildet und seine bernsteinfarbenen Augen blickten, wie von einem wirren Hass getrieben. Die Gestalt vor ihm schrie, als sich spastisch, wie von einer Tollwut, seine Muskeln verkrampften. Sein Gegner hob seine Hand zum Schlag. Kulde nahm nicht die eiternden Wunden und die abgerissene linke Hand der Kreatur wahr. Er schlug mit seinem Morgenstern zu. Die schwere Kugel rammte gegen die Rüstung des Feuerriesen. Für den zweiten Angriff hatte er nicht genügend Weg zum Ausholen. Kulde versuchte sich noch unter dem Faustschlag hinweg zu ducken, doch die Wucht traf ihm auf den Kiefer. Er schmeckte das Blut, fühlte den Schmerz und seine Wut wurde zu Zorn, als er seinen Gegner verhöhnte. Kulde drängte den Feuerriesen zurück, mit all seiner Kraft. Dann holte er aus und rammte die Ne’ilurum Kugel gegen den Schädel seines Widersachers. Das Jochbein wurde eingedrückt und ein Auge quoll heraus. Mit spastischen Muskelzuckungen sank der Feuerriese zusammen. Kulde blickte sich um. Er brüllte, grunzte und schnaubte. Er wollte kämpfen und töten. Er sah nicht die tiefen Schnitte im Rücken des toten Riesen, die Neire dem Gegner zugefügt hatte. Dann war da dieses Geschöpf, wie ein Insekt. Er hob den Morgenstern zum Schlag. „Kulde, ihr blutet… lasst mich eure Wunde ansehen.“ Kulde kam die Stimme bekannt vor, er hörte seinen Namen. Der junge Riese hielt die Fackel hinab und sah das schöne Gesicht von Edda. Ihre Lippen glitzerten rötlich im Schein der Fackel. Kulde grinste sie an und seine Wut versiegte. Er nickte ihr zu, als er seine Muskeln spannte. „Guter Kampf, sshiegreissher Kampf. Kulde sshtark.“ Der stinkende Riese beugte sich zu dem Mädchen hinab und ließ sich auf ein Knie sinken.

Edda wendete geekelt ihren Blick ab. Der zweite Feuerriese hatte sie nicht angegriffen und lag siechend auf dem Boden. Er hustete Geifer aus seinem Maul und gab ein wehleidiges Stöhnen von sich. Sein linker Arm war ihm an der Schulter abgerissen und einer seiner Füße fehlte. Der gesamte Körper der Gestalt war von eitrigen Wunden bedeckt. Die Haare hatten angefangen auszufallen und ein großer Teil seines offenen Kiefers offenbarte eitriges Muskelfleisch. Neire hatte den Körper der Gestalt vorsichtig untersucht, nachdem sie die Wunde von Kulde versorgt hatten. Der Jüngling hatte ihr gesagt, dass er in den Wunden Konturen, wie von stumpfen Zähnen hatte entdecken können. Als Edda sich gerade abwendete hörte sie das leise Flüstern von Neire. „Edda kommt und schaut. Es gibt eine Bibliothek hier.“ Bei den Worten vergaß Edda ihre Furcht und schritt durch die dunklen Hallen. Seitdem sie mit Neire die Kunst der Schatten studiert hatte, konnte sie auch fast völlige Dunkelheit durchblicken. Ihr selbst kam es so vor, als würde sie mit einem dritten, unsichtbaren Auge blicken. Ein drittes Auge, dessen Kraft sie wie einen Muskel trainieren konnte. Sie kam vorbei an weiteren Wachräumen, deren Einrichtung geplündert und verwüstet war. Dann eröffnete sich das Felsgemach vor ihr, in dem sie Regale aufragen sah. Auch hier waren die Spuren von Zerstörung zu erkennen. Auf dem Boden lagen zerrissene und zerfetzte Bücher. Die Regale waren an einigen Stellen beschädigt. Neire stand dort, gebeugt über ein Pult. Er hatte seinen Schattenmantel zurückgezogen und blätterte in einem Wälzer. Als er sie eintreten sah, flüsterte er. „Kommt Edda. Das müsst ihr euch anschauen. Es sind ihre alten Aufzeichnungen. Ihr versteht doch die Sprache der Nachtzwerge.“ Edda nickte und ging zu Neire. Sie hatte die Sprache der Duergar gelernt, seitdem sie sich in der Akademie Schwarzenlohe eingeschrieben hatten. Sie war zwar noch nicht besonders geübt in der Sprache, konnte aber bereits viele Worte verstehen. „Was habt ihr gefunden Neire? Was steht in den Schriften?“ Neire gab ihr ein anderes Buch und lächelte sie an. „Hier, lest das Edda. Wer weiß wieviel Zeit wir haben. Es sind alte Aufzeichnungen über die Eisenfeste Sverundwiel. Einige Schriftstücke sind nur Auflistungen, andere aber erzählen die alte Geschichte dieses Ortes.“ Edda begann neugierig zu lesen. Sobald sie oder Neire neue Geheimnisse über diesen Ort entdeckten, teilten sie das Gefundene. So lernte sie über die Gründerväter dieses Ortes, die sechs Baumeister der Feste. Ein jeder dieser Altvorderen war ein Meister seines Faches. Ihre Namen waren: Dardal Vengerbergh, Meister des Goldes. Hulthrum Aschfall, Meister des Stahls. Thodek Nihthruk, Meister des Erzes. Hhelmin Niederstein, Meister des Steins. Daerdrin Balnheim, Meister des Feuers. Nimnor Steinbart, Meister des Werkzeugs. Sie alle wurden als stolze Vertreter der nachtzwergischen Rasse dargestellt und hatten Sverundwiel mit dem Ziel errichtet, Reichtum durch den Handel mit Oberweltlern anzuhäufen. Dieses Vorgehen hatte unter den Nachtzwergen wohl für Unmut gesorgt, betrachteten die die Duergar doch die Oberweltler als niederen Abschaum. In den Pergamenten gab es zudem Hinweise über Schätze jenseits des Goldes, verborgen in unerforschten Tiefen. Edda las von den Geheimnissen der Minen und Wichtigkeit der Suche nach neuen Erzen. Die Dokumente verfolgten aber andere Themen, je jüngeren Ursprunges sie waren. Sprachen die alten Schriften noch von den Künsten der Erzsuche und dessen Verarbeitung, geriet das Minengeschäft mehr und mehr in den Hintergrund. In den neueren Aufzeichnungen fand sie philosophische Ansätze über die Dualität des Seins, über Leben und Tod. Ein anderes Schriftstück ging auf Artefakte und verborgene Dinge ein. Im Speziellen wurde von einem Kragen der Träume gesprochen, der sich wohl irgendwo in der Nähe befinden sollte. Edda hatte schon in ihrer Heimat alte Geschichten gehört. Über Künste, die einem ein Eindringen in die Träume anderer erlauben sollen. Sie las die alten zwergischen Runen und hatte fast vergessen, an welchem Ort sie sich hier befand.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sitzung 111 - Mine Sverundwiel

Neire war vorrangeschlichen. Er war der Wendeltreppe nach oben gefolgt. An deren Ende war er in eine Halle gelangt, die in völliger Dunkelheit lag. Jetzt horchte Neire vorsichtig, während er die längliche Kammer durchblickte. Die Halle schien in das schwarze Vulkangestein des Berges geschlagen. Die Luft war hier wärmer und es roch nach Stein und Schwefel. An den Wänden konnte er große Nischen sehen, in denen Haufen von verschiedenste Bodenschätze lagen. Neben bergkristallhaltigem Stein, konnte er matte schwarze Barren, golden glitzernden Stein und gelbe Schwefelkristalle erkennen. Weiter entfernte Kammern bargen andere Substanzen, waren aber nicht erblickbar in der Düsternis der Kammer. Neire horchte, hörte aber nur das entfernte Grollen des Magmastromes und die Schritte seiner Mitstreiter hinter sich. Er schlich sich durch die Halle. Je weiter er kam, desto mehr Details konnte er erkennen. Am Ende der Halle öffnete sich ein Tunnel in den Berg, der mit einem runenbesetzten steinernen Bogen verziert war. Vor dem Tunnel standen zwei nachtzwergische Statuen. Beide waren detailreich bearbeitet, blickten grimmig und hielten einen Hammer, den sie vor sich auf dem Boden gestellt hatten. Neire sah zudem rostige Schienen aus dem Tunnel in die Halle hineinführen. Am Ende der Schienen stand eine Lore, die graue Steine mit Aushöhlungen von Bergkristallen trug. Neire kniete sich nieder und horchte. Die Halle sah aus, als wäre sie plötzlich verlassen worden. Die Nachtzwerge hätten bestimmt die Schätze mitgenommen, die hier noch ruhten. Als er hinter sich das Fackellicht von Kulde sah, zog er seine Schattenrobe zurück und wendete sich seinen Mitstreitern zu. Neben dem etwas über vier Schritt groß gewachsenen Hügelriesen waren Edda und Heergren zu erkennen. Edda hatte ihn bereits bemerkt und Neire winkte sie zu sich heran. Das Flüstern des Jünglings ging durch die verlassene Halle, als sich Kulde mit knirschenden Schritten näherte. „Kommt und schaut euch das an. Es sieht wie ein Umschlagplatz aus, ein Ort, an dem die Schätze der Erde gehandelt wurden. Doch alles scheint schlagartig verlassen. Selbst diese Lore trägt noch eine Ladung Steine.“ Neire sah, wie Kulde mit seinem Unterbiß das Wort „Steine“ lautlos nachsprach. Er unterdrückte ein Schmunzeln, als er an ihre Reise dachte. Dann hörte er die Stimme von Heergren. „Noch immer keine Spuren meines Volkes. Wo sind sie geblieben? Wieso haben sie nicht gekämpft? Ich würde gerne wissen, was hier passiert ist.“ Neire nickte dem Tiefenzwerg zu, der seine mit einer blassen und bläulichen Venen durchzogene Glatze aus Kuldes Licht wegdrehte. Deutlich war die rötliche Narbe über dem rechten Ohr zu sehen, die Heergren aus dem Aufstand von Unterirrling trug, dem er sich einst angeschlossen hatte. „Wir werden schon herausfinden was hier passiert ist Heergren. Was auch immer es war… sie werden nicht geflohen sein.“ Heergren blickte für einen Augenblick noch grimmiger drein, dann antwortete er Neire. „Nein, sie hätten bis zum letzten Mann gekämpft. Am Ende hätte es Sieg oder Niedergang geheißen.“ Bei den Worten schlug sich Heergren mit seinem Schildarm auf die Brust, als wolle er seine Worte betonen. Und obwohl Kulde die Worte wohl nicht ganz verstand, konnte Neire ein zustimmendes Grunzen des Riesen hören. Zudem versuchte Kulde die Bewegung von Heergren nachzuahmen. Dann trat Edda an Neire vorbei und ging auf den Torbogen am Minenschacht zu. Sie drehte sich zu Heergren um und sprach. „Kommt Heergren, worauf wartet ihr noch. Lasst uns die alten Runen eures Volkes entschlüsseln. Vielleicht finden wir etwas über den Verbleib der Bewohner der Eisenfeste Sverundwiel.“ Neire folgte der Schülerin der Schattenkunste und im flackernden Licht entzifferten sie die Schriftzeichen. Es war Edda, die die Schriftzeichen langsam vorlas. „Heil dem ehrenhaften Arbeiter. Wehe den frevelnden Taugenichsen.“ Heergren streckte stolz seine Brust hervor und nickte Edda zu. „Ja, Frau von Hohenborn… so oder so ähnlich kann man es übersetzen. Es sind die Huldigungen an jene, die die Reiche unter der Erde aufbauen. Nur diejenigen, die treu und ergeben ihre Arbeit verrichten, werden den Ruhm und die Ehre unserer Rasse mehren. Nur die Handelnden stehen in der Gunst des Schicksals. Die Faulenzer und Zauderer sollen im Staube vergehen. Sie werden ausgemerzt oder die verdammte Spinnengöttin wird sie einst holen.“ Heergrens Stimme schwoll an und Neire wollte gerade zur Stille mahnen, da trat Edda zu dem Nachtzwerg. Sie strich sich ihre langen schwarzen Haare zurück und ihr Lächeln war bezaubernd. Sie griff nach Heergrens Hand, als sie sprach. „Ihr habt bereits Großes vollbracht Heergren. Neire hat mir von euren Taten erzählt. Es ist beeindruckend, was für Schwielen ihr an euren Händen tragt.“ In diesem Moment wirkte Heergren etwas unsicher und zog seine Hand zurück. Er beugte seinen Kopf vor Edda und vor Neire und flüsterte rasch. „Stets zu euren Diensten, mein Prophet. Ihr ehrt mich. Die Göttin von Flamme und Düsternis ist stark. Ich verdanke mein Leben Jiarlirae und Meister Halbohr. Ich habe nun mein Leben vor mir, das ich der Arbeit und dem Kampf widme.“ Neire nickte gerührt und zischelte in die Dunkelheit. „Dienet der Göttin mit all eurem Herzen und sie wird euch stets belohnen. Sie wird euch an ihren Geheimnissen teilhaben lassen und zu eurem Ruhme beitragen.“ Neire sah wie Heergren sich erneut verbeugte und auch Kulde grunzte zustimmend. Als er sich umdrehte, hörte Neire ein weiteres Mal die Stimme von Heergren. „Wartet, Prophet. Das Licht… die Fackel von Kulde. Er sollte sie löschen. In der Mine wird das Licht auffallen. Wir werden leicht zu sehen sein.“ Kulde verstand zwar nicht wieso er das Licht löschen sollte, doch er folgte Neires anschließendem Befehl. Dann drehte sich Neire um und schlich in die Dunkelheit. Er folgte dem Tunnel der Mine, der leicht bergab ging und sich hier und dort verzweigte. An diesen Verzweigungen wartete er auf seine Mitstreiter und gab ihnen Anweisungen. Edda berichtete von den Spuren, die sie hier entdeckt hatte. Sie sagte, die Abdrücke von Stiefeln wären nicht alt, nur der kleine Bruchteil eines Tages. Neire fand außerdem mehrere kleine Feuerschalen, die mit Nägeln im Holz der Stützen der Mine aufgehangen waren. Sie enthielten ein poröses Gestein und ein Öl, das ihn an die Fackeln in Dreistadt erinnerte. Dann hörte er aus einem Tunnel ein Ächzen und ein Grunzen sowie ein wehleidiges Stöhnen. Er wartete auf seine Mitstreiter. Sie würden dem Geräusch auf den Grund gehen und vielleicht erfahren, was hier passiert war.

