Sitzung 132 - Der Fall des Schreins von Tsathoggua
Magmaflammen einer tanzenden Feuersbrunst schossen aus dem Boden des Schreins. Die schwarze Kunst, die Neire hervorgerufen hatte, breitete sich rasch um die Streiter Jiarlirae aus. Sie standen unberührt in der Mitte des Infernos, wie in einem Auge eines Wirbelsturms. Sie hörten das tiefe Rauschen der verzehrenden roten Zungen, die nach dem nassen schuppigen Fleisch der Tempeldiener griffen. In den Singsang des Feuers mischten sich die ersten glucksend-gutturalen Schmerz- und Schreckensschreie. Im blendenden Schimmer verzerrter Luft sahen sie die aufrecht gehenden Fischwesen, die sich panisch, schwankend in Sicherheit bringen wollten. Ihr unbeholfen watschelnder Gang wirkte nun noch hilfloser. Einige der Wachen brachen im glühenden Inferno zusammen. Ihre Fischwänste begannen aufzuplatzen, Gedärme traten hervor und Wasser verdampfte zischend aus inneren Blasen und Schwimmorganen. Seitliche Glubschaugen schauten verzweifelt in teils gegenläufige Richtungen, bis sie milchig wurden und ausliefen. In diesem Chaos begann Zussa Gebete zu singen, während Bargh einen Zauber wirkte. Der Hohepriester Va-Guulgch hatte sich bereits aus den Flammen gerettet und in seinen Thronraum zurückgezogen. Dort wurde er von seinen untergeordneten Priestern empfangen, von denen einer rief. „Schützt Meister Va-Guulgch!“ Die Kreaturen, die sich um den Hohepriester sammelten, besaßen Barschköpfe und ihre gewaltigen Bäuche waren mit rituellen Narben seltsamer Runen verziert. Sie legten ihre mit Schwimmhäuten besetzten, flossenartigen Hände auf den Hohepriester, um ihn zu heilen. Dann brach das invertierte Licht des schattenhaften Blitzes über sie hinweg. Bargh hatte seinen Zauber gewirkt und sie hörten die Schreie. Drei der Priester starben augenblicklich, während sich weitere drei unter den Flammen hinwegducken. Va-Guulgch schien die elektrische Macht nichts auszumachen und der Strom aus schwarzem, zuckendem Licht floss einfach über seine Haut hinweg. Der Hohepriester machte sich größer, erhob seinen Hechtkopf und begann seinerseits Zauberformeln zu rezitieren. Es dauerte nicht lange, dann begannen sich rotierende Schwerter und Klingen zu bilden, die den Eingangsbereich in den Thronraum versperrten. Neire nickte Bargh und Zussa zu, dann warf er sich seinen Schattenumhang über und begann in die Flammen zu schweben. Er beschwor die Chaosflamme Jiraliraes in seiner linken Hand und zog seinen Degen aus grünem Chaosstahl. Er schwebte durch das Inferno. Unter ihm brachen die letzten Kreaturen der hohen Wache des Schreines zusammen und verendeten in amphibienartigen Zuckungen. Doch Neire blickte nicht hinab. Er wob die Magie des alten Drachenzaubers. Er spürte den Zahn von Braugmal, den er trug und an dessen Substanz sich die Chaosflamme labte. Dann begann er das Feuer von Braugmal zu atmen. Flammen strömten durch die Klingenbarriere und in den Thronraum hinein. Va-Guulgch und seine verbleibenden Priester wurden augenblicklich getötet. Neire spürte die Macht, die er zum ersten Mal entfesselt hatte und zitterte am gesamten Körper. Seine Augen glühten rötlich in der Düsternis seines Schattenmantels. Dann hörte er die Schreie von Bargh und Zussa hinter sich. „Neire, macht den Weg frei,“ rief Bargh. Zussas Stimme wiederholte den Ruf: „Neire, ihr habt Bargh gehört. Macht den Weg frei!“ Neire sah die verbleibenden Wachen im Thronraum flüchten. Er drehte sich schwebend zu Zussa und Bargh um und ließ die Magmaflammen der Feuerwand ersterben. Um ihn herum war der Gestank von Schwefel und von gebratenen, aufgeplatzten Fischleibern.