Kulde schwang seinen riesigen Morgenstern und stürzte auf das Licht zu. Die Höhle, in die Heergren ihn geführt hatte, tat sich vor ihm auf. Er sah dort die beiden Feuerriesen und die grauevolle Szenerie, die er jedoch nicht richtig verstand. Ein Gefühl tief in ihm sagte ihm jedoch, dass hier etwas nicht stimmte. Die Höhle war eine Kammer im Stein, in der Form einer gewaltigen Blase. Eine Wand zur rechten Seite schimmerte von Bergkristallen, die dort wohl einst geschürft worden waren. Das Licht, was die Höhle erhellte, kam von umgestürzten Schalen. Dort brannten die porösen Ölsteine mit kalten Flammen. Ein männlicher Feuerriese hatte sich gerade über die am Boden liegende Gestalt seines Kameraden gebeugt. Er trug einen Waffenrock, doch sein Gesicht war zu einer Fratze von verzerrten Muskeln verkrampft. Er biss dem am Boden liegenden Feuerriesen in den Arm und riss ein großes Stück Fleisch heraus. Dann richtete er sich auf und begann das Fleisch zu kauen. Von dem Riesen auf dem Boden war nur ein Wimmern zu hören, während dem anderen Riesen blutiger Sabber am Maul herablief. Kulde rannte weiter. Er hörte sein Keuchen und wollte den Riesen töten. Dann sah er Bewegung hinter der Kreatur. Aus den Schatten begann ein schwarzer Degen zu tanzen und fuhr dem Riesen mehrfach in den Rücken. Die spastischen Zuckung nahmen zu und dann brach der kollosale Leib zu Boden. Wut überkam Kulde - er schlug nicht mehr zu. Plötzlich stand sein bester Freund Neire neben ihm und er hörte dessen Stimme. Der Jüngling zeigte auf den Boden, wo Kulde den an vielen Stellen angefressenen Leib sah. „Tötet ihn, wenn ihr kämpfen wollt.“ Kulde schüttelte den Kopf. „Kein Kampf, nein… Riesshe sshwach.“ Dennoch hob Kulde seinen Morgenstern und schlug auf den Kopf ein. Schlag um Schlag zertrümmerte er den Schädel. Bis roter Brei und Knochenstücke den Boden bedeckten. Auch dann wurde seine Wut nicht weniger. Obwohl sein schwachsinniger Verstand es nicht ergründen konnte, ahnte ein Instinkt in ihm, dass sein Freund Neire ihn für einen Kampf vorbereiten wollte. Er wollte kämpfen, wie es einst Gruschuk getan hatte. Er wollte kämpfen und er wollte siegen. Er wollte seinen Namen, der einen größeren Klang haben musste, als Gruschuk der Grausame.

~

„Ich habe so etwas noch nie gesehen, obwohl es dort wo ich herkomme viele merkwürdige Dinge gibt. In den Dschungeln um Vintersvakt gibt es die Skrälinge. Rohe Einwohner, die größtenteils auf Bäumen leben und mehr Affen als Menschen sind. Es gibt nur wenige Menschen, die ihre Sprache sprechen und noch weniger, die aus den Dschungeln zurückkommen. Die Skrälinge essen Menschenfleisch und kochen unsere Kinder in Töpfen. Doch das, was diese Feuerriesen sich gegenseitig antun, übersteigt die Geschichten der Skrälinge und jede Vorstellungskraft.“ Edda schüttelte sich, als sie an die Bilder der letzten Höhle und das Ende des Tunnels dachte, in dem sie jetzt standen. Sie hatten die blasenhafte Kaverne mit den Bergkristallen verlassen und waren weiter den Geräuschen gefolgt. Edda hatte sich hinter Kulde und Heergren gehalten und nicht an den Kämpfen beteiligt. Am Ende des Tunnels hatten sie dann die drei Gestalten gesehen. Zwei Feuerriesen lagen geschändet und tot auf dem Boden. Einer Frau war der Schädel derartig eingeschlagen, dass sich eine Delle in ihrem Gesicht gebildet hatte. Auch in ihrem Brustkorb zwischen ihren Brüsten war eine große Vertiefung zu sehen gewesen. Die zweite Leiche hatte ebenfalls einen eingeschlagenen Schädel. Die Nase des männlichen Feuerriesen war vollständig zerstört und ein Auge war zerplatzt. Was grauenvoller anzusehen gewesen war, war der Feuerriese, der aufrecht stand und mit beiden Fäusten gegen die blanke Felswand geschlagen hatte. An einer Hand standen die Finger gebrochen zu allen Seiten weg, doch die andere Hand war nur noch ein blutender Klumpen von Fleisch und Knochen. Kulde und Heergren hatten sich auf den Feuerriesen gestürzt, doch sie selbst war zurückgeblieben und hatte sich ängstlich umgeblickt. Sie hatte den Kampf aus der Ferne beobachtet und gesehen, dass der Feuerriese mit verkrampften Muskeln und wie ein Kind um sich schlug. Dann hatte ihn Kulde niedergemacht, dessen Morgenstern seinen Schädel geknackt hatte. Edda hatte aufgeschlossen und sprach gerade mit ihren Gefährten, die ihr aufmerksam zugehört hatten. Nur Kuldes kleine dunkle Augen starrten die toten Leiber schwachsinnig an und in seinem groben Gesicht mit dem langen, dunklen und schütterem Haar zuckete ab und ein an Gesichtsmuskel. Es war Heergren, der zu ihr sprach. „Die Skrälinge… hatten sie eine Krankheit? Gab es andere von ihnen, die sich nicht diesem Verhalten hingegeben haben?“ Edda erinnerte sich zurück an ihre Zeit in im Dschungel. Sie war damals durch die Hölle gegangen, doch sie hatte anscheinend die schlechten Erinnerungen im Laufe der Zeit verdrängt. Sie hatte lange nur an ihre erste Liebe gedacht. Jetzt und hier kamen die schrecklichen Bilder von damals wieder zum Vorschein. „Nein. Alle Skrälinge handeln so, wie ich es beschrieben habe. Ich habe es selbst gesehen und wäre fast von ihnen gefressen worden. Es liegt in ihrem Blute.“ Heergren nickte, spukte aus und murmelte eine Verwünschung. Edda fragte sich gerade, ob das die nachtzwergische Art war, Zuneigung zu zeigen. Dann hörte sie Neires Stimme. „Horcht her, Edda, Heergren und Kulde. Ich höre Stimmen und Schreie. Viele Stimmen. Sie kommen nicht näher und ich lausche ihnen seit einiger Zeit. Lasst mich vorgehen und folgt mir.“ Sie sah Neire in die Dunkelheit verschwinden. Sie wartete einige Zeit, dann folgte sie mit Heergren und Kulde. Sie schritten danach durch die Dunkelheit der Minenschächte. Dann sah sie das Licht im Tunnel vor ihr und sie erblickte die Szenerie. Durch den Gang hallte ein gewaltiges Gewirr von Stimmen. Da war ein gackerndes Lachen und ein brabbelndes Rufen; irres Bellen, wilde Brüllschreie, helles Schnauben und wehleidiges Stöhnen. Und ein Schlagen, wie von Hämmern. Kraft ihrer schattenmagischen Fähigkeiten konnte sie die gesamte Höhle überblicken, die sich kreisrund vor ihr auftat. Schienen führten aus verschiedenen Richtungen in die Kaverne, die vielleicht mehr als hundert Schritte im Durchmesser betrug und von dunklen Steinen bedeckt war. Das Licht, das die Höhle erhellte, kam von brennenden Schalen des porösen Ölgesteins. Diese Schalen waren chaotisch über den Boden verteilt. Der Gestank von Krankheit und von Fäulnis strömte ihr entgegen. Was sie dort sah, war das Epitom des Grauens, die Kakophonie des Verderbens. In der Höhle waren Feuerriesen eines jeden Alters. Sie sah eine Gestalt, die ihren Kopf mit aller Wucht und immer wieder gegen einen Felsen rammte. An einer anderen Stelle rissen zwei Feuerriesen die Gedärme einer Frau heraus und begannen sie schmatzend hinabzuwürgen. Eine heranwachsende Feuerriesin rammte gerade den bereits menschengroßen Leib eines Säuglings mit dem Kopf auf den Boden. Ein weiblicher und ein männlicher Feuerriese standen sich schwankend gegenüber und schlugen sich abwechselnd in ihre Gesichter, die bereits blutig und zerstört waren. Die Höhle war übersäht mit Leichen. In der Mitte sah Edda eine Vertiefung. Dort führten die Schienen der Loren aus verschieden Richtungen heran und dort erkannte sie eine Metallplatte, die wohl drehbar war. Sie versuchte sich ein Bild der lebenden Feuerriesen zu machten und zählte vierzehn männliche, 11 weibliche und 11 heranwachsende Feuerriesen. Gerade als Heergren und Kulde nach vorne stürzten, explodierte der Eingang in die Höhle in magmafarbenen Flammen. Im dem Feuer der Wand konnte sie schemenhaft die Umrisse Neires erkennen, der die Flamme des Chaos in seiner linken Hand trug. Die Riesen im Bereich der Wand begannen zu schreien und um sich zu schlagen. Sie schienen einem vollkommenem Wahnsinn zum Opfer gefallen sein, da sie keine Anstalten machten aus dem Feuer zu fliehen. Teilweise schlugen sie sogar gegenseitig auf sich ein, als wären sie blind vor Wut. Einige konnten sich kaum bewegen, vor anhaltenden Muskelkrämpfen. Vor ihr näherten sich Kulde und Heergren den Flammen. Kulde schien ausser sich zu sein und brüllte immer wieder. „Kulde will kämpfen. Kulde will töten.“ Edda sah, wie Neire weitere Flammen beschwor. Sie hörte die Gebete, die er zu Jiarlirae sprach und auch sie wollte helfen. Sie beschwor das invertierte Licht der Schattenblitze. Explosionen und krachende Blitzentladungen hörte sie hinter der Feuerwand. Sie beschwor ein weiteres Mal ihre Blitze. Dann kamen die Flammen plötzlich zum Erliegen und sie duckte sich in den Tunnel. Kulde und Heergren stürmten in die Höhle, wie von einem irren Blutrausch gepackt. Sie beobachtete das Geschehen aus der Ferne. Sie sah einen Feuerriesen, der sich Kulde entgegenstellte und den Leichnam eines heranwachsenden Feuerriesen nach ihm schleuderte. Doch Kulde hieb den Körper zur Seite und machte seinen Gegner nieder. Es folgte ein niederes Gemetzel. Hier und dort explodierten Feuerbälle aus Magma, die Neire warf. Gliedmaßen wurden zerfetzt und brennende Riesen liefen durch die Höhle. Dann wurden die Geräusche weniger und es waren nur noch die Siegesschreie von Kulde zu hören. Wie in einem totalen Blutrausch sah Edda den jungen Hügelriesen durch die Höhle stürmen. Zuletzt bemerkte sie, wie Heegren die Riesenfrau tötete, die gerade ihr eigenes Kind zerfleischte. Dann senkte Edda die Augen zu Boden. Sie sang leise den Choral Jiarliraes, den Neire ihr beigebracht hatte. Sie versuchte an ihren geliebten Neire zu denken, an die glücklichen Stunden, die sie gemeinsam verbracht hatten. Doch da waren die Bilder der Feuerriesen, die sie verfolgten. Die Bilder waren lebendig. Wie ein Parasit in ihrem Kopf, der die Harmonie von Flamme und Düsternis zerstören wollte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sitzung 112 - Alte Runen der Dualität

Über der Höhle von gewaltiger Größe lag ein abscheulicher Gestank. Es roch nach Krankheit, nach Fäkalien, Schweiß, Blut und verbrannter Haut. Vereinzelte Feuer kalter Flammen eines porösen Ölsteines brannten auf dem von schwarzem Geröll bedeckten Boden. Die kleinen Feuer der umgeworfenen Schalen warfen lange tanzende Schatten. Sie ließen das Grauen, das der Vielzahl von Leichnamen angetan wurde, nur erahnen. An einigen Stellen überragten größere Körper von Feuerriesen die Höhe des Gerölls. Anderswo waren im Licht des Feuers kleinere Leichen jüngerer Riesen zu sehen. Die Schädel der unseeligen Kreaturen waren teils eingeschlagen, die Gliedmaßen angefressen. Wundfäulnis war in verschiedenen Stadien zu erkennen. Kulde keuchte und zog die Luft ein. Die Umgebung um ihn herum nahm er kaum wahr. Er spürte auch nicht die Erschöpfung, so stark war der Rausch des Kampfes. Er wollte töten, er wollte den Ruhm der Schlacht für sich. Er fühlte sich stark. Es waren die furchtlosen, blutrünstigen Krieger seiner Rasse gewesen, die er als Kind bewundert hatte. Er hatte sich damals nie gefragt, wieso sie kämpften. Auch heute verstand er es nicht wirklich. Die Wut, die Gier und der Hunger trieben ihn an. Kulde blickte sich um und kniff seine kleinen schwarzen Augen zusammen. Er suchte nach Gegnern und stieß einen tiefen Brüllschrei aus. Dann bemerkte er die menschengroße Gestalt, die auf einen dunklen Vulkanstein geklettert war. Der Jüngling hatte seinen Mantel zurückgezogen und seine vollen, gold-blonden Locken kamen zum Vorschein. Kulde bemerkte zudem das Glitzern des Diamanten auf Neires Stirn, der von einer silbernen Krone getragen wurde. Berauscht vom Kampf und vom Sieg ging er auf seinen Anführer und besten Freund zu. Er hörte die Stimme Neires, die zischelnd und mit einem seltsamen schlangenartigen Singsang zu ihm sprach. „Ihr habt tapfer gekämpft Kulde.“ Kulde grunzte und streckte seinen Waffenarm mit dem Morgenstern in die Höhe. „Kulde Riesshen töten. Kulde grossher Krieger.“ Er machte dabei eine nickende Geste und wiederholte die Worte. Er sah wie Neire sich über den Körper eines Feuerriesensäuglings beugte, der bereits die Größe eines menschlichen Kindes hatte. Dann drehte sich Neire zu Edda und flüsterte ihr etwas zu. „Bei fast allen Feuerriesen ist Wundfäulnis zu sehen. Jedoch verschieden fortgeschritten. Ich kenne keine Krankheit, die solche Zustände hervorruft. Hat es vielleicht etwas mit dem Kragen der Träume zu tun?“ Kulde konnte den Sinn der Worte nicht verstehen. Noch bemerkte er die Furcht und den Ekel, die sich in Eddas schlankem Gesicht zeigten. „Ich weiß es nicht und ich will fort aus dieser Höhle. Im Tempel des Jensehers habe ich in einem Buch über den Kragen der Träume gelesen. Doch ich kann mich nicht an irgendwelche Krankheiten erinnern.“ Kulde verstand auch diese Worte nicht, obwohl Edda nicht flüsterte. Er spürte, wie sein Blutrausch nachlies und ihm langweilig wurde. „Kulde will kämpfen. Riesshen töten, Kulde will.“ Grunzte er und unterbrach den Propheten, der gerade anfangen wollte zu sprechen. „Ihr wollt kämpfen Kulde? Ihr werdet kämpfen. Noch tragt ihr nicht euren Namen, wie Gruschuk, der Grausame.“ Kulde schmatzte und verzog sein Gesicht. „Wahh… Gruschuk sshwach. Kulde sshtärker.“ Er sah Neire nicken und lächeln. Es gab ihm Selbstvertrauen und Mut. Jetzt war auch Heergren an sie herangetreten. Die weiße Haut des glatzköpfigen Zwergen schimmerte von Schweiß und war von bläulichen Venen durchzogen. Er hatte seine Axt in den Gürtel gesteckt und säuberte seinen langen geflochtenen Bart von Blutspritzern des Kampfes. „Ehrt ihr nicht eure Altvorderen, Riese? Mehren sie nicht den ewig währenden Tatenruhm eurer Sippe?“ Kulde versuchte das gesagte zu verstehen, doch bevor er antworten konnte, sprach Neire. „Wer waren diese Krieger Kulde? Wer war euer Vater?“ Erinnerungen an Schmerzen, Blut und Feuer kamen hoch in ihm. Erinnerungen, die er fast verdrängt hatte. „Vater von Kulde issht Nomrussh. Vater tot, Nomrussh sshwach. Jessht kein Krieger mehr sshein, kein Kampf mehr.“ Er sah Neire respektvoll nicken. „Nomrus war euer Vater und ihr seid auf dem Weg ein Anführer zu werden. Jetzt wird mir klar, woher ihr eure Stärke habt.“ Wieder grunzte Kulde und spannte seine Muskeln zur Schau. Dann sprach Edda zu ihm. „Wenn ihr euch einen Namen aussuchen dürftet, wie würdet ihr euch denn nennen?“ Als er die Worte langsam verstand, begann er zu grübeln. Kulde dachte und dachte, doch da war nichts. Dann blickte er sich um und sah die eingeschlagenen Köpfe auf dem Boden liegen. Er dachte daran, wie er dem Feuerriesen den Schädel eingeschlagen hatte. Jetzt grollte seine Stimme. „Kulde will mehr, wo sshind sshie. Kulde grossher Krieger. Name issht Kulde Kopfsshampfa.“ Seine Stimme schwoll zu einem hasserfüllten Schrei an. Er würde töten und sich nehmen, was er wollte. Sie würden ihn fürchten, denn er war Kulde Kopfstampfer.

Sie hatten danach die Tunnel der Mine erkundet, die aus der Höhle des Grauens hinfortführten. Neire war vorrausgeschlichen und Heergren hatte sich um Kulde gekümmert, den er immer wieder hatte zurückhalten müssen. Der junge Riese war voll von Kampfeswut gewesen und wäre am liebsten durch die Gänge gestürmt. Am Ende eines Tunnels hatten sie eine von Ruß bedeckte Höhle entdeckt, aus der gelbliches Licht geströmt sowie ein Blubbern und Plätschern zu hören gewesen war. In der wärmeren Luft hatten sich Schmiedenischen aufgetan, in denen hellgelbes Magma floss. Sie hatten den Worten von Heergren Nuregrum gelauscht, der die Kunst seines Volkes angepriesen und die Kanalisierung des flüssigen Steines bewundert hatte. Dann hatten sie den Ort wieder verlassen. Sie waren danach durch eine Reihe alter Schächte und Abraumkammern gelangt. Hier und dort waren Bergkristalle abgebaut worden, doch sie hatten nur leere und lange verlassen Hallen vorgefunden. Mehrfach waren sie in die Höhle des Grauens zurückgekehrt. Einer der letzten Tunnel hatte sie dann lange durch die Dunkelheit geführt. Der mehr als fünf Schritt hohe und breite Tunnel war hinab gegangen und die Temperatur war kühler geworden. Neire war wieder vorangeschlichen und er hatte keine Geräusche hören können. Er hatte aber mehrere abzweigende Gänge gefunden, die in Kammern aus schwarzem Vulkangestein geendet waren. Der Jüngling hatte nicht sagen können, von wem diese Kammern wohl errichtet worden waren. Sie schienen jedoch ins Leere geschlagen. Keine Spuren von Bodenschätzen waren dort zu sehen gewesen. Edda hatte zudem immer wieder nach Spuren gesucht und gesehen, dass die Feuerriesen hier gewesen waren. Die Spuren waren jedoch größtenteils ziellos und wirr gewesen. Dann hatte Neire eine Höhle entdeckt, die sich von den zuvor Entdeckten unterschied. Er hatte auf seine Mitstreiter gewartet und gemeinsam hatten sie in die Höhle geblickt. Neire zeigte gerade auf die Mitte der Vulkankaverne. Dort ragte, wie in einer geschlagenen Mulde, ein Podest auf, das ein fünfeck darstellte. Das Podest war aus dem Stein gemeißelt und Neire bemerkte dort ein Schimmern. Leise flüsterte er, während er sich nach vorn bewegte. „Ich werde mir das einmal anschauen. Sucht nach Spuren Edda.“ Neire wartete nicht auf die Antwort seiner Geliebten und bewegte sich Schritt für Schritt durch die Dunkelheit. Er tastete nach Fallen und hielt nach alten Flüchen ausschau, konnte aber keine Gefahr feststellen. Er sah, dass das Podest einen inneren Bereich besaß, der aus einem dunkleren Gestein gefertigt war. Auch der innere Stein besaß die Form eines Fünfecks. Auf äußerem Ring und innerem Kreis lagen sich jeweils fünf silbern-glänzende Runen gegenüber. Neire konzentrierte sich und konnte die Runen als uralte menschliche Schrift deuten. Er entzifferte auf dem äußeren Ring: Hitze, Wissen, Leben, Fels und Zeit. Auf dem inneren Ring stand: Ignoranz, Vergängnis, Fleisch, Stille und Kälte. Er begann auch den Ring nach Fallen zu untersuchen, doch auch hier konnte er nichts vorstellen. Dann hörte er die Stimme von Edda hinter sich. Sie war inzwischen an ihn herangetreten und er konnte ihre Anspannung hören. „Es führen viele Spuren in diese Kammer und weniger hinaus. Jene, welche hineinführen sehen geradlinig aus. Andere, die hinausführen, sind ziellos und wirr.“ Neire nickte und erzählte Edda von den Runen. Dann begann er zu murmeln. Als er den Spruch beendete, konnte er gleißende Magie durch den Sockel fließen sehen. Es war die mächtigste Form, die er jemals entdeckt hatte. Sie war aus der schwarzen Schule der Beschwörung, doch er konnte auch die gewobenen Fäden von Zeit- und Dimensionsmagie erkennen. „Ich sehe mächtige Magie Edda. So mächtig, wie ich sie zuvor noch nicht gesehen habe. Beschwörung und Spuren von Zeit- und Dimensionsmagie. Doch wieso diese Runen?“ Edda trat jetzt zu ihm heran und nahm seine linke Hand in die ihre. Neire spürte, dass sie zitterte. Sie bewegte ihre roten Lippen kaum, als sie sprach. „Erinnert ihr euch? Die alten Schriften der Nachtzwerge. Sie sprachen von philosophischen Studien der Dualität. Sind es nicht Gegenteile, die hier aufgelistet sind?“ Neire lachte leise auf, nahm Edda in den Arm und gab ihr einen Kuss. Dann drehte er sich zu Heergren um, der noch nicht nähergekommen war. „Heergren! Kommt und helft uns“, zischelte Neire in die Dunkelheit. Der Nachtzwerg kam näher und gemeinsam begannen sie die innere Platte nach unten zu drücken. Edda war zurückgetreten und betrachtete sie aus gebührendem Abstand. Dann begannen sie das Fünfeck zu drehen, bis sich die alten Runen des Dualismus gegenüberstanden. Erst dann ließen sie von der Platte ab, so dass diese langsam wieder nach oben stieg. Augenblicklich bemerkten sie die geräuschlose Änderung. Das schwarze Material begann porös zu werden und schälte sich ins Innere ab. Schwarzer Stein rieselte wie Staub in eine dunkle Tiefe darunter. Die innere Scheibe begann sich gänzlich aufzulösen. Neire beugte sich vor und blickte hinab. Dort führte ein breiter Tunnel senkrecht in die Tiefe. Die Wände glänzten matt und waren wulstig, wie Ausbeulungen von Polypen, wie fleischige Verwucherungen. Kein Geruch kam aus der Tiefe. Auch war keine Bewegung zu erkennen. Eine zeitlang standen sie dort und betrachten das seltsame Konstrukt. Dann drehte sich Neire zu Heergren und Kulde um.

Neire schlich sich durch den riesigen Tunnel. Der Fels war grau, von einem anderen Gestein als die Mine von Sverundwiel. Die Luft flimmerte, gefüllt von Veränderungsmagie. Dank seines zuvor gewirkten Spruches konnte er die Spuren deutlich erkennen. Er erinerte sich zurück an ihren Abstieg. Auf den Vorschlag von Heergren war Kulde mutig vorangegangen und hinabgeklettert. Die fleischigen Auswüchse waren wie ein elastischer Wulst gewesen und so hatte sich der junge Hügelriese festhalten können. Neire, Edda und Heergren waren ihm gefolgt. Dann war Kulde plötzlich unter ihm verschwunden. Neire war weitergeklettert und hatte eine Scheibe der Schwärze unter ihm gesehen, die den Schacht ausfüllte. Sein Gefühl hatte ihm gesagt, dass dies ein Portal sein musste. Ein Portal, das aber wahrscheinlich nicht in eine andere Welt führte. Vielleicht war es ein Tor, das nur an einen anderen Ort in Euborea führte. Neire war Kulde gefolgt und hatte nur die kühlere Luft gespürt, die auf dern anderen Seite herrschte. Irgendwann hatte sich der Schacht in eine Höhle geöffnet, die fünf Schritte unter ihnen lag. Kulde, der bei seinem Abstieg noch mit „Kulde kann klettern, Kulde kann kämpfen, Kulde kann alles“ getönt hatte, war plötzlich gestrauchelt. Seine Füße waren ins Leere gebaumelt und er hatte gewimmert „Kulde dunkel, Kulde nisshts sshehen“. Neire hatte ihn angewiesen weiter hinabzuklettern, bis er keinen Halt mehr fühlte und sich dann fallenzulassen. Das hatte Hügelriese dann schnaufend und ächzend getan. Kulde war mit einem tiefen Stampfen auf den Boden geprallt und hatte fast sein Gleichgewicht verloren. Nachdem er sie alle aus dem Tunnel hinabgehoben hatte, hatte sich Neire mit den Worten: „Jiarlirae ist mit uns“ verabschiedet. Nun hörte er die Stimmen aus der Ferne, die dumpf und mächtig grollten. Es hörte sich an, als ob ein Riese sich in eine Wutrede steigern würde. Aus dieser Richtung des Schachtes vernahm Neire zudem ein entfernt flackerndes Licht. Für einen Augenblick hielt er ein und lauschte der Rede. Doch er konnte keine einzelnden Worte vernehmen. Gerade, als er wieder weiterschleichen wollte, bemerkte er das Gesicht des alten Mannes, das dort in der Wand auftauchte und ihn betrachtete. Nur aus dem Augenwinkeln sah er den Blick. Schon während er sich drehte verschwand das Gesicht. Neire überkam das Gefühl von Panik. Da waren nur noch die Spuren der Veränderungsmagie. Er konzentrierte sich und folgte seinen Instinkten. Er war sich sicher, er wurde beobachtet. Das Gesicht hatte ihn bemerkt, obwohl er seine Schattenrobe trug.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sitzung 113 - Die Überlebenden