Nachdem die Flammen niedergebrannt waren, hatten sie für eine Zeit die Schreie der Pilger gehört, die Hals über Kopf den Tempel verließen. Sie hatten sich immer wieder umgeblickt und die Obszönität der Froschstatue gesehen, die hinter ihnen aufgeragt war. Auch wenn das Antlitz, der von Warzen und Fettwülsten bedeckten Kreatur, ihnen abgewendet gewesen war, hatten sie jedoch die seitlichen Glubschaugen bemerkt, die sie fortan anstarrten. Sie hatten aber nicht lange Zeit gehabt sich zu beraten. Aus einem weiteren Bereich des Tempels hatten sie Stimmen und flatschende Schritte gehört. Neire hatte in der Dunkelheit den garstigen Pulk von Fischkriegern gesehen, der sich ihnen mit watschelnden Schritten näherte. Er hatte Zussa und Bargh gewarnt und den Stimmen der Kreaturen gelauscht. Ein Anführer hatte seine Untergebenen mit den Worten „Voran ihr Nichtsnutze, beschützt die Mutter, beschützt den Meister Va-Guulgch,“ angestachelt. Die Kreaturen hatten daraufhin eine Formation eingenommen, in der die Nahkämpfer sich von den Harpunenträgern getrennt hatten. Neire und Zussa hatten die Kreaturen mit ihrer schwarzen Kunst empfangen. Durch explodierendes Feuer und zerreißende Luft, wurden die Fischwesen eingehüllt, doch ihr Anführer trieb sie weiter voran. Dann war es zu einem Gemetzel gekommen, in dem sie die Kreaturen hinweggeschlachtet hatten. Barghs und Zussas Gebete an Jiarlirae waren stark gewesen und die Priester des Tsathoggua Schreins waren bereits gefallen. Durch den Schutz ihrer Göttin, hatten sie die Waffen der Kreaturen verfehlt. Schließlich hatten sie auch den Anführer niedergestreckt und waren weiter durch die grünlich schimmernden Hallen geschritten. Aus der Ferne hatte Neire die Schreie und vereinzelte Worte der flüchtenden Pilger gehört: „Wir müssen hier weg, beeilt euch!“ Eine andere Stimme hatte gesagt: „Lasst das liegen. Rafft nur das Nötigste zusammen.“ Ein weiterer: „Die Mutter hat uns verlassen, sie hat uns verlassen…“ Sie hatten die Pilger nicht weiter beachtet und waren in eine große Halle mit einem Wasserbecken gelangt, aus der Neires gute Ohren Geräusche gehört hatte. Es hatte sich um aufgeschreckte Glucks- und Rülpslaute gehandelt, die aber bewusst leise gehalten wurden. Sie hatten das Becken umrundet, in dessen Brackwasser sie Bewegung gesehen hatten. Neire hatte ein Atmen aus einem anliegenden Raum gehört, der über eine Öffnung aus der Halle zu erreichen gewesen war. Vorsichtig hatten sie sich genähert und waren von vier Fischkreaturen angegriffen worden. Die Wesen waren etwas kleiner als Neire, hatten Zanderköpfe und eine dunkle, bräunliche Schuppenfärbung. Ihre Wänste waren rundlich und groß, im Vergleich zu ihren dünnen Extremitäten. Sie stanken erbärmlich nach totem Fisch. Neire und Zussa waren schneller als die Kreaturen und stachen drei der Wesen nieder. Neire hatte sich dann der vierten Gestalt zugewendet und Bargh zurückgehalten. Das Kind der Flamme imitierte die Sprache der Kreaturen, als er mit dem Wesen kommunizierte. „Ergebt euch und wir werden euch leben lassen!“ Zwei Glubschaugen musterten gleichzeitig Bargh und Neire, als die Kreatur ihren Speer sinken ließ. Dann hörte Neire die geglucksten Worte. „Ihr lasst mich leben, ja? Ich wichtig, ich auserwählt von Va-Guulgch.“ Neire nickte und lächelte, während Bargh und Zussa die Worte nicht verstanden. Der dunkle Antipaladin hatte Glimringshert in einer Drohgeste erhoben. „Sagt mir, wo hat Va-Guulgch eure Schätze versteckt. Sagt es mir und ihr werdet leben.“ Die Schuppen der Kreatur verwandelten sich jetzt in fast völliges Schwarz. „Nur Va-Guulgch und Mutter gehören Schätze. Ihr seid nicht Va-Guuglch. Ihr könnt die Schätze nicht haben.