Das Gesicht des alten Mannes hatte sich in Neires Geist gebrannt. Er zitterte und blickte sich immer wieder um. Kraft seiner zuvor gewirkten schwarzen Kunst konnte er die Strömungen von Magie erblicken, die hier überall waren. Er konnte Nuancen der Schulen Veränderung, Beschwörung und Zeit erkennen. Fast mechanisch setzte er seine Bewegung fort. Er schlich vollkommen lautlos und war zudem durch seinen Schattenmantel getarnt. Wie konnte er hier bemerkt werden? Die Luft um ihn herum war feucht und roch nach Stein. Der riesige Tunnel schien natürlich zu sein, wie ein Teil einer Ausschwemmung. In weiter Ferne sah er den Lichtschimmer, dem er sich stetig näherte. Irgendwann konnte er einzelne Wörter der sonoren Stimme verstehen, die dort sprach. „Feigling“, „Schwächling“, „schweigt, verdammt…“, waren einzelne Wortfetzen. Dann kam es Neire vor, als würde die Decke über ihm zusammenbrechen. Er versuchte langsam Luft zu hohlen und nicht in Panik zu verfallen. Er dachte zurück an die Abenteuer, die er mit Halbohr, Bargh und Zussa erlebt hatte. Das Gefühl änderte sich, je näher er an das Licht kam. Dann spürte er den bohrenden Blick hinter sich. Neire fuhr herum, doch er sah nichts. Als er sich wieder dem Licht zuwendete, bemerkte er vor sich die Gestalt im Stein. Es war ein graues, gepeinigtes Abbild von ihm selbst. Doch das Wesen war zur Hälfte im Stein versunken. Es war, als ob er sich selbst in einer fernen Zukunft betrachtete. Er war dort als schwacher, schmerzleidender Greis zu sehen. Neire kniff die Augen zusammen, aber das Bild wollte nicht weichen. Dann fokussierte er sich auf das Zeichen seiner Göttin. Er sah die Rune von Feuer und Dunkelheit im Herzen der Irrlingsspitze. Das Bild gab ihm eine innere Ruhe. Als er ausatmete, war der gepeinigte alte Neire verschwunden – der Gang war leer, wie zuvor.

Vor ihm öffnete sich der Tunnel in eine Höhle. Von hier war das Licht gekommen, das Neire schon seit geraumer Zeit bemerkt hatte. Von hier kamen auch die Geräusche. Der Jüngling kniff seine Augen zusammen und starrte in das Licht kalter Ölfackelflammen, die in Abständen an den Wänden befestigt waren. Die Kaverne war fast kreisrund und von kolossalem Ausmaß. Bis zur anderen Seite waren es vielleicht dreihundert Schritte. Auch die Decke wölbte sich zum Inneren in große Höhen. Zur Mitte hin war der Boden der Halle abschüssig, so wie in einem gewaltigen Wasserbecken, das jetzt ausgetrocknet war. Neires Aufmerksamkeit war von dem Anblick gefesselt, den er an einem der beiden Ausgänge auf der rechten Seite beobachtete. Dort hatten sich sechs Kreaturen versammelt, von denen zwei eine dritte auf den Boden drückten. Der Riese, der niedergerungen worden war, hatte einen roten Vollbart und eine Glatze. Narben waren über sein gesamtes Gesicht verteilt, das jetzt die Spuren von Fausthieben offenbarte. Der Feuerriese war muskulös, von aschgrauer Haut und trug eine Kettenweste aus glänzendem Stahl. Die anderen Riesen waren nicht so muskulös, doch nicht weniger furchteinflößend. Ein Riese mit feuerrotem langem Haar und von schmalerer Statur, war von der Gruppe weggetreten. Er atmete, wie auch die anderen, tief. Neire sah, dass er ein zweihändiges Schwert in seiner Hand hielt, dessen Klinge bestimmt sechs Schritt lang war. Der Riese starrte auf die Waffe, als würde er sein Spiegelbild in dem schwarzen Stahl erblicken wollen. Doch bereits aus der Entfernung bemerkte Neire die matte lichtschluckende Konsistenz der Schneide. War das die Flamme von Thiangjord, die legendäre Klinge, die im Feuer des gleichnamigen Lindwurms geboren wurde? Neire schreckte hoch und verdrängte die Gedanken an Königin Huldas Geschichte. Er hörte den barschen Befehl des Riesen mit dem Schwert: „Hurolk, schafft ihn weg! Bringt ihn in die Höhle. Wir werden ihn nachher töten.“ Als die Feuerriesen dem Befehl Folge leisteten und den schlaffen, mit Blessuren bedeckten Körper des ohnmächtigen Kriegers hochwuchteten, schwante Neire die Situation. Es ist Jarl Eldenbarrer, der von seinen Anhängern niedergeschlagen wurde. Einer hat sich seines Schwertes bemächtigt und will seine Rolle als Jarl übernehmen, dachte Neire. Er horchte hastig in den Tunnel hinter sich, doch die folgenden Schritte seiner Kameraden waren weit entfernt. Er musste handeln, um Schlimmeres zu verhindern. Er erinnerte sich an sein Versprechen, was er Königin Hulda gegeben hatte. Er musste Jarl Eldenbarrer lebend zur Königin bringen. Neire griff in seine Tasche und ließ den Ring aus Kristall über seinen rechten Finger gleiten. Er drehte den Ring und konzentrierte sich. Dann begann er lautlos zu schweben. Er näherte sich dem Riesen mit dem roten langen Haar, der ihm den Rücken zugewendet hatte. Neire kam hinter der Kreatur zum Halt, die er nun auf Augenhöhe betrachten konnte. Er nahm seinen gesamten Mut zusammen und begann zu sprechen. Zischelnd hell und voll eines fremden Singsanges war seine Stimme. „Ihr dort, schaut nicht in das schwarze Schwert, horcht her!“ Der schwere Kopf begann sich augenblicklich zu drehen und Neire konnte in das Gesicht blicken. Er bemerkte aufgeplatzte Adern in den Augen der Gestalt, eine deutliche Übermüdung, als ob sie Tage nicht geschlafen hätte. Der Riese starrte durch ihn hindurch, legte zuerst sein Gesicht in Falten, fing dann aber verrückt an zu lächeln und drehte sich wieder um. Neire schwebte auf die andere Seite. Es kostete all seine Überwindung und er dachte an seine Göttin. Dann zog er seinen Schattenmantel zurück und erschien aus dem Nichts. Engelsgleich schimmerten seine gold-blonden Locken im kalten Licht und seine blasse Haut hatte einen übernatürlichen Glanz. Leuchtende Sterne glitzerten auf seiner schwarzen Erzmagierrobe. Neire versuchte laut und sicher zu klingen, seine Stimme zitterte aber vor Furcht. „Horchet her und lauschet meinen Worten. Ich bin gekommen den zu suchen, der sich Jarl Eldenbarrer nennt, Träger der schwarzen Klinge, der Flamme von Thiangjord.“ Jetzt weiteten sich die Augen der kolossalen Kreatur. Der Riese öffnete den Mund und ließ den schwarzen Zweihänder sinken. Dann vernahm Neire gestotterte Worte. „Welche List… nicht schon wieder… seid ihr echt?“ Der Riese kam näher und versuchte nach ihm zu greifen. Neire schrie auf und erhob den Zeigefinger seiner linken, verbrannten Hand. „Halt, keinen Schritt näher. Ich bin gekommen als euer Freund. Ich bin gekommen euch zu erretten von diesem Ort.“ Die Welt um Neire verwandelte sich in ein Meer aus Purpur. Da war der stechende Schmerz, als er die Linsen des Jenseher benutzte. Er konnte aber nicht in den Geist der Gestalt vordringen. Da war etwas, wie eine Barriere. Alles schimmerte in Karmesinrot, nur das schwarze Schwert war dunkel in seiner Vision. „Hauk kommt her und schaut euch das an“, rief der Riese jetzt. Die Gestalt, die aus dem Tunnel erschien, war der älteste der Riesen. Er hatte graues, langes Haar, Zahnlücken, keinen Bart und wenige Narben. Wie auch bei dem Riesen mit dem Schwert konnte Neire die Übermüdung erkennen. Außerdem schien der ältere Riese ausgemergelt, als ob er viel Gewicht verloren hätte. „Ja, ich sehe ihn. Ein Menschlein. Was hat es hier verloren? Es sitzt wie wir hier fest, in der verfluchten Falle.“ Neire versuchte die Augen des Jensehers einzusetzen, doch auch Hauk widersetzte sich seinem Versuch. „Wer seid ihr, wenn ihr echt seid?“ sagte der Riese mit dem Schwert, während er Neire weiterhin ungläubig musterte. Bevor Neire antworten konnte war ein dritter Riese aus dem Tunnel aufgetaucht, der auf die schnelle Frage Hauks – Furgrar, könnt ihr ihn sehen? – nickend antwortete. Neire Kopf schmerzte bereits, doch er setzte die Augen ein weiteres Mal ein. Furgrar, ein junger Feuerriesenkrieger mit kurz geschorenem braunem Haar, einem muskulösen Körper und einem eingefallenen Gesicht lächelte Neire zu. „Ich bin Neire von Nebelheim, der Prophet von Jiarlirae, der Göttin von Feuer und Schatten. Ich bin hier um Jarl Eldenbarrer zu Königin Hulda von Isenbuk zu bringen. König Dunrok von Isenbuk ist tot und die Königin sucht einen neuen König.“

Sie hatten sich danach einige Zeit unterhalten. Die Feuerriesen waren Neire gegenüber nicht feindselig gewesen und insbesondere Furgrar hatte ihm sein Vertrauen ausgesprochen. Dann hatte Neire von seinen Freunden erzählt, die er an diesen Ort mitgebracht hatte. Als Kulde, Edda und Heergren schließlich erschienen waren, hatte Neire sie vorgestellt. Insbesondere Kulde war von den Riesen angefeindet worden. Sie hatten den jungen Riesen als Abschaum aus den Hügeln bezeichnet und als den aus Schlamm Gezeugten beschimpft. Glücklicherweise hatte Kulde die Sprache der Feuerriesen nicht verstanden und Neire hatte die Situation wieder beruhigen können. Neire hatte darauf verwiesen, dass Kulde Kopfstampfer dem großen Anführer Meister Halbohr dienen würde. Die Riesen hatten wahrlich schon von Meister Halbohr gehört und von seinen Anhängern, denen ein Ohr abgeschnitten wurde. Der Riese mit dem schwarzen Schwert hatte sich dann als Gramraug vorgestellt, hatte aber das Wort an Hauk übergeben. Der ältere Riese hatte von der Eroberung der Eisenfeste Sverundwiel berichtet, wobei er versucht hatte Jarl Eldenbarrer, wo immer es ging, als lächerlich und inkompetent darzustellen. Seine Worte waren laut und scharf gewesen:

Hauk, der Feuerriese: „Die Königin sucht den glorreichen Jarl Eldenbarrer, der die Eisenfeste Sverundwiel erobert hat? Hahaha… Einen Teufel hat er getan. Hat uns ins Verderben geführt dieser Eldenbarrer. Eine tapfere Leistung hat uns dieser Jarl eingebracht… hahaha. Die Feste war leer, als wir ankamen. Kein ruhmreicher Kampf, keine Schätze. Noch viel schlimmer, wir durchstreiften die Minen und fanden diesen Stein, den die Nachtzwerge freigelegt hatten. Nach einigen Versuchen öffneten wir den Tunnel durch diesen seltsamen Darm. Wir stiegen hinab, wir alle. Wir stiegen hinab auf Jarl Eldenbarrers Befehl… Jawohl! Verdammt nochmal. Dann irrten wir durch die Hallen. Wir irrten in unser Verderben. Der Weg zurück ist verschwunden und hier gibt es keinen Ausgang. Nur die drei Höhlen, die sich an diese Halle anschließen und einen Tunnel der wieder hierhin führt… ja, es war zum verrückt werden. Gingen wir durch diesen Tunnel, brachte er uns zurück in diese Halle. Hexerei, schwarze Kunst, sage ich euch. Gut, dass es in diesem Tunnel eine Wasserstelle gab. Sonst wären wir schon längst verdurstet. Dann wurden unsere Vorräte weniger. Und es kamen die Visionen. Bei einem fing es an. Hat seltsame Dinge gebrabbelt. Hat erzählt, wie der Stein ihn verbrennen würde… verbrennen… einen unserer Rasse, dieser Schwächling. Es wurde schlimmer. Erst kaute er auf seinem Finger und dann hat ihn abgebissen und runtergewürgt. Wenn ihr mich fragt, es war in seinen Augen. Dieser Wahnsinn. Irgendwann ist er in einen Tunnel gewandert und wurde nicht mehr gesehen. Einfach so verschwunden. Dann fing es auch bei anderen an. Sie kratzten über den Stein, bis ihre Hände blutig waren, sich ihre Fingernägel abgelöst hatten. Neben einer jungen Feuerriesin öffnete sich auf einmal der Boden und sie wurde von der Dunkelheit geschluckt – war einfach fort. Was hat der große Jarl, Eroberer der Eisenfeste Sverundwiel getan, frage ich euch? Nichts hat er getan. Nichts ist zu wenig für den Ruhm und die Ehre eines Jarls unseres Blutes und deswegen muss er sterben.“

~

Neire kniete vor dem Kopf des bewusstlosen Jarls, der damit seine Höhe hatte. Er musste den Jarl Eldenbarrer wecken und mit ihm sprechen. Es war einiges geschehen, seit sie das Gespräch mit den Riesen Gramraug, Hauk, Furgrar und Hurolk beendet hatten. Neire hatte mit dem neuen Anführer Gramraug vereinbart, dass sie die Höhlen durchsuchen und einen Ausgang finden wollten. Der Anführer hatte resignierend zugestimmt, aber spottend gelächelt. In einer Höhle hatten sie dann den bewusstlosen Jarl Eldenbarrer gefunden, der von dem Riesen Wulfrug bewacht wurde. Neire hatte die Augen des Jenseher auch bei Wulfrug angewendet und war in seinen Geist vorgedrungen. Danach hatten sie die Höhlen durchsucht und Hauk und Furgrar hatten sie begleitet. Edda hatte an einer Wand einen sehr alten Buchstaben in der Sprache der Nachtzwerge gefunden, der mit einem Stein dort hineingeritzt war. In der zweiten Höhle hatten sie den Geruch von verfaultem Fleisch und Verwesung vernommen. Dort waren in einer Ausbuchtung blutige, abgeschälte Knochen zu sehen gewesen, die auf einem Haufen lagen. An einer anderen Stelle der Höhle lagen Bretter von Kisten, Messer sowie Haut und Sehnenfetzen. Die Riesen hatten hier anscheinend ihre Sippschaft geschlachtet, um sie dann zu verzehren. Heergren hatte sich mit Abscheu abgewendet und etwas von „lieber ehrenhaft sterben, als so zu Grunde gehen“ geflüstert, doch Neire hatte ihn zur Stille ermahnt. In der anderen Höhle hatten sie keine Besonderheiten gefunden. Dann waren sie in den Tunnel gelangt, von dem Hauk ihnen erzählt hatte. Sie hatten auch die Wasserstelle gefunden, die sich im Tunnel befand. Das Rauschen war schon von weitem zu hören gewesen. Mehrere Rinnsale hatten einen kleinen, länglichen See auf der linken Seite des Tunnels gespeist. Das Wasser war klar und tief gewesen und der See war fünf Schritt breit und dreimal so lang. Sie waren dem Tunnel gefolgt und tatsächlich wieder in die riesige Höhle zurückgekehrt. Dann war Neire die Idee gekommen mit großen Fässern Wasser zu schöpfen und es in die trockene Mulde der Höhle zu bringen. Er hatte von der Dualität von Hitze und Kälte, von Wasser und Luft gesprochen. Als sie mit den Fässern in den Tunnel zurückgekehrt waren und Wasser geschöpft hatten, war Neire aufgefallen, dass der Wasserstand nicht abgesunken war. Edda hatte daraufhin nach Zaubern gesucht und über dem kristallklaren Wasser mächtige Magie der allgemeinen Schule entdeckt. Danach hatte Neire seinen Rucksack abgelegt und war in die Fluten hinabgetaucht. Er war für Edda plötzlich verschwunden, doch als Neire wieder aufgetaucht war, hatte er auch seine Mitstreiter nicht mehr gesehen. Er hatte sich in einem ähnlichen Tunnel befunden und in der Ferne hatte er mehrere Leichname von Riesen gesehen. Dann war Neire wieder untergetaucht und nach einem nach einem nochmaligen Auftauchen zu seinen Mitstreitern zurückgekehrt. Er hatte ihnen von dem Weg auf die andere Seite erzählt und sie waren zu Gramraug zurückgekehrt. Sie hatten eine Weile über ihr weiteres Vorgehen beraten und Neire hatte darauf beharrt Jarl Eldenbarrer mitzunehmen. Das hatte Gramraug verneint und vorgeschlagen er selbst könne als Jarl Gramraug um die Hand von Königin Hulda anhalten. Neire hatte als Urteil von Jiarlirae einen Zweikampf vorgeschlagen und Gramraug hatte direkt eingewilligt. Der Riese hatte sich sogar bereits als König Gramraug bezeichnet und die Flamme von Thiangjord erhoben. Jedoch hatte Neire Zeit für die Vorbereitung von Jarl Eldenbarrer verlangt. Gramraug hatte eingewilligt, hatte aber als Aufpasser Hauk mitgeschickt. Jetzt sprach Neire zu der bewusstlosen Gestalt: „Jarl Eldenbarrer, wacht auf und hört her.“ Der Anführer der Feuerriesen reagierte nicht. Neire gab ihm kleine Ohrfeigen. Er sah, dass Eldenbarrer Blutsabber hustete und dann die großen, fast schwarzen Augen aufschlug. Neire spürte den Luftstrom gewaltiger Lungen. „Ich bin Neire von Nebelheim, Prophet von Jiarlirae und ich werde euch hier herausführen, Jarl Eldenbarrer. Königin Hulda von Isenbuk hat mich geschickt, denn ihr König Dunrok ist tot. Sie sucht einen Nachfolger und sie hat euch auserkoren.“ Eldenbarrer prustete und richtete sich langsam auf. Seine Augen betrachteten den Jüngling mit klarem Verstand. „Königin Hulda? Sie hat selber geherrscht und nicht König Dunrok, dieser fette, träge Bastard. Ich werde kein solcher König sein. Ich werde selbst herrschen.“ Neire nickte und die Welt um ihn herum verwandelte sich wieder in Purpur. Er drang in den Geist von Eldenbarrer ein und spürte keinen Widerstand. „Ich bin als Freund gekommen und habe Königin Hulda mein Wort gegeben. Es ist mir egal, wer herrschen wird, ihr oder Hulda. Ihr müsst mir nur versprechen, dass ihr eure Seele der Göttin von Flamme und Düsternis, meiner Herrin des aufsteigenden Chaos des Abgrundes, Jiarlirae, versprecht. Werdet ihr der Göttin dienen Jarl?“ Eldenbarrer grummelte und sprach. „Wenn ihr mich hier hinausbringen könnt, werde ich ihr gerne dienen. Ich vertraue euch, Menschlein.“ Neire nickte und legte grübelnd seine Stirn in Falten. „Es ist Gramraug, mein Jarl. Er hat euer Schwert und er hat euch zum Zweikampf herausgefordert. Ihr müsst kämpfen, doch ihr sollt den Segen unserer Göttin haben.“ Jetzt stieß Eldenbarrer einen dumpfen Schrei aus. „Was? Dieser Wurm, mein Schwert? Diese Anmaßung. Dafür werde ich ihn langsam sterben lassen. Ich werde ihm ganz gemächlich seine Haut vom Schädel ziehen.“ Neire nickte und winkte Kulde heran, der Jarl Eldenbarrer einen riesigen Zweihänder überreichte, der an einigen Stellen bereits Rost auf der Klinge angesetzt hatte. „Nehmt diese Waffe, Jarl Eldenbarrer. Neigt euren Kopf hernieder und empfanget den Segen von Jiarlirae. Sie wird euch den Sieg im Kampf bringen, mächtiger Jarl. Doch ihr müsst ein zweites Mal beschwören, dass ihr ihr freudig dienen wollt.“ Neire förderte bereits das flüssige Quecksilber hervor, das auf seiner verbrannten Hand dampfte. Der Jarl beugte seinen vernarbten, haarlosen Kopf und murmelte. „Ja, so soll es sein. Gebt mir den Segen eurer Göttin.“ Neire nickte und strich die Rune auf die Stirn des Jarls. Das Quecksilber brannte sich in die graue Haut. Es war seine Rune die er zeichnete. Es war die Dualität von Flamme und Düsternis und sie brannte sich in die Haut von Eldenbarrer. Dann kanalisierte er die Kraft seiner Herrin und die Wunden von Jarl Eldenbarrer schlossen sich.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sitzung 114 - Der Weg durch das Wasser

Edda von Hohenborn kam sich vor wie ein kleines Insekt. Die Höhle war so groß, dass sie nur die durch die Brennschalen erhellten Bereiche sah. Lichter flackerten in bleichen Ölflammen, die aus dem porösen Gestein aufstiegen. Die junge Schattenmagierin hielt sich hinter Neire und schaute hinauf in die grimmigen Gesichter der Feuerriesen. Sie sah ermüdete Antlitze mit geröteten Augen, die gehetzte Blicke in die Schatten warfen. Edda befürchtete, dass die Riesen sie übersehen und zertrampeln würden. Nach ihrer kurzen Rast hatten sie vor der Höhle Rufe gehört und waren herausgetreten. Sie hatten dort den Herausforderer Gramraug gesehen, der den Jarl Eldenbarrer zum Kampf beschworen hatte. Wieder und wieder hatte Graumraug nach Eldenbarrer verlangt, bis der der Jarl schließlich hervorgetreten war. Jetzt hielt der jüngere Riese das gestohlene Schwert, die Flamme von Thiangjord, hoch und brüllte einen Kriegsschrei. In seinen Augen bemerkte Edda jedoch Zweifel, als er flüchtig Jarl Eldenbarrer betrachtete. Oder war es die Feigheit, mit der er seinen, aus Neid getriebenen Verrat durchgeführt hatte. Gramraug strich sich seine langen roten Haare zurück, die ihm bis auf die Schultern fielen. Er warte darauf, dass ihm der verhasste Gegner entgegentrat. Jarl Eldenbarrer war im Vergleich zu Graumraug ruhig. Er musterte seinen Gegner kalt und berechnend. Eldenbarrer war viel muskulöser als Graumraug, hatte einen haarlosen Schädel voller Narben, einen roten Vollbart und kürzlich verheilte Wunden der Schlägerei. Bevor sich Eldenbarrer Gramraug stellte, beugte er sich tief zu Neire hinab. Edda konnte den kolossalen Kopf des Riesens aus der Nähe betrachten. Neire flüsterte Eldenbarrer Worte ins Ohr. „Ihr müsst es ein drittes Mal sagen Jarl Eldenbarrer. Nur so kann euch der Segen meiner Göttin zuteilwerden.“ Der Feuerriese nickte und sprach mit klarer, bestimmter Stimme. „Ich werde Jiarlirae dienen, wenn ihr mich hier herausbringt. Ich verspreche ihr meine Seele und ich werde diesen Kampf gewinnen.“ Edda hörte die Zustimmung von Neire; dann vernahm sie die gemurmelten Gebete des Jünglings. Sie spürte die Macht der Fürbitten, die auch ihr Zuversicht gaben. Eldenbarrer trat auf Gramraug zu. Die Stimmen der Feuerriesen klangen ab. Hauk, Furgrar, Wulfrug und Hurolk hatten einen Kreis gebildet. Kulde Kopfstampfer hingegen saß auf dem Boden und schaute zu. Ein vorfreudiges, niederträchtiges und debiles Grinsen hatte sich auf dem von einem Unterbiss geprägten Gesicht von Kulde breitgemacht. Dann stürmte Gramraug auf Eldenbarrer zu. Dreimal schwang er das schwarze Schwert zum Angriff. Der Zauber Jiarliraes war stark und Eldenbarrer wehrte die Klinge zweimal ab. Beim dritten Streich sprang er zu Seite. Dann ging der kampferprobte Jarl in den Gegenangriff über. Das rostige Schwert stieß tief in die Brust und Gramraug taumelte. In den Augen des jungen Feuerriesen war plötzlich eine Ungläubigkeit, die ihn zum Zögern brachte. Es war dieser Augenblick, der Gramraug sein Leben kostete. Der zweite Angriff kam von schräg oben, zerstörte den Schienenpanzer des Abtrünnigen und schälte die Haut vom Bein. Bis auf den Knochen dang das riesige Schwert Eldenbarrers, bis es einen Teil des Fußes abhackte. Blut spritzte auf und die Augen von Gramraug verklärten sich, als er auf seine Kniee sank und starb. Eldenbarrer baute sich über ihm auf und stieß ihm das Schwert durch den Kopf und den Leib hindurch, bis in den Boden hinein. Es blieb dort stecken und fesselte Gramraug in seinem Kniefall im Tode. Die vier verbliebenen Riesen jubelten Eldenbarrer zu. „Heil Eldenbarrer, Heil unserem Jarl.“ Als der Chor aufhörte setzte Hauk zu ehrfurchtsvollen Worten an. „Eldenbarrer hat gesiegt, wir alle wurden Zeugen seines Ruhmes. Er ist unserer Jarl und wird uns führen bis zu unserem Tode.“ Wieder bestätigten die anderen Riesen die Rede mit Heilsrufen. Nur Hurolk hielt sich zurück. Eldenbarrer schritt zu dem einst Abtrünnigen und murmelte Worte der Verwünschung. „Ihr alle dachtet wohl Gramraug würde siegen, eh? Nicht jeder der die Flamme von Thiangjord heben kann, kann sie auch führen. Doch ich kann auch eure Gründe verstehen. Nicht aber eure Hurolk. Ihr wart einfach nur feige.“ Eldenbarrer hatte sich vor dem Riesen aufgebaut und begann Hurolk mit beiden Händen zu würgen. Hurolk hatte ein rundliches Gesicht, braunes Haar und einen kurzen krausen Bart. Im Gesicht und Bauch waren deutlich die Hautlappen zu erkennen, die auf sein einst großes Körperfett deuteten. Zum Erstaunen von Edda schien der Riese sich nicht wehren. Vielleicht hoffte er noch auf Gnade. Sie sah Neire von sich forttreten. Der Jüngling schritt neben Eldenbarrer und schrie hinauf. „Mein Jarl, er hat es sicherlich verdient, aber ist es auch der Wille der Göttin? Lasst ihn im Kampf beweisen, ob er ihre Gunst hat.“ Zu ihrem Erstaunen wandelte sich der hasserfüllte Blick und der Jarl löste seine Hände. Dann schlug er Hurolk seine Faust ins Gesicht. Edda sah den gewaltigen Leib zu Boden sinken. Hurolk schnappte nach Luft und spie seine abgebrochenen Zähne aus. Er spukte blutigen Sabber als er sich wankend aufrichtete. „Hurolk wird Jarl Eldenbarrer dienen. Treu dienen. Mein Jarl, mein König.“ Eldenbarrer wandte sich mit einem Knurren ab und sprach zu den anderen Riesen. „Ihr habt den Propheten Jiarliraes gehört. Er ist zu mir gekommen mit der Botschaft, dass ich König werde. Das Feuer der Göttin wird uns den Weg durch ihre Schatten zeigen. Mit ihrer Hilfe werden wir noch größer werden. Größer in unserem Tatenruhm, größer in unserem Reichtum. Noch Generationen nach uns werden Lieder über uns gesungen werden. Es werden die Lieder unserer Rasse werden. Ich werde euch in den Krieg führen und die Dörfer der Menschlein werden brennen. Der Sieg wird unser sein.“ Die verbliebenden Feuerriesen hoben ihre Waffen und fingen an zu brüllen. Selbst Kulde wurde von der unbändigen Wut und dem lodernden Stolz mitgerissen. Edda hörte die Schreie durch kolossale Steinhalle dringen. „Heil Jarl Eldenbarrer. Heil Jiarlirae. Heil Prophet.“