“ Neire nickte und trat näher an das Wesen heran. „Va-Guuglch ist tot. Ich bin jetzt der neue Va-Guuglch und ich bin mehr als er. Führt mich zu den Schätzen!“ „Ich kann nicht, nein. Schätze gehören Mutter und Mutter wird mich bestrafen, wenn ich euch zu Schätzen führe. Mutter wird mich langsam fressen. Ganz langsam. Ich lieber durch Schwert sterben, wie Schwestern von mir.“ Die Kreatur wies dabei auf die drei getöteten Leiber der Fischwesen. Neire nickte abermals, lächelte und beschwor die Kräfte der Linsen des Jensehers. Das Grün der Halle vermischte sich mit dem Rot, als er die Kreatur betrachtete. Er versuchte in ihren Geist einzudringen. Die Gebete seiner Göttin halfen ihm und das Wesen hörte auf zu zittern. „Wie heisst ihr, meine Liebe,“ fragte Neire. Die Fischfrau, die keine sichtbaren weiblichen Merkmale hatte, antwortete. „Mein Name ist Oogmiirg.“ Sie steckte dabei ihren Speer in ihre lederne Tragebefestigung. „Nun Oogmiirg, führt uns freundlicherweise zu euren Schätzen.“ Aus den Augenwinkeln bemerkte Neire, dass Zussa gelangweilt mit ihrem Säbel spielte, als wolle sie das Wesen bereits töten. „Und ihr seid euch sicher, Freund? Die Mutter wird mich nicht dafür fressen?“ Neire schüttelte mit dem Kopf und sagte. „Nein, ihr habt mein Wort, Oogmiirg. Die Mutter wird euch nicht fressen.“ Das Wesen nickte schmatzend und rülpsend. Dann richtete sie eine von Schwimmhäuten besetzte Hand in Richtung des Beckens. „Wir müssen dort hinab, aber ihr Trockenen könnt nicht folgen. Ihr nicht atmen unter Wasser, wie wir.“ Neire schaute kurz Bargh und Zussa an und berichtete ihnen von dem Gespräch. Dann sagte er. „Lasst das unsere Sorge sein, Oogmiirg. Führt uns zu den Schätzen von Va-Guuglch.“
Zussa, Neire und Bargh atmeten das faulige, schmutzige Wasser, in das sie getaucht waren. Ein jeder von ihnen hatte einen Trank zu sich genommen, der ihnen das Atmen von Wasser möglich machte. Sie hatten die Kuo-Toa Frau zuvor gefragt, was sich in dem Becken befinden würde. Das Wesen hatte gesagt „Oh, dort ist nur Futter für die Pilger. Eine schmackhafte Abwechslung im Nass.“ Dann war die Fischfrau in das Becken gesprungen und mit einer erstaunlichen Wendigkeit und Schnelligkeit verschwunden. Sie waren ihr gefolgt durch das Trübe schmutze Wasser, in dem sie Fäkalien und Kadaver von Kleinfischen schwimmen sahen. Nur Neire konnte Kraft seiner besonderen Sehfähigkeit das Wasser weiter durchblicken und so waren sie über ein Gatter im Boden in einen geheimen Tunnel gelangt. Jetzt tauchten sie durch die Dunkelheit. Oogmiirg wartete hier und dort auf sie, bevor sie sich wieder pfeilschnell von ihnen entfernte. Nach einiger Zeit gelangten sie in einen geheimen Raum, ohne weitere Ausgänge. Die Luft war feucht und die Wände glitzerten nass. Auf dem Boden standen etliche Truhen und Kisten. Neire begann sofort die Truhen zu untersuchen und so konnten sie eine Menge an Perlen, Edelsteinen und Münzen erbeuten. Auch einige magische Waffen waren unter den Schätzen. Nachdem sie alles in Ortnors Labor verstaut hatten, trat Neire neben ein geöffnetes Fass und fragte Oogmiirg. „Sagt, was befindet sich in diesem Fass?“ Augenblicklich verwandelten sich die Schuppen des Wesens in ein tiefes Grün, das Neire als Gefühl von Gier oder Vorfreude in Erinnerung hatte. „Oh… es ist eine Kostbarkeit. Ihr müsst sie probieren.“ Sie griff in das trübe Wasser des Fasses hinein und beförderte eine Kreatur zum Vorschein. Das Geschöpf war faustgroß, hatte die Form einer Raupe, die aber von einer schwarzen ringförmigen Schale umgeben war. Der Wurm hatte ein Maul mit kleinen spitzen Zähnen, um das man einen Kranz von glitzernden dunklen Augen sah. Neire hatte von diesen Wesen bereits gehört. Sie waren als Meeresfrucht der Unterreiche bekannt. „Esst ihr sie lebend?