Edda zog sich danach wieder in die Höhle zurück. Neire hatte verlangt, dass sie sich eine Zeit für die Vorbereitung ließen, bevor sie aufbrechen wollten. Jarl Eldenbarrer hatte daraufhin eingewilligt und war mit seinen Feuerriesen in der großen Halle geblieben. Neire und sie widmeten sich dem Studium der Zauberbücher. Schon bald hatte sie die Umgebung um sich herum vergessen. Edda nahm selbst das tiefe Schnarchen von Kulde nicht mehr wahr, der sich in einer Ecke schlafengelegt hatte. Der Hügelriese hatte sich in einer Embryonalstellung zusammengerollt. In seinem Gesicht, mit der fliehenden Stirn und der platten Nase, war ein Zucken zu sehen, dass sich ab und an in ein niederträchtiges Grinsen verwandelte. Edda versuchte die neuen Zauberformeln zu verstehen, die sie in den Büchern fand. Nicht alle gehörten der Schule der Schatten an, deren Erlernen ihr besonders leichtfiel. Die Zauber der anderen Schulen hatten andere Strukturen. Strukturen, die nicht die Formen und Züge von Schatten hatten. Als sie an eine Stelle kam, die sie nicht entschlüsseln konnte, wendete sie ihre Augen ab. Edda blickte in die Düsternis der Höhle und suchte nach Antworten. Auch Neire konnte ihr hier nicht helfen. Der Prophet hatte seinen Oberkörper entblößt und vollzog das Ritual der Fackeln, die er um sich aufgestellt hatte. Nein, sie musste die Antwort selbst finden. Sie ließ ihren Blick über die Kaverne schweifen und da war etwas. Es war eine schlanke Frau wie sie selbst, halb im Stein versunken. Sie schrie vor Schmerzen. Da war eine Klinge, die ihr die Haut vom schönen Gesicht schälte. Sie spürte den Schmerz. Dann wurde es Edda klar. Es war ihr eigenes Gesicht. Sie fing an schneller zu atmen und verfiel in Panik. Sie rief nach Neire, doch ihr Liebhaber war in einer Trance. Tränen rollten über ihre Wangen, aber sie spürte sie nicht. Sie wollte, dass der Schmerz aufhörte, dass diese Qual vorüberging. Dann verschwand das Bild der Frau und mit ihr die Schmerzen. Edda zitterte und blickte sich um. Dann raffte sie ihre Bücher zusammen und ging zu Kulde. Sie ignorierte den Gestank von Schweiß und Urin, der von dem Riesen aufstieg. In den Dschungeln vor Vintersvakt hatte sie Schlimmeres gerochen. Sie lehnte sich an Kuldes Körper und spürte sein ruhiges, tiefes Atmen. Das rhythmische Geräusch und die Bewegung des gewaltigen Leibes gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Der Bauch von Kulde wiegte sie vor und zurück. Langsam gewann sie ihre Fassung wieder. Dann begann sich ihren Schriften zu widmen.

Das Schnauben von Kulde schreckte Edda hoch. Sie musste wohl eingeschlafen sein und war immer noch an Kulde gelehnt. Da war das flatschende Geräusch von Rotz, als der Riese seine Nasenlöcher entleerte. Erst als er sich aufrichtete, bemerkte Kulde sie. Ungläubig gaffte er auf sie hinab. Er stieß dabei einen fragenden, tiefen Ton aus. Edda stand auf und raffte ihre Bücher zusammen. Sie lächelte Kulde an. „Ich hatte Angst Kulde und ihr müsst mir eines versprechen. Ihr müsst mich beschützen.“ Zuerst dachte Kulde nach. Dann fing er an debil zu lächeln. „Kulde heissht jetssht, Kulde Kopfsshamfa. Kulde grossher Krieger. Welsshe Angssht?“ Eddas Lächeln erstarb, als sie zurückdachte. „Etwas schnitt mir in mein Gesicht. Es war grauenvoll.“ Augenblicklich fing Kulde an zu brüllen und hob seinen Morgenstern. „Wo issht es, Kulde töten es.“ Doch Edda schüttelte mit dem Kopf. „Nein, es war vielleicht nur in meinem Kopf. Ich weiß es nicht. Vielleicht sind es die Schatten hier.“ Kulde verfiel wieder in ein Starren. Seine kleinen, bösartigen schwarzen Augen gafften Edda an, als er mit geöffnetem Mund anfing zu sabbern. Dann hörte Edda die Stimme von Heergren. Ihr nachtzwergischer Begleiter hatte sich bereits in seine Rüstung gehüllt und trug seine Schlachtenaxt. Heergren strich sich durch den grauen, geflochtenen Bart. Seine Glatze schimmerte bleich in der Dunkelheit, durchzogen von bläulichen Venen. „Keine Zeit dafür Kulde, macht euch fertig. Ihr habt bestimmt noch Gelegenheit die Dame von Hohenborn zu beschützen. Jetzt legt eure Rüstung an, denn der Prophet erwartet, dass ihr kampfbereit seid.“ Dabei zeigte Heergren auf den Schienenpanzer, den Kulde von Gramraug genommen hatte. Edda sah Kulde nicken. „Kulde Kopfsshamfa Rüsshtung. Mäschtiger Krieger, Kulde. Krieger Meisshter Halbohr und Prophet dient.“ Edda nickte und wendete sich um zu Neire. Sie hörte schon die Schritte aus der großen Höhle näherkommen. Die Feuerriesen hatten bestimmt den Lärm von Kulde gehört. Sie erinnerte sich an die Runen der Schatten, die sie zuvor gelesen hatte. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie die Dunkelheit durchblicken konnte. Sie dachte an die Runen und starrte in die Ferne der großen Höhle. Es war, als ob sie wie bei Tageslicht sähe. Obwohl da nur Dunkelheit und Schatten um sie herum waren.

~

Der Kampf war jetzt vorbei und er keuchte. Raureif und Frost hatte sich über den rechten Teil seines Oberkörpers ausgebreitet. Von dort fühlte er keinen Schmerz. Ein fast unerträgliches Pochen strömte aber in anliegende Körperbereiche. Eldenbarrer blickte zu Hurolk, der wie er selbst, schwer verletzt war. Er hatte den Verräter voranschreiten lassen und gehofft, Hurolk würde bald sterben. Doch Hurolk hatte tapfer gekämpft. Stirbt er nicht jetzt, dann bestimmt im nächsten Kampf, dachte Eldenbarrer. Während ihrer Rast hatten Hauk und er bereits Pläne für die nähere Zukunft gemacht. Hauk hatte ihm erklärt, was der Titel eines Königs bedeutete. Er hatte ihm angeraten, sich zum König des Höllenkessels zu erheben. Er sollte keine unabhängigen Jarle unter den Feuerriesen akzeptieren. Alle sollten ihr Knie unter seiner Herrschaft beugen. Jarl Eldenbarrer verdrängte die Gedanken, die seine Machtfantasien beflügelten. Er hatte die Urgewalt von Jiarlirae gespürt, die der junge Prophet gebracht hatte. Und Neire von Nebelheim hatte sein Wort gehalten. Er hatte sie zur Wasserstelle geführt und sie waren, einer nach dem anderen, untergetaucht. Möglichst lautlos waren sie wieder aufgetaucht und hatten sich in einem anderen Tunnel befunden, der dem vorherigen sehr ähnlich gewesen war. Der Ausweg war also dort gewesen. Die ganze Zeit. Eldenbarrer hatte seinen Augen nicht getraut, aber sofort die Unterschiede entdeckt. Dann hatten sie den fremden Bereich erkundet. In einer militärischen Formation waren sie vorangeschritten und hatten im Schein der Ölfackeln die unterirdische Halle entdeckt. Eine Doppelreihe von schwarzen Säulen hatte die hohe Decke gehalten und vor jeder Säule hatte ein zwergischer Skelettkrieger gestanden. Die Säulen waren mit Fresken von zwergischen Gesichtern bedeckt gewesen. Es waren Antlitze wie von Helden gewesen. Der Kampf der dann ausgebrochen war, war erbittert geführt worden. Doch nur die Flamme von Thiangjord sowie die Klingen von Edda und von Neire hatten die Kreaturen verletzen können. Zudem hatten die Skelette ihre Mäuler geöffnet und blaue Strahlen von Frost auf Hurolk geworfen. Auch einen weiteren Zauber hatten sie eingesetzt, der alle magischen Gegenstände zum Glühen gebracht hatte. Nach dem Kampf hatten sie die Höhle durchsucht, aber keine Ausgänge gefunden. Sie waren dem Tunnel des Wasserlochs in die entgegengesetzte Richtung gefolgt und hatten eine ähnliche Höhle gefunden. Auch hier waren mit Fresken besetzte Säulen zu sehen gewesen und auch hier hatten sie gegen das Unleben gekämpft. Jetzt hatte sich Eldenbarrer auf ein Knie hinabgelassen und ließ Neire sich um seine Wunden kümmern. Er spürte das Feuer der Göttin, als einige Wunden sich schlossen. Er fühlte Hoffnung, Kampfeslust und Kameradschaft. Es war, als ob Neire einer der ihren war. Einer, dem er trauen konnte. Mehr als allen anderen. Eldenbarrer dachte nicht mehr an die Verzweiflung der letzten Monate. Wie sie das Fleisch ihrer Kameraden gefressen hatten. Wie sie dem Wahnsinn verfallen waren. Er nahm die Macht von Jiarlirae in sich auf und beobachtete den Tunnel, der aus der Halle in die Dunkelheit führte. Was würde sie dort erwarten?[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sitzung 115 - Die versteckten Hallen von Sverundwiel

Heergren und Edda schauten sich die Säulen an, während Neire zu Jiarlirae betete. Die Feuerriesen um Jarl Eldenbarrer bewachten die beiden Ausgänge der Halle. Auch der einohrige Hügelriese Kulde Kopfstampfer hatte sich zu den Feuerriesen gestellt, betrachtete aber immer wieder die schwarzen Pfeiler. Dort waren die Abbildungen von männlichen Nachtzwergen zu sehen, die mit einer Vielzahl von Details in den Stein gearbeitet worden waren. Eddas blaue Augen glitzerten im schwachen Licht der Ölfackeln. Sie starrte entweder auf die Säulen oder zu Heergren, als wollte sie die Schatten sowie die Flammen meiden. Heergren war viel kleiner als Edda. Er hatte seine runenverzierte Schlachtenaxt über die linke Armbeuge gelegt, wo auch der befestigte Beschützer zu sehen war, den er am Schildarm trug. Der Waffen- und Rüstungsschmied aus dem Tempel des Jensehers blickte grimmig auf die Säule. Feine bläuliche Venen waren auf der Haut seines haarlosen Schädels zu sehen und sein weißer, geflochtener Bart hing bis auf die Brustpartie seiner Rüstung hinab. Edda trat näher zu Heergren und flüsterte. „Wurden diese Statuen von eurer Rasse errichtet? Was haben sie sich dabei gedacht Heergren?“ Ein Grummeln kam als Antwort, dann legte Heergren die Axt über seine rechte Schulter und strich sich durch den Bart. Über seinem rechten Ohr war eine lange Schnittnarbe zu sehen, die Heergren aus dem Aufstand in Unterirrling davongetragen hatte. Er blickte Edda mit seinen stahlblauen Augen an. „Es sind die Helden meines Volkes. Die Helden der Eisenfeste Sverundwiel, nehme ich an. Sie wurden im Stein verewigt. Gibt es nicht eine derartige Ehrerweisung bei euch Menschen? Der erforderliche Zoll, der dem ewigen Tatenruhm eurer Ahnen gerecht wird?“ Edda dachte bei den Worten an Vintersvakt. An alte Könige und Sagen. „Ja, dort wo ich herkomme gibt es das. Da ist der weiße Berg, der über dem heißen Dschungel thront. Die Priester des Eises halten seit jeher ihre Wacht von dort oben. Sie denken, sie stehen über den alten Königen, die, wie einst sie selbst, vor Urzeiten aus dem Norden kamen. Dieser verdammte Frostviggier.“ Sie verzog ihr Gesicht in gespieltem Ekel und Heergren begann zu Grinsen. Dann hörten sie den Schrei. Es war der Feuerriese Hurolk, der schützend sein gewaltiges Schwert vor sich hielt. Hurolk hatte von Jarl Eldenbarrer die Aufgabe zur Bewachung des noch unerforschten Tunnels erhalten. Jetzt jedoch blickte er panisch zu einer Säule und wich wimmernd zurück. Dabei murmelte er Worte in der Sprache der Feuerriesen, die Edda immer besser verstand. „Da… seht… da ist etwas… es bewegt sich… es kommt näher und folgt mir… es kommt auf mich zu.“ Hurolk schüttelte panisch sein aschgraues Antlitz, so dass die Hautlappen, die einst sein gewaltiges Doppelkinn geformt hatten, in Wallung kamen. Dann erstarrte der kolossale Körper der Kreatur und Hurolk brach auf seine Knie hinab. Angstschweiß hatte sich auf seinem Haupt gebildet. Edda konnte erkennen, dass Hauk sich zum betenden Neire hinabbeugte. Der Unteroffizier von Jarl Eldenbarrer sprach leise Worte, die Edda aber verstehen konnte. Hauk wählte dafür die Sprache der Menschen: „Prophet… Hurolk bald sterben muss… vor Wahnsinn sterben muss.“ Sie sah Neire nicken, der seine Gebete beendete. Dann bewegte sich das Kind der Flamme zu Hurolk und sprach ihn an. „Hurolk, schaut mich an. Was habt ihr dort gesehen?“ Hurolk reagierte zuerst nicht. Dann schreckte er auf, als hätte er Neire nicht erwartet. Seine Stimme zitterte als er antwortete. „Die Säule sie hatte… sie hatte… ein Maul. Ein großes Maul. Es folgte mir und wollte mich fressen. Wollte meine Arme und Beine abbeißen.“ Neire nickte und kam zu Edda und Heergren. Die Miene des wohlgeformten Gesichtes, auf dessen Stirn eine silberne Krone den bläulich funkelnden Diamanten hielt, war ernst. Neires gold-blonde Locken waren noch nass, von ihrem Abstieg ins Wasser. Er flüsterte, als er zu ihnen sprach. „Es ist Hurolk. Er gleitet in einen anhaltenden Angstzustand ab und ich befürchte es wird schlimmer, je länger wir hier verweilen. Ich werde Eldenbarrer heilen. Doch wir müssen weiter, was auch immer uns dort erwartet.“

Neire war alleine vorgeschlichen. Er hatte immer wieder gehorcht und sich in seinem Tarnmantel verborgen. Aus dem Tunnel hatte er ein Plätschern von Wasser gehört, das dann plötzlich hinter ihm gewesen war. Der Gang war inmitten einer Halle geendet – wie aus dem Nichts. Der unterirdische Saal war von noblen Steinfliesen aus einem helleren Marmor ausgelegt und sechs Steinstatuen unterschiedlicher Zwerge waren in einem Kreis um die Mitte angeordnet gewesen. Alle Statuen waren mit verschiedensten Details ausgearbeitet. Neire hatte bei den Statuen Abbildungen von Rüstungen, wie Harnischen, zwergischen Plattenpanzern sowie Schuppenpanzern betrachtet. Sie hatten zudem unterschiedliche Waffen getragen. Nur eine Statue war in Robe gehüllt gewesen und zwergische Runen waren in ihr Gesicht und über ihre Extremitäten gezeichnet worden. Auch war Neire aufgefallen, dass einer Statue der Ringfinger der rechten Hand gefehlt hatte. Neire hatte den Kreis verlassen und die Halle abgesucht. Drei angrenzende Säle hatte er entdeckt und einen Tunnel, der sich in einen Rundgang mit kleineren Nachtzwergenstatuen eröffnete. Die gesamte Halle hatte in einem bläulichen Licht gefunkelt, das von einem steinernen Sternenhimmel kam. Neire hatte nicht ausmachen können, was die Vielzahl der leuchtenden Punkte an der Decke waren. Er hatte auf die anderen gewartet und Edda hatte ihm berichtet. Sie konnte die Dunkelheit weiter durchblicken. Edda hatte einen Saal eines mit Fresken verzierten Bades, eine kleine Halle mit Schätzen und eine Grabkammer entdecken können. In der Grabkammer hatte sie sechs Nachtzwergenkrieger erblicken können, die dort bewegungslos standen. Wie zuvor waren Haut und Fleisch eingefallen und an einigen Stellen kam der nackte Knochen zum Vorschein. Neire hatte sich danach mit Jarl Eldenbarrer beraten und war in die Dunkelheit der Grabkammer geschlichen. Er hatte all seinen Mut aufbringen müssen, als er an den reglosen Kreaturen vorbeikam. Obwohl sie sich nicht bewegten, bemerkte Neire den Fluch, der das schwelende Unleben an sie band. Sie schienen dort zu verharren, zu warten bis in alle Ewigkeit. Neire postierte sich gerade in der Mitte der drei rechten Wesen, da hörte er stampfende Schritte, die sich näherten. Als er den Jarl mit dem glatzköpfigen Schädel und dem roten Bart sah, begannen die Gestalten sich zu regen. Zuckend strömte das Unleben durch ihre toten Glieder. Jetzt reagierte Neire. Er stach mit seinem Degen zu. Die morschen Knochen zitterten, als der Degen aus Ne’ilurum in den Kopf drang. Dann brach die erste Kreatur in einer Woge von Staub zusammen. Neire stach auf eine weitere Gestalt ein, noch bevor sie regieren konnte. Ein wilder Kampf entfesselte sich, als Eldenbarrer, Kulde und Edda die Kreaturen angriffen. Die Untoten öffneten ihre Mäuler und beschworen bläuliche Strahlen aus Frostmagie. Diesmal jedoch war Jiarlirae auf ihrer Seite. Durch den Hinterhalt Neires geschwächt und durch den folgenden Zangenangriff, ging schließlich auch die letzte der Kreaturen nieder.

Keuchend und ächzend zog sich Kulde Kopfstampfer durch den Tunnel. Das Flackern des Lichtes war um ihn herum und er robbte auf allen Vieren. Die Wände waren bedrückend eng, doch Kuldes Geist war nicht aufgeweckt genug um die Gefährlichkeit der Situation zu realisieren. Hinter ihm hörte er das weinerliche Jammern von Hurolk. Er lachte auf, als er sich weiter voran zog. Das waren also die starken Feuerriesen? Riesen, die jammerten und jaulten? Riesen, die ausgemergelt und schwach schienen. Kulde erinnerte sich nicht mehr an die Goldschätze, die er in der jetzt schweren Tasche trug. Er hatte sich den Sack an seinen Fuß binden lassen und zog ihn hinter sich her. Die mit Edelsteinen verzierten goldenen Rüstungen und Schwerter klimperten, doch Kulde hielt das Geräusch für Bewegungen der Feuerriesen. Er hatte auch das lange Warten nach dem Kampf vergessen, als der jugendliche Prophet mit den Feuerriesen die weiteren Hallen abgesucht hatte. Er hatte weiter nach Gegnern Ausschau gehalten und sich gewünscht, dass er kämpfen und töten konnte. Nur an das Gespräch mit Edda konnte er sich noch ein wenig erinnern. Als ihn die Wut übermannt hatte – er hatte die Untoten mit seinem Morgenstern nicht treffen können – hatte Edda ihn gefragt ob er nicht das goldene Symbol von Laduguer zerstampfen könne. Kulde hatte nicht verstanden was sie meinte, doch er hatte gemeint seinen Namen Kopfstampfer gehört zu haben. Dann hatte er gesehen, wohin Edda gezeigt hatte. Er hatte wutentbrannt geantwortet „Kulde Krieger… Kulde Kopfsshampfa… Krieger grossh, Kulde“. Er hatte auf das Symbol gestampft und es dann mit seinem Morgenstern zertrümmert. Heergren und Edda hatten ihm zugelächelt und das hatte ihm Genugtuung gegeben. Dann, nach der langen Zeit des Wartens, war der Jüngling zu ihnen zurückgekehrt. Neire hatte von einem geheimen Tunnel berichtet, der durch eine Illusion und eine mächtige Runenfalle gesichert gewesen war. Der Prophet hatte von dem Ausweg erzählt, doch Kulde hatte weder zugehört, noch den Sinn der Worte verstanden. Er hatte aber instinktiv bemerkt, dass das Warten vorbei war und dass er wieder kämpfen würde. Jetzt hatte er das Ende des engen Tunnels erreicht und Kulde zog sich aus dem Schacht heraus. Der Tunnel hatte aus dem Säulenrundgang der Nachtzwergenkrieger hier hinab geführt und war immer steiler nach unten gegangen. Im flackernden Licht der Ölfackeln sah Kulde die Feuerriesen, die sich um ihn sammelten. Auch Heergren und Edda standen unweit von ihm. Sie waren in eine natürliche Höhle gelangt, die von schroffen, scharfkantigen Felsnadeln durchzogen war. Wie Speerspitzen ragten die steinernen Gebilde von Decke, Wänden und Boden auf. Sie waren durchzogen von glitzernden Mineralien – eine seltsame Mischung, wie von Mithril und Ne’ilurum. Neben ihm murmelte Heergren etwas, als sich die Riesen in der militärischen Formation einer Speerspitze in Bewegung setzten. „Voran Kulde! Haltet Schritt mit Jarl Eldenbarrer.“ Kulde verstand auch diese Worte nicht ganz, doch er folgte den Feuerriesen. Er spürte das Kribbeln und die Anspannung. Er atmete tief. Plötzlich war da die warnende Stimme von Edda. Sie sprach zum Jarl, denn Kulde konnte den Namen Eldenbarrer hören. Edda wählte jedoch die Sprache der Feuerriesen, die Kulde nicht verstand. Dann ging alles ganz schnell. Der Jarl stürmte nach vorne und seine Krieger folgten ihm. Kulde wurde mitgerissen und er brüllte seinen Kriegsschrei. Dann sah Kulde sie. Sie traten sie hervor, im schattentanzenden Licht der Ölfackeln. Untote nachtzwergische Krieger. Der Jarl griff an und auch Kulde führte seinen Morgenstern. Doch was er auch tat, die Eisenspitzen-besetzte Kugel glitt durch die Gestalten hindurch; zerschmetterte den Stein der Felsnadeln. Kulde tobte, er stampfte. Er wurde noch wütender und steigerte sich in einen Rausch. Doch was er nur tat, seine Schläge gingen ins Leere. Fast hätte er den nächsten Riesen angegriffen, wäre da nicht die Stimme der Menschenfrau gewesen, die er mittlerweile kannte und liebte. Kulde wollte töten mit seiner Waffe und die Gegner dann zerstampfen. Er wollte Steine werfen und seine Gegner zermalmen. Er wollte Steine greifen, Steine wuchten, Steine schleudern. Er wollte dafür bewundert werden. Er hörte die Worte von Edda und er glaubte, sie würde ihn bewundern. Kulde erinnerte sich nicht mehr an das Steinspiel, an die Schmach der Reise. Er wollte verehrt werden von der hübschen Menschenfrau. Der Frau mit dem wohlgeformten Gesicht aus Porzellan, den Augen aus Eis und den Haaren aus schwarzen Nebeln düsterer Nacht.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sitzung 116 - Die sechs Baumeister der Eisenfeste Sverundwiel