“ fragte Neire. „Natürlich essen wir sie lebend,“ antwortete Oogmirg. „Falls sie verenden, verlieren sie ihren besonderen Geschmack.“ Dann biss sie mit ihren scharfen Raubfischzähnen in das Krustentier. Es gab ein Knacken und Sabber sowie Schleim lief von ihrem Maul. Sie begann den inneren Wurm hervor zu pulen, der sich zuckend wand. Sie biss genüsslich in das noch lebende Fleisch und ihre Schuppenfarbe wandelte sich ein sanftes Blaugrün. Zussa gab ein geekeltes Geräusch von sich. Dann hielt das Wesen Neire die Hälfte des Wurmes hin. „Hier probiert, es ist eine Kostbarkeit.“ Neire nickte und begann langsam ein Stück abzubeißen. Das noch zitternde Gewebe war elastisch und der Geschmack war salzig und bitter. Aber da war auch eine gewisse Süße im Fleisch. Neire ahnte, dass die Kuo-Toa diese Kreaturen als Delikatesse betrachteten und er schätzte den Wert eines einzelnen Wurmes auf etwa 50 Goldstücke. „Esst euch satt, Oogmiirg. Ihr habt es euch verdient,“ sagte er zu der Fischfrau, die begierig nach weiteren Wesen griff. Dann unterbrach Neire das Schmatzen mit einer weiteren Frage. „Oogmiirg, was habt ihr getan im Schrein?“ Das Wesen schaute mit einem Glubschauge auf, während das andere weiter das schleimige Krustentier betrachtete. „Oormiirg war von Va-Guulgch ausgewählt. War ausgewählt Leich zu legen für Va-Guulgch. Und der Hohepriester war sehr wählerisch.“ Dann kaute sie genüsslich weiter und gab ein tiefes Rülpsen von sich. „Oh, ihr wart so etwas wie eine Lieblingsflosse von Va-Guulgch?“ Die Farbe der Schuppen verwandelte sich jetzt in tiefes Blau. „Ja, vielleicht. Ich gab meinen Leich und Va-Guulgch seinen Samen. Va-Guulgch sehr wählerisch, suchte mich aus unter vielen. Ich bin gesegnet von Mutter. Viele starke Fingerlinge habe ich von Va-Guulgch und alle Kuo-Toa meine Fingerlinge großziehen.“ Neire betrachtete das Wesen fasziniert, das er so gerne weiter studieren würde. Doch er bemerkte, dass die Stimmung von Zussa und Bargh sich verschlechterte. Also frage Neire nach Büchern, nach Schriftstücken der Pilger. Oogmiirg erzählte ihnen von einem solchen Ort und so brachen sie wieder auf und ließen die geheime Kammer hinter sich.
Das Licht von gelblichen und grünlichen Globen, die von der Decke des Raumes hingen, war um sie herum. Sie vernahmen den Geruch von Salz und von vergammeltem Pergament. Oogmiirg hatte sie in diesen Saal geführt, der nun völlig verlassen war. Die geöffneten Bücher erinnerten aber an das rege Treiben der Pilger, die sich noch vor kurzem hier aufgehalten haben mussten. Neire hatte der Fischfrau gedankt und so begannen sie ihre Durchsuchung der vermoderten Regale. Viele menschliche und dunkelelfische Werke waren fast vollständig verschimmelt, doch sie fanden eine gut erhaltene Karte der Sternenhalle von Erelhei-Cinlu. Auch fanden sie ein Pergament, das in Dunkelelfisch verfasst war und das merkwürdig klang. Neire las die Worte, während sie nur noch das Tropfen und Plätschern von Wasser aus der Ferne hörten:
„Nichts ist mehr wie geboren. Verkommen und wichtig sind sie alle geworden. Leben nur noch um zu spielen, nichts anderes. Ein Omen, dass hier überhaupt noch etwas lebt. Wenige Rogen und Fingerlinge, die es gibt. Viele Alte. Ich denke es ist nur noch eine Frage der Zeit. Ich frage mich ohnehin, wieso es noch nicht passiert ist. Alles sehr merkwürdig. Aber genug, ihr wisst wer ich bin. Ihr solltet mich bald frei lassen…“