Mit schweren knirschen Schritten bewegte sich Eldenbarrer durch die unnatürliche Höhle. Hauerartig ragten die scharfkantigen Steinobelisken von Boden, Wänden und Decke auf. Die Felsnadeln waren durchzogen von glitzernden Adern von Ne’ilurum sowie Mithril und in unregelmäßigen Abständen über die Höhle verteilt. Sie mussten hier und dort die schroffen Spitzen umrunden, um ihre Speerformation beizubehalten. Sie - das waren Eldenbarrer und seine Feuerriesenkrieger, die ihm als Jarl erneut die Treue geschworen hatten. Er wusste, dass er sich auf sie wie auf alte Kameraden verlassen konnte. Hauk, Furgrar, Gramraug und Wulfrug. Sie alle folgten ihm. Nur Hurolk hielt sich dahinter. Zuerst hatte Hurolk ihn verraten, jetzt zitterte der einst fettleibige Riese, gekleidet in eine Kettenweste, vor Angst. Ich hätte ihn erwürgen sollen, denn er ist eine Schande für unsere Rasse. Voll von Hass war Eldenbarrer, als er sich umdrehte. Doch er erinnerte sich auch an die Worte des Propheten von Jiarlirae. Neire hatte vom Schicksal gesprochen, dass seine Göttin für ihn und seine Riesen vorgesehen hatte. Und wer konnte schon ahnen, welch‘ Schicksal die Göttin für ihn geplant hatte. Der Jarl dachte an die letzten Worte zurück, die der Prophet zu ihm gesprochen hatte. Neire hatte wohl die Schritte von gepanzerten Stiefeln gehört und ihm geraten sich kampfbereit zu machen. Dann war der Jüngling in die Dunkelheit verschwunden. Sie hatten einige Zeit gewartet und waren danach aufgebrochen. Neben ihm ging auch Kulde Kopfstampfer, den Eldenbarrer versuchte nicht zu beachten. Der junge Hügelriese mit der fliehenden Stirn, der platten Nase, den schwarzen, kleinen, bösartigen Augen und dem ausgeprägten Unterbiss atmete schwer. Außerdem bewegte er sich ungeschickt. Eldenbarrer hatte aber die Kampfkraft und die Wut von Kulde gesehen, die er achtete. Außerdem schützte die grobschlächtige Kreatur die beiden Gefährten seines neuen Freundes, Edda und Heergren. Die Höhle begann sich alsbald zu verbreitern und das bleiche Licht der Ölfackeln verlor sich in den glitzernden Weiten. Die Spitzen erinnerten Eldenbarrer an das zahnbesetzte Maul einer monströsen Kreatur. Er hatte aber nicht die Muße darüber nachzudenken. Er wusste nicht mehr, wie viele Nächte er jetzt bereits wach war. Sein Körper war ausgemergelt vor Hunger und er spürte die Prellungen der Schlägerei. Er musste weitergehen, er musste sie als Jarl führen. Er musste alles seinem eisernen Willen unterordnen. Er durfte kein Schmerz empfinden, durfte keine Schwäche zeigen. Das war Eldenbarrers Leben gewesen, seitdem er klein war. Seitdem er in diese grausame Welt gekommen war. Er kannte nichts anderes. Der Jarl hob die Flamme von Thiangjord. Die Luft um das schwarze Schwert flimmerte und er spürte die Klinge nach seinem eigenen Blut lechzen. Für einen Augenblick spürte er Hass und Mordlust. Er vergaß den Schmerz. Der Prophet hatte Hauk gesagt, dass sie beobachtet würden und Hauk hatte es ihm heimlich mittgeteilt. Hauk hatte von einem zwergischen Gesicht gesprochen und Eldenbarrer hatte Hoffnung verspürt. Beobachtet mich nur… was mich beobachtet, werde ich suchen und finden… ich kann und werde es töten… hatte er sich gedacht. Augenblicklich wurde der Jarl aus seinen Gedanken gerissen. Ein rötliches Licht blendete ihn von vorn. Es war wie ein Regen gewaltiger Tropfen. Wie Magma bewegten sie sich rasend schnell hinab auf den Boden. Dorthin, wo ein berüsteter Nachtzwerg stand. Der Nachtzwerg war zwar nicht so groß wie er, doch mit drei Schritten größer als jeder Mensch. Er war in einen Plattenpanzer gekleidet und er trug einen doppelköpfigen Hammer. Sein Haupt war von einer Glatze gekennzeichnet. Im Licht des roten Blitzes sah Eldenbarrer auch die zweite Gestalt, die danebenstand. Der zweite Nachtzwerg war auch drei Schritt groß und geschützt von einem Harnisch. Er trug eine Kriegspicke, hatte lange lockige Haare und einen gezwirbelten Schnauzbart. Beide Gestalten hatten eine bleiche Haut, in der keine bläulichen Venen zu sehen waren. Die Lichterscheinung währte nur kurz, dann explodierten die Magmakugeln im Körper. Einen Augenblick später hörte Eldenbarrer den Donnerhall. Auch wenn er ihn nicht sah, er wusste: Der Prophet von Jiarlirae hatte den Angriff eröffnet. Jarl Eldenbarrer hob sein schwarzes, sechs Schritt langes Zweihandschwert und brüllte seinen Schlachtenruf. „Ruhm der Glut“, waren seine Worte, als er begann nach vorn zu stürmen. Ein Grollen ging durch die Halle – unter ihren rhythmischen Schritten und von ihren Stimmen - als seine Kameraden antworteten: „Ehre den Flammen.“ Eldenbarrer steigerte sich in einen Kampfrausch, in dem er die Höhle verschwimmen sah. Er hob das Schwert, dessen Widerhall, dessen feurige Resonanz er spürte. Seine Lungen drohten zu bersten, als er donnerte: „Schwarz ist unsere Flamme“, die seine Streiter mit einem grölenden „die Flamme von Thiangjord“ beantworteten. Dann brachen die Feuerriesen über die verhassten Nachtzwerge hinweg.

Wie eine Welle ausgemergelten Hasses, waren die Feuerriesen über den Nachtzwerg hinweggefegt. Hultrum Aschfall, der Baumeister des Stahls, der einen doppelköpfigen Kriegshammer trug, war bereits durch Neires grauenvolle Magie vernichtet worden. Doch sein Körper hatte sich in seinem Tode zu wandeln begonnen und war spurlos im Boden versunken. Der zweite Nachtzwerg, Hjelmin Niederstein, der Meister des Steins, hatte noch das Grinsen im Gesicht, als Thiangjord ihm in die Seite fuhr. Er betrachtete aber nicht den Jarl, sondern die Gestalt hinter Eldenbarrer, die sich dort heimtückisch aus den Schatten schälte. Der Nachtzwerg war dicklich und besaß ein Doppelkinn sowie mittellanges Haar, das er sich mit Fett nach hinten gestrichen hatte. Er trug einen Schuppenpanzer und ein Schwert mit gebogener Spitze, das er dem Jarl in die Seite stieß. Der Angriff war mit einer präzisen Gewalt geführt und ging tief in das Fleisch von Eldenbarrer. Der Knochen des Jarls brach mit einem fürchterlichen Knacken und kam zum Vorschein. Es war Dardal Vengerbergh, der Meister des Goldes, der an zu lachen fing und weiter auf den Jarl einstach. Drei Nachtzwerge normaler Größe waren jetzt aus einem Gebilde hervorgetreten. Ein Saal, der wie von gewachsenen Felsnadeln eingerahmt war. Um den Jarl war ein chaotisches Gemenge ausgebrochen. Grünliches Licht breitete sich aus, als Edda eine Kugel aus purer Säure beschwor, die über Hjelmin Niederstein hinabregnete. Dann waren da die Gebete. Es war Theodek Nihthruk, der Meister des Erzes, der den Gesang zum Gotte Laduguer beschwor. Der nachtzwergische Priester hatte ein rundliches Gesicht und lange Haare, welche die Spuren einer anfangenden Glatze zeigten. Er trug ein Kettenhemd aus Ne’ilurum und einen Kriegshammer. Der Gesang währte jedoch nicht lange. Er wurde behindert von den zischelnden Lauten Neires, der wiederum zu Jiarlirae betete. Jarl Eldenbarrer richtete sich qualvoll auf und wurde von mehreren Schnitten und Schlägen getroffen. Kulde und seine Riesen kämpften tapfer, doch jeder Angriff schien ins Leere zu gehen. Der Jarl hatte seine Klinge gerade erhoben, da zog der Nachtzwerg am Portal den kleinen rötlichen Edelstein hervor. Licht schimmerte in dem Rubin, den Daerdrin Balnhelm, Meister des Feuers, zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Im rötlichen Licht wurden die Runen der bemäntelten Gestalt sichtbar, die über seinen gesamten Körper eingebracht waren. Dann zerdrückte der Runenleger den Stein, der in tausende kleinerer Feuerfunken zersprang. Um Eldenbarrer und die Riesen löste sich eine Explosion von hellweißen Flammen. Eldenbarrer taumelte. Hauk ging blutüberströmt und verbrannt zu Boden. Der Jarl nahm sein Schwert Thiangjord und schnitt sich damit durch die linke Hand des eigenen Fleisches. Seine Augen begannen zu glühen wie rote Kohlen, sein langer roter Bart fing an zu brennen. Dann brüllte Eldenbarrer und atmete das Feuer des Lindwurmes Thiangjord. Hjelmin Niederstein und Dardal Vengerbergh wurden augenblicklich dahingerafft. Ihre Körper verschrumpelten zu Haufen schwelender, schwarzer Asche. Doch aus den Flammen trat der in einen Plattenpanzer gekleidete Nimnor Steinbart, Meister des Werkzeugs. Er war schlank und groß für einen Nachtzwerg – von langem, glattem Haar und ohne Bart. Der noch junge Krieger trug ein Langschwert in der rechten und eine kürzere Klinge in der Linken. Er rammte das Langschwert in den Bauch des Jarls. Eldenbarrer spukte Blut und sein schwarzes Schwert fiel klirrend zu Boden. In dem Chaos des Kampfes wendete sich der Nachtzwerg den Riesen zu und erhob erneut das Schwert. Hinter ihm zuckten die Lichter von Explosionen, als seine beiden Gefährten Daerdrin Balnhelm und Theodek Nihthruk im Feuer Neires getötet wurden. Nimnor Steinbart war der letzte der Baumeister und er kämpfte furchtlos weiter.

[I]Da war der Geschmack von Blut in meinem Mund. Da waren diese Stimmen. Sie waren überall und ich konnte sie anfangs nicht verstehen. Doch je länger ich in der Schattenmark verweilte, desto klarer wurden die Worte. Der Kampf war vorbei und ich begann bereits zu vergessen. Der Geschmack von Blut war bereits vergangen. Alles um mich herum war es grau und schemenhaft. Alles war kalt… so kalt. Kein verheißendes Feuer der Herrin des Propheten. Keine geheimnisvollen Schatten. Es war wie ein Gefängnis in dem ich mich befand. Ein Gefängnis an einem fremden Ort im Stein. Ein Gefängnis, von dem ich mit bestimmter Sicherheit wusste – es gab nur mich an diesem Ort.

Ich trat in den Saal hinein, der dort lag in den Schatten. Die Wände waren wie ein Spinnennetz. Ein komplexes Muster aus glitzernden Metallarten im Felsen. Da war eine nachtzwergische Statue in der Mitte, gesichtslos… formlos. Da waren sechs dunkle Throne, mit nachtzwergischen Runen. Eine Rune glühte und auf diesem Thron saß er. Jetzt wusste ich, dass ich nicht allein war. Die Gestalt war schemenhaft und wie aus einem weißen Schleier. Ich sprach zu ihm und er antwortete mir. Er war eine von den sechs Stimmen, die ich zuvor gehört hatte. Er war uralt und von übernatürlicher Weisheit.[/I]

Hulthrum Aschfall: „Kommet herein mein König Eldenbarrer. Ihr wandelt nun hier für eine Weile. Auch wenn ihr bald in ein anderes Reich schreiten müsset.“
Jarl Eldenbarrer: „Wer seid ihr und was ist das für ein Ort? Wie kam ich nur hierher?“
Hulthrum Aschfall: „Töricht wart ihr mein König, denn atmetet ihr einst das Feuer… die Flammen, die dem ewigen Leben meiner Brüder ein Ende bereiteten. Jetzt seid ihr tot König Eldenbarrer. Nur ich werde hier verweilen… nur Hulthrum Aschfall ist noch übrig, der Meister des Stahls.“
Jarl Eldenbarrer: „Was ist es was euch hier hält? Was mag es sein, was ihr begehret?“
(Hulthrum Aschfall lacht.)
Hulthrum Aschfall: „Dreht euch um, seht ihr es nicht, blinder König? Es ist der Kragen der Träume. Wir schufen einst diese ewige Welt im Stein. Eine Welt in einer anderen Welt und doch eine Welt. Wir schufen sie und wir dienten dem Kragen. Doch jetzt dient der Kragen uns.“
(Der Jarl – mit tödlichen Wunden überzogen und halb durchsichtig – dreht sich um und blickt auf den Kopf der Statue hinab. Dort sieht er die eiserne Kette, in die zwei Sapphire und ein Rubin eingelassen sind. Aus der Kette sind fünf haarfeine Fäden herausgeführt, die den gesichtslosen Kopf wie eine Hand umschlingen. Der Kragen der Träume glüht in einem Funkeln von Silber und Edelsteinen.)
Jarl Eldenbarrer: „Ihr erschüfet diesen Ort und ihr dientet einst diesem Geschmeide? Jetzt dient es euch? Hulthrum Aschfall, Meister des Stahls.“
Hulthrum Aschfall: „So möge es sein, mein schwacher König. Doch euch mag es nicht mehr kümmern. Wir wissen, wie es um eure Seele steht. Habt sie hier verkauft, hier in unseren Gefilden. Werdet hinabsteigen einst, in IHR Reich aus Flamme und Düsternis… kleiner König, armer König, einsamer König… zu ewiger Höllenqual verdammter König…“
Jarl Eldenbarrer: „Spotte er nicht über mich. Ich bin… mein Name ist… ich bin… ihr sagtet, ich bin König Eldenbarrer. Man spottet nicht über einen König.“
Hulthrum Aschfall: „So möge es sein, mein König. Wir sahen euer Volk und wir wollten sie beherrschen. So wie wir Eurborea beherrschen wollten. Wir wollten nicht mehr die Baumeister von Stahl, Gold, Erz, Feuer, Stein und Werkzeug sein. Wir wollten die Baumeister der Gedanken sein. Doch verratet mir euer Geheimnis, König. Wieso konnten wir sie nicht kontrollieren, die Gedanken eures Volkes? Wieso wurde euer Gezücht wahnsinnig und begann sich gegenseitig zu fressen? Bei all dem Blutvergießen, ihr seid mir eure Antwort schuldig. Bevor ihr gehen müsst, so antwortet mir. Ich werde euch alles erzählen König. Alle unsere Geheimnisse. Wir waren bereit in den Tod zu gehen, um unseren Traum von Macht zu verwirklichen, um die Baumeister der Gedanken zu werden. Und wir sind in den Tod gegangen, doch kamen zurück, um in unseren leblosen Hüllen zu weilen. Was ist euer Geheimnis, König Eldenbarrer?“
(Hulthrum schreit Eldenbarrer in Verzweiflung an.)
Jarl Eldenbarrer: „Die alten Weisen meiner Rasse sprechen von einem Gott, der das Schwert aus Sternenfeuer trägt. Er ist der Vater unseres Blutes, der größten Rasse auf Erden. Er versprach uns alles zu Beherrschen und er gab uns die Fähigkeit zu träumen. Denn sein war das Reich aus ewigem Feuer und aus schwarzem Unleben. Er sollte einst den Weltenbrand bringen, doch in seinem Reich konnte man nicht träumen. Es war das Reich von eiserner Disziplin und blindem Gehorsam. So mussten wir träumen, die Rasse der Jötunar. Und seitdem träumen wir vom Weltenbrand. Denn im Reich des Feuergottes wandeln die Toten. Und Tote träumen nicht. Selbst nicht vom Weltenbrand träumen sie.“
(Ein Schrei von Hulthrum Aschfall dringt durch die Schattenmark. Er versucht noch nach dem Kragen der Träume zu greifen, als er seinen Fluch bemerkt. Dann zerplatzt die glühende Rune seines Thrones und seine Seele wird in ewige Schwärze gerissen.)
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